Nick Manasseh ist auch einer meiner großen Dub-Heroen. Schon in den 1990ern war ich hin und weg von seinen hoch innovativen und schlicht wunderschönen Dub-Produktionen. Man erinnere sich z. B. an das grandiose „Dub The Millennium“ oder an seine Produktion für die Brasilianer Cool Hipnoise, deren Album „Showcase & More“ 2003 auf Echo Beach erschienen war und das ich gefühlt mindestens 200 mal gehört habe. Wer nicht so weit zurück denken mag, sollte sich einfach auf dem Label „Roots Garden“ umhören, um in Nicks fantastische Welt des Roots & Dub einzutauchen. Seine neuste Produktion ist das Showcase-Album „All a We“ (Roots Garden) für Brother Culture. Während der DJ-Veteran aus Brixton hier sechs schöne Old-School-Style-Toasts zum besten gibt, wollen wir unser Ohr lieber mal den darunter liegenden Produktionen – und insbesondere den sechs Dub-Versionen – leihen. Tja, und was es da zu hören gibt, ist einfach mal wieder wahnsinnig gut. Wie macht der Mann das nur? Seit 30 Jahren produziert er Reggae und Dub – und zwar stets an vorderster Front des Genres. Seit „Dub The Millenium“ 1993 von Acid Jazz lizensiert wurde, hat Nick seine Pole-Position inne. Wie keinem anderen Dub-Produzenten ist es ihm gelungen, am Puls der Zeit zu bleiben, sich selbst und die Musik stets zu erneuern und voraus zu denken, statt irgendwo in der Vergangenheit stehen zu bleiben (wie z. B. Mad Professor), sich zu wiederholen (z. B. Deadzone), oder sich in scheininnovative Kopfgeburten (z. B. Adrian Sherwood) zu flüchten. Dabei klingen die Produktionen von Nick selten spektakulär, sind niemals selbstgefällig oder aufmerksamkeitsheischend. Ganz im Gegenteil kommen sie eher unauffällig und selbstverständlich daher. Oft ist man schon mitten im Song, bevor einem dieser durch heftiges eigenes Kopfnicken überhaupt erst richtig bewusst wird. Statt mit großer Geste „Hier, hier!“ zu rufen, schleichen sich Nicks Produktionen in den Körper und versetzen ihn in Bewegung. Der Groove hat genau die richtige Körpertemperatur. Man versinkt in ihm, wie in wohl temperiertem Badewasser. Der Sound ist klar und kraftvoll, die Kompositionen perfekt strukturiert und arrangiert. „All a We“ ist deshalb aus meiner Sicht eines der besten Alben des laufenden Jahres.
Kategorie: Five Star
Die mit 5 Sternen bewerteten Alben
Ein schlichtes, einfaches, unkompliziertes Album ist von den Senior-Allstars nicht zu erwarten. Ohne Konzept läuft bei ihnen nämlich gar nichts. Das fängt schon damit an, dass die Band Dub statt Reggae mit Gesang spielt – auch live. Ein Instrumentalalbum von Dub-Produzenten remixen zu lassen, die Dubs dann live als Album wieder einzuspielen, um sie schließlich mit Gesang zu versehen und erneut remixen zu lassen, klingt nach einem komplizierten Konzept, oder? Genau das steckt hinter den Alben „In Dub“, „What Next?“ und „Verbalized and Dubbed“. Im Vergleich dazu wirkt das Konzept hinter dem neuen Album „Dub from Jamdown – Darker than Blue“ (Echo Beach) auf den ersten Blick fast simpel: 2001 erschien auf Blood & Fire der von Steve Barrow und Mark Ainley zusammengestellte Sampler, „Darker than Blue: Soul from Jamdown 1973 – 1980“ mit Reggae-Reworkings von US-Soul Klassikern. Von diesem Sampler waren Markus Dassmann, Arne Piri, Gudze und Thomas Hoppe so angetan, dass sie beschlossen, die Stücke instrumental neu einzuspielen und ein neues Dub-Album der Senior Allstars daraus zu zaubern: „ Dub from Jamdown – Darker than Blue“ (Echo Beach). Oder einfacher ausgedrückt: Die Senior Allstars spielen die Stücke von Reggae-Artists nach, welche die Stücke von Soul-Artists nachgespielt haben. Alles klar? Es sind also Songs in der dritten Inkarnation. Na, wenn das mal nicht doch ein typisches Senior-Allstar-Konzept ist! Doch jedes Konzept ist nur so gut wie das, was hinten raus kommt – wie schon unser Bundeskanzler A. D. wusste. Tja, und das ist mal wieder der gute, alte, handgespielte, puristische, entspannte und leicht jazzige Sound der Allstars. Extrem präzise, reduced to the max, zugleich aber menschlich warm, organisch und stets leicht melancholisch – die Jungs haben ihren Stil gefunden. Und offenbar auch das richtige Material, um ihn einzusetzen: Songs wie „Baltimore“, „Aint no Sunshine“ oder „Why Can’t We Live Together“ klingen in ihrer Umsetzung einfach grandios.
Im Dub gibt es zwei große Sub-Genres: 1. Der historische, jamaikanische Dub, basierend auf klassischen, handgespielten Reggae-Backings. Bei ihm steht der Mix im Vordergrund. 2. Der UK-Steppers-Dub, basierend auf digitalen Rhythms mit starker Betonung der Bassline sowie der four to the flour-Bassdrum. Hier steht das Bass-Erlebnis im Vordergrund. Eigentlich sind beide Stile inzwischen historisch und es stellt sich immer wieder die Frage nach dem Sound eines zeitgemäßen Dubs, der nicht Klischees bedient, sondern konzeptuell und ästhetisch auf der Höhe der Zeit ist und im Reigen moderner populärer Musik mitspielen kann. Darauf gibt es viele mögliche Antworten. Doch eine Antwort erscheint mir derzeit am überzeugendsten: die „Brass Plant EP“ (Reggae Roast) des Vibration Lab. Hinter diesem Namen stecken zwei Sound-Tüftler aus Bristol und London, die von sich behaupten, „Future Reggae“ zu produzieren. Mit einem Bein stehen sie im Reggae-Dub, mit dem anderen in aktueller, digitaler Bass-Music. Mit ihrer neuen EP ist ihnen ein großer Wurf gelungen. Ich bin der Meinung, dass es ihnen endlich geglückt ist, ihre Idee vom „Future Reggae“ in die Tat umzusetzen – obwohl es sich hier, streng genommen, um „Future Dub“ handelt. Im Zentrum ihrer Musik pocht das Herz des Dub, dunkel, stetig, energisch. Es treibt einen Strom an Bass durch den Organismus. Einen Tsunami an Bass, der an Fenstern und Türen rüttelt. Stoisch und repetitiv drängt er gegen Trommelfell, Bauch und Brust. Doch dann sind da noch die Reggae-fremden Sound-Elemente, die eher aus den Sphären elektronischer Club-Music stammen, sich aber kongenial in das Reggae-Fundament einfügen. Sie formen sich zu kleinen Melodien, teils winzigen Phrasen, die endlos wiederholt werden und sich schließlich zu einem komplexen, polyrhythmischen Ganzen von unglaublicher meditativer Kraft fügen. Präzise, druckvoll, dynamisch und wahnsinnig schön. Müsste ich jemandem erklären, was moderner Dub ist – ich würde diese EP vorspielen – in der Hoffnung, meine Zuhörer spontan zu missionieren und in das Lager der Dub-Enthusiasten zu locken. Als nächstes haben die beiden Vibration Lab-Jungs ein Album mit Linval Thompson in der Planung. Darauf bin ich mehr als gespannt.
Mit den „Signs & Wonders“ des in L. A. ansässigen Dub Clubs, entstanden unter der Regie von Club-Veranstalter, Old-School-Reggae-Fanatiker und Hobby-Produzent Tom Chasteen, bin ich vor zwei Jahren gar nicht warm geworden. Sie boten sehr schön reproduzierten Rub-A-Dub-Sound, blieben dabei aber so nah am Original, dass sich unweigerlich die Frage stellte: Warum eine Kopie, wenn man das Original schon hat? Nun präsentiert Chasteen sein neues Album „In Dub“ (Stones Throw) unter ebenfalls neuem Artist-Namen: Natural Numbers. Das macht schon deutlich, dass er hier einen anderen Weg einschlägt. Natürlich bleibt er der alten Schule treu, aber was die natürlichen Nummern hier zu Gehör bringen, ist weit davon entfernt, lediglich eine Kopie des jamaikanischen Originals sein zu wollen. Nein, hier ging Chasteen ambitionierter ans Werk und hat zehn Tracks produziert, die eigenständig und einzigartig sind. In einem wunderbar entspannten, warmen Sound perlen hier vor musikalischen Einfällen, Atmosphäre und beschwingten Melodien nur so strotzende Dubs aus den Lautsprechern. Da hat Mr. Dub Club ein richtig schönes Album abgeliefert, das dem klassischen, jamaikanischen Dub huldigt, ohne ihn zu klonen. Aufgenommen wurde das Album 2013 mit einer echten Los Angeles-„All Stars“-Studioband um den Bassisten Fully Fullwood. Von ihnen stammt dieser schöne, klassische, handgespielte, warme Reggae-Sound, den Chasteen dann mittels Live-Mix in – tja, wie soll ich es ausdrücken – schlicht grandiose Dubs verwandelt hat. Garniert mit Vocal-Einsprengseln, die den Eindruck vermitteln, als existierten Song-Originale (was vielleicht sogar der Fall ist – wer weiß?), begleitet von so manchem Gitarren-Solo, das direkt einem Western entsprungen sein könnte und kontrastiert von charmanten Orgel-Parts, wie sie Mr. Mittoo nicht schöner hätte abliefern können. In meinen Ohren die perfekte Fusion aus Old-Style und modernem Dub-Verständnis. In einem Interview sagt Tom Chasteen: „I’ve realized that I’m not Jamaican and I never will be.“ Vielleicht war das die entscheidende Erkenntnis, die zu diesem schönen, neuen Album geführt hat.
Hier habe ich ein ambivalentes Dub-Album aufgetan: „Sexy Jamaicans“ (Candy Beats) von den Detroit Boys. Welch bescheuerter Titel und auch der Artist-Name ist für einen Dub-Act reichlich abwegig. In scharfem Kontrast dazu: Die Musik. Von den Dub-Alben, die aktuell in meiner Playlist rotieren, klicke ich am häufigsten auf „Sexy Jamaicans“ – und das bestimmt nicht wegen des Covers (welches das Niveau von Name und Titel locker hält). Nein, ich muss gestehen: trotz meiner Voreingenommenheit, gefällt mir der hier präsentierte Dub ganz außerordentlich. Schon bei den ersten Takten kann man hören, dass die Detroit Boys nicht aus der Reggae-Szene kommen. Unüberhörbar liegt hier eine Techno-, Pop- und House-Sozialisierung zu Grunde – und das Label Candy Beats scheint tatsächlich diesem Kontext zu entstammen (die Infos im Web sind spärlich). Jedenfalls bringt der unorthodoxe Umgang der Detroit Boys mit Dub einen verdammt frischen und knackigen Dub-Sound hervor. Sauber, präzise, druckvoll – aber auch warm und organisch, durchsetzt von schönen Bläser-Parts und geerdet in soliden Basslines. Entweder sind die Detroit Boys echte Naturtalente, oder sie haben heimlich geübt. Äußerst angenehm steuern sie uns durch unterschiedliche Stimmungen, vom eher melancholischen „England is too Cold for Me“ zum freudig-beschwingten „Key & Locks“ und intonieren dabei hübsche, kleine Melodien von echter Ohrwurmqualität. Also: gebt den Jungs eine Chance – und don’t judge a dub-album by it’s cover.
Neil Perch ist einer der wenigen, unermüdlichen Sound System-Betreiber und Produzenten, die Ende der 1980er Jahre den UK-Dub aus der Taufe hoben und heute noch aktiv sind. Unter dem Motto „Dubwise – No Compromise“ hat er den Aufstieg des UK-Dub und dessen Niedergang erlebt, hat mit seinem Projekt Zion Train an der Spitze der Bewegung gestanden, einen Major-Deal in der Tasche und die Geschicke des Dub in der Hand gehabt. Ein wahrer Veteran und Dub-Aktivist, der nun mit „Land of the Blind“ (Universal Egg) sein vierzehntes Zion-Train-Album vorlegt. Just another Zion Train-album? Keineswegs! Auch wenn man es nach dreizehn Vorgängern nicht für möglich hält: Ich finde, es ist eines der Besten. Und das liegt nicht daran, dass sich Zion Train neu erfunden hätte. Im Gegenteil! Was ich früher als halsstarrig kritisierte, würdige ich heute als stolzen, ehrwürdigen Stil: Der Sound von Zion Train ist eine Marke. An ihm sind Jahrzehnte flüchtiger musikalischer Moden und Genres spurlos vorüber gegangen. Er steht wie ein Fels in der Basswellen-Brandung. Nein, was das neue Zion-Train-Album so einzigartig macht, sind die 25 Jahre musikalische Erfahrung, die in ihm stecken. Neil Perch hat einfach ein untrügliches Gespür für starke Melodien, unwiderstehliche Grooves und perfekte Arrangements entwickelt, das hier, im „Land of the Blind“, zur vollen Entfaltung gelangt. Mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit platziert er einen Hit nach dem anderen – wenn es so etwas wie „Hits“ in der Welt des Dub denn gäbe. Jeder einzelne der hier versammelten dreizehn Tracks, ist ein starkes Statement, einzigartig und unverwechselbar. Sei es durch ein spannungsvolles Arrangement, durch eine wunderschöne, melancholische Bläser-Phrase, durch einen unwiderstehlichen Rhythmus, durch eine geniale Bassmelodie oder durch den melodiösen Song eines der geschickt in der Playlist platzierten Gastvokalisten. Insbesondere Jazzmin Tutums strenge Dub-Poetry bietet einen reizvollen Kontrast zum treibenden Marsch der Beats. Hier hat Neil alles richtig gemacht und ein Album vorgelegt, das es mit neuen, hippen Dub-Produktionen locker aufnehmen kann – und zwar, in dem es fancy Effekten und dröhnenden Bassgewittern etwas ganz einfaches entgegensetzt: Style. Zion Train-Style! Habe ich schon erwähnt, dass mir das Album gut gefällt?
In der Dub-Szene tummeln sich eine ganze Menge obskurer Gestalten. Sound-Nerds, die ihre Nächte vor dem Laptop oder im Studio verbringen, an ihrer Musik schrauben aus reinem Vergnügen am eigenen Tun, ohne die geringste wirtschaftliche Perspektive. Diese Typen sind mir die liebsten. Denn unter ihnen lassen sich immer wieder tolle Entdeckungen machen. Wie jetzt z. B. bei Imhotep. Der ägyptische Pharao heißt eigentlich Pascal Perez, stammt aus Algier und hat heute in Marseille ein Studio, in dem er vor allem elektronische Musik produziert. 2012 erschien sein Album „Kheper“, das stilistisch irgendwo zwischen Elektro, TripHop und Dub changiert. Nun hat er eine Dub-Version daraus destilliert: „Kheper Dub“ (Imhotep), die – anders als das Ausgangsmaterial – zu hundert Prozent im Reggae-Dub angesiedelt ist. Kraftvolle Beats, dunkle Atmosphäre und – was es besonders reizvoll macht – allerlei Einflüsse von arabischer Musik. Wie gut arabische Musik und Dub zusammen gehen können, hat uns ja bereits The Spy From Cairo gezeigt. Imhotep geht jedoch nicht so weit wie er. Der Pharao „würzt“ seine Dubs eher mit arabischen Zutaten, als dass er sie auf kompletten arabischen Melodien und Arrangements aufbaut. Aber genau dieser sensible Einsatz macht den Reiz der Kheper Dubs aus. Es ist genau die richtige Dosis von Exotik und Geheimnis, die seiner Musik diese intensive und magische Atmosphäre verleiht.
Als mir dieses Album auf meinen Streifzügen durchs weltweite Web begegnete, war ich spontan begeistert: „10DUBB“ (Dog Earr) von 16FLIP. So kryptisch wie die Namen, sind auch die Personen, die sich dahinter verbergen. Infos zu ihnen gibt es kaum, und wenn, dann sind sie auf japanisch. So viel scheint mir als gesichert: 16FLIP sind drei japanische Youngsters mit HipHop-Vorgeschichte. Mit 10DUBB legen sie nun ein wirklich verrücktes, hundert Prozent eklektizistisches Dub-Album vor, das mehr mit primitivistischer Sample-Technik als mit klassischem Dub zu tun hat, aber trotzdem – oder gerade deswegen – eine akustische Sensation ist. Die Jungs haben hier (von abgenudeltem Vinyl kopierte) Versatzstücke unterschiedlicher Genres grob mit der Schere ausgeschnitten und zu Loops und Rhythms zusammen getackert – jedem gestandenen Studio-Engineer dürften sich die Nackenhaare aufstellen. Doch wenn man sich von allen Vorurteilen emanzipiert und einfach mal mit unschuldigem Ohr hinhört, dann ist das Ergebnis schlicht genial. Die groben Samples verbinden sich zu akustisch unglaublich reichhaltigen Rhythms, die völlig abstrakt und im Detail doch ganz gegenständlich sind, die Ordnung und Präzision leugnen und doch eine fantastische Dynamik erzeugen, die so simpel gestrickt sind und doch ein komplexes Hörerlebnis im Kopf der Hörer auslösen. Mich erinnert das Prinzip und der Sound an die frühen Loop-Experimente von Steve Reich – nur mit dem Abstand von fünfzig Jahren Pop-Musikgeschichte.
Ich bin immer wieder erstaunt, welch schöne Dub-Produktionen hier in Deutschland entstehen. Viele davon fristen ein Dasein weit unterhalb des Radars der hiesigen Reggae-Community. Wie zum Beispiel: „Back to Westmoreland“ von Thee Balancer, veröffentlicht auf bandcamp.com. 71 Minuten, aufgeteilt auf nur acht, nah an Minimal-Elekronik gebaute Tracks. Keines der Stücke läuft kürzer als acht Minuten. Jedes ist eine faszinierende, hypnotische Hörerfahrung, eine akustische Reise durch unendlichen, von trägen Beats gekrümmten Raum und relative Zeit. Die Stücke beginnen stets ganz unscheinbar, entwickeln sich dann zu einem minimalistischen Beat, der zunächst wenig spannend erscheint, dann aber zunehmend größere hypnotische Sogwirkung entfaltet, bis der hörende Geist völlig in das Raum-Zeit-Kontinuum des Dubs eintaucht und sich selbst vergisst. Wer nur mal schnell reinhört und mit Fast Forward durch die Tracks stürmt, wird den Reiz des Albums nicht einmal ansatzweise erahnen können. Seinen Höhepunkt – und zugleich kathartisches Finale – erreicht das Album mit dem letzten Track „To be Pretty Sucks“. 16 Minuten läuft der Live-Dub, umspielt von Samples, Sounds, Hall und Echo. Ein gigantischer Dub, der ganz entfernt Erinnerungen an Basic Channel wach werden lässt. Superb.
Nach „Seen“ und „Felt“ legt uns der International Observer (hinter dem sich der britische Producer Tom Baily verbirgt, der in den 1980er-Jahren die Pop-Band „The Thomson Twins“ leitete) nun sein drittes Album vor: „Touched“ (Dubmission). Obwohl der Name nur die Logik der Serie fortzusetzen scheint, ist er mit Bedacht gewählt, denn bei den Tracks auf dem neuen Album handelt es sich um eine Sammlung von Remixes – also um fremde Tracks, an die er Hand angelegt hat. Zeitlich umspannt die Sammlung die letzten 15 Jahre und enthält Stücke von den Black Seeds, dem Bombay Dub Orchestra, Banco De Gaia, Pitch Black oder Warp Technique – um nur die bekanntesten zu nennen. Doch trotz der heterogenen Herkunft der Tracks, klingt das Album sehr geschlossen und ganz und gar typisch nach International Observer. Melodiöse, warme, behagliche Beats sind sein Markenzeichen, bis ins letzte Detail sorgsam arrangiert und austariert. Seine Stücke besitzen einen unwiderstehlichen Flow. Sie fließen völlig entspannt und doch alles andere als spannungslos. Seien es die Samples indischer Musik im Stück des Bombay Dub Orchesters, die sanften Bläsersätze und Akkordeons im Pitch Black-Remix oder die Vocal-Samples im WarpTechnique-Dub, stets sind es diese Details, die ein Stück akzentuieren, es prägen und die Aufmerksamkeit der Hörer durch die Beats leiten. Oft sind es auch winzige Melodiefetzen aus dem großen Fundus des Reggae, die hier für angenehme Déjà-Vus sorgen (nur um danach die nagende Frage zu hinterlassen: „woher kenne ich diesen Bläsersatz, dieses Gesangsfragment?“). Tom Baily gehört meines Erachtens zu den spannendsten, zeitgenössischen Dub-Produzenten. Ich könnte definitiv mehr von seiner Musik gebrauchen. Durchschnittlich alle drei Jahre ein Album ist einfach zu wenig.