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Scientist Meets Blanc du Blanc: Before the Beginning

Blanc du Blanc, wer ist das denn? Ich muss zugeben, dass ich diesen Bandnamen noch nie gehört habe, obwohl sie in den letzten Jahren zwei sehr empfehlenswerte Alben („The Blanc Album“; „Regatta du Blanc du Blanc“) und eine EP („Wind of Change“) veröffentlicht haben. Die Band arbeitete bei „Wind of Change“ – der Scorpions-Ballade – sogar mit dem legendären Lee „Scratch“ Perry zusammen und segelten trotzdem unter meinem Radar. Blanc du Blanc ist ein Heteronym. Zum einen ist es eine imaginäre Figur, die derzeit mit Umhang und Maske auftritt. Zum anderen ist es auch das Gesicht einer Gruppe von wechselnden Musikern aus New Jersey, die sich einer einfachen Charakterisierung widersetzen und sich selbst als „created by an undercover artist, working as an agent for Monrovia“ beschreiben.
Es handelt sich um eine Gruppe von Musikern, um Mastermind und Bandleader Chris Harford. Sie agieren live maskiert im Verborgenen und haben Verbindungen zu Bands wie Morphine, Bad Brains und JRAD. Chris Harford ist definitiv kein unbeschriebenes Blatt und wahrlich ein Tausendsassa der amerikanischen Musik- und Kunstszene. Er ist Sänger, Songwriter, Gitarrist und Maler und hat seit 1992 eine Reihe von Alben mit seiner Band „Band of Changes“ veröffentlicht.

In der Welt des Dub / Reggae verlassen sich Musiker und Produzenten normalerweise in der Regel stark auf alte und analoge Geräte und Techniken. Nicht so bei Blanc du Blanc. Im Gegensatz zu den jüngeren Veröffentlichungen anderer Bands, die fast schon historisches Equipment verwenden, ist das Album „Before the Beginning“ eindeutig im digitalen Zeitalter entstanden und erinnert teilweise an modernere Produzenten wie Bill Laswell.

Kommen wir nun zum eigentlichen Objekt der Begierde: Das Projekt „Scientist meets Blanc du Blanc: Before the Beginning“ (Soul Selects Records) ist nicht nur das Aufeinandertreffen zweier genialer Künstler – es ist der Zusammenprall von Welten, Frequenzen und Zeitlinien. Scientist, der Dub-Pionier, der den Sound von Generationen geprägt hat, nimmt die Spektraltransfers von Blanc du Blanc und verwandelt sie in etwas Irdisches und doch Kosmisches. Er lässt jenseitige Klänge auf tief verwurzelte jamaikanische Tradition treffen. Scientist ist in seinem Element und liefert, was das Dub-Herz begehrt: Hypnotische Delays, interstellare Reverbs und fette Basslines, die durch die Galaxien schwingen. Sie bilden ein Portal zu einer neuen Dub-Dimension, in der die Echos der Vergangenheit auf die Zukunft des Sounds treffen. Scientist vermischt analoge Wärme mit experimentellem Drift und nimmt uns mit auf eine Klangreise durch Raum und Zeit. Er erkundet Frequenzen, bei denen die Bässe wie kosmische Wellen vibrieren.
Dabei bleiben Scientists Markenzeichen, das Live-Mixing und die Konzentration auf den Klang. Und diese sind durchgängig präsent, was von abstrakteren Beiträgen von Blanc du Blanc überlagert wird. Traditionelle Dub-Motive werden durch gefilterte Synthies, Ambient-Texturen und subtile Dissonanzen ersetzt. Hier geht es definitiv nicht um den Rhythmus, sondern um die Stimmung. Die Struktur weicht definitiv einem tonalen Drift. Für mich steht fest: Das ist Musik zum Abhängen und Treibenlassen.

Bewertung: 4 von 5.
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Gladiators: Roots Natty

Obwohl die Karriere der Gladiators mehr als 40 Jahre umspannte, standen sie meines Erachtens nicht in der ersten Reihe der Jamaikanischen Vokal-Trios. Dennoch haben die Gladiators die Entwicklung der jamaikanischen Musik von Rocksteady über Roots bis hin zum modernen Reggae souverän gemeistert. Wie viele Bands hatten auch sie ihre Blütezeit von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre.

Mit der Veröffentlichung von „Gladiators: Roots Natty“ (Tabou1) zum Record Store Day erhalten Reggae-Fans eine schöne Zusammenstellung einiger ihrer frühen Stücke aus der Blütezeit der Roots-Ära, als Tony Robinson noch Produzent der Gladiators war. Einzige Ausnahme ist der Opener „Give Thanks And Praise“ – eine seltene Yabby You-Produktion. Die Lead Vocals stammen von Clinton Fearon und auf dem nahtlos anschließenden Toast ist der im April 2021 verstorbene DJ Trinity a.k.a. Junior Brammer zu hören. Die meisten der 11 Tracks auf „Roots Natty“ sind seltene jamaikanische Singles und Maxis, die bisher weder auf LP noch digital erhältlich waren. Auf dem Album sind noch die Originalmitglieder Albert Griffiths, Clinton Fearon und Gallimore Sutherland zu hören. Insgesamt repräsentiert „Roots Natty“ die Essenz feiner, zeitloser jamaikanischer Musik. Die Compilation enthält zweifellos das eine oder andere Stück, das man so noch nie gehört hat. Die meisten kennen sicherlich „Jah O Jah O“, einen der mitreißendsten Tracks des Albums, mit seiner dreckigen, fetten Bassline und dem sofort wiedererkennbaren Refrain. Weniger bekannt dürften die Dub-Version von „Till I Kiss You“ oder die Ganja-Hymne „Light Up Your Spliff“ sein. Mit insgesamt nur 11 Tracks ist „Roots Natty“ etwas kurz geraten, aber mir gefällt alles an dieser Veröffentlichung. Großartiger Gladiators-Gesang, dazu einige Bonus-Dubs von „Give Thanks“ und „Nyabinghi Marching“. Alles bisher unveröffentlichte Aufnahmen, extended Versions und jamaikanische Mixe, die angeblich härter, dreckiger und basslastiger klingen als das, was für den Rest des westlichen Musikmarktes produziert wurde.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Aufnahmen, die ursprünglich nur in kleinen, exklusiven Auflagen auf Jamaika veröffentlicht wurden, die ungeschönte, authentische Energie der Gladiators vorbildlich repräsentieren.

Bewertung: 4 von 5.
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Zion I Kings: Live Free

Bei den Zion I Kings weiß man nicht so recht, was man von den Herrschaften halten soll. Diese Kings sind – wir erinnern uns – die vereinigten Protagonisten der Zion High, I Grade und Lustre Kings-Produktionsställe. Viel mehr mag man darüber nicht sagen; Näheres kann man den diversen dubblog.de-Kritiken früherer Zion I Kings-Releases entnehmen – wobei man sich da nicht allzu viel Bemerkenswertes erhoffen darf. Diese Kritiken beziehen sich naturgemäß lediglich auf deren Dub-Alben; der Hauptaugenmerk der Kings liegt hingegen auf den Vokal-Produktionen für Akae Beka bis Protoje – zumindest legt das die Anzahl der Vocal-Releases nahe. Dabei finden die Produzenten schon mal den einen oder anderen ihrer eigenen Tracks so cool, das sie ihm ein Dub-Treatment gönnen. Das hat noch bei Stücken ihrer Dub Album-Premiere, „Dub in Style“ bestens funktioniert – auch, weil man das Produkt als Vermächtnis von Style Scott sehen kann. Dann ging’s leider bergab, wobei mit dem völlig überproduzierten und sinnfreien („ich leg‘ jetzt mal ein Sammelsurium an asiatischen Instrumenten d’rüber“) Instrumental/Dub-Album „Kung Fu Action Theatre“ von Christos DC wohl der Tiefpunkt erreicht wurde. Wesentlich besser das für Protoje eingespielte „In Search of Zion“-Album: Hier wurden Roots-Tracks rund um die Vocals von Protoje‘s „In Search of Lost Time“-Release geschmiedet und die Dubs dazu gleich mitgeliefert. Und es zeigt sich: Es sind die Vocal-Snippets, insbesondere Protoje’s Hook-Lines, die diesen Dubs Character und Wiedererkennbarkeit geben. Ohne die hätten wir’s wohl mit gesichtslosem Dub-Einheitsbrei zu tun.

Was uns direkt zum aktuellen „Live Free“-Album (I Grade Records) der Zion I Kings bringt. Was soll man dazu noch sagen außer „Sind das Instrumentals oder Dubs oder kann das weg?“ Gleich vorab: Die Tracks sind wie immer superb, sprich makellos, produziert – so sauber, dass man sich geradezu Ecken und Kanten herbei wünscht – oder irgend etwas, dass die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchte. Das bleibt freilich Wunschdenken: Alles ist schön ausgewogen, da stört nichts, quasi eine perfekt runde Sache – schmeckt aber auch fade wie eine Kaffeebohne durch drei Liter Wasser geschossen. Man darf sich auch diesmal getrost die Frage stellen: Ist das schon Fahrstuhlmusik oder fehlen da lediglich die Vocals, um die Produktion noch auf Spur zu bringen? Der Kunde möge entscheiden.

Bewertung: 3 von 5.

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Zulu Vibes: Friendly Melodies

Es gibt Alben, die man auflegt und sofort in eine positive Stimmung eintaucht – „Friendly Melodies“ (Zulu Vibes) von Zulu Vibes ist genau so eines. Ich wusste schon nach den ersten Takten, dass mich dieses Album länger begleiten würde. Der französische Produzent, der 2018 mit „Silver Wind“, dem Debütalbum von Youthie, erstmals für Aufsehen sorgte, hat hier etwas geschaffen, das nicht nur gut klingt, sondern sich auch gut anfühlt. Die Tracks sind warm, lebendig und voller Spielfreude – man spürt, dass hier jemand mit echter Liebe zu Reggae und Dub am Werk war. Der Sound von „Friendly Melodies“ hat eine wohltuende Lebendigkeit und Fröhlichkeit. Vielleicht liegt es an der Art, wie die Arrangements atmen, wie jedes Instrument seinen Raum bekommt oder daran, dass der Mix einfach so organisch klingt. Hier wird Dub nicht einfach nur produziert – hier wird er „gespielt“. Das Album hat einen Groove, der der sich aus vielen kleinen Details nährt, Details, die man erst nach mehrmaligem Hören entdeckt. Ich ertappe mich dabei, wie ich das Album in meiner Mediathek unwillkürlich immer wieder anklicke und abspiele. Vielleicht liegt das auch an der Vielseitigkeit der 12 Tracks. Jeder davon bringt eine neue Facette ins Spiel – mal treibend und energiegeladen, mal entspannt und meditativ. Die Dub-Mixes sind fein abgestimmt und sorgen für eine zusätzliche Tiefe, ohne sich in Effekthascherei zu verlieren. Manche Dub-Alben klingen nach Studioarbeit – durchdacht, aber auch etwas distanziert. Friendly Melodies ist anders. Es fühlt sich an, als wäre man direkt dabei, als würde die Musik in einem Raum voller Instrumente und frischer Ideen entstehen. Wer auf Dub steht, der geerdet und gleichzeitig frisch klingt, wird hier definitiv fündig. Ein Album, das nicht nur für gute Vibes sorgt, sondern auch immer wieder neue Nuancen offenbart – und seinem Titel absolut gerecht wird.

Bewertung: 4 von 5.
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Danubian Dub: Red Horizon und Beyond Horizon

Dub aus der kleinen Alpenrepublik Österreich ist nicht gerade an der Tagesordnung. Umso schöner, dass Danubian Dub soeben gar ein Doppelalbum mit 22 Tracks veröffentlicht hat. Wobei: Das Doppelalbum sind eigentlich zwei Alben: „Red Horizon“ und „Beyond Horizon“ (beide Danubian Dub Records), die gleichzeitig erschienen sind und in etwa das gleiche bieten: Steppers-Dub gemischt mit Vocals. „Beyond“ ist dabei nicht einfach nur die Dub-Version von „Red“ – obgleich es einen ausgeprägteren Härtegrad hat. Insgesamt geht es bei beiden Alben nicht um bahnbrechende Experimente, sondern um solides Handwerk, technische Brillanz und ein tiefes Verständnis für die Soundsystem-Kultur. Und dann wäre da ja noch die schiere Menge an Tunes! Ein beeindruckender Beweis für die immense Produktivität des Produzententeams, das nicht nur im Studio aktiv ist, sondern auch mit eigenen Events und dem selbst organisiertem Dubstetten-Festival in der Szene aktiv ist. Schon der Opener „Armageddon“ auf Red Horizon hat mich beeindruckt. Der Track basiert auf einer zufällig aufgenommenen aramäischen Chorpassage aus einer Kirche. Genau diese Art von Detail macht Danubian Dub aus: Sie verarbeiten spontane Inspirationen und lassen sie in ihre Produktionen einfließen. Das Album schließt mit „Where Have You Been“, einer persönlichen Vocal-Nummer mit Tom Spirals, die nicht nur musikalisch, sondern auch emotional nachhallt. „Beyond Horizon“ setzt das Konzept fort und bringt 11 Stücke massiver Steppas-Vibes, mit starken Gastbeiträgen von Kol.EE aka King D, Amando Atodos und natürlich den Danubian Dub-Sängern FerdI und Dave. Der letzte Track „Poverty“ ist ein kraftvolles Statement gegen soziale Ungleichheit. Sehr schön! Soundtechnisch ist das Album herausragend. Die Produktionen sind druckvoll, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und zeigen, dass Danubian Dub ihr Handwerk perfekt beherrschen. Es ist ein Album, das nicht nur auf großen Sound Systems funktioniert, sondern auch in einer ruhigen Umgebung seine Wirkung entfaltet. „Red Horizon“ und „Beyond Horizon“ sind zwar keine Alben, die Dub neu erfinden – aber sie sind eine beeindruckende Demonstration davon, was solide Produktion und Hingabe an das Genre bewirken können.

Bewertung: 3.5 von 5.

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Slimmah Sound: Dub Foundation

Mit „Dub Foundation“ (Slimmah Sounds) präsentiert Tim „Slimmah Sound“ Baumgarten ein neues, äußerst schönes Dub-Album. Der niederländische Drummer und Produzent, dessen Wurzeln im Roots- und Dub-Reggae verankert sind, beweist mit diesem Werk erneut seine handwerkliche Präzision und kreative Vision. Sein Stil, der live eingespielte Instrumente mit digitaler Produktion verbindet, klingt reifer denn je und trägt eine spürbare Tiefe in sich, die sich durch alle Tracks zieht. „Dub Foundation“ ist (einmal mehr) eine Hommage an die goldene Ära des Roots Reggae. Die schweren Basslines und die klar strukturierten Riddims erinnern an die Großmeister der 70er und 80er Jahre – Sly & Robbie, Yabby You oder Linval Thompson –, doch gleichzeitig bringt Slimmah Sound moderne Produktionsweisen ein, die seine Musik im aktuellen Sound System-Vibe verorten. Einflüsse von Zion Train, Vibronics und Alpha & Omega sind klar erkennbar. Jetzt wird es kompliziert: „Dub Foundation“ ist die Dub-Version von „INI Foundation“ – was allerdings ein Showcase-Album mit 12 Tracks ist. Fünf der sechs Dubs auf diesem Album, finden sich nun auf „Dub Foundation“ wieder. Klingt nach keinem gute Deal, allerdings erscheint mir der Sound auf dem „kleinen“ Album viel besser. Die Tracks auf „Dub Foundation“ entfalten sich langsam, lassen Raum für Echo, Hall und fein abgestimmte Dub-Arrangements. Besonders beeindruckend ist die rhythmische Struktur der Dubs, die immer spannend bleibt. Zudem ist der klassische Dub-Mix hervorragend gelungen – er erzeugt eine fast magische Wirkung. Besonders beeindruckend ist die Detailverliebtheit, mit der Tim Baumgarten klassische Dub-Techniken einsetzt, ohne in einen Retro-Habitus zu verfallen. Der Sound ist warm, tief und organisch, jedes Element hat seinen Platz und trägt zur Gesamtwirkung bei. Die Verschmelzung von Analog-Feeling mit digitaler Präzision ist zweifellos besonders gelungen. Allerdings ist das Album mit nur fünf Tracks recht kurz geraten. Wer mehr möchte, sollte zu „INI Foundation“ greifen, das neben den Dub-Versionen auch die Vocal-Interpretationen von Idren Natural enthält.

Bewertung: 4.5 von 5.
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The Wavestate Project: Dubocracy

Regelmäßig tauchen Dub-Alben scheinbar aus dem Nichts auf. „Dubocracy“ (Dave Meeker) von The Wavestate Project ist genau so ein Fall. Plötzlich ist es da – mit einem ansprechenden Cover, einem Titel, der zur aktuellen Weltlage passt, und neun Tracks, die sich spontan in meine Wahrnehmungssphäre gedrängt haben. Die Recherche zur Urheberschaft des Werkes fördert spärliche offiziellen Informationen zutage, laut derer das Album die Fusion von Reggae, Dub und Acid-Synthesizern erforscht, um eine neue Klanglandschaft zu erschaffen. Klingt nach einem generischen ChatGPT-Textchen. Also bleibt nichts anderes, als genau hinzuhören. Ein erster Verdacht drängt sich auf: Hat hier jemand sein neues Spielzeug ausprobiert? Immerhin gibt es von Korg einen Synthesizer mit dem Namen „Wavestate“. Und tatsächlich, der zweite Track klingt direkt so, als hätte The Wavestate Project einfach mal drauflosgespielt – dominante Synthie-Sounds, etwas holpriger Rhythm. Doch dann ändert sich das Bild schlagartig: Plötzlich sind da wunderbar produzierte Dub-Tracks, die alle Register des Genres ziehen. Entweder hat der Produzent eine steile Lernkurve hingelegt, oder hier ist doch ein erfahrener Dub-Nerd am Werk. Aber lassen wir die Spekulationen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt – und das überzeugt. Die Reggae-Rhythmen sind tight produziert, der Sound ist satt und sauber, die Dub-Mixes spannend. Die Musik strahlt eine helle, beschwingte Grundstimmung aus, die sofort gute Laune verbreitet. Das prägende Element des Albums ist jedoch in der Tat zweifellos der Synthesizer. Doch keine Sorge – hier gibt es keine nervigen Flächen oder ausufernde elektronische Spielereien. Der Korg-Synth übernimmt vielmehr die Rolle des Lead-Instruments und fügt sich ganz bescheiden und harmonisch in das Gesamtbild ein. Er bleibt zwar immer als Synthesizer erkennbar, aber er stellt sich ganz in den Dienst markanter, schöner Melodien, die weit über das generische Gedudel hinausgehen, das man von manchem „echten“ Live-Leadinstrument im Dub kennt. Das Resultat: Dub-Songs, die fast zum Mitsummen einladen. „Dubocracy“ ist kein Album für Dub-Puristen, die ausschließlich nach klassischen Klängen suchen. Aber für alle, die Dub mit offenen Ohren genießen bietet es eine spannende und erfrischende Hörerfahrung. Ein Album, das gute Laune macht – und das ist ja schon viel Wert.

Bewertung: 4 von 5.

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Mr. Woodwicker: Under My Voodo

Es ist fast ein Fluch, über aktuellen Dub zu schreiben. Wie beneide ich all jene Musikjournalisten, die sich mit bekannten Hip-Hop- oder Pop-Artists befassen dürfen! Artists also, die ein umfangreiches Oeuvre vorweisen, zu denen es zahllose Interviews, Feuilleton-Artikel oder sogar handfeste Skandale gibt – kurz: über die es eine Menge zu erzählen gibt. Ich hingegen durchforste spärliche Bandcamp-Biografien oder stolpere über lieblos gepflegte Instagram-Accounts. Das Konzept „Website“ mit umfassender Discographie und detaillierter Künstlerbiografie? Offenbar ein Relikt vergangener Zeiten. Bleibt also nur die Musik. Doch seien wir ehrlich: So groß die experimentellen Freiräume im Dub auch sind, neunzig Prozent der Produktionen unterscheiden sich nur in Nuancen voneinander. Ich sitze dann vor meinem Mac und frage mich: Was kann ich noch über diese Musik schreiben, das ich nicht schon tausendmal gesagt habe? Und während ich grüble, schweifen meine Gedanken ab – in (selbst-)kritische Reflexionen wie diese hier, die letztlich auch nirgendwohin führen. Tragisch. Warum dieser Exkurs? Weil „Under My Voodoo“ (Mr. Woodwicker Records) von Mr. Woodwicker wieder so ein Fall ist. Bei Bandcamp erfahre ich nur „Udine, Italy“ und eine nichts sagende Randnotiz, dass seine Musik vom Dub der 1970er inspiriert sei. Welch bahnbrechende Erkenntnis! Viel mehr kann ich euch also nicht über diesen Künstler berichten – außer, dass sein Album „Under My Voodoo“ wirklich schöner Dub ist. Ja, er atmet den Geist der 70er, ist aber soundtechnisch auf modernem Niveau produziert. Handgemixte Dubs, satte Bässe, Riddims, die vertraut klingen – aber keine Remakes sind. Aber hey – am Ende ist der dubblog doch nichts anderes als eine kompetent kuratierte Dub-Ausstellung. Ihr habt den Albumtitel, also ab zu Spotify, Bandcamp oder wo auch immer ihr eure Musik hört. Viel Spaß dabei!

Bewertung: 4 von 5.
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Gary Clunk: Archives of Dub, Vol. 4

In schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht Gary Clunk – der trotz seines Namens Franzose ist und in der Nähe von Bordeaux lebt und arbeitet – solide Steppers-Alben, deren Sound perfekt in die französische Dub-Szene passt. Jetzt legt er „Archives of Dub, Vol. 4“ (Culture Dub) vor. Das Album enthält zwölf Tracks aus seinem Archiv der Jahre 2015 bis 2023, die er hier in Dub-Fassungen präsentiert. Alle Stücke stammen unzweifelhaft aus dem Computer, wurden aber laut Clunks Aussage analog produziert – was den Sound für mich allerdings kein bisschen organischer macht. Wir hören fetten Steppers-Dub in jeweils zwei Cuts. Im Sound System macht das sicher viel Spaß, aber beim bewussten Zuhören klingen mir Sound und Arrangements etwas zu konventionell. Da in den letzten Monaten aber recht wenige gute neue Dub-Alben veröffentlicht wurden, will ich nicht meckern und freue mich über diese Dosis Clunk’schen Dubs.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Dub Syndicate: Obscured By Version

Vom anfänglichen Studioprojekt der ersten Dub Syndicate Jahre, hat sich die Band grundlegend gewandelt. Lincoln Valentine „Style“ Scott wurde Ende der 80er Jahre Bandleader und Co-Produzent, trat in den Vordergrund und etablierte Dub Syndicate als faszinierenden Live-Act auf zahlreichen Festivals. Dub Syndicate wurde Style Scotts wichtigstes musikalisches Projekt. Dies war auch die Blütezeit der Band. Mit einer Reihe von Alben, die das Beste der aktuellen jamaikanischen Musik mit den wilden Studioexperimenten des britischen Produzenten Adrian Sherwood verbanden, schufen die beiden eine bahnbrechende Musik, die Dreads, Potheads und Raver gleichermaßen begeisterte. Tragischerweise fand Dub Syndicate ein jähes Ende, als Style Scott, einer der bedeutendsten Drummer Jamaikas, am 9. Oktober 2014 in seinem Haus in Jamaika sinnlos ermordet wurde.

Nach der „Ambience In Dub„-Box, die die frühen Dub Syndicate Alben zusammenfasste, knüpft „Out Here On The Perimeter“ genau da an, und setzt die Geschichte Ende der 1980er bis 1996er Jahre fort. Die vier Alben aus der „Strike The Balance“, „Stoned Immaculate“, „Echomania“ und „Ital Breakfast“ Ära wurden gerade auch auf Vinyl neu aufgelegt. Außerdem hat Adrian Sherwood ein spezielles Bonusalbum „Obscured by Version“ (On .U Sound) mit brandneuen Versionen von Rhythmen aus dieser Zeit zusammengestellt.
„Obscured by Version“, das sowohl einzeln als auch als Teil der Dub Syndicate Box „Out Here on the Perimeter 1989 –1996“ veröffentlicht wurde, ist Adrian Sherwoods 2025er-Neuauflage und Neuinterpretation von Material aus dieser glorreichen Zeit. Die Veröffentlichung bleibt dem ursprünglichen Sound der Gruppe treu, der tief in der Reggae- und jamaikanischen Musiktradition verwurzelt ist, und erweitert gleichzeitig die Grenzen des Dub mit ungewöhnlichen Echos, Samples und Soundeffekten. Einige Vocals und Rhythmen werden den Fans der Originalalben bekannt vorkommen, dennoch klingt alles frisch und knackig wie ein brandneues Werk im Stil der früheren Arbeiten von Dub Syndicate. Die Qualität ist auf dem gleichen hohen Niveau. „Plains of Africa (Echo, Echo, Echo)“ stammt von „Echomania“, „Pleasurezone Transmitter“ basiert auf „Dubbing Psycho Thriller“, einer verrückten, wie immer etwas abgedrehten Performance von Lee „Scratch“ Perry. „Intercommunications“ stammt von der großartigen 1987er-Single „Night Train“ – einer meiner absoluten Lieblingstracks von Dub Syndicate. „Command Centre“ lässt sich relativ leicht von „Roots Commandment“ ableiten und „Alive And Burning Bright“ ist im Original „Glory To God“.
Adrian Sherwood gelingt mit seinen Neuinterpretationen eine angemessene Hommage an die langjährige Freundschaft und kreative Zusammenarbeit mit Style Scott. „Obscured by Version“ klingt so frisch und innovativ wie alle Dub Syndicate Klassiker zuvor.

Bewertung: 4.5 von 5.