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Soul Sugar Meets Dub Shepherds: Blue House Rockin‘

Was für ein herrlich geerdetes Album! „Blue House Rockin’“ von Soul Sugar meets Dub Shepherds (GEE Recordings) ist für mich weit mehr als ein weiteres schönes Herbst-Release – es ist eines dieser Werke, von dem man schon vor dem ersten Ton weiß: Das wird gut! Hier steckt Leidenschaft drin. Wärme. Hingabe. Können. Und vor allem: echtes Handwerk. Während so vieles heute glattgebügelt algorithmisch weichgespült klingt, kommt dieses Album als Gegenentwurf daher – einer, der sich nicht nur hören lässt, sondern der sich auch absolut richtig anfühlt.
Die Kombination aus Soul Sugar (Guillaume Metenier) und den Dub Shepherds (Jolly Joseph, Dr. Charty, Jahno) wirkt wie ein glücklicher Zufall der Musikgeschichte. Alle vier teilen diese tiefe Zuneigung zu analoger Klangwelt und jamaikanischem Studiogeist. Allein die Produktionsweise ist schon eine Hommage an die goldenen Zeiten: zwei Tage live eingespielt im Blue House Studio, Röhren- und Bändchenmikros aus den 50ern und 60ern, direkt aufs 24-Spur-Tape, später analog gemischt bei Bat Records. Kein künstlicher Bombast, keine digitale Luftpolsterfolie – sondern Musik, pure & direct. Jeder Ton hat Sinn, jede Pause Bedeutung, jedes Echo eine Funktion.
Dass das Album stilistisch nicht in einer Schublade steckt, sondern ganz selbstverständlich zwischen Roots Reggae, Soul, Funk und Dub wandert, macht es so reizvoll. Gleich zum Auftakt: Curtis Mayfields „Give Me Your Love“. Ein leises Statement. Soulig, warm, mit Jolly Josephs Falsett, das perfekt über dem Groove liegt. Ähnlich berührend: Aaron Frazers „My God Has a Telephone“ – hier in einem Reggae-Gewand, das die Seele des Originals bewahrt und gleichzeitig eine völlig neue Farbe hinzufügt. „Hold My Hand“ – während der Session entstanden – fügt sich so natürlich ins Gesamtbild ein, als hätte der Song immer schon existiert. Ein Hauch Lovers Rock, aber ohne Kitsch, dafür mit Gefühl und viel Wärme. Und dann: „Family Affair“. Shniece McMenamin verwandelt den Track in einen vibrierenden Reggae-Hybrid voller Haltung und Soul. Ein Highlight.
Guillaume Metenier an der Hammond-Orgel – das ist ohnehin schon fast eine Garantie für Magie. So auch hier: Die Instrumentals „Disco Jack“, „Choice of Music“ und „Drum Song“ verneigen sich tief vor Jackie Mittoo, und das nicht nur formal. Sie grooven, sie schweben, sie leben – und zeigen, wie viel Seele in Instrumentals steckt, wenn sie mit Talent und Leidenschaft gespielt werden. Und als letzter Gruß aus dem Studio: „Blue House Rock“. Eine spontane Jam, roh, funky, durchzogen vom Geiste Studio Ones. Ein kleines Wunder zum Schluss.
Warum das alles so gut funktioniert? Weil es ehrlich ist. Weil dieses Album nicht versucht, etwas zu sein – sondern einfach ein selbstbewusst Statement ist. Keine Retro-Show, sondern eine echte Verbeugung vor musikalischen Wurzeln. Analoge Produktion, aber keine verstaubte Nostalgie. Blue House Rockin’ berührt mich wirklich, weil es einfach richtig schöne Musik im klassischen Sinne ist. So klangen meine Reggae-Alben, als ich anfing diese Musik zu lieben. Ich glaube, diese Erinnerungen erfüllt mich mit viel nostalgischer Sentimentalität, die es mir unmöglich macht, hier wirklich objektiv zu urteilen. Klar ist jedenfalls: Für mich ist „Blue House Rockin’“ eines der besten Releases von 2025.

Bewertung: 5 von 5.

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Five Star Review

JEFF the Brotherhood meets Blanc du Blanc: Magick Songs In Dub

Wer ausschließlich Dub in Kombination mit Reggae Riddims mag, sollte an dieser Stelle nicht weiterlesen, da „JEFF the Brotherhood meets Blanc du Blanc: Magick Songs In Dub“ (Soul Selects Records) völlig anders ist. Möglicherweise hat es sogar im Dubblog nichts verloren, weil…

Trotzdem handelt es sich um eine äußerst fesselnde Entwicklung im Dub-Genre. Ich kann nichts dagegen tun, das Album „Magick Songs In Dub“ hat mich vor zwei Tagen wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ohne große Umschweife: Ich sehne mich nach solchen Alben, und ich kann euch auch den Grund nennen. „JEFF The Brotherhood Meets Blanc Du Blanc: Magick Songs In Dub“ spricht direkt meine musikalische Prägung an (Psychedelic, Krautrock, Jazz, Dub und mehr).

Die Brüder Jake und Jamin Orrall aus Nashville haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2001 kontinuierlich weiterentwickelt und sind jetzt, nach ihrem brillanten chaotischen Grunge-Sound und verschiedenen Rock’n’Roll-Subgenres, im Bereich des jazzbeeinflussten Art-Rock angekommen. Mit ihrem 2018 veröffentlichten Doppelalbum „Magick Songs“ tauchten die Brüder Jake und Jamin in psychedelische Dimensionen ein und verbanden berauschende Stoner-Grooves mit atmosphärischen Klanglandschaften. Es lag nahe, die mystischen Klangkünstler Blanc du Blanc zu kontaktieren, um gemeinsam das intergalaktische Mini-Album „Magick Songs in Dub“ zu erschaffen. Leider haben nur vier Tracks eine Dub-Transformation erhalten. Diese vier Stücke genügen mir jedoch, um nach mehr zu verlangen. Blanc du Blanc haben ihre zauberhafte Dub-Kunst wunderbar in die bereits eindringlichen Kompositionen eingewoben.

Die EP beginnt mit perkussiven Klängen und mit „Wasted Land Dub“ startet die Reise in andere Klangdimensionen. Darauf folgt „Celebration Dub“ und das alchemistische Tor wird geöffnet. Tiefe Basslinien und Tribal-Percussion verleihen dem Stück ein hypnotisch tanzbares Element. Mit dem 7-minütigen „Many Moods Dub“ – auf dem Original-Album eine ganze Seite – nähern wir uns den Ebenen des Unterbewusstseins. Der Klang wird hypnotisch, mit vielen sphärischen Geräuschen, bis das dissonante Gitarrenchaos einsetzt und mir Gänsehaut über den Rücken jagt. Jetzt versetzt mich der Klang direkt in die Zeit der „Kosmischen Kuriere“ und all der Klangexperimente des Krautrock. Zum schönen Abschluss und zur sanften Landung folgt ein träge fließender „Singing Garden Dub” mit teilweise asiatisch anmutenden Klängen und einem wohlig warmen Saxofon.

Wie bereits erwähnt: „Magick Songs in Dub“ läuft momentan in Dauerschleife, und ich kann wirklich jedem nur empfehlen, sich die Zeit zu nehmen. Das Teil ist irre gut!

Bewertung: 5 von 5.
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Dub Spencer & Trance Hill: Synchronos

Dub Spencer & Trance Hill haben eine musikalische Vision: Den perfekten Hybrid aus Dub und Trance – analog eingespielt und soundtechnisch vom Feinsten. Mit „Synchronos“ (Echo Beach) ist der Band eine Punktlandung gelungen.

Die Schweizer Musiker setzen auch auf ihrem neuen Album musikalische Versatzstücke – Dub, Trance, Dance, Techno, Rock, Jazz – neu und unerwartet zusammen: Experimentierfreudig, vielschichtig und jederzeit für Überraschungen gut. Das kommt dann mal als schwere Bass-Lawine, dann wiederum tanzbar oder ziemlich trippig aus den Boxen. 

Im Gegensatz zur digitalen Ethno-, Downtempo- und Trance-Szene vertrauen die vier Luzerner ausschließlich auf analoge Instrumente: Drums, Bass, Gitarre, Keyboards – veredelt mit zahlreichen Dub-Effekten und Sound-Gimmicks. Synchronos geht damit unbeirrt den Weg weiter, den Dub Spencer & Trance Hill mit dem Vorgänger-Album „Imago Cells“ eingeschlagen haben: Klassische Songstrukturen mehr und mehr hinter sich lassend, legen sie den Fokus auf eingängige, sich hypnotisch wiederholende Grooves und betonen damit einmal mehr den Trance-Anteil in ihrer Musik. Für die passenden Endgeräte gibt’s deshalb „Synchronos“ auch als Dolby Atmos-Mix, auf dass dem Hörer die Echos und Beats dreidimensional um die Ohren fliegen.

Dub Spencer & Trance Hill werden Synchronos 2025/26 auf einer ausgedehnten Club-Tour vorstellen – mit dabei Umberto Echo, der Konzerte in ausgewählten Venues erstmals live im Surround-Sound abmischt. Hingehen, anhören, staunen – oder aber das feine Album per Kopfhörer geniessen und sich völlig den Klangwelten von Dub Spencer & Trance Hill hingeben. Wer da nicht „wow“ sagt, hat vermutlich kaputte Teile auf den Ohren sitzen.

Bewertung: 5 von 5.

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Five Star Review

Sheriff Lindo And The Hammer: 10 Dubs That Shook The World [2025 Edition]

Wieder ein Album aus Down Under, welches einst komplett und unentdeckt an mir vorübergegangen ist. Zum Glück bekommen wir jetzt die 2025er Ausgabe von „Sheriff Lindo And The Hammer: 10 Dubs That Shook the World [2025 Edition]“ (EM Records). Warum eigentlich 10 Dubs? Auf der LP sind acht Tracks zu hören und auf die CD wurden noch fünf Bonus-Tracks draufgepackt. Egal, es ist das legendäre erste Album von Anthony Maher, einem Mitglied des australischen Experimentalmusik-Ensembles „Loop Orchestra“, das unter dem Namen „Sheriff Lindo And The Hammer“ mithilfe von Bandmitgliedern der „Severed Heads“ damals gerade einmal 250 Exemplare des Albums produzierte. Der Experimentiergeist des Reggae-Maniacs Anthony Maher ging bei den Mixes weit über King Tubbys Dub-Ideen hinaus, wobei er auch in Bereiche des Post-Punk und der britischen experimentellen Avantgarde-Künstler wie David Cunningham und David Toop vordrang. Da die Aufnahmen zu „Ten Dubs That Shook The World“ aus den Jahren 1981 bis 1988 stammen, lässt sich auch vermuten, dass die damaligen experimentellen On-U Sound Alben eines Herrn Adrian Sherwood diese Zusammenstellung von Tonbandexperimenten ebenfalls stark beeinflussten. Oder ist Anthony Maher sogar die australische Antwort auf Adrian Sherwood?


Diese acht fetten Dubs (LP) sind auf jeden Fall geprägt von der Fingerfertigkeit und dem Faderflicking-Timing von Anthony Maher aka Sheriff Lindo. Seine Fähigkeiten für prägnant gesetzte Effekte und Soundspielereien setzt er mit bemerkenswerter Sicherheit ein. Als Schöpfer von „Ten Dubs…” wird Maher für seine Kombination aus jamaikanischem Dub und britischem Industrial sowie Post-Punk als antipodischer Ausreißer der Dub-Musik gepriesen. Er entfernt sich weit von ihrem Ursprung, hat aber immer ein festes Verständnis für ihre fantastische, entmaterialisierte Dynamik.
Was soll man dazu noch sagen? Für mich sind es ein paar Alben im Jahr, die einfach anders und sehr spannend sind. Dazu gehört ab sofort auch der Meilenstein mit Kultstatus „10 Dubs That Shook The World“, der nach 37 Jahren wieder aus den Tiefen des australischen Untergrunds aufgestiegen ist, um endlich an der Oberfläche zu bleiben. Diese acht bzw. 13 Dubs sind weniger eine Zeitkapsel als vielmehr ein Signal, das bis heute mit unverminderter Kraft und Dynamik nachwirkt.

Bewertung: 5 von 5.
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The Breadwinners: Return to the Bakery

Dreizehn Jahre. Eine Ewigkeit in der schnelllebigen Welt digitaler Soundästhetiken, aber ein Wimpernschlag im Kosmos des Dub, wo sich die Zeit ohnehin in endlosen Echos und Reverbs auflöst. The Breadwinners, unter der Führung des notorisch zurückhaltenden Studio-Magiers Al Breadwinner, melden sich nach dieser Zeit erstmals mit einem neuen Dub-Album zurück: „Return to the Bakery“ – und es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. Von der ersten Basslinie an ist unmissverständlich klar: „Return to the Bakery“ ist kein nostalgisches Experiment, sondern eine hingebungsvolle Hommage an die goldene Zeit des Reggae und Dub. Produziert und gemischt im hauseigenen Bakery Studio, bleibt Breadwinner seinem ethischen Kodex treu: analoge Bandmaschinen, Vintage-Outboard-Gear und ein Aufnahmeprozess, der das Live-Gefühl förmlich in die Magnetspuren prägt. Dabei klingt nichts angestaubt oder museal – im Gegenteil. Die Dubs rollen warm, organisch, mit einer Klangtiefe und Dynamik, wie sie nur mit heutigen Aufnahme- und Mastertechniken möglich ist. Jedes Delay, jeder Federhall ist nicht nur Effekt, sondern ein Instrument für sich, mit Seele und Eigenleben. Die Gästeliste liest sich wie ein Who’s Who des Reggae-Undergrounds. Nat Birchall und Stally lassen ihre Tenorsaxophone erklingen, während die lebenden Legenden Vin Gordon (Trombone) und KT Lowry (Trumpet) feine Bläsersätze beisteuern, die direkt aus der goldenen Ära des Studio One zu stammen scheinen. Alrick Chambers verleiht dem Ganzen mit seinem Flötenspiel eine fast ätherische Qualität. Doch der wahre Star bleibt Al Breadwinner selbst. Seine Dub-Mixe sind keine simplen „Versions“, sondern kunstvolle Dekonstruktionen. Wie ein Bildhauer meißelt er aus jeder Session eine neue, eigene Realität. Die Spuren werden fragmentiert, neu zusammengesetzt, im Raum verschoben – ein Spiel mit den Gesetzen der Physik und Psychoakustik. Man wähnt sich bisweilen im Black Ark Studio zu besten Zeiten. Nicht, weil hier plump kopiert wird, sondern weil der Geist von Lee Perry tatsächlich heraufbeschworen wird: die Verspieltheit, das Unerwartete, die charmanten Unsauberkeiten, die digitalen Produktionen heute so schmerzlich fehlen. Natürlich stellt sich die ketzerische Frage: Brauchen wir historisierende Musik?  Ist es nicht überflüssig, den Dub der 70er-Jahre bis ins kleinste Detail nachzubauen? Die Antwort gibt das Album selbst – mit einem entspannten, selbstbewussten Lächeln: Nein, ganz und gar nicht! Denn hier geht es nicht einfach um eine bloße Kopie vergangener Sounds. Diese Musik ist vielmehr eine Hommage an das Handwerk, ein sinnliches Erlebnis, das sich bewusst dem schnellen Konsum und den perfekt berechneten Streaming-Playlists entzieht. Sie fordert unsere Aufmerksamkeit – und belohnt uns dafür mit intensiven und zutiefst befriedigenden Hörerfahrungen. Und selbst wenn man als Kritiker einwenden möchte, sie sei „redundant“, bleibt sie doch vor allem eines: ein reines Vergnügen – und allein das reicht völlig aus, um ihre Existenz zu rechtfertigen.

„Return to the Bakery“ ist also kein Album für den beiläufigen Konsum und schon gar kein Soundtrack für den Hintergrund. Es ist ein akustisches Kunstwerk, das mit Hingabe und handwerklicher Präzision gefertigt wurde. Wer sich die Zeit nimmt, in diese Klangwelt einzutauchen, wird nicht nur von warm pulsierenden Bassläufen und kunstvoll eingesetzten Delays empfangen, sondern erlebt eine musikalische Tiefe, die unmittelbar zu den spirituellen Wurzeln des Dub zurückführt. Es ist Musik, die nicht der Zeit hinterherläuft, sondern die sie aufhebt.

Bewertung: 5 von 5.

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Zion Train: Dubs of Perception

Der Auftakt von „Dubs of Perception“, dem neuen Album von Zion Train, ist ein kalkulierter Schock: Aus dem Nichts hallen archaisch anmutende Stammesgesänge, roh, ungestimmt, wie eine Beschwörung am Lagerfeuer. Kaum hat man sich auf diesen pseudoethnografischen Trip eingelassen, wuchtet ein monotoner Sub?Bass heran, so dick und stoisch, dass er die Stimmen beinahe verschluckt. In der nächsten Minute prallen diese beiden Pole immer wieder aufeinander?–?ein zeremonielles Echo und eine tieffrequente Wucht, die zusammen eigentlich nicht funktionieren dürften. Dann ein Break. Klangebenen verzahnen sich und der eigentliche Dub beginnt, der weder Roots?Tradition noch Club?Schema bedienen will. Genau in diesem Moment wird klar, welches Spiel hier gespielt wird: Erwartung erzeugen, Erwartung zerreißen, Kontrast auf Maximum, und dann alles in einen neuen Kontext bringen.

„Ich habe dieses Mal bewusst einen anderen Ansatz gewählt.“ erklärt Neil Perch, Produzent und treibende Kraft hinter Zion Train. „Im Studio habe ich geplant, neue Technologien mit alten, fast schon vergessenen Methoden zu verbinden. Ich wollte wieder zurück zu den Wurzeln des Live?Dub?Mixings – mit einem 40?Jahre alten, restaurierten 32?Kanal?Analogpult. Dieses Mischpult hat Geschichte, es war zum Beispiel in den legendären Music?Works Studios auf Jamaika im Einsatz.“

Trotzdem klingt das Album keineswegs museal, sondern überraschend gegenwärtig. „Gleichzeitig habe ich aber moderne Effekte integriert, wie das Zen?Delay und eine neue Version des Roland?TB?303 – das ist die klassische Acid?House?Bassmaschine. Diese Kombination aus Alt und Neu macht den Sound des Albums aus.“ In den tiefen Frequenzen brummt also Vergangenheit, darüber flirrt das „Hier und Jetzt“, gestützt von Cara?Jane?Murphys (sehr sporadischen) Gesangslinien, Roger?Robinsons Spoken?Word?Akzenten und der energiegeladenen Zion?Train?Bläsersektion. Gastmusiker wie Paolo?Baldini oder die Veteranen Trinny?Fingers und Blacka?Wilson füllen das Klangbild mit einem Selbstverständnis, das nur entsteht, wenn Studio?Sessions noch echtes Zusammenspiel bedeuten.

Das zentrale Prinzip des Albums bleibt jedoch die Unvorhersehbarkeit: „Beim analogen Mixing ist alles impulsiv.“, sagt Neil. „Ich stelle den Mix grob ein, wähle die Effekte – aber ab dem Moment, wo ich auf Play drücke, ist es reine Improvisation. Da kannst du nichts mehr durchplanen. Du folgst einfach dem Vibe, und das bringt Seiten meines künstlerischen Charakters zum Vorschein, die bei komplett durchdachten Produktionen nie auftauchen würden. Genau das macht die Arbeit spannend. Auch nach über 35?Jahren überrascht mich dieser Prozess immer wieder selbst.“ Diese Haltung spürt man in jedem Stück. So zum Beispiel in „Travelling“, das mit einem Burning Spear-Sample beginnt und dann zu einem 303-Gewitter wird, als wolle die Maschine die Grundfesten des Subwoofers testen. Dann gesellt sich eine liebliche Flötenmelodie hinzu – schräger lassen sich Dubs kaum komponieren. Dass diese Ästhetik nahtlos an „Siren“ anknüpft, bestätigt Neil: „Es gibt eine klare Verbindung zu meinen frühen Sachen. Damals in den 90ern habe ich viel mit Acid?House?Maschinen gearbeitet. Auf dem Album „Siren“ hatte ich sie dann zum letzten Mal eingesetzt. Jetzt bin ich mit meinem Equipment wieder in diese Richtung zurückgegangen. Vor allem, weil ich diesen Klang liebe?–?aber auch, weil mich das, was ich in den letzten fünf bis acht Jahren in der Dub?Szene gehört habe, ziemlich gelangweilt hat. Ursprünglich mochte ich Dub, weil er im Vergleich zum Reggae spannend war. Reggae wurde meiner Meinung nach schon in den 1990ern langweilig und ist es bis heute. Also wandte ich mich Dub zu, weil er in den Achtzigern und Neunzigern noch aufregend war: neue Ideen, neue Technik, viele neue Gruppen. Doch während sich das Dub?Virus verbreitete?–?was einerseits großartig ist, weil nun die ganze Welt Dub hört?–?wurde die Musik für mich irgendwann ebenfalls langweilig.“ beschreibt Neil seine musikalische Entwicklung. „Technologisch versuche ich beim Musikmachen stets, mich weiterzuentwickeln, anzupassen und zu erneuern. Mich motiviert vor allem: Klänge zu erschaffen, die nicht ständig auf die heutige Dub? und Reggae?Sprache zurückgreifen – denn die empfinde ich als vollkommen vorhersehbar, kommerziell und uninspirierend. Zu viel Musik klingt exakt gleich, ist voller Klischees, kultureller Aneignung und falsch verstandener Konzepte – all das meide ich konsequent.“

Mit „Dubs?of?Perception“ liefert er nun Material, das diesem Dub-Mainstream zuwider läuft – Tracks, die sich nicht in einem simplen Steppers-Beat erschöpfen, sondern sich erst durch wiederholtes Hören erschließen.

Gerade darin liegt die Stärke des Albums: Es fordert Zuhören, ohne sich der Tanzbarkeit zu verweigern. Die Live?Erfahrung der Band – 2024 erneut auf Bühnen von Mexiko bis Kroatien erprobt – scheint ins Studio hineinzuwirken. Modulationen, Delays und abrupt gesetzte Breaks erinnern an jene Momente, in denen Neil während eines Konzerts den Hallfader hochreißt, bis der Raum nur noch aus Echo besteht. So schafft „Dubs?of?Perception“ das Kunststück, gleichzeitig Rückschau und Zukunftsentwurf zu sein. Die handwerkliche Sorgfalt, mit der Neil seine Tracks komponiert, verbindet sich mit der Lust am Risiko, neue Verbindungen zu knüpfen und Mainstream-Pfade zu verlassen. Wenn Dub heute oft wie ein Genre klingt, das seine eigenen Rituale endlos wiederholt, legt Zion?Train genau dort den Hebel an: Neil nimmt das Ritual ernst, aber er variiert es – und zwar so radikal, dass man am Ende eines Tracks das Gefühl hat, eine vertraute Sprache neu gelernt zu haben. Wer wissen will, wohin sich Dub jenseits der gängigen Steppers?Schablonen bewegen kann, findet hier eine faszinierende und überaus leidenschaftliche Antwort.

Bewertung: 5 von 5.

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Ono-Sendai Sound Battles The Root Of All Evil

Schon der große Pablo Picasso wusste: „Gute Künstler kopieren. Große Künstler stehlen“. Oder wie wir Deutschen sagen: „Gut geklaut ist besser als schlecht selbst gemacht“. Der Kreative nennt diesen Prozess „Inspiration“. So ähnlich muss wohl „Ono-Sendai Sound Battles The Root Of All Evil“ entstanden sein. Der in Tilburg (NL) lebende Multiinstrumentalist, über den so gut wie nichts in Erfahrung zu bringen ist, liefert uns hier einen Sound, man könnte auch sagen eine Reminiszenz an längst vergangene Zeiten und verstorbene Helden dieses Genres. Insbesondere an King Tubby, Yabby You, Roots Radics, Lee Perry, Joe Gibbs, Scientist, Errol T und so viele andere, denen wir diese wunderbare Musik verdanken.
Ein kreativer Prozess wie die Entstehung eines so großartigen Albums findet nie im luftleeren Raum statt. Vielmehr ist das Ergebnis dieses Weges die logische Folge einer Verkettung von Eindrücken, die der Künstler sammelt und mit seinen Erfahrungen in Einklang bringt. Wenn man zum Beispiel ganz normal Musik hört, werden diese Eindrücke als unbewusste Wahrnehmungen im Gehirn abgespeichert. Kreative Menschen wie Ono-Sendai Sound scheinen diese Dinge aufzusammeln, wie ein Eichhörnchen, das Nüsse hortet, um sie dann abzurufen, wenn sie gebraucht werden.
Aber viel wichtiger ist natürlich die bewusste Inspiration durch aktives Beobachten und Zuhören weit über den eigenen Tellerrand hinaus. So oder so ähnlich muss Ono-Sendai Sound vorgegangen sein. Für „Battles The Root Of All Evil“ hat er sich einige Reggae-Klassiker von Johnny Clarke, Peter Tosh, Eek-A-Mouse, John Holt, Gregory Isaacs und anderen vorgenommen und daraus ein zeitgemäßes, packendes Dub-Album gemacht. Die Riddims sind nach wie vor unübertroffen und die Textsamples untermalen diesen atemberaubenden Mix. Hall getränkte Percussions bahnen sich ihren Weg durch einen dichten Schleier aus Echos und Hall. Selbstverständlich bilden auch hier Bass und Schlagzeug das Rückgrat dieser detailverliebten Produktion. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf jeden einzelnen Track speziell eingehen, denn für mich zählt der Gesamteindruck des knapp 35-minütigen Albums, das es in diesem noch jungen Jahr bereits in meine engere Auswahl für die Jahresbestenliste geschafft hat.
Abschließend muss ich doch noch einen Track erwähnen, „Rich Mans Curse Dub“, weil er mich mit diesem permanent bedrohlichen Geräusch eines kreisenden Hubschraubers irgendwo fesselt und gleichzeitig schlimme Erinnerungen an die Berichterstattung über den Vietnamkrieg weckt. Eine eindringlichere Version von „Police in Helicopter“ habe ich bislang noch nicht gehört.

Bewertung: 5 von 5.
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The Skatalites: Herb Dub – Collie Dub

Obwohl die Original Skatalites mit dem Posaunisten Don Drummond nur von Mai 1964 bis August 1965 existierten, nehmen sie einen fast mystischen Platz in der vielfältigen Musikgeschichte Jamaikas ein.
Zehn Jahre nach dem Tod Don Drummonds und dem traurigen Ende der Skatalites trommelte der Bassist Lloyd Brevett einige seiner ehemaligen Bandkollegen zu einer Reunion zusammen. Produziert wurden die Sessions von Lloyd Brevett und Glen Darby, der bereits mit 14 Jahren für Coxsone Dodd bei Studio One sang und Mitglied der Scorchers war. Der harte Kern der legendären Skatalites bildete die Kernbesetzung für dieses Projekt: Lloyd Brevett, Lester Sterling, Rolando Alphonso, Tommy McCook und Jackie Mittoo. Doch damit nicht genug, auch die besten Studiomusiker der Zeit wie Horsemouth Wallace, Benbow Creary, Augustus Pablo, Chinna Smith, Ernest Ranglin waren mit von der Partie, und Don Drummonds Posaune wurde durch Vin Gordon ersetzt. Aber der größte Coup war meiner Meinung nach das Hinzufügen der Sons Of Negus Nyahbinghi Dummer Bongo T, I-Marts und Sidney Wolf. Lloyd Brevett wollte einen Sound, wie er ihn als Jugendlicher bei den Grounations in den Rasta Camps von Wareika Hills und Bull Bay erlebt hatte, denn diese Chanting und Reasoning Sessions waren sowohl musikalisch als auch mental prägend für ihn.
Lloyd entwickelte für die bevorstehenden Studio-Sessions die Melodien und Rhythmen zusammen mit Tommy McCook während einiger Jam-Sessions in seinem Haus in der Henderson Avenue, Waltham Park Road. An den Sessions sollen bereits die Nyahbinghi Drummer teilgenommen haben.
Danach ging es zuerst ins Black Ark Studio, wo drei Titel des Albums aufgenommen wurden. Brevett erinnert sich, dass er, McCook und die Nyahbinghi Drummer von Benbow Creary, Augustus Pablo und Chinna Smith begleitet wurden. Die restlichen fünf Stücke des Albums wurden im Aquarius Studio von Herman Chin Loy aufgenommen. Im Aquarius wurde die Liste der Musiker um Rolando Alphonso, Lester Sterling und Johnny Moore erweitert. Ernest Ranglin ersetzte Chinna Smith, und Benbow wurde durch Leroy „Horsemouth“ Wallace ersetzt. Das Album wurde 1976 mit dem Titel „The legendary Skatalites“ veröffentlicht. Spätere Ausgaben hießen schlicht „African Roots“. Einige Zeit später erschien in England die Dub-Version des Albums unter dem Titel „The Skatalites: Herb Dub – Collie Dub“ in einer Miniauflage von 200 Stück. Die im Black Ark produzierten Bänder waren zu King Tubby in die Dromilly Avenue, Kingston 11, gebracht worden, der daraus drei fantastische Dubs machte. Bei den im Aquarius Studio aufgenommenen Instrumentalspuren schlug Lloyd Brevett vor, die Dubs direkt von Herman Chin Loy abmischen zu lassen. Doch Clive Hunt bestand darauf, dass die Abmischung zwischen ihm und Karl Pitterson aufgeteilt wurde. Obwohl das Album in zwei grundverschiedenen Studios aufgenommen wurde, ist der Sound homogen, komplex, tiefgründig und von höchster musikalischer Qualität. Glen Darby erinnert sich, dass es für die Musiker, die an diesem Album beteiligt waren, immer mehr als nur eine weitere Aufnahmesession war. „Sie haben es nicht wirklich wegen des Geldes getan. Sie wollten die Band, die Skatalites, wiederbeleben.“ Es wurde ein Reunion-Album, denn drei Jahre später waren die Skatalites wieder auf Tour. Auf jeden Fall klangen die Aufnahmen der Skatalites weder vorher noch nachher so wie auf diesem Album. Das ist kein Ska, das ist echter Nyahbinghi Roots Reggae Dub von seltener Qualität, wunderbar gespielt und abgemischt. Ein essenzielles Album, das von LB Records/Studio 16 endlich wieder auf Vinyl veröffentlicht wird und unbedingt in jede Sammlung gehört.

Bewertung: 5 von 5.

Zur Info: Da ich die Neuveröffentlichung von 2024 auf keiner Streaming-Plattform finden konnte, musste ich leider auf die Compilation der Veröffentlichung von 2001 zurückgreifen, was aber meiner Meinung nach nicht weiter tragisch ist, denn darauf wird noch weit mehr geboten.

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Hornsman Coyote Meets House of Riddim: Madman Slide

Was für ein schönes Album: Hornsman Coyote Meets House of Riddim, „Madman Slide“ (House of Riddim)! Eines der beeindruckendsten Werke, die ich in den letzten Wochen gehört habe. Die Rhythms sind satt, dynamisch, voller Wärme und Emotion – und dazu dieses beeindruckende Lead-Instrument: die Posaune. Sie klingt einfach majestätisch. Wahrscheinlich liegt es an ihrer dunklen Klangfarbe und dem relativ hohen Tieftonanteil im Vergleich zur Trompete, dass sie so warm, entspannt und souverän klingt – genau das, was perfekt zu Dub passt. Kein Wunder, dass auch die Band Message jüngst die Posaune als Lead-Instrument einsetzte. Hornsman Coyote zeigt uns, wie vielseitig das Instrument sein kann: mal sanft und groovend, mal energetisch und treibend. Manchmal umschmeichelt sie den Rhythmus, manchmal klingt sie wie die Posaunen von Jericho. Sieben Tage lang Posaunenspiel lässt die stärksten Mauern einstürzen – so behauptet es die Bibel. Hornsman spielt die Posaune 11 Tracks lang, was sich auf 43 Minuten addiert, bei der richtigen Lautstärke aber auch Wände wackeln lässt. Wichtig: Wer bei „Instrumentalalbum“ und „Posaune“ an Dean Frasers Saxophon-Exkursionen denkt, braucht hier keine Angst zu haben. Anders als bei Fraser, wo das Saxophon oft etwas isoliert über den Rhythms schwebt, interagiert Hornsmans Posaunenspiel harmonisch mit den Backings, ist darin geradezu eingebettet und verbindet sich organisch mit den Rhythms, ohne je aufdringlich zu wirken. Dazu wendet Hornsman einen cleveren Trick an: Er spielt die Posaune häufig auf zwei Spuren, die im Mix übereinander gelegt werden, was das Instrument weicher und sanfter klingen und es noch stärker mit den Rhythms verschmelzen lässt. Aber all das wäre nur halb so beeindruckend ohne die grandiosen Backings von House of Riddim. Diese österreichische Band gehört wirklich zu den Besten – ihre Produktionen sind handwerklich meisterhaft und zeigen, wie gut Reggae und Dub klingen kann.

Bewertung: 5 von 5.
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Lollypop Lorry: Goes Dub

Jekaterinburg ist mit 1,5 Millionen Einwohnern die viertgrößte Stadt Russlands. Benannt nach der Zarin Katharina I. und der Schutzpatronin der Bergleute, der heiligen Katharina, liegt sie an der Transsibirischen Eisenbahn und bildet die imaginäre Grenze zwischen Europa und Asien.
Ausgerechnet aus dieser für uns ziemlich abgelegenen Ural-Region kommt die 2008 gegründete Ska-Band Lollypop Lorry. Das Logo der Band zeigt den Lollypop Lorry – einen UAZ 452 Buchanka, die russische Antwort auf den Wolfsburger Bus & Lieferwagen (Bulli).


Die Erstveröffentlichung von Lollypop Lorry: Goes Dub (Jump Up! Records) im Jahr 2020 hat der Dubblog ebenso wie die Wiederveröffentlichung im Jahr 2022 komplett verschlafen. Aber besser spät als nie stelle ich euch dieses Album, das zwischen August 2018 und Oktober 2019 entstanden ist, kurz vor. Ein Album, das bei mir aktuell wirklich angesagt ist. Von den neun Titeln sind gleich acht Jazzstandards, die das Ska, Reggae/Dub & Latin Jazz Ensemble kongenial für unsere Ohren tiefer gelegt hat. Gemixt wurde das Album von Victor Rice in seinem Studio Copan in São Paulo. Die Dubs stammen von Ivan Gogolin, der das Album zusammen mit Maxim Koryagin produziert hat. Die beiden Musiker sind auch für die Arrangements verantwortlich, die sehr abwechslungsreich daher kommen. Den Anfang macht ein Miles-Davis-Standard, gefolgt von „Dizzy Dub“ nach einer musikalischen Vorlage des Trompeters Dizzy Gillespie. Das Schönste daran ist, dass die Band die Bassline von Aston Barrett aus „Lively Up Yourself“ nahtlos eingebaut hat. Einfach magisch! John Coltranes „Blue Train“ wird mit einer Reminiszenz an „Love Supreme“ zum „Dub >7< Train“. Das absolute Highlight des Albums ist für mich „Take Faya“, wo wir neben dem alten Dave Brubeck/Paul Desmond Klassiker „Take Five“ auch „Dub Fire“ von Aswads: A New Chapter of Dub zu hören bekommen. Was soll ich noch viel sagen? Sowohl die Basslines als auch die Dubs gefallen mir auf ganzer Linie – kurzum ein tolles Album, das ich viel zu spät entdeckt habe.

Bewertung: 5 von 5.