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Jah Shaka Meets Aswad in Addis Ababa Studio

Unglaublich: Jah Shaka alias „The Zulu Warrior“, einer der rätselhaftesten Künstler, Produzenten und Pioniere des Reggae und Dub, die Speerspitze der Londoner Soundsystemkultur ist tot. Er starb (vermutlich) am 12.04.2023. Sein präzises Alter und die Todesursache wurden nicht bekannt gegeben.
Jah Shaka von dem noch nicht einmal sein bürgerlicher Name bekannt ist, war bereits zu Lebzeiten eine Ikone. Geboren wurde er in Chapleton, der Clarendon Parish auf Jamaika. Noch als Kind kam er 1956 mit seinen Eltern als Teil der Windrush-Generation nach London. Für ihn und seine Zeitgenossen waren Musik schon immer ein wichtiges Werkzeug, um die feindliche, rassistische Umgebung zu kompensieren, in der sie sich befanden. Mit ein paar Schulfreunden gründete er 1962 eine Reggae-Band. Ende der 1960er trat er dem lokalen Soundsystem Freddie Cloudburst bei, das ihn zur Musikindustrie führte.

Von der Rastafari- und der US-Bürgerrechts-Bewegung inspiriert, gründete Jah Shaka kurze Zeit später sein eigenes Soundsystem. Ein Schlüsselmoment war, als er 1976 bei einem Clash gegen Lloyd Coxsone antrat, eines der zu der Zeit angesagtesten Soundsystems in England. Es endete damit, dass Coxsone einsehen musste, dass er verloren hatte und den Dance abbrach. Das Jah Shaka-Soundsystem war wenige Jahre nach seiner Gründung das angesehenste Soundsystem außerhalb Jamaikas. Später zeigten sich auf Jah Shakas Dances regelmäßig bekannte Persönlichkeiten der Londoner Reggae-Szene, wie etwa Earl Sixteen oder auch Yabby You.

Ende der 1970er startete Shaka ein eigenes Label, auf dem er seit Anfang der 1980er Jahre eigene Produktionen veröffentlichte, wie die „Commandments of Dub“ Serie. Es entstanden im Laufe der Zeit auch mehrere Kollaborationen mit namhaften britischen Künstlern, wie Aswad und Mad Professor, die aber teilweise auf anderen Labels erschienen. Hinzu kamen auch Aufnahmen mit Horace Andy, Max Romeo und den Twinkle Brothers. Mehrmals reiste er nach Jamaika und produzierte dort in King Tubby’s legendärem Studio in Waterhouse oder im Music Works Studio von Gussie Clarke u. a. mit Veteranen wie Willie Williams und Max Romeo, aber auch mit jungen Musikern wie Icho Candy.

In den 1980ern war Jah Shaka eigentlich abseits des Mainstreams, denn der Trend ging zu digitalen Sounds und Slackness. Während sein Soundsystem mit einem einzelnen Plattenspieler neben dem Mischpult antrat, hielt Shaka als Rastafari an seinem „Roots and Culture“-Programm unbeirrt fest. Neben sozialkritischen Anliegen griff er schon immer vor allem spirituelle Themen der Rasta-Kultur auf, begleitet von donnerndem Bass und monoton-hypnotischen Sounds, mit denen er sein Publikum in Trance-ähnliche Zustände versetzte. Seine Dances entwickelten von Anfang an eine mystische Atmosphäre, die dem Publikum oftmals mehr religiösen oder politischen Veranstaltungen zu gleichen schienen, als gewöhnlichen Party-Veranstaltungen. Jah Shakas Verständnis der Musik war immer spiritueller Art.

Viele britische Dub-Künstler wurden durch Jah Shaka inspiriert, wie beispielsweise die Disciples, aber auch die Slits. Insgesamt entwickelte Jah Shaka einen großen musikalischen Einfluss auf den gesamten britischen Dub und ganz speziell auch auf die Entwicklung von Jungle und Drum & Bass.

Bei einem Hausbrand im Jahr 2000 wurde Shaka schwer verletzt und war lange Zeit außer Gefecht gesetzt. Danach setzte er – stark wie immer – seine Liveauftritte wieder fort und tourte regelmäßig in Großbritannien und gelegentlich andernorts in Europa, den USA oder Japan.

Jah Shaka unterstützte in Jamaika und Ghana verschiedene Sozialprojekte, wie Schulen, Krankenhäuser und Fußball-Jugendmannschaften und war bis zu seinem Tod aktiv. Gerade noch vor ein paar Tagen hat er seine Tourdaten für dieses Jahr bekannt gegeben. Er wollte in ein paar Londoner Clubs und Musikfestivals in Großbritannien auftreten. Darüber hinaus wollte er für seine vielen japanischen Fans durch Japan touren.

Eigentlich wollte ich noch kurz die „Commantments of Dub Chapter Two“ (Jah Shaka Music) besprechen. Da haben mir dann die einschlägigen Streaming-Dienste einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Dennoch bin ich mir sehr sicher, dass auch „Jah Shaka meets Aswad in Addis Ababa Studio“ (Jah Shaka Music) ein erstklassiges Album ist, welches auch euren Nerv trifft. Dieses Set wurde 1985 veröffentlicht, im selben Jahr, in dem der computergesteuerte „Sleng Teng“ Riddim eines Prince Jammy über Jamaika fegte und danach im Reggae nichts mehr so war wie zuvor. In England war „Jah Shaka meets Aswad“ ein Riesenerfolg und schaffte es in die britischen Reggae-Charts.
Dieses 7-Track-Album, mit gerade einmal knapp 30 Minuten Spiellänge, wurde von Aswad eingespielt und komponiert. Produziert, arrangiert und abgemischt wurde es von Jah Shaka. Geniale 30 Minuten Magie, die Aswad vor ihrer Pop-Reggae-Ära in Spitzenform präsentieren. Von „Addis Ababa“ bis hin zu „Shaka Special“ oder „Rockers Delight“ sind es die Kompositionen, die auf monotonen, mächtigen Bass-Lines, Drums und Keyboards basieren, welche die Stärke dieses Albums und ganz besonders Jah Shakas ureigenen Sound ausmachen. Jeder Track nimmt dich mit. Der „Drum Dub“ ist eine Version des Studio One Klassikers „Drum Song“, im Original von Jackie Mittoo, und das „Aswad Special“ ist Augustus Pablos „Cassava Piece“, welches als „King Tubby meets Rockers uptown“ noch viel bekannter ist.

Jah Shaka, du Magier am Mischpult, du soziokultureller Basisarbeiter und kreativer Echokämmerer, ruhe in Frieden.

Bewertung: 5 von 5.
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Studio One Space-Age Dub Special

An diesen Dubs kommt niemand vorbei: Studio One Space-Age Dub Special (Soul Jazz). Hier sind sie alle zu hören, die schönen, nie alternden Studio One-Rhythms – und zwar in Reinform, ohne Gesang. Und vor allen in brillanter Qualität! Ich denke da nur an meine alten Vinyl-Releases: Unfassbar schlechte JA-Pressungen in weißen Covern – nicht gerade Ausdruck von Wertschätzung auf Seiten des Produzenten. Aber die Leute Soul Jazz sind anders drauf. Sie sind echte Sound-Nerds, die das Coxsone-Erbe sorgfältig bewahren und pflegen. Sie haben die Dubs von den Originalbändern remastert, auf ein fettes Album gepackt und mit einem wundervollen Cover versehen, das Clement Dodd im Space-Orbit zeigt. Ein Bild übrigens, das von Lone Rangers Studio One-Album „Badda Dan Dem“ von 1982 inspiriert wurde, auf dessen Cover Sir Coxsone am Steuer eines Raumschiffs im Weltraum zu sehen ist.

Die meisten dieser Tracks stammen aus der lange vergriffener Reihe von Studio One-Dub-Alben, die zwischen 1974 und 1980 veröffentlicht wurden, darunter „Zodiac Sounds“, „Ital Sounds and System“, „Roots Dub“, „Dub Store Special“, „Juks Incorporation“ und andere. Viele dieser klassischen Alben wurden ursprünglich nur in Jamaika in kleinen Auflagen mit speziellen Siebdruck-Hüllen veröffentlicht, alle mit absoluten Minimaldesigns, die heute als Vintage-Vinyl bis zu 100 Britische Pfund kosten.

Den Credit für die Dubs gelten einem fiktiven „Dub Specialist“, hinter dem sich tatsächlich Studio One-Sound-Engineer Sylvan Morris verbergen dürfte. Er, sein Produzent und die genialen Musiker haben viele der besten Aufnahmen geschaffen, die das Genre Reggae vorzuweisen hat. Sie sind hier als zeitlos schöne Dubs zu genießen.

Bewertung: 5 von 5.
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Benjammin: Sons & Daughters Showcase

Ganz einfach ausgedrückt, ist der Baske Roberto Sanchez derzeit einer der besten Produzenten, den Reggae bzw. Dub zu bieten hat. Wer daran zweifelt, dass dem so ist, sollte sich einfach seinen Output anhören. Auch die aktuellen Showcase-Alben des Mannes von der Nordküste Spaniens zeigen, dass der Musiker, Sänger und Produzent seit über 25 Jahren auf allerhöchstem technischem Niveau arbeitet. Aber nicht nur die neuesten Werke aus dem A-Lone Ark Muzik Studio sind fantastisch, auch das vom Dubblog sträflich übergangene „Benjammin: Sons & Daughters Showcase“ (A-Lone Productions) gehört unbedingt in diese Kategorie. Das vor bereits fünf Jahren veröffentlichte Debütalbum des enigmatischen Reggae-Künstlers Benjammin aka Benedict Stobart zieht mich ganz besonders in seinen Bann. Der in England geborene Bejammin lebt seit über zwanzig Jahren im sonnigen Spanien und bewegt sich seit vielen Jahren in Roberto Sanchez’ Umfeld. Auf dem 2018 veröffentlichten „Sons & Daughters Showcase“ Vinyl-Album, finden sich sechs Gesangs-Tracks auf Seite A und sechs Dubs auf Seite B. Der Gesang erinnert an den legendären Burning Spear und/oder auch teilweise an Daweh Congo. Beim ersten Titel des Albums „Be Yourself“, der mit wunderschöner Posaune beginnt, dachte ich zuerst, ich hätte einen Hörschaden. Es kam mir immer wieder Winston Rodney aka Burning Spear in den Sinn. Bejammin hat sich Burning Spears Intonation meisterlich angeeignet. Dennoch klingt das Album keinesfalls wie ein billiges Plagiat. Die musikalische Unterstützung der Lone Ark Riddim Force ergänzt Benjammin perfekt. Was mich bei „Sons & Daughters“ vor allem mitreißt, sind die hervorragend gefertigten Riddims und die inspiriert klingenden Dubs, die das Album zu einem echten Sahnestück machen.
Die Dubs sind wunderbar mit Benjammin-Gesangsschnipseln durchsetzt. Den erstaunlichsten Track auf dem Album, mein Primus inter pares, liefert Roberto Sanchez aber mit dem perryesken „Everywhere Festival Dub“. Der Track klingt tatsächlich, als hätte ihm sein erklärtes Vorbild Lee Scratch Perry über die Schultern geschaut. Ein unglaublich inspirierter Dub. Meines Erachtens das eindrucksvollste Stück auf „Sons & Daughters Showcase“ überhaupt. Insgesamt gesehen, ist das vorliegende Album ein wahrer Leckerbissen und das nicht nur für Dub-Ohren.
Fazit: Das sind modern Roots vom Feinsten. Einfach brillant!

Bewertung: 5 von 5.
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Soul Revivers: Grove Dub

Ein neuer Name mit altbekannten Protagonisten aus dem Sound-System-Dub-Umfeld der West-Londoner Nachbarschaft von Ladbroke Grove und Notting Hill. Hier entstand in den späten 70ern das Coverfoto, hier hat Nick Manasseh sein Studio The Yard, wo er zusammen mit David Hill die Soul Revivers ins Leben gerufen hat. Beide sind eher dem linken Flügel der jamaikanischen Musik zugetan und lieben die Roots der 70er Jahre. Der eine war Steppaz-Influencer der ersten Stunde und hat mit Sound Iration gespielt, der andere wurde nach seiner Zeit bei den Ballistic Brothers Berater für Label wie Soul Jazz oder Auralux. Mit Musikern der lokalen Jazz- und Reggae-Szene produzierten Manasseh und Hill im Yard das Album „On The Grove“, eine Kollektion von Vocal- und Instrumental-Tunes. Daran beteiligt unter anderen der Gitarrist und Gründer der Band Galliano und der Ruff Cut Drummer Adrian McKenzie, dessen filigran-virtuoses Spiel in dem Retro & Roots Set die stilistische Brücke zur Gegenwart baut. Die Hälfte der Songs sind jazzig angehauchte Instrumentals, zwei davon dienen dem Gitarristen Ernest Ranglin als Vorlage für Improvisationen. Ein opulenter Bläsersatz ist mit Veteranen wie Henry Tenyue, der schon auf Aswads „Live & Direct“ dabei war, und jungen Stars der Szene besetzt. Darunter die Trompeterin Sheila Maurice-Grey, deren Afro-Jazz-Band Kokoroko derzeit in London alles abräumt. Sie spielt das Solo auf der Instrumental-Version zu Earl 16s „Where The River“. Die Vocaltunes stammen durchweg von prominenten Artists. Earl 16 hat noch einen zweiten Tune, basierend auf seinem 1976 für Augustus Pablo aufgenommen Song „Changing World“. Der Song erlebt hier seine Auferstehung als „Got To Live“ und ist jetzt gesegnet mit einem Bläserthema für die Ewigkeit. Der 1997 verstorbene jamaikanische Sänger Devon Russel, den Manasseh noch kurz vor dessen Tod aufgenommen hat, singt Curtis Mayfields „Underground“. Das alte Studio One Playback „Tripe Girl“ der Heptones  wird aufgefrischt für einen neuen Song der Soul-Sängerin Alexia Coley. Und Ken Boothe steuert einen Tune bei, über den David Rodigan sagt: „Glaubt mir, mit der Zeit wird ‚Tell Me Why‘ als einer seiner größten Tracks angesehen werden.“ Es war klar, dieses Album brauchte ein Dub-Pendant. Und es war ebenso klar, dass die Dubs analog am Mischpult entstehen mussten. „In Zeiten in denen Musik komplett am Computer entsteht“ sagt Nick Manasseh, „bleibt das Mischen von Dub ein Bereich, in dem Old School Mischpulte sowie Filter-, Hall- und Echogeräte unersetzlich sind für das organische Gefühl von Dub.“ Dort wo die Aufnahmen von „On The Grove“ entstanden, hat Manasseh auch „Grove Dub“ gemischt. Von der Musik hinter den Gesängen schuf er filigrane, zu keinem Zeitpunkt grobschlächtige Mixe, über die sich ein Netz malerischer Echos spannt. Schon der Auftakt „Meanwhile Dub“ zelebriert die Dubkunst als dynamisches Wechselspiel zwischen Offbeat, Posaunen-Fills und Drum’n’Bass-Parts. Der dezente Charme des unaufdringlichen Openers setzt sich fort in den weiteren Titeln, bei denen die ursprünglichen Sänger und Instrumentalisten nur noch Farbtupfer liefern. Am Computer wäre etwas anderes entstanden, da ist sich Manasseh sicher, seine Mixe stehen für den Augenblick in dem sie passieren: „Dub ist spontan. Du entscheidest on the fly und es dauert genauso lange wie der Tune läuft. Drei Minuten dreißig und du hast einen Dub.“ Die Veröffentlichung beider Alben auf dem renommierten Acid Jazz Label zeigt den hohen Stellenwert beider Platten, die vom NuJazz-Hype Londons genauso geprägt sind wie von den goldenen Jahren der Dread & Roots Ära.

Bewertung: 5 von 5.
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Joe Yorke: Noise and Emptiness

Schon klar, Falsetto ist nicht jedermanns Sache. In meinen Playlists findet sich gerade auch deswegen kein einziger Cedric Myton-Track, geschweige denn eines seiner Alben. Anders verhält es sich mit Falsetto-Backing Vocals in der Machart der frühen Aswad-, Steel Pulse- oder Tamlins-Aufnahmen – da passt’s einfach, da wurde harmonischer und ton-sicherer Kopfstimmen-Gesang abgeliefert. Siehe „Baltimore“ – was wäre der Track ohne diese Harmonies?

Auch Joe Yorke’s Debut „Noise and Emptiness“ (Rhythm Steady) liefert mitunter astreinen, treffsicheren Falsetto ab – sowohl als Lead- als auch als wunderbar gelungene Backing-Vocals. Nun sind wir aber das dubblog.de und Stimmen interessieren uns nur peripher; deshalb sei zur Entwarnung darauf hingewiesen, dass das Album mit dubbigen Instrumentals durchsetzt ist. Die Mischung macht’s aus; sie befreit den Release prophylaktisch von der gefürchteten Falsetto-Überdosis. Zweifellos tragen Yorke’s weit gestreute Tätigkeiten als Sänger, Produzent und Komponist zum Erfolg der Produktion bei; auch die eine oder andere Kollaboration mit mid-range Vokalisten wird ihren Anteil daran haben.

Es weht also frischer Wind von England gen die internationale Reggae-Community, was sich vor allem an der hervorragenden Produktion zeigt – alles sauber und vor allem nicht überbordend arrangiert. Das gibt der mitunter fast schon kargen Instrumentierung Raum zum atmen – ähnlich wie wir es aus dem knochentrockenen Rub-a-Dub der frühen 1980er kennen. Und ja, auch hier gibt’s fetten Bass zu hören:

Freilich ist „Noise and Emptiness“ ein Angebot, auf dass sich der werte Dub-Connaisseur erst einlassen muss – auch bei mir war es nicht Liebe auf den ersten Blick. Aber: Die Tunes haben enormes Wachstumspotential und krallten sich im Hörgang des Rezensenten fest. Und so kommt es, dass das Album zu meinen persönlichen Favoriten des Jahres zählt und eine fette Empfehlung wert ist.

Bewertung: 5 von 5.
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Horace Andy: Midnight Scorchers

Adrian Sherwood.

…und fertig! Manchmal braucht’s tatsächlich nur zwei Worte und eine aussagekräftige Rezension hat sich quasi selbst geschrieben – zumindest für die gut informierte dubblog.de-Gemeinde. Über Herrn Sherwood, sein On-U Sound-Label und das von ihm produzierte Oeuvre – von Creation Rebel, New Age Steppers über African Headcharge, Singers & Players bis hin zum Dub Syndicate; zu Lee Perry, Bim Sherman und vielen anderen – braucht man wohl keine großen Worte mehr zu verlieren. It’s On-U Sound, man!

Doyen Sherwood selbst hat in seiner mehr als 30-jährigen Produzenten-Geschichte niemals an Relevanz eingebüßt – gut, manchmal hat er sich in etwas obskurere Gefielde begeben (etwa seine Zusammenarbeit mit Pinch), aber allein seine Produktionen mit dem Dub Syndicate und/oder Lee Perry zeigten wie sehr er am Puls der Zeit und darüber hinaus arbeitet. Wer erinnert sich nicht an Perry’s epochalen „Rainford„-Release und seinem nicht minder zu wertenden Counterpart „Heavy Rain„?

Jetzt haben wir wieder ein feines Doppel-Pack vor uns: Das bereits vor wenigen Monaten erschienene Horace Andy-Album „Midnight Rocker“ und sein eben herausgekommener Counterpart „Midnight Scorchers„. Ersteres überrascht durch einen für Sherwood-Verhältnisse recht klassischen Sound mit einem Horace Andy in Bestform; zweiteres mit, nun ja, Neuinterpretationen. So ein richtiges Sherwood-Treatment geht weit über Dub-Grenzen hinaus, kehrt das Innerste nach außen, läßt im Vocal-Mix Verschüttetes glänzen, fügt Instrumente und Vocals (Daddy Freddy, Lone Ranger) hinzu, blendet im Gegenzug Spuren aus und fettet das Gesamte soundmäßig dem Original gegenüber gewaltig auf. Alles Gründe, warum mir der Begriff „Dub Album“ zu wenig weit greift und ich das umfassendere „Counterpart“ für angebrachter halte.

Letztlich nur noch die Hard Facts: „Midnight Scorchers“ enthält sieben alternative Versionen von „Midnight Rocker“-Tracks plus drei neue Stücke, allesamt versehen mit dem tonnenschweren On-U Sound-Gütesiegel. Adrian Sherwood eben… und fertig!

Bewertung: 5 von 5.

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Death by Dub: Abundance

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber Instrumentals oder Dubs unter Blechbläserführung scheinen 2022 absolut im Trend zu liegen. Ich bin sehr glücklich darüber, denn schon immer haben mir die Bläsersätze im Reggae gut gefallen. So gut, dass ich stets bedauerte, dass die Produktionen den Bläser-Sektionen oft nur so wenig Platz in den Stücken einräumen. Dass sie dann im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung Keyboard-Fake-Bläsern zum Opfer gefallen sind, gehört zu den dunklen Kapiteln der Reggae-Geschichte. Aber nun scheint ja die Zeit für Entschädigung angebrochen zu sein: Youthie, Dub Vallila, The Super 20 und nun noch: Death by Dub mit dem Album „Abundance“ (Color Red). Zur Zeit bläst es aus allen Richtungen. Beeinflusst von den üblichen Verdächtigen, Perry und Tubby und natürlich Tommy McCook und Rico Rodriguez, haben Dan Africano und Scott Flynn eine Band gegründet, die sich vollkommen Dub und Blechbläsern verschrieben hat. Dan Africano und Scott Flynn sind alt gediente Reggae-Musiker und haben (genau wie Lee Hamilton und Craig Welsch von The Super 20) ihre Reggae-Lehre bei John Brown’s Body absolviert. Um 2018 machten die beiden sich selbständig, zogen nach Denver, Colorado, und gründeten Death by Dub. Nun legen sie ihr Debutalbum „Abundance“ vor. Wie bei den „Whinds of Wareika“ haben hier eine Vielzahl von Musikern ihre Hände im Spiel. Entsprechend opulent sind die Arrangements. Doch anders als bei den „Whinds“, haben wir es bei „Abundance“ mit echten Dubs zu tun. Der Sound ist tighter und die Beats schwerer. Ich bin hellauf begeistert von diesem Album. Es hält die perfekte Balance zwischen Konzentration und Offenheit. Die Rhythms sind hervorragend produziert und die Bläsermelodien inspiriert komponiert. Hier stimmt eigentlich alles. Zudem ist der Vibe des ganzen Albums so wunderbar positiv und uplifting, dass es einfach nur Freude macht, mit dieser Musik durch den Sommer zu schweben.

Bewertung: 5 von 5.
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Israel Vibration: The Same Song Dub

„And you don’t know what tomorrow’s gonna bring… Life is one big road…“- Cecil „Skelly“ Spence.
Die nächste tragende Säule des klassischen Roots-Reggae ist weggebrochen und hat sich zu den Vorfahren in Richtung Mount Zion aufgemacht. Cecil „Skelly“ Spence von den Israel Vibration ist am 26. August knapp 70-jährig in einer New Yorker Klinik verstorben. Aus diesem traurigen Anlass habe ich mir zum x-ten-Mal die „Israel Vibration: The Same Song Dub“ angehört. Ich sage es gleich: Eine faszinierend schöne Platte, die mich beinahe mein ganzes „Reggae-Leben“ begleitet. Umso härter hat mich Skellys Tod getroffen. Dieser zerbrechliche Mann, dem wir so herrliche Songs wie „The Same Song“, „Why Worry“, „I’ll Go Through“, „Prophet Has Arise“ und viele andere wunderschöne Songs verdanken, ist an den Folgen einer unbehandelbaren Krebserkrankung gestorben.

Kingston, Jamaika war der Geburtsort der Reggae-Harmonie-Gruppe Israel Vibration. Nachdem Anfang der 1950er eine Polio-Epidemie über die Insel gefegt war, erkrankten viele Kinder an Polio. Polio-Impfseren steckten noch in den Kinderschuhen und so erkrankten auch noch sehr viele Kinder auf der ganzen Welt an dieser heimtückischen Krankheit. Ihre erste Begegnung hatten Cecil „Skelly“ Spence, Lascelle „Wiss“ Bulgin und Albert „Apple Gabriel“ Craig schon als Kinder, sie lernten sich in der Mona Rehabilitation Clinic kennen. In den 1970er Jahren gründeten sie das Roots-Reggae-Ensemble „Israel Vibration“.
Nachdem Hugh Booth, ein Mitglied der Twelve Tribes Of Israel, die drei Männer in einem Waldgebiet außerhalb Kingstons singen gehört hatte, sammelte er für die drei Jungs und eröffnete ihnen mit einer Spende die Möglichkeit, ihr erstes Album aufzunehmen. Ihre erste Veröffentlichung war die Single „Why Worry“, die 1976 im Treasure Isle Studio aufgenommen und Ende desselben Jahres auf dem Label der Twelve Tribes veröffentlicht wurde. Aufgrund der Popularität, welche die Gruppe mit der Veröffentlichung der Single erlangte, baten viele jamaikanische Künstler wie Dennis Brown, Inner Circle und auch Bob Marley darum, sie als Vorband bei einem ihrer Konzerte auftreten zu lassen.
Israel Vibration begannen dann mit dem Produzenten Tommy Cowan zusammenzuarbeiten und veröffentlichten 1977 auf dem Top Ranking Label die Single „The Same Song“. Im folgenden Jahr, 1978, veröffentlichten sie das gleichnamige Album. Bei „The Same Song“ wurden sie von Mitgliedern der Inner Circle Band unterstützt. Die Platte und ihr Dub-Pendant „The Same Song Dub“ waren international erfolgreich, was zu einer Partnerschaft mit dem EMI-Label Harvest führte, um das Album in Großbritannien zu veröffentlichen.
Jetzt zum Dub-Album: Am Mischpult saß der relativ unbekannte jamaikanische Singer/Songwriter Paul Donaldson, von dem recht wenig existiert. Aber mit den Alben „The Same Song“ und „The Same Song Dub“ hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt, denn beide Alben sind Sternstunden der Reggae/Dub. Hört euch exemplarisch meinen Lieblingssongs „Ball Of Fire“ aus dem Dubalbum an, dann hört ihr vielleicht, dass solch ein Opus nicht jeden Tag am Reggaehimmel auftaucht. Schlicht ein Meisterwerk voll Traurig- und Zerbrechlichkeit. Skellys durch den Raum schwirrende Stimmfragmente lassen mich immer wieder demütig auf die Knie gehen.
Anmerkung: Es existiert noch eine zweite, komplett andere Abmischung des Albums: „Fatman Riddim Section: Israel Tafari“, das ebenfalls von Tommy Cowan produziert und auf dem Top Ranking Label der Lewis Brüder erschienen ist. Beide Alben verdienen das Prädikat „besonders wertvoll“.

R.I.P. Cecil „Skelly“ Spence, eure Live-Performances bleiben unvergessen.

Bewertung: 5 von 5.
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Burning Spear: Original Living Dub Vol. 1

Hip Hip Hurray, what a happy Day. Burning Spear, the „Master of Roots“ is back. Sein letztes Studio-Album „Jah is real“ ist 2008 erschienen. Danach wurde es ziemlich ruhig um den „Master of Wailing“, denn er zog sich auf sein Altenteil zurück und ging „in Rente“. Endlich hat sich der 77-Jährige umentschieden und tourt wieder. So haben hoffentlich noch viele Menschen die Möglichkeit, ein Konzert von Burning Spear live zu erleben. Die meisten Konzerte, die ich mit Burning Spear gesehen habe, waren mystische Ereignisse. Live haben mich Burning Spear und seine virtuose Burning Band nie enttäuscht.
Aufgrund des freudigen Anlasses habe ich die letzten Tage damit verbracht, mir wieder einmal Burning Spears Werke – und für den Dubblog selbstverständlich bevorzugt die „Living Dubs“ – sehr aufmerksam anzuhören.
Burning Spear veröffentlichte 1978 auf Jamaika seine erste Eigenproduktion „Marcus‘ Children“. Von Island wurde die LP mit dem Titel „Social Living“ veröffentlicht und prompt von vielen als Roots-Meisterwerk gefeiert. Das Album zählt auch heute noch zu Recht zu den besten Reggae-Werken aus dieser Ära.
Kurz nach der Veröffentlichung von „Marcus‘ Children“ brachte Winston Rodney auf Jamaika „Living Dub Vol. 1“, gemixt von Silvan Morris, unter die Leute. Um diesen Original-Mix geht es auch bei der 2003 veröffentlichten „Burning Spear: Original Living Dub Vol. 1“ (Nocturne), die es tatsächlich noch bei den Streamingdiensten zu finden gibt. „Living Dub Volume 1“ in seiner Urfassung ist zweifelsfrei eine Spear‘sche Dub-Explosion. Die dargebotenen Riddims und Grooves sind die reinste Essenz hypnotischer Musik der Marke Burning Spear. Diese unglaublichen Dubs transzendieren den menschlichen Geist in die andere Dimension musikalischer Erfahrung. Da sind sie zu hören, diese unsterblichen Bass- und Drum-Rhythms, diese Echos und Reverbs, mit Spears Gesangsspur, die in den Mix ein- und ausgeblendet wird und vor allem dieser einzigartige Vibe, den nur Burning Spear bieten kann. „(Original) Living Dub Volume 1“ ist definitiv eines der Alben, welches ich auf die einsame Insel mitnähme. Lasst euch verzaubern and keep the Spear burning!

Kurze Anmerkung zur von Barry O’Hare remixten Version: Die 1992er „Living Dub Volume One“ hat eine etwas andere Titelliste als der Original-Mix und ausgerechnet der Rasta-Song „Irie Nyah Keith“ – mein Lieblingssong des Originalalbums – den Spear bereits im Studio One mit dem Titel „Zion Higher“ einsang – fehlt und wurde durch „Run Come Dub“ ersetzt. Außerdem finden wir auf der Veröffentlichung einen zusätzlichen Titel: „Hill Street Dub“. Ok, Sammler brauchen natürlich auch dieses bei Heartbeat erschienene, komplett neu abgemischte Album. Die O’Hare’sche Interpretation ist keineswegs schlecht, klingt aber, bedingt durch seine digitale Reinheit, schon anders. Deshalb werden Reggae Puristen eher „Original Living Dub Vol. 1“ den Vorzug geben.

Bewertung: 5 von 5.
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Paul Fox: Dub Blood

Der Sänger und Produzent Paul Fox aus Winchester UK ist hier im Dubblog ein zu Unrecht fast unbeschriebenes Blatt. Der Roots, Reggae und Dub Künstler veröffentlicht unter eigenem Namen seit 1992 Musik und hat bereits mit vielen bekannten Künstlern und Produzenten zusammengearbeitet. Auf der Liste der Künstler, die mit Paul Fox im Studio waren, finden sich solch illustre Namen wie: Nick Manasseh, Robert Tribulation, Michael Rose, Rod Taylor, Fullness, Dubheart, Jonah Dan, Brother Culture und Alpha & Omega, mit denen Paul Fox auch 2008 in Europa auf Tour war. Stark beeinflusst wurde sein Sound von Jah Shaka, Nick Manasseh, Jah Observer und Aba Shanti. Er war von deren Musik und Vibes so sehr beeindruckt, dass er Ende der 1980er selbst anfing, zu Hause im stillen Kämmerlein mit einem Vierspurgerät zu experimentieren. Mit Julian Ryan, einem Freund und Musiker, der ihn mit Jonah Dan bekannt machte, erfolgten die ersten Studio-Gehversuche in Sachen Reggae und Dub. Der Perkussionist Jonah Dan hatte ein kleines Studio in West London und die drei trafen sich regelmäßig jede Woche, um Roots Reggae einzuspielen und die passenden Dubs daraus zu fertigen. Nachdem sie ein paar Jahre lang zusammen unter dem Projekt-Namen „Shades of Black“ Aufnahmen veröffentlichten, trennten sich Anfang der 2000er ihre Wege und jeder machte sich mit der Gründung eines eigenen Studios selbständig. Mittlerweile wurden über 50 Alben veröffentlicht, auf denen Paul Fox, sei es als Produzent, Soundengineer oder Sänger, in Erscheinung trat.

Bisher habe ich es noch nicht erwähnt, aber Paul Fox schenke ich schon recht lange – auch wegen seiner ungemein angenehmen Stimme – größere Beachtung. Umso mehr war ich selbst erstaunt, dass ich die Veröffentlichung seiner beiden aktuellen Alben „Same Blood“ und „Dub Blood“ aus dem vergangenen Dezember regelrecht verpennt habe. Von allem, was ich bisher von Paul Fox gehört habe, muss „Dub Blood“ zweifellos zu seinen besten Aufnahmen gezählt werden. Pauls weiche Stimme schwebt immer wieder durch den Raum und verflüchtigt sich in melodischen, dubbigen Klanglandschaften. Der Sound erinnert vage an Jah Shaka, aber auch Mad Professor – also englischer Dub par excellence. Ich möchte jetzt nicht jeden Track explizit erwähnen, denn tatsächlich jeder hat seinen ganz besonderen Reiz. Lediglich meinen ganz persönlichen Favoriten möchte ich als Primus inter Pares hervorheben. „Living in a Dub Zone“, das Pendant zu „Warzone Part Two Refugees“ aus dem Song-Album „Same Blood“. Beginnend mit dem feinen Klang einer arabischen Oud oder türkischen Saz und richtig satten Binghi-Drums führt uns im Laufe des Songs die Textzeile: „Still wondering if all of these wars gonna cease – still wondering if I’m ever gonna live to see peace“ und explosionsartigen Kriegsgeräuschen mitten in die aktuelle Situation im Osten Europas sprich Ukraine. Der Kriegsschauplatz könnte natürlich eher die fatale Situation in Syrien widerspiegeln, denn arabeske Klänge finden sich an mehreren Stellen des Albums. Egal, der Song packt mich jedes Mal mit voller Wucht.
Eines möchte ich doch noch erwähnen, dem aufmerksamen Hörer werden auch das herrliche Binghi-Drumming bei „Burning Dub“ und „Soon is the Dub“ nicht entgangen sein. Generell gefallen mir die Percussions auf allen Tracks des Albums außerordentlich gut. „Dub Blood“ nimmt etwa in Mitte des Albums einen musikalischen Wendepunkt, denn der Rest der Tracks klingt ab da leicht symphonisch angehaucht.

Fazit: Schon sehr lange nicht mehr so ein schönes, aktuelles „Roots-Dub-Album“ zu Ohren bekommen. Für meinen Geschmack das bisher beste Album des Jahres 2022.

Bewertung: 5 von 5.