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Five Star Review

Studio One Space-Age Dub Special

An diesen Dubs kommt niemand vorbei: Studio One Space-Age Dub Special (Soul Jazz). Hier sind sie alle zu hören, die schönen, nie alternden Studio One-Rhythms – und zwar in Reinform, ohne Gesang. Und vor allen in brillanter Qualität! Ich denke da nur an meine alten Vinyl-Releases: Unfassbar schlechte JA-Pressungen in weißen Covern – nicht gerade Ausdruck von Wertschätzung auf Seiten des Produzenten. Aber die Leute Soul Jazz sind anders drauf. Sie sind echte Sound-Nerds, die das Coxsone-Erbe sorgfältig bewahren und pflegen. Sie haben die Dubs von den Originalbändern remastert, auf ein fettes Album gepackt und mit einem wundervollen Cover versehen, das Clement Dodd im Space-Orbit zeigt. Ein Bild übrigens, das von Lone Rangers Studio One-Album „Badda Dan Dem“ von 1982 inspiriert wurde, auf dessen Cover Sir Coxsone am Steuer eines Raumschiffs im Weltraum zu sehen ist.

Die meisten dieser Tracks stammen aus der lange vergriffener Reihe von Studio One-Dub-Alben, die zwischen 1974 und 1980 veröffentlicht wurden, darunter „Zodiac Sounds“, „Ital Sounds and System“, „Roots Dub“, „Dub Store Special“, „Juks Incorporation“ und andere. Viele dieser klassischen Alben wurden ursprünglich nur in Jamaika in kleinen Auflagen mit speziellen Siebdruck-Hüllen veröffentlicht, alle mit absoluten Minimaldesigns, die heute als Vintage-Vinyl bis zu 100 Britische Pfund kosten.

Den Credit für die Dubs gelten einem fiktiven „Dub Specialist“, hinter dem sich tatsächlich Studio One-Sound-Engineer Sylvan Morris verbergen dürfte. Er, sein Produzent und die genialen Musiker haben viele der besten Aufnahmen geschaffen, die das Genre Reggae vorzuweisen hat. Sie sind hier als zeitlos schöne Dubs zu genießen.

Bewertung: 5 von 5.
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Interview

Interview mit Jah Schulz

Dein Name: Michael Fiedler

Du lebst in: der Nähe von Stuttgart

Titel deines letzten Albums:
„Dub Showcase“, aus 2022. Die neue Single „Stories“ , erschien am 1. 3. 2023

Wie lautet deine persönliche Definition von Dub?
Futuremusic

Was macht einen guten Dub aus?
Er zieht dich in denn Bann, hypnotisiert dich. Tatsächlich, wenn ich zu hause ein wenig schläfrig werde, ist das ein gutes Zeichen.

Wie hast du deine Leidenschaft für Dub entdeckt und wie hast du dich und deine Musik seiddem entwickelt?
Ich bin über Umwege (Jungle, Breakbeats, Techno) zum Dub gekommen. Reggae hat mich damals wenig interessiert. Aber die Musik die ich als Kind und Jugendlicher geliebt habe, hatte schon immer viel mit Dub zu tun: Basslines, Delay, Dub-Samples. Als junger Erwachsener Ende der 90er hab ich dann Tubby & Zeitgenossen für mich entdeckt.

Wie sieht der Entstehungsprozess eines typischen Dub-Tracks von dir aus?
Sehr unterschiedlich. Ein interessantes Sample oder Loop, ein Thema. Der Rest kommt von selbst.

Wann bist du mit einem von dir produzierten Dub-Track zufrieden?
Irgendwann macht es einfach „Klick“. Ich bin kein Perfektionist, dass ist ein Vorteil. Manche Tunes brauchen etwas länger, andere funktionieren innerhalb von Stunden. Ich beiße mir aber auch schon manchmal die Zähne aus. Aber ein wohliges Gefühl im Bauch sagt mir dann irgendwann: dass ist jetzt so fertig.

Was ist beim Produzieren von Dub am wichtigsten?
Fantasie, Experimentierfreude, keine Angst vor Fehlern.

Was ist deine besondere Stärke?
Ich kann sehr schnell arbeiten, wenn ich eine konkrete Idee habe.

Welches Album hältst du für dein bestes?
„Dub over science“ von 2020 auf Basscomesaveme.

Gelingt es dir, mit Musik deinen Lebensunterhalt zu bestreiten?
Ja. Manchmal besser, manchmal schlechter. Ich bin musikalisch sehr vielseitig unterwegs. Allein vom Dub leben würde aber nicht funktionieren.

Welche Aspekte deines Jobs machen dir am meisten Spaß?
Live spielen und der kreative Austausch mit anderen Künstler:innen. Ich improvisiere z. B. sehr gerne mit anderen bei meinen Auftritten.

Wovor graust es dir im Studio?
Zu viele Menschen schauen mir über den Rücken während ich produziere. Das ertrage ich nur ganz kurze Zeit. Das gilt nicht für Musiker:innen die mit mir gerade im Studio arbeiten, dass geht dann schon klar.

Wenn du gerade nicht an Dubs schraubst, was machst du dann am liebsten?
Über Dub nachdenken.

Was hörst du außer Dub?
Alles mögliche. Wirklich!

Wenn Geld und Zeit keine Rolle spielten: Welches Projekt würdest du gerne verwirklichen?
Zeit und Geld spielt im Moment keine Rolle, ich habe gerade das Gefühl ich kann die Dinge machen, die mir Spaß bereiten. Zur Zeit arbeite ich an einer SpokenWord/Dub Platte. Zeit ist da, es geht aber zäh voran, vor allem, weil sich nur schwer Künstler:innen finden lassen, die mitmachen. Wenn allerdings Geld wirklich keine Rolle spielen würde, hätte ich ein Soundsystem in meinem Wohnzimmer.

Was bevorzugst du: Studioarbeit oder Sound System-Performance?
Beides ist wichtig. Ich liebe Soundsystem Veranstaltungen. Sie inspirieren mich. Oft hab ich danach oder währenddessen das Gefühl, dass ich sofort ins Studio und meine Maschinen anwerfen muss.

Wer ist für dich der größte Dub-Artist aller Zeiten?
Jimi Hendrix meets King Tubby

Und wer der aktuell interessanteste Dub-Artist?
Es sind viele ProduzentInnen die ich toll finde. Zu viele um alle zu nennen. Aber es gibt aktuell bemerkenswerte Releases von Babe Roots, Om Unit, Bukkha, Tjah, Kaptan, Another Channel, …

Welches Sound System schätzt du am meisten?
Respekt geht an alle, die so ein Projekt auf sich nehmen. Das find ich wirklich immer wieder beeindruckend.

Was sind deine persönlichen Top Dub-Alben?
Massive Attack Meets Mad Professor: No Protektion
Rhythm & Sound: W/ the Artists
Dub Syndicate: Classic Selection Volume 2
Alec Empire: Low on Ice
Disciples: Infinite Density of Dub

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Five Star Review

Benjammin: Sons & Daughters Showcase

Ganz einfach ausgedrückt, ist der Baske Roberto Sanchez derzeit einer der besten Produzenten, den Reggae bzw. Dub zu bieten hat. Wer daran zweifelt, dass dem so ist, sollte sich einfach seinen Output anhören. Auch die aktuellen Showcase-Alben des Mannes von der Nordküste Spaniens zeigen, dass der Musiker, Sänger und Produzent seit über 25 Jahren auf allerhöchstem technischem Niveau arbeitet. Aber nicht nur die neuesten Werke aus dem A-Lone Ark Muzik Studio sind fantastisch, auch das vom Dubblog sträflich übergangene „Benjammin: Sons & Daughters Showcase“ (A-Lone Productions) gehört unbedingt in diese Kategorie. Das vor bereits fünf Jahren veröffentlichte Debütalbum des enigmatischen Reggae-Künstlers Benjammin aka Benedict Stobart zieht mich ganz besonders in seinen Bann. Der in England geborene Bejammin lebt seit über zwanzig Jahren im sonnigen Spanien und bewegt sich seit vielen Jahren in Roberto Sanchez’ Umfeld. Auf dem 2018 veröffentlichten „Sons & Daughters Showcase“ Vinyl-Album, finden sich sechs Gesangs-Tracks auf Seite A und sechs Dubs auf Seite B. Der Gesang erinnert an den legendären Burning Spear und/oder auch teilweise an Daweh Congo. Beim ersten Titel des Albums „Be Yourself“, der mit wunderschöner Posaune beginnt, dachte ich zuerst, ich hätte einen Hörschaden. Es kam mir immer wieder Winston Rodney aka Burning Spear in den Sinn. Bejammin hat sich Burning Spears Intonation meisterlich angeeignet. Dennoch klingt das Album keinesfalls wie ein billiges Plagiat. Die musikalische Unterstützung der Lone Ark Riddim Force ergänzt Benjammin perfekt. Was mich bei „Sons & Daughters“ vor allem mitreißt, sind die hervorragend gefertigten Riddims und die inspiriert klingenden Dubs, die das Album zu einem echten Sahnestück machen.
Die Dubs sind wunderbar mit Benjammin-Gesangsschnipseln durchsetzt. Den erstaunlichsten Track auf dem Album, mein Primus inter pares, liefert Roberto Sanchez aber mit dem perryesken „Everywhere Festival Dub“. Der Track klingt tatsächlich, als hätte ihm sein erklärtes Vorbild Lee Scratch Perry über die Schultern geschaut. Ein unglaublich inspirierter Dub. Meines Erachtens das eindrucksvollste Stück auf „Sons & Daughters Showcase“ überhaupt. Insgesamt gesehen, ist das vorliegende Album ein wahrer Leckerbissen und das nicht nur für Dub-Ohren.
Fazit: Das sind modern Roots vom Feinsten. Einfach brillant!

Bewertung: 5 von 5.
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Review

Benjah and EK: Dust Off the Dubs

Dub ist ja bekanntlich ein Subgenre von Reggae. Doch auch Dub zerfällt wieder in diverse Subsubgenres. Verrückter Weise besteht selbst ein Subsubgenre, wie Steppers, wieder aus unterschiedlichen Spielweisen. Da wäre z. B. der Steppers alter Schule, wie wir ihn von den klassischen UK-Soundsystems kennen. Iration Steppers, Disciples oder Jah Warrior sind typische Vertreter. Dann gibt es noch eine jüngere Schule, die etwas experimenteller zu Werke geht. Hier fallen mir Alpha Steppa, Kanka oder Jah Schulz ein. Und dann gibt es noch jene Schule, die reines Futter für Sound Systems produziert. Einen ganz speziellen Sound, der sich gar nicht so leicht beschreiben lässt. Statt es in Worte zu fassen, empfehle ich, dieses Album anzuhören: Benjah and EK: „Dust Off the Dubs“ (Lions Den). Benjah und EK sind zwei junge Produzenten aus Frankreich. Sie firmieren auch unter dem Namen „Bedrin Records“ und bieten genau den Sound, der auf Sound System-Events den Selector zum Rewind zwingt. Mit etwas Phantasie ließe sich das Ganze als „technowise Dub“ bezeichnen. Der Rhytmus ist hundertprozentig Reggae, aber die Produktionen haben sich vom Mimikry handgemachter Musik vollständig verabschiedet, der Rhythmus ist maximal repetitiv und sämtliche Referenzen zu Dub und Reggae in Form von Samples, MC-Vocals und „Jah“-Rufen oder Sirenen fehlen.

Das auf Sound System-Music spezialisierte Berliner Label Lions Den, steht schon lange auf den Sound der beiden Franzosen und beschloss deshalb, ihnen ein Album zu widmen, auf dem sie die besten Dubs der letzten Jahren zu einem dicken Paket von 20 Tracks zusammen schnürten. Mir geht es wie Lions Den, auch ich stehe auf diesen kompromisslos konkreten Sound, insbesondere die durch die Drums forcierte Polyrhythmik hat es mir angetan. Allerdings befinden sich auch einige ziemliche Nieten unter den 22 Tracks (11 Instrumentals plus Dub-Versions), in denen mir bräsige Synthie-Orgien den Spaß verderben, oder mich ob der einfallslosen Beats die Langeweile überwältigt. Vielleicht hätte nicht jeder Dub es verdient, abgestaubt zu werden.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Interview

Interview mit Helmut Philipps

Was wir bereits wussten, ist jetzt amtlich: „Dub Konferenz“ von Helmut Philipps ist das beste Buch des Jahres! So gewählt mit großem Abstand zu den nachfolgenden Plätzen von den Lesern der RIDDIM im Lerserpoll 2022. Die Erstauflage war nach nur drei Monaten komplett ausverkauft, ab sofort ist die Zweitauflage des neuen Standardwerks zum Thema „Dub“ aber wieder überall im Handel und über die Homepage von Helmut erhältlich. Christoph Kraus hat mit Helmut Philipps ein Gespräch über die Erfolgsgeschichte seines Buches (dem ersten Buch über Dub in deutscher Sprache und dem dritten Buch über Dub überhaupt) geführt.

Wie und wann kam die Idee ein Buch über Dub zu schreiben? Kurze Entstehungsgeschichte.
Ich hab ja 2007 mit Olaf Karnik das Buch „Reggae in Deutschland“ geschrieben. Danach war klar: ich will noch ein Buch schreiben. Und während ich auf der Suche nach dem richtigen Thema war, haben mich Freunde bedrängt: „Warum schreibst du nicht ein Buch über Dub? Du hast selbst Dubs gemischt. Du kennst dich aus mit Tontechnik. Du kannst die richtigen Fragen stellen.“ Damit war die Entscheidung gefallen.

Wie bist du vorgegangen?
Das erste was ich hatte, war tatsächlich der Titel „Dub Konferenz“. Der Titel war Programm. Es sollten – soweit möglich – Dialoge werden, keine Interviews. Ich wollte vor allem wissen „warum“. Ab 2010 hab ich die ersten Gespräche geführt. Zuerst in Deutschland: Soljie Hamilton in Bielefeld, Pat Kelly an einem Offday in Münster, Clive Chin in Berlin, in Köln und beim Reggae Geel in Belgien, King Shiloh in Wuppertal. Danach überall und bei jeder Gelegenheit, die sich bot. Beim Garance Festival in Frankreich, beim Summerjam, Reggae Jam, Reggae Summer, in Holland, London, zweimal bin ich wegen des Buches nach Jamaika gereist.

Ein alter weißer Mann schreibt ein Buch über eine „schwarze“ Musik – in diesen Zeiten, überlegt man da sich auf den potentiellen Vorwurf der cultural appropiation vorzubereiten?
Ja, da hat mich tatsächlich der woke Zeitgeist eingeholt. Als ich angefangen hab zu schreiben, gab’s noch keine Gendersternchen. Ich kann nichts dazu, dass ich alt und weiß bin. Soll ich deshalb so ein Buch nicht schreiben? Wer schreibt es dann? Die jamaikanische Botschafterin in Berlin hat sich eine Präsentation des Buches von mir angehört und war erstaunt, dass ein deutscher Mann Geschichten aus ihrer Heimat erzählt, von denen sie noch nie gehört hat. In Jamaika weiß niemand, dass vor 50 Jahren die ersten Dub-LPs erschienen sind.

Wie ist die Rezeption, das Feedback auf das Buch?
Überwältigend und manchmal auch berührend. Die Leute schicken mir Fotos, wo das Buch bei ihnen auf dem Nachttisch liegt, auf dem Mischpult oder in ihrem Plattenregal. Manche „klagen“, dass sie nach der Lektüre jetzt ganz viele Alben kaufen müssen. Andere schreiben mir: „Ich lese es schon zum 2. Mal.“ Eine Frau hat mir eine Karte geschickt: „Wenn mich jemand fragt was liest du gerade und ich sage ‚Helmut Philipps – Dub Konferenz‘, dann klingt das ganz schön intellektuell.“ Jemand anders schickt mir ‘ne SMS: „Ich glaube du weißt nicht, was du mit deiner Arbeit und deinem Wissen für junge Dubnerds tust. Viele Infos und Erfahrungen können wir gar nicht mehr nachfühlen. Es ist wichtig, auch hier in Deutschland die Anfänge nachvollziehen zu können. Danke für die Möglichkeit durch dein geniales Buch!“ Sowas macht mich sprachlos. Und wenn ich dann überlege, dass die „Dub Konferenz“ zum besten Buch des Jahres gewählt worden ist und die erste Auflage nach 10 Wochen ausverkauft war, dann bin ich sehr dankbar und glücklich darüber, wie das Buch angenommen wird.

Wovon bist du bei deinen Recherchen am meisten überrascht gewesen, was hat dich am meisten beeindruckt?
Mir war nicht bewusst, wie groß der Einfluss von Jazz auf die Entwicklung von Reggae ist, und damit auch von Dub. King Tubby zum Beispiel hatte ein Zimmer voll mit Jazzplatten. Die bei ihm arbeitenden Engineer konnten sich die Platten auf Kassette aufnehmen, was Leute wie Pat Kelly reichlich gemacht haben. Auch Coxson hatte eine riesige Jazz-Sammlung. Seine Skatalites waren eine Jazzband. Die frühen Studio One Dubplates sind oftmals von Jazz beeinflusste Bläser-Improvisationen. Lee Perry hat privat am liebsten Jazz gehört und macht 1975 mit Vin Gordons „Musical Bones“ eine Jazz-LP mit Offbeat. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Der improvisatorische Aspekt des Jazz spiegelt sich beim Dubben. Man höre sich nur die Platten von Tommy McCook oder Bobby Ellis an, die Tubby gemischt hat: Tommy McCooks „Brass Rockers“ (aka „Cookin‘“) oder „Hot Lava“, oder „Bobby Ellis & The Professionals meet The Revolutionaries“. Da trifft Jazz auf Dub. Dub und Jazz eint der freie Umgang mit Musik, Dub ist Improvisation am Mischpult. Deshalb haben sich ja auch einige der von mir Befragten so vehement gegen digitalen Dub ausgesprochen. Weil Dub ein Mischpult braucht und sich nicht programmieren lässt. Mittlerweile gibt es kleine Mischpulte, mit denen man Computer bedienen kann. Da hat sich was geändert.

Gab‘s ein Lieblingsinterview und wenn ja warum?
Ganz klar Style Scott. Mit ihm hab ich in Kingston im Yard von Chinna Smith unter einem alten Baum gesessen und er hat stundenlang erzählt. Von seinen Großeltern, von dem Ort wo er aufgewachsen ist, von Junkuno, seiner Ausbildung, den Clubs in Montego Bay. Ich wollte von ihm eigentlich nur wissen wie es war mit den Roots Radics und Dub Syndicate. Aber er hat mir sein ganzes Leben erzählt. Er war ein angenehmer, freundlicher und auf eine europäische Art höflicher Gesprächspartner. Ein Wanderer zwischen den Welten, der zwei Dub-Jahrzehnte geprägt hat und dem der Unterschied zwischen Jamaika und Europa total bewusst war. Es war ein krasser Schock als ich wenige Monate nach unserem Treffen erfahren musste, dass man ihn umgebracht hat.

Ist Dub spirituelle Musik oder Studio-Fließbandarbeit?
Dub war Auftragsarbeit am Fließband. Die Soundmen haben Freitags Schlange gestanden bei den Studios. Alle wollten neue Dubs für die Dances am Wochenende. Sie haben sich die Klinke in die Hand gegeben, während drin im Studio ein Dub nach dem nächsten gemischt wurde. Fünf Minuten pro Dub. Es hat nicht länger gedauert als der Song lief von dem der Dub gezogen werden sollte.
Die spirituelle Note des Dubs liegt in der Natur der Vorgabe. Hat das Original, die Vocalversion, spirituelle Tiefe, so überträgt sich das in den Dub und in die Toastings über den Dub. Aber wenn Johnny Osbourne singt: „I don’t want no ice cream love, it’s too cold for me“ und Scientist davon einen Dub zieht, ist das wenig spirituell. Wenn aber Johnny Osbourne über „Truth & Rights“ singt und dann vermutlich auch wieder Scientist einen Dub mischt, ist das was ganz anderes.

Kann es Dub ohne Reggae geben?
Es wird zumindest immer wieder versucht. Aber es gibt wenig überzeugende Beispiele. King Jammy hat zu mir gesagt: „Der Heartbeat des Reggae ist essentiell für Dub.“ Die „interdisziplinären“ Versuche Punk und Dub zu kombinieren funktionieren am überzeugendsten bei Musik mit Reggae-Beats. So wie bei Ruts DC, den Members oder The Clash. Die Fellow Travellers haben das auch gut hingekriegt, weil ihre Country-Musik ein unterschwelliges Reggae-Flair hat. Aber Jazz goes Dub, Klassik in Dub etc., das halte ich alles für in Echo getränkte Irrtümer.

Kannst du dich noch an dein erstes Hörerlebnisse erinnern – wann und wo und wie ist Dub in dein Leben getreten?
Lee Perry mit „Super Ape“. Gigantisch, aber wie man mit der Zeit verstanden hat, eigentlich kein Dub. Trotzdem, ein Meisterwerk. Und Scientist mit den Greensleeves Platten, von denen man heute weiß, dass er sie gar nicht gemacht hat. Von ihm stammen die Mixe, aber die Alben haben sich die Chefs von Greensleeves ausgedacht.

Das Thema „Scientist“ und die Art und Weise wie die Engineers für den Dub-Mix als Job bezahlt worden sind, aber weder als Künstler gesehen oder erwähnt werden und ihre Arbeiten zum Teil ohne ihr Wissen veröffentlicht wurden, war für mich als gängige Praxis eher unbekannt und hat mich überrascht. Kannst Du hier ein wenig drauf eingehen?
Dubs gehörten beim Mischen irgendwann zum Tagesgeschäft und haben nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Wenn ein Song fertig war, wurde eben noch schnell ein Dub nachgelegt, quasi umsonst mitgeliefert. Der Produzent (Junjo, Bunny Lee, wer auch immer) hat den Song bezahlt und am Ende das Tape gekriegt. Da war dann auch der Dub drauf, der für die Rückseite der Single gebraucht wurde. Das von den Dubs woanders – in England – gesonderte Alben gefertigt wurden haben die Engineer nicht gewusst. Weil es ja die Alben in Jamaika gar nicht gab, sondern nur in Übersee.

Was ist deine Definition von Dub?
Dub ist der besondere Mix eines bestehenden Titels für einen besonderen Einsatz, nämlich bei Sound Systems. Dub ohne vorausgegangenes Original ist Instrumentalmusik. Was übrigens keine Definition von mir sondern von Style Scott ist. Interessanterweise hat Coxson den Sinn von Dub-Platten darin gesehen, dass die Deejays üben konnten.

Wer ist dein Lieblingsengineer?
Scientist wegen der Anarchie in seinen Mixen und wegen des besten Sounds. Groucho Smykle weil er Dub wie Hollywoodfilme inszeniert. Auch seine Mixe beruhen auf Vocalversionen, aber da ist kein Platz mehr für Toastings. Beide, Scientist und Groucho, werden perfekt beschrieben mit dem Titel des Buches, das Michael Veal über Dub geschrieben hat: „Soundlandschaften und zerstörte Songs“. Bei Scientist habe ich erlebt, wie er beim live-dubben immer wieder gerufen hat: „Someone must deejay!“ Doch auch bei mir zuhause kommt kein Deejay à la David Lynch per Hologramm ins Zimmer und fängt an zu toasten wenn ich Dub höre. Dub ist außerhalb von Jamaika längst zu einer eigenständigen Kunstform geworden. Aber eine die von Erinnerungen lebt. Man weiß dass da noch Melodien, Bläser, Gesänge sind. Aber man hört sie nur im Geiste.

Du bist ja auf Lesetour, wirst in Radiosendungen eingeladen, z. B. WDR 3, WDR Cosmo, DLF, Bayerische Rundfunk, ByteFM, diverse Online Sender. Welche Fragen hat man dir noch nicht gestellt, bei denen es dich wundert, dass sie dir noch nicht gestellt worden sind?
Ich war anfangs ein wenig verwundert, dass es nie zu konfrontativen Diskussionen gekommen ist. Aber darum geht’s in der Dub Konferenz gar nicht. Ich hab ein Geschichtsbuch geschrieben, lasse andere Leute erzählen und hab dazu Fakten recherchiert. Ich merke, dass die Leser an genau der Geschichte interessiert sind. Wo alles herkommt und was es mit Dub auf sich hat(te). Die meisten haben inzwischen schon gemerkt, dass Dub und Steppaz nur scheinbar Seelenverwandte sind. Mit vielen gemeinsamen formalen Ingredienzien, ja. Aber letztlich something completely different. Steppaz ist, historisch wie musikalisch eine alternative Techno-Musik. Dub aber ist die Version einer bereits existierenden Musik. An diesem Unterschied führt kein Weg vorbei. Mad Professor hat mir gesagt: Es ist erst dann Dub wenn es eine Version ist. Und da sind wir wieder bei Style Scott: Wenn es keine Version ist, ist es Intrumentalmusik.

Welche Aspekte haben dem Publikum besonders am Herzen gelegen und sind nach der Lesung Thema gewesen?
Die meisten haben einfach nur zugehört und waren glücklich über die Informationen und Geschichten, die ich erzählt habe. Ich merke wie stark das Interesse am Thema Dub ist. Jeder kennt den Begriff, auch außerhalb des Reggae-Zirkels, aber viele wissen nicht so genau, was es damit auf sich hat. Deshalb kommt es ja auch zu dem Irrtum, dass man bei jedem Echo sofort denkt: Aaah … Dub!

Was ist deine Top 3 der klassischen Dubalben?

  • Lee Perrys „Super Ape“ – ein übernatürlicher Rausch. Kein Dub, fühlt sich aber so an.
  • „Herb Dub Collie Dub“. Gemischt von King Tubby, das Pendant zu „The Legendary Skatalites“, der einzigen Roots-Platte der Skatalites. Eine ziemlich seltene Platte. Kam 1976 ohne Cover auf den Markt und ist nicht mehr zu finden, wurde 2001 von Motion nachgepresst.
  • Alles von Scientist bei Greensleeves. Scientists Mixe profitieren davon dass die Originale in jenem Jahrzehnt so überragend waren: Wailings Souls, Johnny Osbourne, Michael Prophet, Barrington Levy, Hugh Mundell …
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Dubmasters Meet Shashamane

Nicht nur Reggae, auch „Dub gone international“ – das zeigt gerade wieder ein aktueller, durchwegs gelungener Release: „Dubmasters meet Shashamane“ (ZIMA). Wiewohl es die Dub-Version des selbstbetitelten (und empfehlenswerten) Album der polnischen Band Shashamane ist, werden schon im Titel die „Dubmasters“ in den Mittelpunkt gestellt. Die Riege mit u.a. Umberto Echo und Dubmatix kann sich sehen und hören lassen; sie alle liefern erstklassige Dub-Mixes ab, die die Essenz der Vocal-Versionen einfangen – ein Vergleich bestätigt das eindrucksvoll. „No filler, all killer“ wie man anderorts so treffend zu sagen pflegte.

Es empfiehlt jedenfalls, auch in das Vocal-Album reinzuhören – feiner, old-school-instrumentierter Roots-Reggae, vorgetragen in klassischer BMW-Besetzung inklusive in den Fokus gerückter, I-Threes-inspirierter Vocals. Der Shashamane-Band gelingt es nicht nur die musikalischen Vibes der Vergangenheit heraufzubeschwören, sie optimieren sie zudem mit Arrangements, die den Vocals und Instrumenten genug Raum und bestmögliche Wirkung verschaffen. Die Dubmasters übernehmen dieses Konzept fast schon selbstlos: Die Dubs sind bar jeglicher Selbstdarstellung und können – zumindest vom Rezensenten – nicht den jeweiligen Mixmeistern zugeordnet werden. Eine runde Sache, sozusagen.

Und so wundert es nicht mehr, dass dermaßen (BMW-) inspirierte, fast schon historisch anmutende Musik mit einer spielerischen Selbstverständlichkeit gerade auch aus Polen kommt. Es zeigt lediglich einmal mehr, wo überall die Roots-Reggae-Fahne hochgehalten wird. Und letztlich: Wo das Ausgangsmaterial gut ist, kann auch beim Dub-Mix nichts mehr schief gehen. Beide Daumen hoch für die Dubmasters und die Shashamane-Band!

Bewertung: 4.5 von 5.

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Kaptan: Dubs from the Vault

Dub wird ja inzwischen überall auf der Welt produziert, natürlich auch in Deutschland (aber ironischer Weise kaum noch in Jamaika). Nicht nur haben wir in Hamburg eines der profiliertesten Dub-Labels weltweit, sonder auch eine gut abgehangene Generation etablierter Dub-Producer. Mit Leuten, wie Jah Schulz und Kaptan stehen aber auch junge Talente in den Startlöchern. Beide, Schulz und Kaptan, verschreiben sich puren, kompromisslosen Sound System-Dubs, die ihre immersive Kraft aus reiner Bass-Präsenz und stoisch-repetitiven Beats beziehen. Hier steht nicht mehr der virtuose Mix im Zentrum, oder gar eine blasse Erinnerung an ein sowieso nicht vorhandene Vocal-Version, sondern der reine, abstrakt-konkrete, vom Bass getrieben Sound. Kaptan hat soeben sein Debut-Album vorgelegt: Dubs From the Vault (Basscomesaveme), das ich zur Zeit mit großer Faszination höre. Mit dem traditionellen Dub-Schema hat auch dieses Album nicht viel gemein. Dafür umso mehr mit Jah Schulz – und beim letzten Track auch sehr viel mit Rhythm & Sound. Es geht also ausdrücklich nicht um Heavy Steppers, sondern um langsamere Produktionen, in denen sich der Bass ausbreitet, wie ein quellender Hefeteig. Alle Poren und Hohlräume der Dubs werden vom Bass-Teig durchdrungen. Schlagzeug und Offbeat wabern darin herum, wie Rosinen. Einfach nur lecker! Obwohl der Titel anderes vermuten lässt, sind die „Dubs From the Vault“ aktuelle Produktionen und keineswegs einst im Archiv verschollen gegangenes Material. Das Album umfasst nur sieben Tracks – was dem Release-Format geschuldet ist, denn wer das Album physisch besitzen möchte, muss tatsächlich eine Audiokassette kaufen. Zum Glück gibt es aber auch eine digitale Ausgabe mit perfektem Sound.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Kino Doscun & Youthie: Sahar

Ich liebe es, wenn sich Dub mit untypischen Musikkulturen mischt. Dub und klassische Musik hat mich schon immer fasziniert, die Kombination von Dub und Jazz liebe ich sehr und auch die Mischung von Dub mit nordischen Melodien sind mir von einigen Produktionen in guter Erinnerung. Da fällt mir ein: Eine der ersten Begegnungen dieser Art hatte ich auf einem Album der Twinkle Brothers, das sie zusammen mit einigen polnischen Violinisten aufgenommen hatten. Wie hieß es gleich? Egal. Was auch schon immer super funktioniert hat ist die Kombination von Dub mit orientalischen Harmonien. Ich denke da an den Spy from Cairo und andere. Wie schön, dass wir diesen spannenden Sound nun endlich mal wieder in Form eines gelungenen Albums vorliegen haben: „Sahar“ (Merkaba Music) von Kino Doscun & Youthie. Die Posaunistin, Flötistin und Akkordeonspielerin Youthie dürfte Dub-Fans gut bekannt sein. Man denke nur an ihre fantastischen Macca Dread-Produktionen. Youthie ist inzwischen ein Garant für gute Musik. Aber wer ist Kino Doscun? Meine Recherchen führen mich zu einem gewissen Dino Coskun, der Soundtechniker an der Opéra National de Paris ist. Seine Spezialität ist das Remixen und Dubben orientalischer Musik, indem er Oud, Saz, Gitarre und Percussions spielt, loopt und dann in dubbige Sound-Texturen überführt. Auf „Sahar“ zeichnet er für fast alle Instrumente verantwortlich. Youthie beschränkt sich auf Posaune, Flöte und Akkordeon. Heraus gekommen ist eine faszinierende Dub-Melange aus komplexen orientalischen Melodien, sensiblen Instrumental-Soli, natürlich viel Bass sowie verhaltenen Reggae-Beats. Alles in komplexen Arrangements miteinander verwoben und virtuos gemixt. Wären da nicht die Echos und der Hall, ließe sich „Sahar“ für ein kunstvoll arrangiertes Instrumentalalbum halten. Die Musik basiert unverkennbar auf Reggae-Basslines und regelmäßig erklingenden Offbeats, doch der starke orientalische Charakter der Instrumente und der Melodien führen uns an die Grenze des Genres – und beweisen uns zugleich, wie universell Reggae und Dub sein können.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Pama I’ntl Meets Wrongtom in Dub

2001 gründete sich die achtköpfige Band Pama International, die ihre Musik als „Dub Fuelled Ska Rocksteady & Reggae“ beschreibt. In dieser Beschreibung steckt bereits ein gewisser Widerspruch, denn Dub und Ska und Rocksteady passen eigentlich nicht gut zusammen (wenn man das Werk von Victor Rice mal außen vor lässt). 2006 unterschrieb die Band bei Trojan Records einen Plattenvertrag – als erste Band nach 30 Jahren. Doch bereits zwei Jahre später war der Spaß schon wieder vorbei. Die Pamas gründetem darauf hin ihr eigenes Label „Rockers Revolt“ und nahmen das Album „Love Filled Dub Band“, das als eines ihrer besten gilt. Obwohl das Album (gemäß seines Titels) bereits von starken Dub-Elementen geprägt war, wurde der Londoner Sound-Tüftler Wrongtom damit beauftragt, eine Dub-Version herzustellen. Doch seine Aufnahmen verschwanden im Nirvana und blieben (angeblich) bis ins Jahr 2022 verschollen. Nun sind sie auf wundersame Weise wieder aufgetaucht und nun auf dem Album „Pama I’ntl Meets Wrongtom in Dub“ (Happy People) zu hören. Eine große Geschichte um ein einigermaßen schlichtes Album. Ja, Wrongtom hat ordentlich gedubbt, aber das Ergebnis bleibt irgendwie farblos. Vielleicht liegt das aber auch an dem ausgesprochenen Retro-Stil der Aufnahmen. Magie, Tiefe, Intensität und Spiritualität guter aktueller Produktionen sucht man hier vergeblich. Der Sound bleibt vergleichsweise unverbindlich und belanglos. Ja, das Ganze wirkt durchaus etwas uninspiriert – ebenso wie das Cover. Wer allerdings jamaikanischen Dub der 1970er Jahre mag, könnten hier jedoch anderer Meinung sein.

Bewertung: 3 von 5.
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Le Faune Stepper: Paradoxe

Wer Lust auf krachenden Steppers hat, ist bei Le Faune Stepper richtig. Auf seinem neuen Album „Paradoxe“ (ODG) knallt die Bassdrum im Stakkato auf den Floor. Dazu gibt es teils ganz schlimme Synthie-Sounds. So schlimm, dass es schon wieder Spaß macht. Und natürlich viel, viel Bass. Da hinter Le Faune Stepper der versierter Trompeter Robin Pavie steckt, hören wir zudem viele schöne Bläsersoli, die gar manchmal an Balkan-Sounds erinnern. Überhaupt muss man Pavie einige Phantasie bei der Komposition seiner Dubs zugestehen. So schmücken viele feine Melodien die oft brachial anmutenden Steppers-Beats. Fast schade, dass der Faun durch seine verzerrten Bässe und brutalen Beats die kunstvollen Aspekte seiner Arbeit so verschleiert. Andererseits ist gerade der Kontrast zwischen fein ausgearbeiteten Elementen und brutaler Anarchie reizvoll. Wie alle ODG-Alben, steht auch „Paradoxe“ zum freien Download zur Verfügung. Es ist auch im Stream verfügbar – und wer eine gut Tat vollbringen möchte, kann es auch bei Bandcamp auch kaufen.

Bewertung: 3.5 von 5.