In der Dub-Szene tummeln sich eine ganze Menge obskurer Gestalten. Sound-Nerds, die ihre Nächte vor dem Laptop oder im Studio verbringen, an ihrer Musik schrauben aus reinem Vergnügen am eigenen Tun, ohne die geringste wirtschaftliche Perspektive. Diese Typen sind mir die liebsten. Denn unter ihnen lassen sich immer wieder tolle Entdeckungen machen. Wie jetzt z. B. bei Imhotep. Der ägyptische Pharao heißt eigentlich Pascal Perez, stammt aus Algier und hat heute in Marseille ein Studio, in dem er vor allem elektronische Musik produziert. 2012 erschien sein Album „Kheper“, das stilistisch irgendwo zwischen Elektro, TripHop und Dub changiert. Nun hat er eine Dub-Version daraus destilliert: „Kheper Dub“ (Imhotep), die – anders als das Ausgangsmaterial – zu hundert Prozent im Reggae-Dub angesiedelt ist. Kraftvolle Beats, dunkle Atmosphäre und – was es besonders reizvoll macht – allerlei Einflüsse von arabischer Musik. Wie gut arabische Musik und Dub zusammen gehen können, hat uns ja bereits The Spy From Cairo gezeigt. Imhotep geht jedoch nicht so weit wie er. Der Pharao „würzt“ seine Dubs eher mit arabischen Zutaten, als dass er sie auf kompletten arabischen Melodien und Arrangements aufbaut. Aber genau dieser sensible Einsatz macht den Reiz der Kheper Dubs aus. Es ist genau die richtige Dosis von Exotik und Geheimnis, die seiner Musik diese intensive und magische Atmosphäre verleiht.
Kategorie: Five Star
Die mit 5 Sternen bewerteten Alben
Als mir dieses Album auf meinen Streifzügen durchs weltweite Web begegnete, war ich spontan begeistert: „10DUBB“ (Dog Earr) von 16FLIP. So kryptisch wie die Namen, sind auch die Personen, die sich dahinter verbergen. Infos zu ihnen gibt es kaum, und wenn, dann sind sie auf japanisch. So viel scheint mir als gesichert: 16FLIP sind drei japanische Youngsters mit HipHop-Vorgeschichte. Mit 10DUBB legen sie nun ein wirklich verrücktes, hundert Prozent eklektizistisches Dub-Album vor, das mehr mit primitivistischer Sample-Technik als mit klassischem Dub zu tun hat, aber trotzdem – oder gerade deswegen – eine akustische Sensation ist. Die Jungs haben hier (von abgenudeltem Vinyl kopierte) Versatzstücke unterschiedlicher Genres grob mit der Schere ausgeschnitten und zu Loops und Rhythms zusammen getackert – jedem gestandenen Studio-Engineer dürften sich die Nackenhaare aufstellen. Doch wenn man sich von allen Vorurteilen emanzipiert und einfach mal mit unschuldigem Ohr hinhört, dann ist das Ergebnis schlicht genial. Die groben Samples verbinden sich zu akustisch unglaublich reichhaltigen Rhythms, die völlig abstrakt und im Detail doch ganz gegenständlich sind, die Ordnung und Präzision leugnen und doch eine fantastische Dynamik erzeugen, die so simpel gestrickt sind und doch ein komplexes Hörerlebnis im Kopf der Hörer auslösen. Mich erinnert das Prinzip und der Sound an die frühen Loop-Experimente von Steve Reich – nur mit dem Abstand von fünfzig Jahren Pop-Musikgeschichte.
Ich bin immer wieder erstaunt, welch schöne Dub-Produktionen hier in Deutschland entstehen. Viele davon fristen ein Dasein weit unterhalb des Radars der hiesigen Reggae-Community. Wie zum Beispiel: „Back to Westmoreland“ von Thee Balancer, veröffentlicht auf bandcamp.com. 71 Minuten, aufgeteilt auf nur acht, nah an Minimal-Elekronik gebaute Tracks. Keines der Stücke läuft kürzer als acht Minuten. Jedes ist eine faszinierende, hypnotische Hörerfahrung, eine akustische Reise durch unendlichen, von trägen Beats gekrümmten Raum und relative Zeit. Die Stücke beginnen stets ganz unscheinbar, entwickeln sich dann zu einem minimalistischen Beat, der zunächst wenig spannend erscheint, dann aber zunehmend größere hypnotische Sogwirkung entfaltet, bis der hörende Geist völlig in das Raum-Zeit-Kontinuum des Dubs eintaucht und sich selbst vergisst. Wer nur mal schnell reinhört und mit Fast Forward durch die Tracks stürmt, wird den Reiz des Albums nicht einmal ansatzweise erahnen können. Seinen Höhepunkt – und zugleich kathartisches Finale – erreicht das Album mit dem letzten Track „To be Pretty Sucks“. 16 Minuten läuft der Live-Dub, umspielt von Samples, Sounds, Hall und Echo. Ein gigantischer Dub, der ganz entfernt Erinnerungen an Basic Channel wach werden lässt. Superb.
Nach „Seen“ und „Felt“ legt uns der International Observer (hinter dem sich der britische Producer Tom Baily verbirgt, der in den 1980er-Jahren die Pop-Band „The Thomson Twins“ leitete) nun sein drittes Album vor: „Touched“ (Dubmission). Obwohl der Name nur die Logik der Serie fortzusetzen scheint, ist er mit Bedacht gewählt, denn bei den Tracks auf dem neuen Album handelt es sich um eine Sammlung von Remixes – also um fremde Tracks, an die er Hand angelegt hat. Zeitlich umspannt die Sammlung die letzten 15 Jahre und enthält Stücke von den Black Seeds, dem Bombay Dub Orchestra, Banco De Gaia, Pitch Black oder Warp Technique – um nur die bekanntesten zu nennen. Doch trotz der heterogenen Herkunft der Tracks, klingt das Album sehr geschlossen und ganz und gar typisch nach International Observer. Melodiöse, warme, behagliche Beats sind sein Markenzeichen, bis ins letzte Detail sorgsam arrangiert und austariert. Seine Stücke besitzen einen unwiderstehlichen Flow. Sie fließen völlig entspannt und doch alles andere als spannungslos. Seien es die Samples indischer Musik im Stück des Bombay Dub Orchesters, die sanften Bläsersätze und Akkordeons im Pitch Black-Remix oder die Vocal-Samples im WarpTechnique-Dub, stets sind es diese Details, die ein Stück akzentuieren, es prägen und die Aufmerksamkeit der Hörer durch die Beats leiten. Oft sind es auch winzige Melodiefetzen aus dem großen Fundus des Reggae, die hier für angenehme Déjà-Vus sorgen (nur um danach die nagende Frage zu hinterlassen: „woher kenne ich diesen Bläsersatz, dieses Gesangsfragment?“). Tom Baily gehört meines Erachtens zu den spannendsten, zeitgenössischen Dub-Produzenten. Ich könnte definitiv mehr von seiner Musik gebrauchen. Durchschnittlich alle drei Jahre ein Album ist einfach zu wenig.
Es war das Dub Syndicate, das mich 1982 mit dem von Adrian Sherwood produzierten Album „Pounding System“ erstmals auf die Spur von Dub setzte. Die Hausband von On-U-Sound, mit Style Scott am Schlagzeug und Flabba Holt am Bass. Zwei herausragende Musiker, die auch das Rückgrat der legendären Roots Radics bildeten. Über 20 Alben nahm Scott im Namen des Syndikats auf (die Aufnahmen der Roots Radics sind ungezählt), spielte die Tracks mit Flabba in Jamaika ein, fügte dann in Zusammenarbeit mit Sherwood in London Overdubs hinzu und ließ selbigen schließlich die Dubs mixen. Nun liegt „Hard Food“ (Echo Beach) vor, das letzte Album des Dub Syndicate. Ein weiteres wird es nicht geben, denn Scott wurde vor zwei Monaten in seinem Haus in Jamaika ermordet. Ein tragisches Ereignis, das eine nüchterne Rezension seines letzten Werkes unmöglich macht. Da verwundert es mich nicht, dass schon der erste Track Wehmut in mir aufkommen lässt, denn „Sound Collision“ erklingt in hundertprozentigem Dub Syndicate-Trademark-Sound, so als lägen zwischen „Pounding System“ und „Hard Food“ keine unglaublichen 32 Jahre. An Position 4 erklingt dann mit „Love Addis Ababa“ ein melancholisches Instrumental mit sanften Bläsern und traumschönem Cellospiel. Ein wunderbares und dank seiner Instrumentierung für Dub auch sehr ungewöhnliches Stück, das zeigt, dass Scott noch voller musikalischer Ideen steckte und uns in Zukunft wohl noch viel spannende Musik geboten hätte. Ähnlich schön ist „Gipsy Magic“, das den kraftvollen Reggae-Beat mit den wehmütigen Melodien einer Violine kontrastiert. Ich bin ganz gerührt von der emotionalen Kraft dieser Musik. Style, der Stilist, hat auch hier wieder ein paar sehr erlesene Sangesgäste hinzu gebeten: Lee Perry (okay, das mit dem Gesang ist relativ zu verstehen), Bunny Wailer, U-Roy, der hier über eine Version des „Police in Helicopter“-Riddims toasted und ein Bursche namens Magma, der ein paar Dancehall-Vibes beisteuert. Als Bonus gibt es noch drei hochklassige Dubs. Krönender Abschluss eines sehr schönen Albums, das viel Spaß macht und doch traurig stimmt.
Uwe Lehr, der Mann hinter Razoof steht für eine sehr spannende, ungemein moderne und kosmopolitische Auffassung von Reggae. Auf seinem letztjährigen Album Jahliya Sound präsentierte er zwölf hervorragende Produktionen, die alle gleichermaßen von Open-Mindness wie von soliden Reggae-Groves geprägt waren. Ein großartiges Album. Nun legt er mit Razoof: Jahliya – Dubs & Remixes (Poets Club) die dazu passenden Dub-Versions vor. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein klassisches Dub-Album, sondern um Remixes, die Uwe Lehr aus aller Welt und allen musikalischen Welten zusammen gesammelt hat. So liefert der Dubvisionist aus Hannover z. B. einen grandiosen Steppers-Remix, Cocotaxi aus Schweden pimpt Jaquees ohnehin schon sehr lebhaften Song „Life is a Journey“ auf Dancehall und US-Dubstep-Meister Rob Paine lässt Lutan Fyahs Song zu genau dem mutieren, was er am besten drauf hat: Dubstep. Dabei misst er sich mit Berlins Dubstep-Counterpart samsa, der hier mit wuchtigem Elektro-Bass zu Werke zieht. Dub-House gibt es von Salz aus Köln zu hören, die hier erneut beweisen, wie perfekt sich die Ästhetik von House auf Dub-Reggae anwenden lässt. Meine Favoriten sind jedoch die beiden Remixes von Eleven55, die irgendwo zwischen Minimal-Dubtechno und Dubstep liegen und doch den Reggae-Charm des Originals zu wahren wissen. Da einige Songs und einige Rhythms mehrfach remixt wurden, ist es zudem überaus spannend, zu vergleichen, wie sehr sich das Originalmaterial in den Händen von Remixern fremder Genres verändert. Doch bei aller Verschiedenheit der Akteure und der Styles: Das Album ist eine solide Einheit, sicher ruhend auf einem unerschütterlichen Reggae-Fundament, das selbst heftige Beats anderer Genres locker wegsteckt. Daher, meine lieben Dub-Freunde, bekommt ihr hier genug Bekanntes, um euch heimisch zu fühlen und genug Neues, um eine spannende musikalische Erfahrung zu machen. Ohren auf und durch!
Die Senior Allstars scheinen konzeptuelle Projekte zu mögen. Als die Instrumentalband aus Münster 2010 ihre Aufnahmen an eine Schar internationaler Dub-Remixer schickte, folgten sie noch einem sehr üblichen Konzept. Als sie – begeistert vom Ergebnis – damit begannen, die Dubs life auf der Bühne nachzuspielen – wobei sich jeder Musiker selbst mixte – und daraus schließlich ein Studio-Album zu machen, wurde das Konzept schon deutlich eigenwilliger. Das neuste Konzept – Verbalized and Dubbed (Skycap) – ist noch weiter um die Ecke gedacht: „Wie wäre es, wenn wir unsere Tracks wieder extern dubben lassen, aber diesmal mit Gesang?“ Äh? Okay, verstanden. Wie 2010 verschickten die Senior Allstars ihr Intrumentalmaterial in alle Welt: zuerst an Vocal-Artists, die einen Song dazu strickten und anschließend an Dub-Mixer, die Musik und Gesang zu Vocal-Dubs verbanden – um danach dann auch noch einen klassisch-instrumentalen Dub daraus zu mixen. Das Ergebnis ist ein Werk mit 16 Tracks: Part 1 ist ein Vocal-Dub-Album, Part 2 ein reines Dub-Album. Alles klar? Falls nicht, ist es auch egal, denn letztlich zählt, was hinten raus kommt. Und das ist – wie sollte es bei den Senioren anders sein – klasse. Die acht Songs sind durchweg schöne, eingängige Kompositionen. Mir gefallen besonders die Beiträge, die nicht dem Reggae-Kosmos entstammen, wie z. B. Tokunbos Soul-Gesang oder Pitshus lateinamerikanische Lyrics über einen hüpfenden Ska-Beat. Das passt irgendwie besonders gut zu dem leicht an Jazz erinnernden Live-Sound der Senior Allstars – und wäre ggf. eine vielversprechende Idee für ein weiteres Konzept-Album. Da der Gesangs-Part nicht zum Original-Material gehörte sondern erst vom Dub-Remixer eingefügt wurde, durchdringen sich Musik und Gesang im Mix viel organischer, als das bei klassischen Reggae-Songs sonst üblich ist. Die Trennung zwischen Vordergrund und „Backing“ wird aufgelöst, beides fusioniert zu einem wunderbar harmonisch-musikalischem Amalgam.
Kleine Fragmente des Gesangs bleiben auch bei den Dubs im zweiten Teil des Albums erhalten. Als unbekehrbarer Dub-Purist, liebe ich das „Dubbed“ in Verbalized and Dubbed besonders. Der Sound der Allstars ist wieder umwerfend. Die fantastisch Dub-Mixes (u. a. von Umberto Echo, Dubvisionist, Dubmatix, Victor Rice) verbinden sich zu einem wunderbaren Flow, in den man sich als Zuhörer fallen lassen kann, um mal diesem oder jenem Instrument zu lauschen, um dem Groove nachzuspüren oder einem Echo durch Raum und Zeit zu folgen. Selten, dass Dubs so vielschichtig, multidimensional und voller Atmosphäre sind, wie bei den Allstars. Das Gesangselement bereichert den Sound nun noch ein mal zusätzlich. Weiter so, liebe Senioren. Ich bin auf euer nächstes Konzept gespannt.
Das Konzept, bekannte Werke der Musikgeschichte einem Dub-Treatment zu unterziehen, scheint aus vielerlei Gründen momentan sehr populär zu sein: 1. Die Bekanntheit des Originals erweitert die Zielgruppe potentieller Käufer. Schlecht ist das nicht. 2. Nichts ist schwerer, als „from Scratch“ zu starten. Also ist eine gute Vorlage ein Segen. 3. Um gute Melodien muss man sich keinen Kopf machen, denn die liefert ja das Original. 4. Traditionell versteht sich Dub sowieso als Remix. Was liegt also näher, als ein vorhandenes Album zu dubben? 5. Es gibt tolle Musik außerhalb des Reggae, die nur einen einzigen Nachteil hat: es fehlt der Reggae-Beat. Mit einer Dub-Version lässt sich dieser Makel leicht beheben. 6. Das Spiel mit Zitaten hat seinen eigenen Reiz. Bekanntes in anderer Form wieder zu entdecken, löst wunderbare Aha-Effekte aus, die eine kleine Dosis Dopamin freisetzen. Ob der Franzose Thomas Blanchot aka Mato seine Beweggründe jemals analysiert hat, ist nicht zu klären. Aber Dub-Remixe bekannter französischer Hits aus dem Bereich Hip Hop und Pop sind seit Jahren sein Markenzeichen. Im vorliegenden Fall hat er sich dem Daft Punk-Klassiker „Homework“ gewidmet und ihn kurzerhand in „Homework Dub“ (Stix) verwandelt. Ganz akribisch ist er jedenTrack durchgegangen, hat einen Reggae-Beat unterlegt und ihn durch die Echo-Kammer gejagt. Selbst das Cover ist ein penibles Remake des berühmten, in Seide gestickten „Daft Punk“-Schriftzuges. Muss ich erwähnen, dass die Musik der French-Popper als Dub schlichtweg klasse ist? „Around the World“ mit fettem Bass und im One-Drop-Gewand ist einfach nur gut. Auch „Da Funk“ kommt perfekt. Kaum zu glauben, dass diese Tunes, die hier so organisch, so natürlich und selbstverständlich klingen, nicht schon immer Reggae-Nummern waren. Doch Mato sei Dank, sind sie es nun endlich, 17 Jahre später.
Bei Dub denke ich immer noch spontan an England und dann an Frankreich. Aber wenn ich es mir recht überlege, dann müsste inzwischen eigentlich auch Deutschland in diesen Reigen der Top-Dub-Nationen gehören. Allein schon ein Label wie Echo-Beach sorgt dafür, dass in good old Germany eine der produktivsten Quellen für Dub-Music sprudelt. Außerdem haben wir hier einige höchst innovative Dub-Artists am Start, denen so manche UK-Steppers-Epigonen nicht das Wasser reichen können. Einer von ihnen ist Felix Wolter. Von ihm kann man ohne Übertreibung sagen, dass er der Vater des Dub in Deutschland ist. Bereits Mitte der 1980er Jahre begann er mit Dub zu experimentieren und brachte 1987 mit seiner Band „The Vision“ das erste deutsche Dub-Album heraus. Ungezählte Alben und Sound-Exkursionen später, erscheint erst heute sein Debut-Album King Size Dub Special (Echo Beach), bei dem Felix sich nicht hinter Band- oder Projektnamen verbirgt, sondern als der „Dubvisionist“ auf dem Front-Cover prangt. Echo Beach Label-Chef Nicolai Beverungen ist dazu tief in das Oeuvre des Dub-Veteranen und Studiomeisters eingetaucht und hat 17 dunkle Dub-Kristalle ans Tageslicht befördert, die Felix zum Anlass der veröffentlichung nochmals auf Glanz poliert hat. „Es ist die Grundatmosphäre, die einen Dub ausmacht. Gute Dubs basieren auf Vibes, schlechte hingegen nur auf Technik“, sagt der Meister und tritt mit seinem Album den Beweis dafür an. Felix’ Dubs sind zart gewobene, akustische Kunstwerke, harmonisch ausgewogen, fein abgestimmt, von bestechender Präzision. Der vordergründige Effekt ist Felix’ Sache nicht. Man muss schon genau hinhören, um in den vollen Genuss der Feinheiten zu kommen, die in jedem der Tracks stecken, um in seinen atmosphärischen Flow einzutauchen und sich in den Vibes zu verlieren. Obwohl Felix betont, dass die Atmosphäre die wichtigste Eigenschaft seiner Dubs ist, verlässt sich jedoch keineswegs auf die bloßen Vibes. Er hat vielmehr den Anspruch, die Hörer mit seinem Mix zu unterhalten, der Repetition des Beats eine sich stets verändernde, stets überraschende und die Hörerwartungen aufbrechende Qualität hinzu zu fügen. Bei Felix steht der Mix im Zentrum des Dubs wie eine „Leadstimme“. Hier wird das Mischpult wirklich zum Instrument. Es ist die klanggewordene Definition von Dub. Hut ab.
Es ist ja immer spannend – oft aber auch frustrierend – zu hören, wie sich Artists anderer Genres dem Reggae nähern. Erfolgt diese Annäherung aus dem Feld des Rock, so bin ich per se skeptisch. Kommt sie hingegen aus Richtung der elektronischen Musik oder aus dem riesigen Feld der Worldmusic, dann hoffe ich auf Gutes. Im vorliegenden Fall hat sich ein Artist auf den Weg zum Reggae gemacht, der normalerweise bei Art-Punk und Noise zuhause ist. „Urghh“ – die spontane Reaktion ist – nennen wir es mal: verhalten. Doch vollkommen zu unrecht. It’s Reggae (Asthmatic Kitty ) von Rafter ist eine wahre Entdeckung. Das coole an solchen Reggae-Experimenten artfremder Musiker ist doch, dass sie statt „same, same but different“ echte Abwechslung, wahre Innovation und grundlegend Neues versprechen. Ich bin der Meinung: Rafter ist dies gelungen. Er selbst bezeichnet sich als „The most intense and powerful music nerd you may ever meet“, lebt in California und entdeckte seine Liebe zum Reggae auf einem Trip nach Maui. Danach verfasste er einen Liebesbrief an das Genre und produzierte 12 absolut außergewöhnliche Dub-Tracks. (Wer nach einer Referenz verlangt: Hey-O-Hansen würde am ehesten passen). Es beginnt schon beim Sound. Wie lässt er sich beschreiben? Spröde? Experimentell? Arty? Zumindest ist er das Gegenteil des sauberen, präzisen, digitalen Studio-Dub-Sounds, den wir gewohnt sind. Dann die Kompositionen und Arrangements: ihre Bestandteile sind wohlvertraut, ihre schräge Kombination hingegen ist im positiven Sinne „befremdlich“. Da treffen Samples aus 60er-Jahre-Schlagern auf fette Bläsersätze, Ska-Rhythmen auf synthetische Sounds, schwere Basslines auf ultraleichte Kindermelodien, Kammblasen auf Steeldrums. Die Musik hat bewusst etwas naives, ultrasimples, das in scharfem Kontrast zu dem sperrigen, kopfigen Sound steht, der dennoch – und das ist wirklich bemerkenswert – wunderbar grooved. Keine Ahnung wie das Ganze funktioniert, aber: es funktioniert, und zwar ganz hervorragend. Ich liebe dieses Album und höre es zur Zeit ständig. Und zwar nicht als intellektuelle Pflichtdisziplin, sondern aus purem Spaß an schönen Grooves, schönen Melodien, schönen Bläsern und überhaupt an einem so wunderbar positiven, unverkrampften, frischen Umgang mit Dub.