Als das Modelabel Stüssy vor drei Jahren mit einer netten Reggae-Kollektion das 25. Firmenjubiläum feierte, heuerten sie den Freelancer Mike Pelanconi (der Lily Allen „Smile“ schenkte) an, um eine Single, passend zur Mode, zu produzieren. Pelanconi lieferte mit „Nina‘s Dance“ einen schönen, relaxten Tune im Stil des frühen Reggae ab, der es im UK wider Erwarten zu einiger Popularität brachte. Inspiriert durch diesen Erfolg, produzierte Pelanconi unter dem passenden Namen „Prince Fatty“ gleich ein ganzes Album, das direkt aus den frühen 1970er Jahren entsprungen sein könnte: „Survival Of The Fattest“ (Mr. Bongo/Cargo). Aufgenommen mit analogem Equipment und eingespielt durch einige Koryphäen der britischen Reggae-Szene (Carlton „Bubblers“ Ogilvie, Style Scott, Winston Francis, Little Roy u.a.) ist das Album eine einzige Hommage an King Tubby, Bunny Lee und die Revolutionaries. Doch so akribisch Pelanconi den Sound der 70er kopiert, die Songs sind alle originär sein Werk – was aber nur bei genauem Hinhören feststellbar ist, denn die Sound-Zitate vermitteln stets das Gefühl, dieses Stück zu kennen, und jene Melodie mitsummen zu können. Erst in dem Moment, wo man die Lippen zum mitpfeifen schürzt, hält man verdutzt inne und macht sich bewusst, dass dies hier brandneue Stücke und bisher ungehörte Melodien sind – auch wenn Dennis Alcapone seine altbekannten Toasts zum besten gibt, die Orgel pulsiert wie bei Jackie Mittoo, die Gitarre von Ernest Ranglin gezupft zu werden scheint und die Bläser an Tommy McCook denken lassen. Dem fetten Prince (der natürlich keineswegs dick ist) sind einfach wunderschöne Feel-Good-Stücke geglückt, die eigentlich eher Instrumentals denn Dubs sind. In vier Fällen gibt es sogar nette Gesangsbegleitung: Little Roy hat zwei Tunes übernommen, Winston Francis einen und Hollie Cook, die Sängerin der Slits (und Tochter des Sex-Pistols-Drummers Paul Cook) gibt dem Stück „Milk And Honey“ den rechten Schmelz. Prince Fatty rules!
Jesse King! Ein Supername. Keine Ahnung, warum sich Mr. King ausgerechnet Dubmatix nennen musste. Vielleicht sollte das „Dub“ unbedingt in den Namen, denn Dub ist zweifelsohne das Kerngeschäft des Meisters aus Toronto. Als Sohn eines Jazz- und Funk-Produzenten, erlebte Jesse seine musikalische Erweckung in den frühen 1980er Jahren, als ihm ein Exil-Jamaikaner die Platte „King Tubby Meets Rockers Uptown“ in die Hand drückte. Von diesem Moment an bewegte sich Jesse Kings Leben zielstrebig auf das Jahr 2004 zu, als er sein erstes Dub-Album „Champion Sound Clash“ veröffentlichte. Danach folgte noch „Atomic Subsonic“ und nun, schließlich, „Renegade Rocker“ (7 Arts/Rough Trade). Alle drei Alben zeichnen sich durch sehr kraftvolle, hochdynamische Beats aus. Hier stimmt das Timing, die Offbeats sitzen perfekt und der One-Drop lässt das Zwerchfell erbeben. Herr Dubmatix weiß, wie man fette Beats zusammenschraubt. „Renegade Rocker“ ist nun die Krönung dieser Kunst. Laut gehört, bläst einen das Album schlicht um. When music hits you, you feel no pain – zum Glück! Viele andere Dubber hätten aus den 16 Tracks 5 Alben gebastelt, Dubmatix packt das Material auf einen Longplayer – und begnügt sich noch nicht einmal mit den Dubs allein, sondern packt auf zwei Drittel der Tunes auch noch Gast-Vokalisten der ersten Garde drauf! Linval Thompson, Ranking Joe, Michael Rose, Sugar Minott, Willy William, Alton Ellis, Pinchers und Wayne Smith geben sich hier die Studioklinke in die Hand. Heraus gekommen ist ein Album, das wirklich rockt – reggaewise!
Doch neben den „offiziellen“ Alben, veröffentlicht Dubmatix auch sogenannte „Digital Releases“, die unter www.dubmatix.com oder im iTunes Store (hier aber teurer) heruntergeladen werden können. Jüngst ist in dieser Reihe das Album „Dread & Gold“ (www.dubmatix.com) erschienen. Es versammelt Dubs aus den Jahren 2003 bis 2008. Einige der Tracks hatten es im letzten Moment nicht auf eines der CD-Releases geschafft, andere wurden speziell für Live-Auftritte oder Radio-Shows aufgenommen. Doch wer glaubt, hier nur Ausschuss zu finden, der irrt. Denn die Tunes sind ausnahmslos gut. Natürlich sind sie weniger aufwendig produziert und allesamt instrumental – was aber gerade ihren Reiz ausmacht. Der Kanadier ist hier viel näher am klassischen Dub, aber ohne die Klischees des UK-Dub zu wiederholen. Seine Tracks stecken voller Ideen, kein Dub gleicht dem anderen und handwerklich bleibt nichts zu wünschen übrig. Das Material hätte locker für ein „offizielles“ Album gereicht. Wie nett, dass Dubmatix es uns für den halben Preis anbietet.
Ebenfalls ein digitaler Release ist das Debutalbum von Dub Milan, „Dubville Chapter 1“, das unter www.reggae-town.de kostenlos heruntergeladen werden kann. Dub Milan, über den ich nicht mehr weiß, als auf seiner Myspace-Seite steht, präsentiert hier sechs nette Tracks. So richtig aufregend sind die Dubs aber leider nicht, vor allem an den Rhythms hapert es etwas. Die Mixe sind zu trocken und der Sound ist zu artifiziell geraten. Interessant ist aber Dub Milans Versuch, seinen „Bach-Rhythm“ auf Basis barocker Harmonien zu bauen. Ich hätte mir den Barock-Anteil zwar größer gewünscht, aber der Track hat seine Reize.
Ein merkwürdiges Album ist mir beim Stöbern im MP3-Store über den Weg gelaufen: The Dub Club, „Soundsystem for All“ (Soundsystem1/Download, z.B. iTunes-Store). Ein merkwürdiges Album deshalb, weil das allwissende Netz keinerlei Informationen darüber bereit hält. „Soundsystems for All“ existiert scheinbar gänzlich unbemerkt, irgendwo im Meer der Bits und Bytes auf den iTunes-Servern. Wahrscheinlich war ich soeben der erste Käufer dieses Werkes. Es wird wohl nicht das Prunkstück meiner MP3-Sammlung, aber ich wollte es doch ganz und in guter Qualität hören, weil, ja weil es doch recht ungewöhnlich ist. Die acht Tracks dieses Albums pendeln nämlich zwischen den scheinbar so gegensätzlichen Polen Club-Beat, Ska und Dub. Es gibt schnelle Ska-Offbeats – natürlich vollelektronisch – clubbige Sound-Atmosphäre und natürlich wummernde Basslines, Samples sowie Hall und Echo galore. Drei, vier Tracks gehorchen nicht dem schnellen Ska-Rhythmus und sind angenehm arrangierte Dubs mit schönen Bläsersätzen. Soundtechnisch liegt hier aber noch etwas im Argen. Der ein oder andere Track hätte ein besseres Mastering verdient – ein Hinweis darauf, dass „Soundsystems for All“ wohl die Wohnzimmer-Produktion eines eifrigen Sound-Tüftlers und Ska-Freundes ist. Außerdem wären ein paar Stücke mehr schön gewesen, denn die acht Tracks laufen nur 30 Minuten.
Bereits Ende letzten Jahres erschienen (aber erst jetzt downloadbar), hat es das Album „Dub Harvest“ (Import oder iTunes-Store) von McPullish noch nicht in diese Kolumne geschafft. Der Grund dafür ist schlicht und ergreifend, dass die Dubs nicht wirklich spannend sind. Irgendwie stimmt hier der Groove nicht, die Arrangements sind eindimensional und soundtechnisch liegt einiges im Argen. McPullish aka Carson Hoovestol hat 2002 in Seattle damit begonnen, Dubs zu produzieren. Zur Zeit betreibt er ein Studio in Texas, in dem wohl eine ganze Menge Instrumente herumliegen, die er für seine Aufnahmen tatsächlich alle eigenhändig spielt. Im Grunde ist das Album das Ergebnis einer One-Man-Show, wobei Hoovestol sich keines Computers oder Samplers bedient, sondern alle Instrumente live einspielt (und in der Regel gleich den ersten Cut verwendet). Das dürfte das Defizit der Rhythms ausreichend erklären. Andererseits gebietet es aber auch Respekt – nicht unbedingt vor der Leistung, sondern vor der Hingabe, mit der er sich seiner Musik verschrieben hat. Vielleicht ist es aber auch gar kein seeliger Dilettantismus, den ich ihm hier unterstelle, sondern Avantgarde, und ich habe es nicht gemerkt.