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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, November 2006

Matisyahu, ultraorthodoxer Jude aus New York, war mit seinem neuen Album „Youth“ zu Beginn des Jahres in den USA absoluter Hype. Ein Jude mit Rauschebart und schwarzem Hut, der Reggae spielt und Bob Marley als großes Vorbild anführt, ist in der Tat immer eine Story wert. So verwundert es nicht, dass seine Person im Zentrum des Medieninteresses steht und nicht seine Songs. Diese hätten es – beim besten Willen – auch nicht verdient. Denn, obwohl das Album von Bill Laswell produziert wurde, ragte es musikalisch nicht aus dem Durchschnitt amerikanischer Popmusik heraus. Es überhaupt als Reggae-Album zu bezeichnen, wäre schon gewagt, zu sehr verlieren sich die Songs in uninspirierten Gitarrenspielereien und mäßig interessanten Beats – womit sich ja noch leben ließe, wäre da nicht Matisyahus gänzlich ungelenker Gesang, der dem Album erbarmungslos den Todesstoß versetzt. Dass hingegen die Band von Matisyahu, Roots Tonic, ohne ihren Chef richtig gut sein kann, beweist sie nun auf ihrem „eigenen“ Album „Roots Tonic Meets Bill Laswell“ (ROIR/Cargo Records), das (Gott sei Dank) keine Dub-Version von „Youth“ ist. Im Gegenteil: Nachdem „Youth“ auf Platz 4 der Billboard-Charts geklettert war und alle Welt sich auf Matisyahu konzentrierte, nutzten Prodzent Bill Laswell und die drei Roots Tonics Josh Werner (Bass), Aaron Dugan (Gitarre) und Jonah David (Schlagzeug) die Ruhe und zogen sich in die Laswellschen Orange Studios in Brooklyn zurück und nahmen dort ein reinrassiges Dub-Album auf. Und was für eines! Kaum zu glauben, dass es sich hier um die selben Musiker handelt wie auf „Youth“, denn auf „Roots Tonic Meets Bill Laswell“ gibt es richtig gute, kraftvolle Musik zu hören. Statt Matisyahus Stimmchen, gibt hier der Bass den Ton an. Wunderbar druckvoll rollen die schweren und zugleich melodiös schwingenden Basslines aus den Lautsprechern und legen das starke Fundament für Gitarre und Mix, während das Schlagzeug entweder im schleppenden One-Drop oder in strammem Steppers-Marsch  präzise Beats setzt. So tight diese Rhythms auch sein mögen, die Spielfreude der drei Musiker ist unverkennbar – der Schwung ihres Grooves muss auch sie selbst beflügelt haben. Auch Bill Laswell zeigt sich von der besten Seite. Sein Mix ist perfekt dosiert und setzt wohlüberlegte Akzente, statt allen Instrumenten wahllos Effekte überzubügeln. Offenbar wusste er, dass er dem Spiel der drei Instrumentalisten vertrauen kann. Daher setzte Laswell auf einen klassischen Old-School-Dub-Mix, der manchmal ein wenig nach frühen Adrian Sherwood-Produktionen klingt. Die Bassline rührt er gar nicht an. Vom ersten bis zum letzten Track läuft sie ohne Unterbrechung durch. Das Schlagzeug wurde vom Meister extrem trocken gemischt – so wie es die Amis lieben (was übrigens gelegentlich dem Sound des Dub Trios sehr nahe kommt), während Gitarre und Keyboard meist  in einem See aus Hall und Echos schwimmen. Laswell – sichtlich zufrieden mit seiner Produktion – hat das Ergebnis seiner Arbeit mit Roots Tonic folgendermaßen zusammengefasst: „A futurist space/dub transmission in which the spirit of Roots Radics, Sly & Robbie and Scientist gets re-electrified and blown to new proportions.“ Was will man dem noch hinzufügen?

Zur gleichen Zeit im letzten Jahr, wurde an dieser Stelle mit überschwenglichen Worten das furiose Album „Don’t Stop Dub“ von Kanka vorgestellt. Er stellte sich darauf als ein Vertreter der Hardcore-Variante des klassischen 90er-UK-Dub vor. Brachiale, elektronische Basslines, stoische Drummachine und in Hall getränkte Synthie-Offbeats kennzeichnen seinen Sound. Diesen Style setzt Kanka auch auf seinem neuen Album „Alert“ (Hammerbass/Nocturne) konsequent fort. In straightem „Four To The Floor“ – und dem für Dub maximal zulässigen Höchsttempo – stampft er durch seine Tunes und lässt es ringsum scheppern und donnern. Kanka zählt zur harten Sorte: Warrior Style! Und es macht Spaß, den guten alten 90er-Sound so konsequent in die heutige Zeit gerettet zu sehen. Dem Foto auf der Hammerbass-Website zum Trotz – nach dem zu urteilen, Monsieur Kanka in den 90er Jahren noch Kinderlieder vorgesungen wurden – behauptet seine Biographie, dass er 1997 bereits in einer Reggae-Band spielte und rund 200 Konzerte absolvierte. Das dürfte gereicht haben, um ihn mit dem Sound vertraut gemacht zu haben. Er zog sich in sein Wohnzimmerstudio zurück und frickelte sich 2003 sein erstes Solo-Dub-Album zusammen. Solo im wahrsten Sinne, denn alle Instrumente (Drummachine, Keyboards, Bass, Bläser) spielte Kanka selbst (obwohl – eigentlich sind das alles doch nur ein Instrument: der Computer?!). 2005 folgte dann das bereits erwähnte „Don’t Stop Dub“ und nun „Alert“, auf dem er erstmals (auf drei Tracks) mit einem Vokalisten zusammenarbeitet: Brother Culture aus Brixton. Dieser macht seine Arbeit übrigens ganz hervorragend, denn seine drei Songs sind richtig gut. Vor allem sein „Town Get Vile“ ist ein echter Ohrwurm – ein Song, in dem er von Stadtteilen berichtet, in die sich Touristen (besser) nicht hineinwagen. Dazu hämmert ein verzerrter Bass brachial Noten in die Gehörgänge, die Cultures Warnung nachdrücklich unterstreichen. Dieses Album sollte man sicherheitshalber erst nach dem ersten Kaffee auflegen.

Nun zur Revival-Selection und zwar zurück in das Jahr 1977 als Lloyd „Bullwackie“ Barnes das Dub-Album „Reckless Roots Rockers“ (Wackies/Indigo) veröffentlichte. Erst kurz zuvor war er von Jamaika nach New York in die Bronx gezogen und hatte dabei diese Aufnahmen im Gepäck. Sie stammten aus den Jahren 1974-75 und waren von der Soul Syndicate-Band in King Tubbys Studio eingespielt worden. Daher klingen sie auch nicht nach den typischen Bullwackie-Produktionen, obwohl Barnes sie in New York gemixt hatte. Im Vergleich zum warmen, mystischen Wackies-Sound sind sie viel zu trocken und spartanisch – aber nicht minder interessant. Unter den zehn Tracks findet sich erstaunlicherweise auch ein Vocal-Tune von Jah Carlos (natürlich Don Carlos), der ebenfalls in Jamaika eingespielt und gevoiced worden war. „Prepare Jah Man“ ist ein starker Song über einen fast noch stärkeren Rhythm, der später in der Showcase-Version des Songs „Moses“ auf Wayne Jarrets legendärem „Bubble Up“-Album berühmt wurde. Daneben finden sich weitere Rhythms, die dem Wackies-Sammler als Vocal-Versionen gut vertraut sein dürften, wie etwa Joe Morgans „Basement Session“ oder „I Belong To You“ von den Love Joys. Insgesamt also ein schönes, wenn auch nicht sehr typisches Wackies-Album

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2006

Noiseshaper sind wieder da! Und zwar genau dort, wo wir sie haben wollen. Nach ihrem letzten, sehr am Reggae-Mainstream orientierten Album „Rough Out There“, kümmern sie sich auf dem neuen „Real To Reel“ (Echo Beach/Indigo) wieder um ausgeklügelte „housey downbeats with a fat reggae flavor“. Trotz der zahlreich enthaltenen Vocal-Tunes, steht wieder der Sound im Vordergrund. Die Stimmen kommen attributiv hinzu, wie ein weiteres Instrument, statt den ganzen Track zu dominieren. Außerdem sind ebenso viele Dubs wie Vocals vertreten, die Real to Reel zu einem gleichmaßen abwechslungsreichen wie interessanten Album machen. Einige der hier versammelten Stücke wie „Rise“, „You Take Control“, „Jah Dub“, „Moving Together“, „All A Dem A Do“, „Dunk“ und natürlich „The Only Redeemer“ sind bereits von älteren Noiseshaper-Alben (z. B. dem auf Different Drummer erschienenen, großartigen „Prelaunch Sequence“) bekannt und liegen hier nun rerecorded und remixed vor. Dabei haben sie sogar noch an Drive und Dynamik gewonnen und an Komplexität zugelegt –, was vielleicht daran liegt, dass der große Adrian Sherwood für den Mix verantwortlich zeichnet. Doch das Album bietet auch brandneue Tunes wie etwa das großartige „The Creator“, ein bombastischer, ultradeeper Roots-Stepper, garniert mit gelegentlichen Lyrics von Juggla. Ganz andere Töne klingen auf „Wake Up“ an. Warm und unendlich relaxed fließt dieser Tune, begleitet vom Gesang Jahcoustix’, aus den Lautsprechern. Am typischsten jedoch ist das Grace Jones-Tribute „Love To The Rhythm“. Hier ist der frühe Einfluss von Rockers HiFi deutlich zu spüren, unter deren Fittichen Noiseshaper die beiden ersten Alben veröffentlichte. Überhaupt haben die beiden Wiener Jungs, Axel Hirn und Florian Fleischmann, schon eine beachtliche musikalische Reise in die Epizentren der Dub-Musik absolviert, die sie aktuell nach London führte. Höhepunkt der Karriere war zweifellos die Verwendung ihres Songs „The Only Redeemer“ in der US-Fernsehserie CSI: Miami, was ihnen eine Mainstream Singel-Veröffentlichung auf Palm Pictures einbrachte und ihre Musik auf die weltweiten Dancefloors katapultierte. „The Only Redeemer“ ist auch auf „Real To Reel“ in einer neu aufgenommenen Version zu hören, deren Mix viel dubbiger und zugleich klarer und präsenter ist. Hier zeigt sich, im direkten Vergleich, die Meisterschaft von Adrian Sherwood. Wie gut, dass Noiseshaper und er zueinander gefunden haben! Ihre gemeinsame Arbeit hat die besten Früchte hervorgebracht, die in den letzten Monaten auf dem Dub-Market zu kaufen waren.

Alpha & Omega haben neue Dubs aufgenommen – obwohl sich das ja nie so recht sagen lässt, denn der Sound des britischen Pärchens ist so konstant, dass jeder Tune ein einziges – aber sehr willkommenes – Dejà-vu ist. Tonnenschwere Beats und endlos träge, sich von Takt zu Takt schleppende Beats, garniert mit skurrilen Urwald-Sounds sowie der massenhafte Einsatz von Hall und Echo sind ihr Markenzeichen. Wie bei Lee Perrys Black Ark-Sound, verschwimmt hier jeder klare Klang in einer großen Ursuppe eruptiver Beats. Daher lässt sich ihr neues Album „City Of Dub“ (Alpha & Omega/Import) nicht nach herkömmlichen Qualitätsmaßstäben wie Produktionsqualität oder Songwriting messen. Was hier zählt ist Atmosphäre und Kompromisslosigkeit. Beides zeichnet die City of Dub aus, die auf 13 Tracks errichtet wurde, wobei – von drei Ausnahmen abgesehen – jeder Track doppelt auftaucht: als Vocal- und als Dub-Version. Auch in Fragen der Produktionsökonomie haben Alpha & Omega sich nie lumpen lassen. Der Reigen der Vokalisten besteht aus den üblichen Verdächtigen: Jonah Dan, Nishka, Jah Zebbi, Coz Tafari u. a. Dabei ist positiv anzumerken, dass diese gelegentlich doch sehr schöne, prägnante Melodien beisteuern, wie z. B. Coz Tafari auf dem Track „Marching Warriors“, oder – ganz großartig – der portugisisch singende Valnei Aine auf „Massacre In The Ghetto“. Und so zeigt sich, dass auch Alpha & Omega-Produktionen von guten Vocals profitieren können – was zuletzt auch bei den Alben von Ryan Moore (Twilight Circus) deutlich zu hören war. So haben wir mit „City Of Dub“ das vielleicht beste A & O-Album der letzten Jahre vorliegen – was allerdings auf das Cover nicht zutrifft. Hier waren die alten äthiopischen Illustrationen viel besser. Kaum zu verstehen, warum A & O von ihrem „Corporate Design“ gelassen haben.

Bleiben wir noch etwas in England und wenden uns dem neuen Dub-Album des verrückten Professors zu: „Mad Professor Meets Mafia & Fluxy – A New Galaxy Of dub Sci Fi 2“ (Ariwa/Rough Trade). Es ist dem Professor zweifellos hoch anzurechnen, dass er unverdrossen Dub-Alben veröffentlicht. Seit über 20 Jahren ist er die große Konstante des britischen Dub – ja des Dub überhaupt. Außer ihm gibt es kaum jemanden, der so unbeirrt und konstant an diesem Genre festgehalten hätte. Während Mad Professor früher seine Hausband, die Robotics, alle Tracks einspielen ließ, holt er sich in den letzten Jahren diverse Gastmusiker ins Haus, um sich neues Material einspielen zu lassen. Mafia & Fluxy haben im Ariwa Studio schon des öfteren ihre Computer angeschlossen und unverdrossen neue Rhythms auf die Tapes des Professors kopiert. Vielleicht ein wenig zu oft, denn die neue Galaxie des Dubs birgt keine Neuentdeckungen oder Überraschungen. Allzu routiniert werden hier die Rhythms abgespult und obwohl Neil Frazer intensiv an den Reglern dreht, ist deutlich zu hören, dass ihm schlicht und ergreifend die Ideen ausgegangen sind. Aber vielleicht waren auch ihm die Rhythms zu uninspiriert. Denn, dass er es noch drauf hat, zeigte Mad Prof. zuletzt bei seinem großartigen Sly & Robby-Album – dessen zweiten Teil er übrigens schon vor langer Zeit angekündigt hat. Hoffentlich kommt er bald, denn ein spannendes, neues Dub-Album aus dem Hause Ariwa tut Not!

An Langeweile noch überboten, wird das Mad Prof.-Album vom neuen Werk der Tassili Players, „Ages Of The Earth In Dub“ (Wibbly Wobbly/Download) das es – wahrscheinlich aufgrund der mangelnden Qualität nicht zu einer regulären CD-Veröffentlichung gebracht hat und nur als Download (iTunes Store) erhältlich ist. Die Tunes klingen nach ganz frühen Zion Train-Aufnahmen und gehören in die 90er Jahre. Falls uns Neil Perch hier nicht altes Material verkaufen will, dann bleibt die Frage, warum er Spaß daran hat, diesen überkommenen Sound immer noch zu produzieren.

Viel interessanter klingt das neue Album von Love Grocer „Across The Valley“ (Wibbly Wobbly/Import), ebenfalls aus dem Hause Zion Train. Seine Qualität hat es vor allem dem – für Love Grocer typischen – Einsatz der Bläsersektion zu verdanken. Wunderbar leicht schweben die Bläsermelodien über die sanften und entspannten Backings, verlieren sich in der dicht gewebten Sound-Atmosphäre, um dann wieder mit aller Präsenz im Vordergrund zu stehen. Daher ist es auch verständlich, dass viele der Tracks eher den Charakter von Instrumentals denn Dubs haben – wäre da nicht der typische Wibbly Wobbly-Sound, der allem unweigerlich den Stempel „Dub“ aufprägt. Obwohl die Tunes dank der Bläser ausgesprochen melodiös sind, wurden zudem gelegentlich noch Sänger wie Earl 16, MC Spee und Jonah Dan eingeladen, wovon vor allem ersterer einen sehr starken Tune abliefert. Insgesamt also ein schönes, wenn auch nicht weltbewegendes Album. 

Aus Frankreich kommt Miniman, alias Roland Rougé, der uns auf seinem letzten Album wissen ließ, dass er nun unter dem Namen Seven Seals firmiert. Um die Verwirrung komplett zu machen, erschien sein neues Album „Opus In Dub Minor“ (www.hammerbass.fr/Import) wieder unter dem Namen Miniman. Bleiben wir also dabei – obwohl er mir als Seven Seals etwas besser gefallen hat. Sein Album „Stars“ war nicht aufregend, aber die Qualität reichte doch aus, um in meine iTunes-Bibliothek importiert zu werden. Dem Opus in Dub-Moll wird dieses Glück nicht widerfahren. Es ist schlicht zu langweilig. Ähnlich wie bei den Tassilli Players klingt es so, als hätte Dub seit den 1990er Jahren keinerlei Fortschritte gemacht. Die hier verwendeten Synthie-Sounds sind definitiv verbraucht. Da helfen auch gelegentliche, etwas verschämt wirkende Samples klassischer Musik und ein durchaus ambitionierter Mix nicht. Wenn der Körper, also der Rhythmus und der Sound, nicht gut sind, dann nützt es auch nichts noch Zierwerk anzuschrauben. Im Gegenteil, es macht die Sache sogar noch schlimmer, da das Werk nicht halten kann, was es dem ersten Anschein nach verspricht.

Burning Babylon dürfte den Lesern dieser Kolumne ein Begriff sein. Dahinter verbirgt sich Slade Anderson, dessen beide letzten Alben „Knives To The Treble“ und „Stereo Mash Up“ an dieser Stelle ausführlich angepriesen wurden. Vor allem letzteres, mit seinem rauen, handgespielten Sound, konnte auf voller Länge überzeugen. Nun legt Anderson „Garden Of Dub“ (Mars Records/Import) vor. Es ist gewissermaßen Episode 1 der Trilogie, denn die Aufnahmen entstanden 2001, in Andersons Wohnzimmerstudio, und dokumentieren seine ersten Schritte im Reich des Dub. Eingespielt mit primitivstem Instrumentarium und auf Compact Cassette gemastert, reicht es soundtechnisch nicht an die Qualität der beiden späteren Alben heran. Auch musikalisch kann es nicht ganz mithalten, obwohl in dem Album eine ganze Menge richtig guter Ideen, schöner Melodien und dunkler Atmosphäre stecken. Andersons Dub-Talent funkelt hier aus jeder Note, auch wenn diese nicht auf Hochglanz poliert wurde.

Kommen wir nun zur Revival-Selection. Den Anfang macht mit „Roots Radics Meets Scientist And King Tubby In A Dub Explosion“ (Roots/Import?) ein brillantes Dub-Album aus dem berühmten Channel One Studio, eingespielt von dessen Hausband mit Style Scott am Schlagzeug und Flabba Holt am Bass. Ein typisch minimalistisches Werk der Roots Radics. Sparsam instrumentiert mit scheinbar endlosen Pausen zwischen zwei Tönen – immer wieder ist nur der träge Bass und das rhythmische Anschlagen her Hi Hats zu hören – puristischer und langsamer war der Reggae-Rhythmus nie. Scientist und Tubby ließen sich ebenfalls Zeit und bewegten die Regler eher sparsam, was den Tracks eine ungemein hypnotisierende Wirkung verleiht. Beim schnellen Reinhören mag das Album langweilig und einfallslos erscheinen, aber sobald man sich auf den Flow der Langsamkeit eingelassen hat, kann man in jedem Winkel der Echo-Kammer neue Entdeckungen machen. Als zusätzlicher Bonus kommt hinzu, dass die Basslines oft schöne Klassiker sind wie „Rougher Yet“, „Mama Used To Say“ oder „Things A Come Up To Bump“.

Letzterer ist übrigens auch auf dem Album „Version Dead“ (Studio One/Heartbeat) zu hören – und zwar im Original, denn hier haben die Damen und Herren des beliebten Studio One Reissue-Labels „Heartbeat“ die „am meisten begehrten“ B-Seiten klassischer Studio One-Singles zusammengestellt. Alle (nicht) gemischt vom Dub Spezialist, wie Coxsone sich selbst nannte, denn abgesehen vom gelegentlichen Einschalten der Gesangsspur kann hier von Dub nicht die Rede sein. Aber wen kümmert es bei Rhythms wie „Mr. Fire Coal Man“, „Real Rock“ (übrigens als echter Dub!), „Pick Up The Pieces“, „Declaration Of Rights“ und natürlich „Things A Come Up To Bump“. Wie von Heartbeat gewohnt, erklingen die Tunes in sehr schön restaurierter Fassung, so dass der Bass der Soul Vendors, Soul Dimension und Soul Defenders kräftig aus den Lautsprechern wummert und den ganzen Charme dieser so endlos oft kopierten Mini-Melodien entfalten kann. Hier ist sie zu hören, die Seele des Reggae, ganz pur und direkt.

Nun zu einem Album, das eine sehr merkwürdige Geschichte hat. Die Rede ist von „King Tubby Meets Jacob Miller In A Tenement Yard“ (Motionrecords/?). Zu hören sind darauf die von Inner Circle gespielten Rhythms des berühmten Jacob Miller-Albums „Tenement Yard“. Allerdings mit recht eigenwilligen Synthie-Overdubs und dem gelegentlichen, glockengleichen Klang eines Xylophons. Während für erstere der Keyboarder der Band, Bernhard „Touter“ Harvey, verantwortlich zeichnet, wurde das Xylophon aller Wahrscheinlichkeit nach von Augustus Pablo gespielt. Ihre Entstehung verdanken die Dub-Tracks dem Wunsch der Fatman Riddim Section nach brauchbaren B-Seiten für die Hit-Tunes des Tenement-Albums. Obwohl die Tracks niemals für ein Album vorgesehen waren, wurden sie zu Tubby gebracht – der sie routiniert mixte – und anschließend, 1976, in winziger Auflage und zudem mit falschem Labelaufdruck als Longplayer veröffentlicht. Kein Wunder, dass kaum jemand von dem Album wusste und Motionrecords es nun als das „rarste Dub Album, das jemals in Jamaika aufgetaucht ist“ anpreist. Seine Qualitäten besitzt das Album fraglos durch die technische Meisterschaft der Inner Circle-Band und die Rhythms gehören zweifellos in den Reigen der besten Mid-70ties-Roots-Produktionen. Ob die Overdubs aber nun eine Bereicherung darstellen, ist fraglich. Skurrilität ist nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal – auch nicht im Dub.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Juli 2006

Richard H. Kirk ist wohl am besten bekannt als Gründer der Punkband Cabaret Voltaire. Obwohl sich Punk und Reggae in den 1970er Jahren nahe standen, dauerte es rund drei Jahrzehnte, bis der talentierte und experimentierfreudige Kirk Reggae und Dub für sich entdeckte. 2002 erschien unter dem Namen Sandoz sein Dub-Debut „Chant To Jah“ auf dem – eigentlich den Rare Grooves verschriebenen – Label Soul Jazz, das jedem Studio One-Liebhaber als zurzeit profiliertestes Reissue-Label ein Begriff sein dürfte. Doch „Chant To Jah“ war – trotz des prestigeträchtigen Labels – kein gutes Dub-Album. Die Tracks waren zu vertrackt, der Bass geriet permanent ins stocken und die Beats wollten einfach nicht grooven. Irgendwie steckte darin noch zuviel „Industrial“ (wie es auch bei manchen Produktionen von Adrian Sherwood der Fall ist) – wahrscheinlich das Erbe früherer musikalischer Vorlieben Kirks. Inzwischen hatte Kirk vier lange Jahre Zeit, um viele klassische Dub-Platten zu hören, um das britische Dub-Revival der 1990er Jahre aufzuarbeiten und nicht zuletzt, um an eigenen Basslines zu werkeln, Rasta-Vocals zu sampeln und die Synthies zu tunen. Nun liegt sein neues Dub-Album, „Live In The Earth“ (Soul Jazz/Indigo) vor und es lässt keinen Zweifel daran, dass er seine Lektionen gut gelernt hat. „Live In The Earth“ ist ein faszinierendes Dub-Album geworden, mit starken, hypnotischen Tracks, die den Hörer förmlich in sich aufsaugen. Endlose Loops des immer gleichen Vocal-Samples, der stoisch durchlaufende, stark betonte Offbeat und die warmen, pulsierenden Bass-Frequenzen steigern das repetetive Moment des Dubs in bisher nur von Mark Ernestus und Moritz von Oswald erreichte Dimensionen. Dabei ist sein Sound keineswegs karg oder verkopft. Im Gegenteil: die Beats stecken voller Wärme und Leben. Jedes Detail in ihnen dient dazu, den Hörer zu vereinnahmen, seinen Rhythmus mit dem der Musik zu synchronisieren, mit ihr zu schwingen und sich schließlich in ihr zu verlieren. „Live In The Earth“ ist daher zweifellos als akustische Droge einzustufen und jeder, der die Platte auflegt, sollte sich der Gefahr bewusst sein, als Dub-Addict zu enden. Ein Risiko, das man jedoch gerne eingeht.

Hoffnungslose Dub-Adddicts sind auch die beiden Berliner Produzenten Mark Ernestus und Moritz von Oswald (aka Rhtyhm & Sound). Daher war zu erwarten, dass sie ihrem One-Rhythm-Album „See Mi Yah“ eine Dub-Version folgen lassen würden. Diese ist nun unter dem Titel „See Mi Yah Remixes“ (Burial Mix/Indigo) erschienen. Da ein reines One-Rhythm-DUB(!)-Album sogar die Geduld des härtesten Minimal-Dub-Liebhabers auf die Probe stellen würde, entschloss sich das Produzententeam, eine ausgewählte Schar weitgehend Dub-fremder Musiker um Remix-Versionen zu bitten und sich damit ein schönes Spektrum aktueller Club-Sounds zu erschließen. Folgerichtig griffen Minimal-Elektroniker, Disco-House-Vertreter und Techno-Prouzenten wie Carl Craig, Villalobos, Vladislav Delay oder Hallucinator in die Tastaturen und kreierten oft gänzlich neue und sehr spannende, Club-taugliche Stücke. Nicht selten blieben dabei neben Instrumentierung und Genre, auch die Vocals auf der Strecke. So stellt sich die berechtigte (wenn auch nicht sonderlich sinnvolle) Frage, was die Remixes denn eigentlich noch mit dem Original zu tun haben? Streng genommen ist das verbindende Element meist nur noch die dunkle Atmosphäre und der konsequente Minimalismus – und natürlich das Prinzip des Dub, das die unterschiedlichen Genres unter dem Primat des Sound vereint.

Bleiben wir noch ein wenig in Club-Gefilden, auch wenn sich der Sound jetzt radikal ändert: „Schön, dass du mal wieder reinhörst“ (Pingipung/Kompakt) heißt das Debutalbum von Peter Presto aka Nils Dittbrenner und bietet die wohl verrückteste Sound-Mixtur, die je in dieser – an Ungewöhnlichem nicht armen – Kolumne Erwähnung gefunden hat. Und das ganz unspektakulär und lässig im Gewand eines durchweg entspannten Sommer-Soundtracks voller sympathischer Synthie-Hooklines und Ohrwurm-Melodien. Es ist ein Album voller Sonnenwärme, das unschuldig zwischen Schunkelstimmung und Albernheit hin- und herspringt. Ein Album, das zu gleichen Teilen Club-Elektronik, Pop-Kitsch, Reggae und Dub sowie unverkennbar Schlager ist. Es ist unentscheidbar, ob dieses Album pure Ironie, Reggae-Verarsche, eine ultracoole Rückbesinnung auf die Werte des Kitsch oder schlicht ein schönes Elektronik-Album ist, gewissermaßen die konsequente Dub-Fortsetzung von 2Raumwohnung. Doch wer braucht Gewissheit, wenn die Musik macht einfach richtigen Spaß macht. Eigentlich wollen wir doch alle schöne Melodien und einen groovenden Reggae-Soundtrack. Wenn dazu die Sonne scheint, wie diesen Sommer, dann ist das kleine Lauben-Glück doch perfekt.

Dennis Bovell ist vielleicht die einflussreichste Reggae-Größe Englands. In den frühen 1970ern gehörte er mit seiner Band Matumbi zu den Pionieren des britischen Reggae und begann Mitte des Jahrzehnts als erster britischer Musiker mit Dub zu experimentieren. Später erfand er im Alleingang den Lovers Rock und verhalf Dub-Poet Linton Kwesi Johnson zu internationaler Bekanntheit. Anfang dieses Jahres hat er sein – bei uns komplett übersehenes – Vocal-Album „All Over The World“ beim Major EMI veröffentlicht. EMI/Virgin-Recods hat das zum Anlass genommen, auch einige alte Werke des Meisters aus den 1970er und 1980er Jahren wieder zu Gehör zu bringen. Die Wahl fiel auf folgende sieben Alben: „Strickty Dub Wize“ von 1978, „Brain Damage“ von 1981, „Audio Active“ von 1986 sowie die vier Alben, die Bovell unter dem Namen „The 4th Street Orchester“ in den 1970er Jahren aufgenommen hat: „Scientific, Higher Ranking Dubb“, „Yuh Learn!“, „Ah Who Seh? Go Deh!“, sowie „Leggo! Ah-Fi-We-Dis“. Die beiden Letzteren beiden wurden tatsächlich von Matumbi eingespielt, was Bovell jedoch verschwieg, weil er sie als „Jamaika-Importe“ an den Markt bringen wollte. Da britischer Reggae damals noch nicht viel galt, war dies eine geschickte Marketingstrategie, deren Erfolg im Übrigen auch viel über die authentische Qualität der Bovell-Produktionen aussagt. Auch heute noch macht es viel Spaß, diese klassischen Old-School-Dubs zu hören, die problemlos als Tubby-Mixe durchgehen könnten. Präzise gespielt, sehr inspiriert arrangiert und gemischt, sind diese Aufnahmen die Highlights der Reissue-Serie. Sehr schön sind aber auch die Dubs auf  „Scientific, Higher Ranking Dubb“/ „Yuh Learn!“, die auf Bovellschen Lovers-Rock-Produktionen basieren und seinerzeit hoch im Kurs der britischen Soundsystem standen. Bovells Leistung bestand darin, die soften Lovers-Rock-Arrangements mit dem Roots-Rückgrat des Reggaes abzustimmen, was ihm sehr gut gelungen ist. „Strictly Dub Wize“ – das Bovell unter dem Pseudonym „Blackbeard“ veröffentlicht hatte –  featured ebenfalls Dub-Versionen von Matumbi-Aufnahmen. Hier wurden sie jedoch trockener und puristischer abgemischt. Die verbleibenden zwei Alben, „Audio Active“ und „Brain Damage“, bieten vorwiegend Vocal-Stücke. Richtige Hits wie „Dub Master“ oder „Pow Wow“ finden sich auf ersterem. Obwohl „Brain Damage“ das bekanntere Album ist, kann es im Vergleich nicht überzeugen. Hier sind schlicht die Konzessionen an den Mainstream-Pop der Zeit zu groß, weshalb das Album neben Reggae auch Afro-Pop, Rhythm & Blues, Jazz und Soul bietet. Leider etwas zuviel des Guten.

Passend zum Thema hören wir kurz in „King Tubby & Friends: Motion Dub Special“ (Motion/Import) hinein, eine Sammlung von 14 Dubs aus den Jahren 1974 bis 1978. Die Stärke dieses Samplers liegt in der großen Unterschiedlichkeit der hier zusammengetragenen Stücke, die weitestgehend dem Releasekatalog des kleinen Motion-Labels entstammen. Wer Tubby vorwiegend von den unzähligen, stilistisch sehr einheitlichen Bunny Lee-Produktionen kennt, wird hier ganz andere Seiten aus Tubbys Schaffen kennen und lieben lernen.

Nucleus Roots haben ein neues, ziemlich beeindruckendes Dub-Album vorgelegt: „Heart Of Dub“ (Hammerbass/Import). Der Sound passt perfekt zum Labelnamen, denn mit aller Wucht schleudern die Franzosen ihren Hörern die Basslines entgegen und schlagen ihnen die Bassdrum in den Magen. Uff, das ist wahrlich physisch spürbare Musik. Steppers in Reinkultur – und trotzdem nicht uninspiriert oder langweilig, was schlicht an den guten Gesangsmelodien liegt, die fragmentarisch das musikalische Echo-Inferno durchdringen. Aber auch die Basslines rollen schön melodiös aus der Box. Natürlich wird es für so ein konsequent klassisches Steppers-Album keinen Innovationspreis geben, doch auf den Publikumspreis könnte das Album durchaus hoffen.

Weniger hart, ja geradezu versöhnlich und entspannt kommt die Musik auf dem neuen Alien Dread-Album „Kortonic Dub – Remixed & Remastered“ (www.acl2000ltd.co.uk) daher. Die sanften Bässe werden hier von sphärischen Flötenklängen und Synthie-Sternenglitzer begleitet. Was nicht heißt, dass wir es hier mit einem Ambient-Dub-Album zu tun hätten. Ganz und gar nicht! Der Groove ist absolut geerdet, äußerst solide und tight. Der fremde Dread versteht sein Handwerk zweifellos. 

Ebenso die Jungs von Johnstone. Mit „Eyes Open – Dub“ (John Stone/Import) liefern die Amerikaner ein beachtenswertes Dub-Album ab, das auf schnelle und leichte Beats gebaut ist. Wie für amerikanischen Reggae ist Musik handgespielt, was ja immer einen ganz eigenen Charme besitzt. Der Mix ist nicht sonderlich aufregend, aber die Rhythms sind sehr kraftvoll und solide. Der Sound ist deutlich trockener, als bei den beiden französischen und britischen Produktionen (s.o.), die Arrangements hingegen – trotz der Minimalbesetzung der Band – abwechslungsreicher.

Ein interessantes Projekt haben die beiden Engländer Garry Hughes und Andrew T. MacKay unter dem Pseudonym „Bombay Dub Orchestra“ (Exil/Indigo) realisiert. Hughes und MacKay haben in Indien ein 28-köpfiges Streichorchester für sich spielen lassen und die Aufnahmen im britischen Heimstudio dann schichtweise übereinander getürmt, bis sie den gewünschten „cinematografisch-symphonischen Panoramaklang“ der Superlative auf Band hatten. Dazu noch schnell ein paar Sitar-, Sarangi-, Tabla- und Bansuri-Solisten und fertig war das musikalische Ambient-Triphop-Dub-Curry. Für uns ist vor allem die Bonus-CD mit den Dub-Mixen interessant. Doch obwohl hier eigentlich alle Ingredienzien stimmen, entwickelt das Curry nicht die nötige Schärfe. Man schafft es maximal fünf Minuten lang konzentriert hinzuhören, dann sind die Gedanken schon woanders und die Musik nur noch Background-Muzak. Schade.

Ein Album, das uns wieder versöhnt, ist der „Showcase“ (Wibbly Wobbly) von den Abassi All Stars. Hinter den All Stars steht tatsächlich nur eine Person, nämlich Neil Perch, Labelchef von Universal Egg, Deep Root und Kopf von Zion Train. Dass er seit den frühen Zion-Train-Meisterwerken nicht verlernt hat, kraftvolle, inspirierte und schön melodiöse Tracks zu produzieren, zeigt dieses spannende Album. Anders als der Titel vermuten lässt, werden hier ausschließlich Vocal-Tracks präsentiert, von überwiegend unbekannten UK-Artists. Lediglich Earl 16, Luciano und Dubdadda sind einem größeren Publikum bekannt. Alle beteiligten Artists liefern äußerst schöne, prägnante und hervorragend gesungene Tunes ab. Earl 16s Opener „Stem the Tide“ legt die Latte bereits sehr hoch, doch der Höhepunkt ist wohl Sis Sanaes Track „Suffering“, in dem die Sängerin ihre sanfte aber starke Melodie selbstbewusst dem brachial treibenden Beat entgegenstellt. Lucianos Tune „What We Gonna Do“ ist ungewohnt düster und schwer, während Fitta Warri seine Interpretation von Sizzla über einem bemerkenswerten Uptempo-Steppers abliefert. Zwei Tracks weiter meldet er sich nochmals mit „Never Sell My Soul“ zu Wort und präsentiert einen weiteren herausragenden Track des Albums. Hier hat Perch wieder ein kleines Meisterwerk geschaffen. Es ist kaum zu glauben, dass er nach rund 15 Jahren im Geschäft noch immer geradezu übersprudelt vor Ideen. Dafür ist es andererseits umso enttäuschender, dass es nur einen MP3-Release (iTunes) des Albums geben wird. Times are changing. 

Zum Abschluss noch ein Dub-Album aus hiesigen Gefilden: Die drei Stuttgarter Musiker Wolfram Göz, Michael Friedler und Gabriel Schütz haben unter dem Bandnamen Tokyo Tower ihr Debutalbum „The Meaning“ (www.mutan.de) vorgelegt. Es ist ein ruhiges, verhalten experimentelles Dub-Album, das sich deutlich am Sound von Leftfield, Dreadzone und Terranova orientiert. Dabei steckt es voller interessanter Ideen wie etwa der musikalischen Umsetzung der Rede Charlie Chaplins in „Der große Diktator“. Doch, obwohl alle Songs schön entwickelt und detailbewusst umgesetzt sind, fehlt es an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch etwas am Timing.

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Dub Revolution, Mai 2006

Es ist erstaunlich, dass Dub in letzter Zeit auch das Interesse von Jazz-Musikern weckt, sollte man doch meinen, dass sich diese ungern in das für Dub typische enge Rhythmus-Korsett pressen lassen. Andererseits bietet Dub Gelegenheit zu ausschweifenden Sound-Experimenten und ist zudem ein für Jazzer noch weitgehend unerforschtes Gebiet. Für das Genre sind die Jazz-Musiker jedenfalls eine Bereicherung, erschließen sie ihm doch eine gänzlich neue Soundsphäre, in der die Dub-typischen, fett-stoischen Beats von handgespielte Instrumenten und experimentellen Sounds kontrastiert werden und so einen rauen und lebendig-direkten Charme entwickeln. Die drei Schweizer Adrian Pflugshaupt, Christian Niederer und Marcel Stalder beherrschen diesen Sound perfekt. Unter dem Namen Dub Spencer and Trance Hill liefern sie mit ihrem Debutalbum „Nitro“ (Echo Beach/Indigo) ein äußerst gelungenes Beispiel für die Fusion von Jazz und Dub. Ihr psychedelischer Dub-Sound, der auch gerne mal von Western-Gitarren Riffs oder auch regelrechten Rock-Soli bereichert wird, hält genau die Waage zwischen groovender Bauchmusik und für bewusstes Zuhören geschaffene Kopfmusik. Repetetive Beats und weitgehend live gespielte „Mix-Exkursionen“ – die hier die Funktion der Soli im Jazz übernehmen – wechseln sich in perfektem Timing ab und sorgen dafür, dass das Album über seine gesamte Länge interessant und spannend bleibt. Wer sich unter dieser sehr theoretischen Beschreibung nicht viel vorstellen kann, der denke an eine (rein hypothetische) Zusammenarbeit von Adrian Sherwood und Bill Laswell für das Brooklyner Word Sound-Label; jetzt das Ganze noch als Live-Konzert-Mitschnitt vorstellen – und schon dürfte der verquere und doch eingängige Sound von Dub Spencer und Trance Hill vor dem inneren Ohr erstehen. Und wahrscheinlich auch der Wunsch, dort einmal im Real-Live reinzuhören.

Pionier der Fusion von Dub und Jazz dürfte – abgesehen von einigen Sherwood-Produktionen in den 1980er Jahren – Burnt Friedman sein, der zwischen 2000 und 2004 mehrere Dub-Alben auf seinem Nonplace-Label veröffentlichte. Ziel seines vollständig durchprogrammierten Sounds war es, dem Klang handgespielter Instrumente so nah wie möglich zu kommen. Nun hat das Jazz-Quartett Root 70 (Nils Wogram, Jochen Rueckert, Matt Penman und Hayden Chrisholm) diesen nahezu perfekten Fake mit Hilfe von Posaune, Saxophon, Schlagzeug und Kontrabass in ein tatsächlich handgespieltes „Original“ verwandelt, indem es sieben Friedman-Kompositionen und drei Stücke von Flanger neu – und vollkommen akustisch – vertont hat. Das Ergebnis ist das Album „Heaps Dub“ (Nonplace/Groove Attack) – faszinierend und sehr, sehr schön. Denn obwohl Root 70 angeblich auf Free-Jazz spezialisiert sind, klingt hier alles wohlgeordnet und harmonisch arrangiert – ja es ist sogar weniger experimentell als Dub Spencer und Trance Hill. Zugleich ist die Nähe zum Jazz aufgrund der akustischen Instrumentierung größer. Die Bläser und das Fehlen der Gitarre ergeben ein ganz anderes, weniger raues, äußerst harmonisches Klangbild. (Wahrscheinlich werden die Free-Jazzer entsetzt sein, dies zu lesen …)

Bleiben wir noch ein wenig bei handgespielter Musik. Vom Dub Trio war vor zwei Jahren schon die Rede, damals hatte die Minimal-Band ihr Debut-Album „Exploring the Dangers Of“ vorgelegt. Nun kommt das neue Werk „New Heavy“ (Roir/Cargo) – und der Name trifft es ziemlich genau, denn während das Debut-Album ein Reggae-Dub-Album mit gewissen Rock-Einflüssen war, macht „New Heavy“ einen großen Schritt in Richtung Metall. Ja, richtig gelesen: Metall. Das verrückte ist aber: es funktioniert ziemlich gut – und viel besser als bei den Bad Brains, denn das Dub Trio hat einen ziemlich groovenden Reggae-Beat drauf. Sobald sich der Hörer in diesen Beat fallen lassen will, getragen werden möchte vom tiefen Bass und maßvoll voranschreitendem Schlagzeug, bricht ein Gitarren-Gewitter los, das schlagartig Adrenalin in alle Ecken des Körpers pumpt. Kurz bevor der Stresspegel zu hoch steigt, verhallen die Gitarren und der Reggae-Groove übernimmt wieder die Regie. Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich allerdings ein weites Feld von ausgeklügelten und clever arrangierten Dub-Effekten, die aus dem Album ein vielschichtiges musikalisches Erlebnis werden lassen.

Das komplette Gegenteil ist das Projekt der beiden Engländer Garry Hughes und Andrew T. MacKay, das sie unter dem Pseudonym „Bombay Dub Orchestra“ (Exil/Indigo) realisiert haben. Statt kreischender Gitarren gibt es hier Ruhe und Besinnung. In Indien haben Hughes und MacKay ein 28-köpfiges Streichorchester für sich spielen lassen und die Aufnahmen im britischen Heimstudio dann schichtweise übereinander getürmt, bis sie den gewünschten „cinematografisch-symphonischen Panoramaklang“ der Superlative auf Band hatten. Dazu noch schnell ein paar Sitar-, Sarangi-, Tabla- und Bansuri-Solisten und fertig war das musikalische Ambient-Triphop-Dub-Curry. Für uns ist vor allem die Bonus-CD mit den Dub-Mixen interessant. Doch obwohl hier eigentlich alle Ingredenzien stimmen, entwickelt das Curry nicht die nötige Schärfe. Man schafft es maximal fünf Minuten lang konzentriert hinzuhören, dann sind die Gedanken schon woanders und die Musik nur noch Background-Muzak. Schade.

Ganz anders bei Stefan Schneider und Bernd Jestram, die sich mit ihrem Projekt Mapstation auf einem schmalen Grad zwischen Minimal Techno a lá Kompakt, Minimal Dub a lá Rhythm & Sound und Minimal E-Musik a lá Steve Reich bewegen. Ruhige, kurze, repetitive Beats, ein warmer, bassgetriebener, komplett synthetischer Sound und versteckt angedeutete Melodien kennzeichnen die facettenreichen Produktionen der beiden Berliner. Ihr neues Album „Distance Told Me Things to Be Said“ (scape/Indigo) ist vielleicht das empfehlenswerteste Album dieser Kolumne – auch wenn es nicht leicht fällt, es widerspruchslos in der Kategorie „Dub“ unterzubringen. Doch wie es für Dub typisch ist, so geht von dieser Musik eine starke hypnotisierende Wirkung aus. Die synkopierten Beats tragen das Bewusstsein davon, wie das Klackern der Gleisschwellen bei einer nächtlichen Zugfahrt. In diesen Dämmerzustand mischen sich Geräusche der realen Welt: Irgendwo spielt ein Kind, ein offenes Fenster, ein Auto fährt vorbei. Dann  befindet sich der Hörer unvermittelt in Afrika und wird schließlich von den warmen Melodien einer Posaune ins Hier und Jetzt zurückgeholt – nur um mit dem nächsten Track auf eine neue Reise zu starten. Grandios!

Zum Abschluss noch zwei ganz handfeste Dub-Alben: Die drei Stuttgarter Musiker Wolfram Göz, Michael Friedler und Gabriel Schütz legen unter dem Bandnamen Tokyo Tower ihr Debutalbum „The Meaning“ (www.mutan.de) vor. Es ist ein ruhiges, verhalten experimentelles Dub-Album, das sich deutlich am Sound von Leftfield, Dreadzone und Terranova orientiert. Es steckt voller interessanter Ideen wie etwa der musikalischen Umsetzung der Rede Charlie Chaplins in „Der große Diktator“. Doch, obwohl alle Songs schön entwickelt und detailbewusst umgesetzt sind, fehlt es an der einen oder anderen Stelle noch etwas am Timing und die Rhythms grooven nicht so wie sie könnten. Der unangefochtene Meister des Grooves, Sly Dunbar, ist auf „Skin Flesh & Bones meet The Revolutionaries: Fighting Dub 1975-1979“ (Hot Pot/Indigo) mit seinem „Frühwerk“ zu hören, denn hinter beiden Namen verbergen sich in etwa die gleichen Studiomusiker, vornehmlich Sly & Robbie, die hier 18 Tracks für Lloyd „Spiderman“ Campbell eingespielt haben. Wer genau hinhört, kann in diesen Aufnahmen bereits die Blaupause für Sly Dunbars so typischen „Rockers-Style“ hören, den er später im Channel One Studio zur Perfektion brachte. Die hier versammelten Dubs gehören zwar nicht zu den aufregendsten Produktionen der 1970er Jahre, sind aber trotzdem schön anzuhören – vor allem, wenn Rhythms wie „My Conversation“ oder „Be My Puppet“ erklingen.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2006

Wer von Dub-Samplern spricht, denkt zweifellos an die 1990er Jahre, der Blütezeit des Genres, als der Musikmarkt mit Dubware geradezu überschüttet wurde. EFA-Records (Gott habe sie seelig) importierte was das Zeug hielt und brachte hunderte von Dub-Compilations in die deutschen Läden. Doch diese schöne Zeit ist leider unwiederbringliche Vergangenheit, und nachdem auch Echo Beach das Erscheinen der King Size Dub-Sampler eingestellt hat, ist diese Spezies ausgestorben. Ganz ausgestorben? Nein, ein kleines, unbeirrbares Label im UK leistet Widerstand und publiziert unverdrossen eine traditionsreiche Compilation-Serie. Die Rede ist von Tanty Records (www.tantyrecords.com) – oder besser gesagt – von Kelvin Richards, der One-Man-Show hinter der Labelfassade. Seit den frühen 1990er Jahren trägt er mit höchst individuellem Geschmack ausgewählte Dub-Releases zusammen und publiziert sie unter dem irreführenden Titel „Roots Of Dub Funk“. Mit Funk hat seine Auswahl nämlich wenig zu tun, dafür umso mehr mit tonnenschweren Bässen, trägen Beats und 100% One Drop. Hier geht es also nicht um Crossover, Experiment oder gar Avantgarde. Nein, hier geht es um Traditionspflege im besten Sinne, es geht um das, was landläufig unter UK-Dub verstanden wird, wobei – und das ist eine äußerst spannende Entwicklung – von den 14 Tracks des neuen Albums „Roots Of Dub Funk 5“ (Tanty Records/Import) nur 5 tatsächlich aus dem UK stammen. Dub ist heute eine ganz und gar internationale Musik, deren Protagonisten von Kelvin zu Recht „today’s global dub warriors“ genannt werden. Versammelt hat er hier, auf der 5. Ausgabe der „Roots Of Dub Funk“, Dub- Krieger aus Kanada, den Niederlanden, den USA (Groundation), Australien, Schweden, Brasilien und Frankreich (Peter Broggs). Aus Großbritannien kommen die bekanntesten Namen: Vibronics, Alpha & Omega, Abassi All Stars und Mad Professor. Was hier disparat klingt, fügt sich akustisch zu einem wunderbar homogenen Dub-Album auf höchstem Niveau – auf dem es definitiv keinen einzigen Filler gibt. Ein Album, das zwar keinen Innovationspreis verdient, dafür aber einen Orden für Traditionspflege und unbeirrbar guten Geschmack – abgesehen von der miserablen Covergestaltung – was aber bei Dub leider auch schon Tradition ist.

Ein Album, das soundtechnisch perfekt zu „Roots of Dub Funk 5“ (siehe Kasten) passt, ist der „Showcase“ (Wibbly Wobbly) von den Abassi All Stars. Hinter den All Stars steht tatsächlich nur eine Person, nämlich Neil Perch, Labelchef von Universal Egg, Deep Root und Kopf von Zion Train. Dass er seit den frühen Zion-Train-Meisterwerken nicht verlernt hat, kraftvolle, inspirierte und schön melodiöse Tracks zu produzieren, zeigt dieses spannende Album. Anders als der Titel vermuten lässt, werden hier ausschließlich Vocal-Tracks präsentiert, von überwiegend unbekannten UK-Artists. Lediglich Earl 16, Luciano und Dubdadda sind einem größerem Publikum bekannt. Alle beteiligten Artists liefern äußerst schöne, prägnante und hervorragend gesungene Tunes ab. Earl 16s Opener „Stem the Tide“ legt die Latte bereits sehr hoch, doch der Höhepunkt ist wohl Sis Sanaes Track „Suffering“, in dem die Sängerin ihre sanfte aber starke Melodie selbstbewusst dem brachial treibenden Beat entgegenstellt. Lucianos Tune „What We Gonna Do“ ist ungewohnt düster und schwer, während Fitta Warri seine Interpretation von Sizzla über einem bemerkenswerten Uptempo-Steppers abliefert. Zwei Tracks weiter meldet er sich nochmals mit „Never Sell My Soul“ zu Wort und präsentiert einen weiteren herausragenden Track des Albums. Hier hat Perch ein weiteres kleines Meisterwerk geschaffen. Es ist kaum zu glauben, dass er nach rund 15 Jahren im Geschäft noch immer geradezu übersprudelt vor Ideen. Dafür ist es andererseits umso enttäuschender, dass es nur einen MP3-Release (iTunes) des Albums geben wird. Times are changing. 

Verändern wir allmählich den Sound und werden ein wenig experimenteller: „Negril To Kingston City“ (Nocture/Rough Trade) heißt das Album der Transdub Massive, dessen hervorstechendes Merkmal der reizvolle Kontrast zwischen der Beständigkeit des Beats und der Dissonanz eingestreuter, sperriger Soundeffekte ist. Beat und Mix arbeiten hier scheinbar gegeneinander. Immer wenn eine der beiden Seiten droht, die Überhand zu gewinnen, wendet sich das Blatt. Eben wollten die Stimmfetzen und das Melodikaspiel sich verselbständigen, schon setzt der ruhige Bass ein und holt sie auf den Boden zurück. Sehr interessant ist das – und auch äußerst schön. Natürlich kaum geeignet im Hintergrund vor sich hinzupluckern und warme Atmosphäre zu verbreiten. Aber beim konzentrierten Hinhören bietet es eine phantastische Reise durch das Zauberland des Sound. Abgesehen davon, dass es sich hier um französische Produzenten handelt, ist wenig über Trancedub Massive bekannt. Aber nach diesem Album wird sich das bestimmt ändern.

Das Manifest des experimentellen Dub formulierte 1978 (zwei Jahre vor Adrian Sherwoods „Starship Africa“!) der britische Künstler und Musiker David Cunningham unter dem Titel „The Secret Dub Life Of The Flying Lizards“ (Piano). In jenem Jahr bekam er ein Mono-Tape mit Produktionen von Jah Lloyd ausgehändigt, mit dem Auftrag, es für Virgin Records zu remixen. Cunningham – ein Freund minimaler Sounds – war verzweifelt, denn das zusammenkopierte Mono-Material war praktisch „unremixbar“. Also ging er mit dem Werkzeug des Minimal-Musikers ans Werk, schnitt, loopte und filterte das Tape nach allen Regeln der Kunst und jagte es durch diverse Effektgeräte. Das Ergebnis ist ein gänzlich untypisches, dezent verkopftes, minimalistisches, dafür aber maximal faszinierendes Dub-Werk, das seiner Zeit um rund 30 Jahre voraus war – weshalb es jetzt, zum richtigen Zeitpunkt, rereleased wird.

Zum Schluss eine starke Dosis Old School: „Soul Syndicate Dub Classics“ (Jamaican Recordings). Niney the Observer ist bekannt für seine schweren, wuchtigen und kraftvollen Rhythms, über die er mit Bravour Sänger wie Dennis Brown, Barry Brown, Max Romeo und Gregory Isaacs produzierte. Wäre es nicht spannend, diese Rhythms einmal pur zu hören, ihren Sound auszukosten und sich von der Energie mitreißen zu lassen? Jah Floyd, vom Reissue-Label Jamaican Recordings, hat nun 14, der von King Tubby gedubbten B-Seiten bekannter Niney-Singles, zu einem Album zusammengestellt. Hierunter finden sich ganz erstaunliche Cuts. Unglaublich ist z. B. „Dub in Heaven“, die Dub-Version von Horace Andys „You Are My Angel“. Dieser knochentrockene, alles dominierende Bass gehört zum Erstaunlichsten, was ich aus den 70er Jahren je gehört habe. Stripped to the bone – im wahrsten Sinne. „Dub A Long“ ist ähnlich fundamental, nur das Rockers-Schlagzeug bringt eine gewisse Leichtigkeit in den Track. Interessant ist auch „Niney’s Dub Crown“, ein Dub, der später als Augustus Pablos Version „555 Crown Street“ weltberühmt wurde – hier ist das Original zu hören. Selten waren brillant gespielte Rhythms und hochinspirierte Tubby-Mixe so perfekt vereint wie hier.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Januar 2006

Eigentlich ist der Trojan-Back-Katalog von Perry-Aufnahmen sattsam bekannt. Deshalb konnte die 3-Alben-Doppel-CD „Dub-Tryptich“ vom letzten Jahr eigentlich niemanden mehr hintern Ofen hervorholen. Nach gleichem Konzept, also drei Lee Perry-Alben auf einer Doppel-CD, erscheint nun „Dubstrumentals“ (Trojan/Rough Trade) und vereint drei ungleich interessantere, weil seltener gehörte Alben: 1. „Kung Fu Meets The Dragon“, „Return Of The Wax“ und „Musical Bones“. Ende 1973 hatte Perry sein legendäres Black Ark-Studio fertiggestellt – wenn auch noch mit minimaler Ausstattung – und begann dort erste Stücke zu produzieren. 1973 war auch das Jahr in dem Bruce Lee seinen Film „Enter The Dragon“ in die Kinos brachte und damit die Kung Fu-Pandemie im Westen verbreitete. Perry, der ohnehin viel Spaß an guten Filmen hatte – man denke nur an seine musikalischen Huldigungen der Spaghetti-Western –, konnte die Chance, ein Album mit schrägen Kung Fu-Sounds, mystischen Pablo-Far-East-Melodien und natürlich Bruce Lees typisches Gequieke nicht ungenutzt vorbei streichen lassen. Und so entstanden Instrumentalstücke, die dank der Soundeffekte und dem inspirierten – wenn auch verhaltenem – Mix durchaus als Dubs bezeichnet werden dürfen. Die Beats sind, gemessen an späteren Black Ark-Produktionen, noch relativ uptempo mit stark betontem Offbeat und gespickt mit Perrys Bruce Lee-Imitationen. Deutlich ist hier zwar der Weg zu neuen Klängen herauszuhören, doch von seinem spät-60er-Sound hat Perry sich noch nicht emanzipiert. Viel dunkler und deeper klingt dagegen das zweite Album „The Return Of Wax“, das 1975 in England nur als White-Label-Pressung erschienen war. Hier hat Perry mit minimaler Instrumentierung gearbeitet und den Mix radikal abgespeckt. Oft ist nicht viel mehr als Drum & Bass zu hören, trocken und puristisch. Selbst wenn, wie auf „Big Boss“, der Track verhalten melodisch mit Offbeat und Trompete anfängt, schaltet Perry spätestens nach dem vierten Takt alle Instrumente ab und lässt den puren Rhythmus weiterlaufen, nur um später mit dem Lautstärkepegel zu experimentieren. In mancher Hinsicht erinnert „Return“ an das radikale Album „Dub Revolution“. Das dritte Album, „Musical Bones“ klingt wieder ganz anders. Zwar ist es ebenso wie „Return…“ nur als White-Label nach England gekommen, doch ganz anders als dieser minimalistische Vorgänger ist „Musical Bones“ eine wahre Ausgeburt an Musikalität und Spielfreude, denn hier hat Perry nicht experimentiert sonder den Posaunisten Vin Gordon einfach mal machen lassen. Dieser hat die Chance ergriffen und ein schönes, melodisches Instrumental-Album abgeliefert, das viele klassische Reggae-Riddims benutzt und auch vor eingestreuten Jazz-Strukturen nicht zurückschreckt, die nach einem harten Break gerne in Disco-Zitate übergehen, um danach wieder dem ruhigen Reggae-Beat Platz zu machen. Leider wurden von diesem Album viel zu wenige Exemplare gepresst, so dass es schnell in Vergessenheit geriet und später in der Flut frischen Black Ark-Materials auch von Perry übersehen wurde. Nun ist es jedoch in brillanter Qualität wieder zu hören – und zwei Bonus-Alben gibt es obendrein.

Auralux hat sich unter den Reissue-Labels in den zwei Jahren seines Bestehens einen hervorragenden Namen gemacht. Schön ist zudem, dass die Reggae-Historiker des Labels auch eine Ader für Dub-Klassiker haben, wie sie es nun mit der Wiederveröffentlichung des Fatman Dub Contest aus dem Jahre 1979 erneut unter Beweis stellen. Offiziell ist das Album „Fatman Presents Prince Jammy vs. Crucial Bunny: Dub Contest“ (Auralux) betitelt und gehört zu meinen persönlichen Lieblingen aus jener goldenen Dub-Ära. Fatman war ein britischer Soundsystemoperator, der bis in die frühen 1980er Jahre hinein Prince Jammy-Dubs importierte und im UK vertrieb. In Falle von „Dub Contest“ – das übrigens seit seines Erscheinens 1979 nicht wiederveröffentlicht wurde – mixte der damalige Prince die erste Albumseite, während dem Channel One Inhouse-Engineer Crucial Bunny aka Bunny Tom Tom die zweite Seite zuviel. Natürlich stammen die Tracks beider Seiten aus unterschiedlichen Recording-Sessions, wovon Jammy die spannendere erwischt hat. Seine Tracks klingen mystisch und dunkel, was von Jammys echodominiertem Mix noch potenziert wird. Jammy konnte auf hervorragendes Material zurückgreifen, wie etwa Johnnie Clarkes „Play Fool Fe Catch Wise“, Black Uhuru’s post-rockers Version des Wailers-Klassikers „Sun Is Shining“ sowie Johnny Clarkes und I Roy’s großartigem re-working von „Satta“. Bunnys Seite kann da mit ihrem leichteren Revolutionaries-Rockers-Sound nicht ganz mithalten. Beide Seiten sind übrigens für den CD-Release mit je zwei Bonus-Tracks ergänzt worden.

Aus der gleichen Ära stammen die meisten Tracks des Scientist-Albums „Dubs From The Ghetto“ (RAS/Roughtrade). Compiled von John Masouri, bietet das Album einen zwar recht kleinen, aber sehr interessanten Blick auf Scientists Schaffen. Versammelt sind hier Scientist-Dubs für die Produzenten Jah Thomas, Bunny Lee, Linval Thompson und Barrington Levy. Masouri hat hier zielsicher die besten Produktionen herausgegriffen; jedes Stück ist ein kleines Meisterwerk, sowohl was die Rhythms, wie auch den Mix betrifft. Die Musik fließt mit ruhiger Gelassenheit und die Basslines entfalten sich in aller Wärme. „Heavenless“ und „Shank I Sheck“ erklingen in wunderbaren Versionen und Scientists verhaltener Mix lässt sie ganz zu ihrem Recht kommen. Mit „Baltimore“ findet sich sogar eine Produktion von Scientist aus dem Jahre 2003 unter den letzten Tracks – erstaunlich gut übrigens.

Nun ein kleiner Sprung ins New York der 70er Jahre. Hier entstand „Bullwackiess All Stars: Dub Unlimited“ (Wackies/Indigo) ein klassisches Dub-Album aus der Anfangszeit von Lloyd Bullwackie Barnes New Yorker Label. Das Studio in der Bronx war noch so neu, dass Barnes, Prince Douglas und Jah Upton noch keine Zeit für eigene Aufnahmen gefunden hatten, als sie schon ein erstes Dub-Album herausbrachten. Sie hatten sich die Aufnahmen einfach im Treasure Isle Studio einspielen und von King Tubby mixen lassen – was erklärt, warum hier noch nicht der typische Wackies-Sound zu hören ist. Allerdings hatte Barnes in Tubbys Studio wohl Regie geführt und sich sehr abwechlungsreiche, inspirierte Dubs mixen lassen, die sich schon deutlich von Tubbys Massenfabrikation dieser Zeit unterscheiden.

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Charts Review

Dub Top 10 des Jahres 2005

1. Matthias Arfmann, ReComposed (Deutsche Grammophon)

2. Mad Professor, Method To The Madness (Trojan)

3. Dub Club, Picked from the Dancefloor (G-Stone)

4. Chinna Smith, Dub It (Nature Sounds)

5. Prince Douglas, Dub Roots (Wackies)

6. Bill Laswell, Dub Massive 1 & 2 (Trojan)

7. Kankal, Don’t Stop Dub (Hammerbass)

8. King Size Dub 11 (Echo Beach)

9. Fenin, Grounded (Shitkatapult)

10. Burning Babylon, Stereo Mash Up (I-Tones)

 

Mattias Arfmanns Karajan-Remixes gehören zu den spannendsten Dub-Experimenten der letzten Jahre. Encore!

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, November 2005

St. Germain hat vor einigen Jahren gezeigt, wie sich House auf äußerst elegante Art und Weise mit Jazz verbinden lässt. Patrick Bylebyl und Guillaume Metenier, ebenfalls aus Paris, wendeten seine Methode der Housierung auf Reggae an und kreierten unversehens eine so ungemein soulige Variante von House-Dub (nicht Dub-House!), dass sich ihr Projekt-Name „Seven Dub“ tief im Gedächtnis aufgeschlossener Dub-Enthusiasten verankerte. Ihr Tune „Rock it Tonight“ war die Initialzündung, der anschließend zwei Alben folgten. Nun liegt mit „Dub Club Edition: Rock With Me Sessions“ (Echo Beach/Indigo) Album Nr. 3 vor und passt sich perfekt in die Reihe ein. Wunderbar groovende Tunes, gekrönt von den warmen Stimmen großartiger Vokalisten wie Angelique (sie hat „Rock it Tonight“ gesungen), Paul St. Hilaire, Zakeya und DJ-Veteran Lone Ranger. Beat-technisch orientieren sich Bylebyl und Metenier zwar an dem schmalen Grenzpfad zwischen House und Reggae, genehmigen sich aber teilweise recht umfangreiche Exkursionen zu beiden Seiten – ohne dabei jedoch den für sie typischen Dub-Groove, der das ganze Album wie ein roter Faden durchzieht, reißen zu lassen. Ein gutes Beispiel für diese Technik ist die kongeniale Cover Version von Gregorys „My Only Lover“: Ein sehr offen und leicht gespielter One-Drop-Rhythm bildet hier die Basis. Weiche Synthie-Akkorde, eingestreute Gitarren-Picks und verhalten jazzige Piano-Klänge sowie natürlich Angeliques zauberhafte Stimme legen sich wie in transparenten Ebenen darüber und erzeugen so ein äußerst faszinierendes, vielschichtiges Klangbild – zugleich voller Dynamik und entspannter Gelassenheit. Sehr sehr schön. Hier sind Seven Dub in ihrem Element. Da ist das Schielen nach einem „Rock Me Tonight“-Nachfolge-Hit, wie es der Titelsong „Rock With Me“ zu sein versucht, unnötig. Das erzeugt nur latente Déjà vu-Effekte, die den Eindruck vermitteln, Bylebyl und Metenier träten auf der Stelle. So wird der vermeintlich stärkste Track des Albums tatsächlich zu seinem schwächsten. 

Anfang letzten Jahres überraschte uns Ryan Moore mit einem Vocal-Artist-Album aus seinem für reine Dub-Workouts bekannten Haus „Twilight Circus“. Es folgte ein hervorragendes Solo-Album von Michael Rose, zu dem Moore nun – wie sollte es anders sein – unter dem Titel „African Dub“ (M Records/Import) das passende Dub-Album vorlegt. Doch das Problem mit dem Zwielicht-Zirkus war immer, dass seinen Dubs die gewisse Würze fehlte – weshalb Moores Entscheidung, seinen Dubs die Lyrics großartiger Foundation-Artists angedeihen zu lassen, genau die Idee war, die zum großen Wurf noch fehlte. Zwangsläufig führt der umgekehrte Weg, nämlich den Gesang für die Dub-Version wieder zu streichen, zum alten Problem: Gute Fleißarbeit, aber im Ergebnis nicht wirklich spannend. Hinzu kommt, dass Moores Dubs auf Michael Roses Album ohnehin so präsent sind, dass das Dub-Album eigentlich obsolet ist. Wer die Songs ein paar mal gehört hat, wird auf diesem Dub-Album nicht viel neues entdecken – außer Manassehs Mix von „No Burial“, der hier einen schön synthetisch klingenden Computer-Bass unterlegt hat.

Noch ein Wort zu „Computer-Bass“: Wer darauf steht, der findet den ultimativen Computer-Bass-Tune auf dem Kankal-Album „Don’t Stop Dub“ (Hammerbass/Import). Nach einem spannungsvollen Intro und der altbekannten Fuzzy Jones-Ansage, knallt eine unglaubliche Bassline los, die dem Labelnamen alle Ehre macht. Überhaupt hat Monsieur Kanka hier ein äußerst bemerkenswertes Dub-Album vorgelegt, das so voller Energie steckt, dass man sich daran fast die Finger verbrennt. Hier heißt es: „Four To The Floor“ im für Dub maximal zulässigen Höchsttempo. Wie Kong Kong durch die Straßen New Yorks, stampft Kankas Drummachine durch die Beats und lässt es ringsum scheppern und donnern. Damit der Bass dagegen eine Chance hat, türmt er sich zu einem wahren Frequenzgewitter, das mühelos die Nachbarn von der anderen Straßenseite aus den Schlaf vibriert. Also, Dubheads, hier lohnt sich ein wenig Import-Recherche – dieses Album ist ein Killer!

Mal schauen, ob die Bush Chemists mit ihrem neuen Werk „Raw Raw Dub“ (Roir/Import) degegenhalten können. Es beginnt zunächst ganz am Anfang mit „New Beginning“. Doch was hier so vielversprechend heißt, entpuppt sich als gewohnt gutbürgerlich. Neo-Dub, oder auch UK-Dub, in Reinstform, nicht mehr und nicht weniger. Der nächste Track „Speaker Rocker“ baut schon etwas mehr Tempo auf und noch einen Track weiter, in dem Love Grocer-Remix „East Of Jaro“ kommt noch etwas Melodie dazu. Nein, gegen Kanka machen die Dub-Veteranen keine allzugute Figur, doch je länger man ihnen zuhört, sich auf ihre Musik einlässt, desto mehr verblasst der Vergleich und das Album entfaltet seine Qualitäten – und die bestehen darin, dass es den eingeschränkten Möglichkeiten des Neo-Dub (seiner Rhythmik, seinen Arrangements und seiner Instrumentierung) irgendwie doch noch weitgehend interessante Tunes abgewinnt. 

Hören wir lieber mal beim Original nach, hören wir, wie alles begann… 1991 nahm Zion Train das Debutalbum „A Passage To Indica“ auf, ein braves, unspektakuläres Album, das jetzt zusammen mit seinem Nachfolger „Natural Wonders of the World in Dub“ (Universal Egg/Import) – ein Neo-Dub-Meilenstein – frisch remastered neu veröffentlicht wird. Vor allem „Natural Wonders“ ist immer noch sehr hörenswert. Hier deutet sich schon sehr klar die für Zion Train typische Liaison zwischen Digi-Dub und schnellen  Acid-House-Rhythmen an. Das Album steckt voller bahnbrechender Ideen, jeder Track ist eigenständig und rhythmisch wie melodiös so prägnant, dass sich die Dubs beinahe als „Songs“ bezeichnen lassen, wie z. B. insbesondere beim letzten Track „Zion Canyon“ mit seiner sanften Ohrwurm-Piano-Melodie über der unweigerlich hypnotisierenden Bassline. Rückblickend zeigt sich das Album als ein erstes Manifest der neuen Möglichkeiten des Neuen Dub.

Abschließend noch ein historischer Blick auf den jamaikanischen Dub. Das amerikanische Label „Silver Kamel Audio“ widmet sich dem Oeuvre des Deejay und Produzenten Jah Thomas. Die letzten Veröffentlichungen sind der Sampler „Big Dance A Keep“ und das Dub-Pendant „Big Dance a Dub“ (Silverkamel/Import). Aufgenommen von den Roots Radics, Mafia und Fluxy sowie der Firehouse Crew im Tuff Gong und im Black Scorpio-Studio, bietet das Album 14 frisch eingespielte Tracks, die so klingen, als stammten sie aus den 80er und 90er Jahren. Das Album wäre keiner besonderen Erwähnung wert, wären da nicht all die schönen Studio One-Riddims, die hier in crisp eingespielter Fassung gewissermaßen pur zu hören sind. Ein Verneigung Nkrumah Thomas’ vor dem großen Erbe Studio Ones? Oder bloße Einfallslosigkeit? Egal, diese Riddims machen Spaß und tragen jedes Album.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2005

Steve Barrow – unermüdlicher Reggae-Historiker und Reissue-Papst – zeichnet neben Blood & Fire nun für ein neues Label verantwortlich: „Hot Pot“, angesiedelt im Haus von Cooking Vinyl (wie passend!). Nach „Earthquake Dub“, das bereits im März erschien, kommt jetzt „Leggo Dub“ (Hot Pot/Indigo), beides Werke des Produzenten Oswald „Ossie“ Hibbert. „Leggo Dub“ ist ein schönes, raues und energiegeladenes Dub-Album, das von Sly Dunbars Drums unerbittlich durch 16 Tracks gepeitscht wird. Im Wesentlich basiert es auf Gregory Isaacs Album „Mr. Isaacs“ und bietet Dub-Versions so glorreicher Hits wie „Smile“, „Storm“, Sacrifice“ oder „The Winner“. Doch Barrow wäre nicht Barrow, wenn er es dabei belassen hätte, und so hat er sechs Bonus-Tracks aus Ossies Archiv hinzugefügt: darunter „Lion Fence Version“, eine Ranking Trevor-B-Seite oder „Special Version“ und „Loving Version“, beides U. Brown-B-Seiten. Doch die Gregory-Rhythms sind nicht zu toppen. Knochentrocken und kraftvoll stürmen die Beats voran, garniert von wunderschönen Gregory-Melodien, die von Bläsern angespielt werden und dann verhallen, um Drum & Bass den Vortritt zu lassen. Gelegentlich hat Hibbert, der hier auch Sound Engineer war, Soundsamples, wie Hundegebell oder Telefonklingeln beigemischt. Hat er wohl bei Errol T. abgeguckt, klingt auf „Leggo Dub“ aber doch eher deplatziert. Ansonsten kann Hibbert seine Nähe zu King Tubby nicht verleugnen – was aber nicht zuletzt am Sound der Backing Band (Revolutionaries/Soul Syndicate/Aggrovators) liegt, die auch für Bunny Lee unzählige Rhythm Tracks aufgenommen hat. Wer also die Blood & Fire-Dub Rereleases mag, wird an Leggo Dub seine Freude haben.

Mein lieber Plattendealer aus Münster hat ein interessantes französisches Dub-Label mit dem grandiosen Namen „Sounds Around“ ausgegraben, das sich irgendwo im Spektrum zwischen Neo-Dub, Elektronik, Techno und Drum ‚n’ Bass verorten lässt. Mit „Dub Excursion“ (Pias/Import) legte das Label – gewissermaßen als Gründungsmanifest – einen Sampler vor, auf dem Namen wie Manutension, Tomaski, Brain Damage, Hybrid Sound System, aber auch mir gänzlich unbekannte Acts wie Elastik, Uzina Dub oder Heckel & Jeckel versammelt sind. Den Grundtenor des Samplers bestimmen wuchtige Neo Dubs mit schweren Basslines und stoisch steppenden Drumbeats. Aber alles klingt ein wenig experimenteller, elektronischer und verspielter. Hier wird undogmatisch musiziert, was der Labtop hergibt – und im Falle von Rawa Dub ist es eine grollende Bassline, die ihresgleichen sucht. Ein wahres Dub-Gewitter! Fantastisch sind auch Heckel & Jeckel, die hier einen UB 40-Sample durch den Fleischwolf drehen. Entlassen wird der Hörer von Elastik, der scheinbar einen Muhezin in der Mangel hatte. Schräg und schön.

Ein weiteres Album auf Sounds Around ist „Dub Strike“(Pias/Import) von Sism-X, die irgendwie nach einer Hardcore-Version von Seven Dub klingen. Machtvoller Roots-Dub ohne Firlefanz. Druckvoll und Kompromisslos. Völlig redundant, einen Titel tatsächlich „Stepper Dub“ zu nennen – nichts anderes macht das gesamte Album mit Bravour.

Das Hybrid Sound System – bereits mit einem Titel auf dem Sampler vertreten – legt mit „Synchrone“ (Pias/Import) auch ein komplettes Album auf Sounds Around vor. Hier geht es schon experimenteller zu. Viele der wuchtigen Dubs sind um orientalische Harmonien und arabische Vokal-Samples herumgewebt. So beginnt der Track L’Uzure wie ein arabisches Volkslied, um sich dann allmählich in einen kraftvollen Steppers-Dub zu verwandeln. „Nordick“ hingegen beginnt wie ein langsamer, schleppender Dub, um im Laufe des Tracks zu einem brachialen Drum ‚n’ Bass-Stück zu werden. Da werden die Ohren nachhaltig frei geblasen!

Beruhigend traditionell geht es hingegen auf dem Vibronics-Album „Heavyweigt Scoops Selection“ (Pias/Import) zu, das ebenfalls auf Sounds Around erschienen ist. Versammelt sind hier scheinbar Vocal-Stücke und Dub-Versions diverser Vibronics-Produktionen – gewissermaßen ein Vibronics-Labelportrait. Nach den frischen französischen Dubs wirken die typischen UK-Dub-Synthie-Sounds der Vibronics irgendwie abgestanden, obwohl die Vokalisten einige nette Melodien beisteuern. Vor allem Madus’ „Book Of Revelation“ ist ein brillanter Song, der auch von einem schön kraftvollen Rhythmus unterstützt wird.

Bleiben wir noch ein wenig in Frankreich und hören in ein Album, dessen Titel ausgesprochen vielversprechend klingt: „Night of the Living Dread“. (Import) Urheber dieses Horror Dub-Albums – auf dessen Cover dreadgelockte Riesen-Roboter gegen Zombies in blauen Banker-Anzügen kämpfen – sind Sonarcotic aus Marseille. Dub-Avantgarde darf man hier zwar nicht erwarten, aber ein sehr schönes, interessantes und ziemlich abwechslungsreiches Dub-Album, dass keineswegs zum Fürchten ist. Im Gegenteil: ruhige, entspannte, aber doch spannungsvoll pulsierende Beats bestimmen den Sound. Die Arrangements stecken voller kleiner Ideen und sorgen dafür, dass jeder Song Eigenständigkeit und Prägnanz besitzt. Entgegen aller Erwartung wird der Hörer hier nicht mit blöden Samples aus Horrorfilmen genervt – der Titel scheint (zum Glück) lediglich ein nettes Wortspiel zu sein. 

Es gibt wieder eine neue Scientist-Platte! „Nightshade meets Scientist“ (Organized Elements/Import) heißt das Teil und bietet 13 Dub-Mixes eines – noch nicht erschienenen – Albums der Ami-Band Nightshades. Gemixt wurde es von Hopeton Brown a.k.a. Scientist in Hollywood. Die Tracks sind alle von Hand gespielt und klingen auch so – typisch amerikanischer Reggae: traditionell, rootsig, latent trocken. Scientist liefert einen soliden Job: traditionell, rootsig, latent trocken. Spannendere Rhythm-Tracks hätten ihn wahrscheinlich etwas mehr aus der Reserve gelockt. Doch ein Album ohne Höhen und Tiefen hat auch Stärken: So eignet es sich hervorragend als Hintergrundmucke im Büro, gewissermaßen als Stress-Absorber.

Nachdem im letzten Jahr die große Jah-Wobble-Werkschau in Form von einer 3-CD-Box erschienen ist, wagt sich Wobble nun, ein  Album mit aktuellen Werken vorzulegen. Um diesem eine angemessene Bedeutung zu verleihen, hat er den Titel „Mu“ (Trojan/Rough Trade) gewählt, was laut eigener Aussage aus dem Chinesischen stammt und nichts geringeres als „Gott“ oder auch „Ursprung“ meint. Damit dürfte klar sein, dass Mr. Wobbles Esoterik-Trip noch andauert. Diesmal führt er uns über Indien in den fernen Osten, auf einem mit sphärischen Dubs und warmen Bassläufen gepflasterten Weg. Seine Soundcollagen aus asiatischen Harmonien, Breakbeats, Sampels, Keyboard-Flächen und natürlich subsonischen Bassfrequenzen haben zwar nur bedingt mit Reggae zu tun, dafür aber umso mehr mit Dub, Zen-Dub, um genau zu sein. Jeder Track besteht aus einer nicht genau definierbaren Anzahl von Soundebenen, die sich transparent überlagern und aus denen immer wieder einzelne Instrumente oder Stimmen hervortreten und eine kleine Melodie anstimmen oder synkopierte Beats beisteuern. (Für diesen faszinierenden Sound zeichnet übrigens Mark Lusardi verantwortlich, der auch schon The Orb, Duran Duran und David Bowie hat gut klingen lassen). Wobbles Songs stecken voller Ideen und lassen eine allzu einfache Klassifizierung nicht zu. So ist „Kojak-Dub“ zum Beispiel ein funkiges Uptempo-Stück und „Love Comes/Love Goes“ ist lupenreiner Pop. Aber das ist ja kein Widerspruch, denn alles entspringt ja bekanntlich dem große „Mu“.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, August 2005

Mad Professor ist einer meiner Helden. Seine „Dub Me Crazy“-Alben kamen zu Beginn der 1980er Jahre über mich wie eine Offenbarung. Als hätte ich geahnt, dass es im Reggae noch eine tiefere Dimension geben müsse, hörte ich seine metallisch donnernden Beats mit offenen Ohren, Kopf und Mund. Seine Dubs waren genau die richtige Mischung aus druckvollen, tief tönenden Beats und höchst kreativem Mix. Anders als bei Kollege Adrian Sherwood, gelang es ihm immer, seinen musikalischen Experimenten Bodenhaftung zu verleihen und seinen Stücken Seele einzuhauchen. In einem Interview erzählte er mir einmal, dass er glücklich sei, in England und nicht in Jamaika Musik zu machen, denn hier sei er vielfältigeren Einflüssen ausgesetzt, die ihn stets von neuem inspirieren und motivieren. Daraus spricht eine vollkommene Hingabe an die Musik. Nicht die Suche nach einem kommerziell verwertbaren „Style“ treibt ihn an, sondern die Erforschung der noch verborgenen Möglichkeiten von Dub. Wie weit er mit der Auslotung dieser Potentiale bisher gelangt ist, dokumentiert seine Doppel-CD-Jubiläums-Compilation „Method To The Madness“ (Trojan/Sanctuary) , die einen Querschnitt aus 25 Jahren Produktionstätigkeit des Professors präsentiert. Während die zweite CD vor allem seiner Remix-Tätigkeit (für Massive Attack, Jamiroquai u.a.) gewidmet ist, finden sich auf der ersten CD die wahren Großtaten des Professors. Weitgehend chronologisch wird hier der Bogen gespannt von 1979 („Kunta Kinte Dub“) bis 2004 („Ariwa Dub Rock“ – mit Sly & Robbie). Dabei ist es schon geradezu erschreckend, wie modern seine Produktionen aus den frühen 80ern klingen. So ausgefeilte, clever arrangierte und niveauvoll produzierte Rhythms haben selbst heute noch Seltenheitswert. Der Professor nutzte sie für seine großartigen Dubs, aber auch als Basis für viele Vocal-Produktionen mit britischen Artists wie Pato Banton, Ranking Ann, Sandra Cross oder natürlich Macka B, die hier alle mit ihren wichtigsten Stücken vertreten sind. Doch auch ehrwürdige Foundation-Artists haben Mad Professor immer interessiert und so gibt es wunderschöne Aufnahmen mit Johnny Clarke, Horace Andy oder Max Romeo zu hören. Insgesamt also eine ebenso vielschichtige wie essentielle Werkschau des verrückten Professors – die verrückt nach mehr macht.

Seit Trojan von Sanctuary geschluckt wurde, wird der gigantische Katalog des Labels wieder nach Kräften ausgewertet. Da ist natürlich jede Kompilation-Idee willkommen. Die neuste Idee im Hause Trojan: die klassische DJ-Kompilation, bei der ein bekannter Plattenaufleger seine Lieblingstracks aus dem Fundus auf einen Sampler packen darf. Das hat schon mit DJ Shortkut gut geklappt. Jetzt ist der BBC-Radio DJ Chris Coco an der Reihe und präsentiert seinen Dub Club: „Peace & Love & Dub“ (Sanctuary). Dafür hat er sich vor allem in den 1970er Jahren bedient und einige schon auf tausend anderen Samplern vorliegende  Stücke wie „King Tubby Meets Rockers Uptown“ oder „Cocain In My Brain“ (also nicht nur Dubs) aber auch echte Neuentdeckungen wie Dawn Penns „Love Dub“, Gregorys „African Woman Version“, Bobby Ellis „Shuntin“ oder Lee Perrys selbst gesungene (und leicht umgetextete) Version von Marleys „One Drop“ auf den Plattenteller gepackt. Das ist zwar alles nicht wirklich zwingend, macht aber Spaß und kommt vor allem Sonntagmorgens gut.

Doch damit nicht genug, denn mit dem „Trojan Dub Rarities Box Set“ (Sanctuary), setzten die Sanctury-Kompilatoren noch einen drauf: fünfzig Dub-Tunes aus den 1970er und frühen 1980er Jahren auf drei CDs. Zum Glück sind hier statt der üblichen Verdächtigen eher seltenere Stücke versammelt. Dabei handelt es sich allerdings oft nur um alternative Mixe, was den Neuigkeitswert natürlich schmälert. Aber es gibt auch kleine, funkelnde Dub-Perlen, die in der Geschichtsschreibung des Dub übersehen wurden, wie z. B. „Dub In Love“ von The In Crowd mit frühen Synthie-Melodien, oder Nineys „Iron Fist“ ein früher „computerized“ Dub. Doch angesichts der Tatsache, dass es an Seventies-Dub-Samplern zur Zeit nicht mangelt, stellt sich schon die Frage, ob diese „Rarities“ zwingend in die Dub-Sammlung gehören.

In jede Dub-Sammlung gehören allerdings diese beiden Alben: „Dub Massive Chapter 1“ und „2“ (Sanctuary). Zwei CDs mit je 18 Stücken, die niemand geringeres als Bill Laswell aus den Trojan-Archiven geklaubt hat. Doch der Meister des Bass hat hier nicht nur seine Lieblingsdubs der Seventies kompiliert, sondern hat sie zugleich einem sanften, das Orginal respektierenden Remix unterzogen. „Placed By Bill Laswell“ heißt es daher auch auf dem Cover (das übrigens aus je einer Einsteckpappe besteht und dem interessierten Hörer weitere Informationen schuldig bleibt), worunter Laswell offensichtlich vor allem subtile Veränderungen am Sound versteht (z. B. verstärkte Basslines, Verzerrungen, etc.), gelegentliche Soundsamples sowie ausgeklügelte Übergänge zwischen den ineinander gemischten Stücken. Jedes Album präsentiert sich somit als ein siebzigminütiger, kontinuierlicher Dub-Mix in dem die Beats unterschiedlicher Producer und unterschiedlicher Epochen zu einem faszinierenden Dub-Allover verschmelzen. Was Puristen als Sakrileg empfinden, versteht Laswell als „Interpretation“. Das trifft die Sache eigentlich ganz gut, denn statt sie neu und anders klingen zu lassen, arbeitet er vielmehr die Stärken und Besonderheiten der Originale heraus und unterzieht sie einem sanften soundtechnischen „Rebrush“. Wer das für ein Sakrileg hält, sollte sich die Alben erst recht anhören, denn wahrscheinlich wird er hier seine Lieblingsstücke ganz neu entdecken.

Damit genug an Trojan-Releases. Kommen wir zu einem anderen Lieblingslabel von mir: Echo Beach. Immer auf der Suche nach interessanten Dub-Manifestationen, ist der Labelchef nun auf ein Dub-Album der amerikanischen Ska-Band The Slackers, mit dem Titel „An Afternoon In Dub“ (Echo Beach/Indigo), gestoßen. Entstanden im Anschluss an Probe-Sessions, bei denen das Aufnahmeband laufen gelassen wurde, klingen die Tunes sehr entspannt und inspiriert – und gar nicht nach Ska. Hier dominieren eher langsame Reggae-One-Drop-Beats – nur gelegentlich schleicht sich ein Ska-Shuffle ein, der dann aber sehr erfrischend ist. Besonders schön sind natürlich die Ska-typischen Bläser und der raue, handgespielte Sound. Weniger überzeugend sind allerdings die Riddims und die teilweise etwas drucklose Spielweise. Überhaupt klingt das Album mehr nach einem Instrumental als nach einem reinrassigen Dub-Album, obwohl der Dub-Mix unüberhörbar ist. 

Ein wenig ist das auch bei dem neuen Album von Burning Babylon, „Stereo Mash Up“ (I-Tones/Import) der Fall. Auch hier ist der handgespielte Sound manchmal etwas trocken und das Timing nicht immer perfekt. Andererseits finden sich hier auch supertighte Stücke wie „Midnight To Six“, oder „Heavy Dread (eine Stalag-Version), die, bei voller Lautstärke gehört, durchaus in der Lage sind, das Dach abzudecken. Diese Überraschungen sind es denn auch, die das Album interessant machen. Statt eintönigem Standard-Sound stecken hier in jedem Stück eine Menge Ideen – Spiel- und Mixfreude sind unüberhörbar.

Bleiben wir in Amerika und wechseln von Massachusetts nach Brooklyn, zum Trumystic Soundsystem. Soeben haben sie ihr Doppel-Album „Dub Power“ veröffentlicht, dass entgegen des Titels überwiegend Vocal-Nummern enthält. Die Dub-Versions finden sich dann allerdings auf CD 2. Ebenfalls handgespielt, haben auch diese Tunes einen recht trockenen, analogen Sound, über dem die helle, kraftvolle Stimme der Sängering Kirsty Rock schwebt. Produziert wurden alle Songs von Keith Clifton aus dem Wordsound-Umfeld, was zunächst alle Alarmglocken läuten lässt, ebenso wie die Info, dass Trumystic bereits auf dem Pink-Floyd-Hommage-Album „The Dub Side Of The Moon“ zu hören waren. Und in der Tat: eine gewisse geistige Nähe zum Rock ist manchmal nicht ganz zu überhören. Andererseits gibt es auch sehr schöne, druckvolle Reggae-Rhythms – aber so richtig überzeugen kann mich das Album nicht. Dub ist eine im weitesten Sinne elektronische Musik. Um hier mit einem handgespielten, tendenziell rockigen Sound überzeugen zu können, muss man seine Sache schon richtig gut machen (wie z. B. das Dub Trio). Doch das will hier noch nicht recht gelingen. Trumystiks Stärken liegen hingegen in den Vocal-Stücken, bei denen eine schlüssige Songstruktur wichtiger ist als Sound und Präzision.

Komplett anders klingen Dub Resistance auf ihrem Album „World Receiver“ (www.maxelect.com). Hier geht es um House, Lounge und Dope Beats unter dem großen Prinzip Dub. Die Sounds sind demnach eher elektronisch, entspannt und fließend. Eine Musik, die gut in den Hintergrund passt, sie füllt den Raum mit Atmosphäre und Wärme. Es ist kaum möglich, genau hinzuhören. Immer wieder driften die Gedanken ab – nichts hält sie bei den Stücken. Hier fehlen Ecken und Kanten, Kraft und Energie. Nick Manasseh hat mit dem Cool Hipnoise-Album (auf Echo Beach) gezeigt, wie sich Lounge-Dub mit Charakter umsetzen lässt. Davon sind Dub Resistance leider noch weit entfernt. Etwas weniger Bescheidenheit und mehr Selbstvertrauen würden gewiss helfen.

Kommen wir nun zu einem Werk, dass wohl oder übel in diese Kolumne gehört: „The Dub Tribute To U2“ (www.vitaminrecords.com/Imp.) von WideAwake. Mag sein, dass ich schon immer ein Verächter von Rockmusik gewesen bin, mag aber vielleicht auch sein, dass man die U2-Originale kennen muss, um dieses Album genießen zu können. Mir jedenfalls gelingt es nicht einmal ansatzweise. OK, was die Produzenten da gemacht haben, ist zweifellos Dub, soll heißen: hier gibt es eine Menge Soundeffekte, viele (zu viele!) Breaks, Hall und Echo und was sonst noch dazu gehört. Doch dummerweise wurden die Basslines vergessen. Oder gehört es zum Rock-Tribute, dass sich der Bass nicht hören lässt? Dass statt des Basses vor allem Gitarren zum Einsatz kommen, macht die Angelegenheit nur noch schlimmer. Bleibt festzuhalten: druckvolle Rhythms, die Conditio sine qua non eines jeden ordentlichen Dubs, gibt es nicht! Ich will aber nicht leugnen, dass sich die Produzenten redlich Mühe geben und viele gut gemeinte Ideen in ihren Arrangements unterbringen. Doch wenn die Bas(s)is nicht stimmt, dann kann man den Rest leider vergessen. Übrigens ist ein Besuch der Website von Vitaminrecords ganz erhellend, denn das Label hat sich komplett auf Tribute-Alben spezialisiert. Hier gibt es Tribute zu Nine Inch Nails, Marilyn Manson, Rammstein oder Bon Jovi. Allerdings sind das keine Dub-Remixe, sondern meist klassisch orchestrierte Neuinterpretationen, die zum Teil richtig spannend sind (MP3 können Probe gehört werden). So interpretiert ein klassisches String-Quartett zum Beispiel die Musik von Sonic Youth im Minimal-Style eines Steve Reich oder Philipp Glass. Das gleiche Quartett hat sich auch eine Barock-Neuinterpretation von AC/DC vorgenommen!?

Schließen wir den Reigen versöhnlich mit dem neuen Album von Gabriel Le Mar: „Le Mar In Dub“. Gabriel Le Mar ist in Dub-, Ambient-, Downbeat-, Trance- und Techno-Gefilden schon seit den 1990er Jahren eine sehr präsente Gestalt. Meist verbirg er sich allerdings hinter Projekt- oder Labelnamen wie Aural Float, Saafi Brothers oder Banned X. Mir ist er vor rund zehn Jahren zum ersten Mal mit seinen Serious Dropout-Samplern aufgefallen, die mit ihrem Techno-Dub-Crossover ihrer Zeit weit voraus waren. Danach folgten die Auralux-Sampler, die den Reggae-Beat zusehends in Richtung Ambient und Elektronik verließen. Mit „Le Mar In Dub“ ist er wieder back on the track. Hier pulsieren wieder kraftvolle Offbeats mit einem deutlichen Schuss Techno. Einordnen ließe sich der Sound irgendwo zwischen Dreadzone und Kompakt – mit deutlicher Tendenz zu ersterem. In den Beats steckt jede Menge Druck und Vorwärtsdrang. Die Mixes sind fast Nebensache, obwohl sie sehr inspiriert und abwechslungsreich gelungen sind. Das gleiche gilt auch für die Trackauswahl. So finden sich hier heftig groovende Uptempo-Stücke, aber auch langsamere, loungige Dubs mit fließenden Basslines und sanften Sounds. Zu beginn des Albums gibt es sogar zwei Dancehall-Nummern, die allerdings ziemlich aus dem Rahmen fallen und auf dem Album eigentlich nicht viel verloren haben. Für den letzten Track hat Le Mar einen schönen Namen gefunden, dessen rhetorische Frage wir nur allzu gerne bejahen: „Alle Dubbed?“.

Einen hab’ ich noch: Aus Lyon kommen die Hightones, die mit „Wave Digger“ (Jarring Effects/Pias) ein ziemlich experimentelle und gleichermaßen dissonantes wie kickendes Album vorgelegt. Dub funktioniert hier im Wesentlichen in der Form tiefer, rollender Basslines über die so allerhand Chaos abgespielt wird. Mal besonnene Offbeats, mal hektischen Drumm & Bass, mal Hip Hop und mal absurde Samples. Ein Vergleich zur Asian Dub Foundation zwingt sich fast auf, obwohl die Hightones deutlich weniger Ethno-Anteile in ihre wirren Soundmuster verweben. Sehr sehr spannend das Ganze, auch wenn man es nicht unbedingt als Hintergrundmusik bei der Arbeit im Büro einsetzen sollte – sofern einem der Frieden mit den Kollegen lieb ist.