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High Tone Meets Zenzile: Zentone, Chapter 2

Man muss konstatieren: Corona hat auch sein Gutes! Diese beiden (!) Alben, nämlich: High Tone Meets Zenzile – Zentone, Chapter 2 (Jarring Effects). Was für ein fulminantes Dub-Werk! Hervorgegangen aus der deprimierendsten aller Pandemien, fünfzehn Jahre nach dem „Chapter 1“. Offenbar haben die neun Musiker der zwei profiliertesten Dub-Bands Frankreichs es in der Einsamkeit ihrer Homeoffices nicht länger ausgehalten und sich ganz konspirativ für eine Woche in Lyon im Studio eingeschlossen, um – ja unglaublich – von Angesicht zu Angesicht miteinander zu musizieren. Ohne viel Studio-Rocket Science (ganz im Gegensatz zu „Chapter 1“). Statt dessen mit einem einfachen Sound System-Setting, spontan, direkt und improvisiert. Alles, was zählte war der zwischenmenschliche Vibe. Das Ergebnis ist atemberaubend. Zwei Alben voller fantastischer, inspirierter Kompositionen mit insgesamt 22 Tracks, die vor Wärme, Intensität und echter Schönheit nur so strotzen. Katalysator dieser Qualität war offenbar die pure Lust an der persönlichen Begegnung – vielleicht gepaart mit ein paar während der Lockdowns angestauten musikalischen Ideen aller Beteiligten. Substanz statt Effekt lautete das Motto. Alle Tracks wurden live produziert und anschließend auf analogen Konsolen gemixt. Der Sound ist warm, komplex und voller Dynamik. Hier stimmt einfach alles. Und natürlich passt zu solch einem Ansatz die Einbeziehung von Sängern. Ja, tatsächlich! Ich bin eigentlich Dub-Purist, aber hier liefern Nai-Jah, Nazamba, Jolly Joseph und Rod Taylor einen absolut essenziellen Beitrag zur musikalischen Vielfalt, ohne dabei den Dub-Vibe auch nur im Geringsten zu schmälern. Ihre Performances – vor allem Nai-Jahs und Nazambas – sind einfach grandios.

Okay, jetzt muss aber noch die Geschichte mit den zwei Alben aufklärt werden: Zenzile und High Tone haben während ihrer Woche in Lyon insgesamt zehn Rhythms aufgenommen. Zenzile hat sich anschließend alle zehn Stück vorgeköpft, gemixt und zu einem Album zusammen gestellt, das als CD oder Download gekauft werden kann. High Tone hat sich hingegen nur die vier Rhythms vorgenommen, für die ein Sänger aufgenommen wurde und präsentiert sie im Showcase-Style: Vocal-Version, Instrumental-Version, Dub-Version – und kommt so auf zwölf Tracks, die als Doppel-Vinyl angeboten werden (sie könne aber auch als Download erworben werden). Um die Sache jetzt aber schön kompliziert zu machen, gibt es noch eine Streaming-Variante. Diese besteht aus den zehn Zenzile-Mixes sowie den vier Vocal-Versions von High Tone. Alles klar?

Echte Dub-Nerds werden die Mixes natürlich miteinander vergleichen und feststellen, das High Tone traditioneller ans Werk geht und mit seinen Mixes auf den Sound System-Einsatz zielt, während Zenzile zu etwas verspielteren, Sofa-kompatiblen Ansätzen neigt. Ich kann mich aber gar nicht entscheiden, was mir besser gefällt – deshalb höre ich stets beide Alben hintereinander.

Bewertung: 5 von 5.
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Late Night Tales Presents Version Excursion Selected by Don Letts

Wir Dubheads leben in unserer kleinen, hermetischen Dub-Blase und feiern unser very, very special interest Sub-Genre als den Nabel der Welt. Einen Nabel, dessen Existenz 99,999999 Prozent der Menschheit allerdings noch nicht einmal erahnen. Im Vergleich zu Rock, Pop und Hip Hop lebt die Musik, um die wir Zeitlebens kreisen, absolut in Verborgenen. Geradezu zynisch ist diese Unbekanntheit angesichts der Tatsache, dass die Abkömmlinge von Dub, wie z. B. Discomixes, Remixes oder Bass Music, längst Teil des Mainstreams geworden sind. Aber was soll’s? Solange es noch Musiker und Produzenten gibt, die unsere Blase mit Nachschub versorgen, kann es uns ja egal sein, ob die Welt da draußen Notiz von uns nimmt. Und doch … Irgendwie regt sich der Missionar in mir: „Hey Leute, hört euch das hier mal an. Es wird euer Leben verändern!“. Na, ja, man wird träumen dürfen. Aber in der Tat eröffnet sich gerade eine fantastische Chance, zwar nicht dem Mainstream, aber doch musikinteressierten Menschen außerhalb unserer Blase einen Blick auf die Schönheit von Dub zu gewähren: „Late Night Tales Presents Version Excursion Selected by Don Letts“. Late Night Tales ist eine Compilation-Reihe, die seit 2001 Artists und DJs einlädt, tief in ihre persönliche Sammlung einzutauchen und den „ultimate late night mix“ zu kuratieren. Vor 20 Jahren war das ein komplette neues und äußerst beliebtes Konzept. Wir erinnern uns z. B. an die äußerst populäre KJ Kicks-Reihe, oder an die legendären Fabric-Compilations. Was diese CD-Serien damals so interessant machte: Mit aufwändigem Marketing richteten sie sich an ein aufgeschlossenes Musikpublikum und ermöglichten den versammelten Genre-Produktionen eine unvergleichliche Reichweite. Im Spotify-Zeitalter ist das vielleicht nicht mehr ganz so bedeutsam – funktioniert aber immer noch. Deshalb ist es schon etwas ganz Besonderes, wenn eine Serie wie „Late Night Tales“ (laut GQ der „Rolls Royce unter den Serien“) den DJ, Radio-DJ und Filmemacher Don Letts einlädt, ein Dub-Album zu kuratieren.

Wer, wenn nicht Don Letts, wäre der perfekte Mann, um dieses missionarische Crossover anzuführen, steht er doch seit je her für die Mischung diverser Musikkulturen und Dub. “A disciple of sound system, raised on reggae n’ bass culture my go to sound was dub. Besides being spacious and sonically adventurous at the same time, its most appealing aspect was the space it left to put yourself ‘in the mix’ underpinned by Jamaica’s gift to the world – bass. But that’s only half the story as the duality of my existence meant I was also checking what the Caucasian crew were up to not to mention the explosion of black music coming in from the States.“ Erläutert Don Letts seinen musikalischen Hintergrund und fährt fort: „That’s why „Late Night Tales Presents Version Excursion“ crosses time, space and genre, from The Beach Boys to The Beatles, Nina Simone to Marvin Gaye, The Bee Gees to Kool & The Gang, The Clash to Joy Division and beyond. You’d think it impossible to draw a line between ‚em? But not in my world. Fortunately, the ‘cover version’ has played an integral part in the evolution of Jamaican music and dub covers were just a natural extension.”

Was für eine coole Idee! Da Dub – zumindest in Letts Auffassung – Remix bedeutet, offeriert er hier ausschließlich Versions von Songs, die außerhalb des Reggae entstanden sind. Ein starkes Konzept, das nicht nur ästhetisch eine Runde Sache, sondern ideal geeignet ist, ein Mainstream-Publikum außerhalb des Reggae anzusprechen.

Ja, Don Letts ist der Missionar, der ich gerne wäre. Sich seiner Chance bewusst, begnügte er sich zudem keineswegs damit, eine schnöde Titelliste bei Late Night Tales einzureichen, sondern macht aus seiner kleinen Dub-Ausstellung ein richtiges Meisterwerk, indem er das Remix-Prinzip von Dub nicht nur zum Prinzip seiner Auswahl an Cover Versions, sondern auch zum Prinzip seiner Präsentation machte. Deshalb sind 13, seiner 21 Tracks „Exclusives“, also Remixe, bzw. Re-Dubs historischer Produktionen, die von Leuten wie Mad Professor, Scientist oder Dennis Bovell erstellt wurden.

Tja, der Mann ist konzeptverliebt – bin ich aber auch und kann daher seine Late Night Tales Version Excursions nur in den höchsten Tönen loben. Da die ganze Sache mit ordentlichem Budget und viel Marketing und aufgezogen wird, gibt es auch ein unterhaltsames Video, in dem Letts die Kriterien seiner Auswahl erläutert und ein paar Anekdoten zu den einzelnen Titeln zum Besten gibt. Cooler Typ und reichlich eloquent. Ein geborener Ambassador of Dub.

Bewertung: 5 von 5.
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KMFDM: In Dub

Es gibt Musik, die einen im wahrsten Sinne des Wortes aufhorchen lässt. Vor einigen Wochen kam meine Tochter mit der Frage, ob ich „KMFDM: In Dub“ (Metropolis Records) kennen würde; ich müsse mir das Album unbedingt einmal anhören – nach tonnenschweren Sounds von frühestem Kindesalter an, kennt sie ihren „Alten“ zu gut. Und was soll ich euch sagen? Die vor fast exakt einem Jahr veröffentlichte „In Dub“ ist wieder einmal eines dieser Dub-Kuriosa, die mich schon immer in ihren Bann ziehen.

KMFDM wurde 1984 von Sascha „Käpt’n K“ Konietzko als Performance-Kunstprojekt in Hamburg gegründet, verlegte 1991 seinen Sitz nach Chicago und ist seit über 36 Jahren in Sachen Industrial Metal / Industrial Rock erfolgreich unterwegs. Kein geringerer als das ON .U Sound Mastermind Adrian Sherwood, der schon seit Label-Gründung die unendlichen Möglichkeiten der Dub-Musik auslotet, produzierte 1988 das KMFDM Album „Don’t Blow Your Top“ und setzte mit seinem Gemisch aus Industrial, Rock, Dub erneut kreative Maßstäbe.

Zu dem Album selbst erzählt „Käpt’n K“ in einem Interview: „Die Idee, eine Dub-Platte zu machen, braute sich seit einigen Jahren zusammen. Ich hatte bisher einfach nie die Zeit gefunden, mich hinzusetzen und das Projekt anzugehen. Einige meiner frühesten musikalischen Einflüsse waren Dub und Reggae und ich habe das Projekt wirklich Old-School gemacht. Die Demontage der Original-Tracks sowie die Bläser-Arrangements haben mir eine Menge Spaß bereitet. Dabei fand ich heraus, dass Songs mit 125 BPM zu dubben nicht so ideal ist. Es funktionierte am besten mit den langsamen und wirklich schnellen Titeln.“ Das klingt doch schon einmal hochinteressant. Also habe ich mich an das Album gemacht und die Materie vertieft. „Käpt’n K“ hat zwölf Songs, die ihre gesamte Karriere umspannen, neu interpretiert. Bereits nach dem ersten satten Rimshot auf der Snare bei „Dub Light“ wusste ich, dass dies ein Album so ganz nach meinem Geschmack ist. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass sich dieses groovelastige und rockige Ausgangsmaterial derart gekonnt in ein Dubkostüm transferieren lässt. Lucia Cifarelli singt „Everything Old Is New Again“ auf „Real Dub Thing“ und definiert damit perfekt die Kraft von „In Dub“. KMFDM-Hymnen werden neu interpretiert und so mit einem Sammelsurium meditativer Grooves mit fetzigen Gitarrenpassagen, schrillen Hörnern, intensiven Orgelklängen und schweren Basslines garniert, wie auf „A Dub Against War“, „Hau Dub“, „Bumaye“ präsentiert. Bei „Bumaye“ meine ich kurz eine Sequenz mit Nina Hagens Stimme herauszuhören.
Insgesamt ein Album, das vor Ideen nur so strotzt und dennoch Dubheads polarisieren wird. Zitat eines Fans: „Meine Freundin mag Reggae, aber KMFDM nicht so sehr. Jetzt mag sie auch KMFDM“. Für ON .U Sound Addicts der ersten Stunde, ist „KMFDM: In Dub“ eine leichte Übung und der Zugang zu diesen selten gehörten Klängen möglicherweise ein wenig einfacher.

Bewertung: 5 von 5.
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Gladiators: The Time Is Now Discomixes

Die Gladiators gehören zweifelsfrei zum Urgestein der Reggaehistorie und ihre musikalischen Wurzeln lassen sich bis in Clement „Sir Coxsone“ Dodds Studio One zurückverfolgen. Meine erste Begegnung mit deren Musik war erst Mitte der 1970er. Ihr damaliger Produzent Tony Robinson hatte einen Deal in Europa klargemacht und so erschienen die ersten (regulären) Alben der Gladiators bei Virgin Records. Am 15.12.2020 verstarb Albert Griffiths 74-jährig nach langer Krankheit an Parkinson. Der Kopf des Trios mit klassischen Harmonie-Vocals à la Wailers, Culture, Abyssinians, Israel Vibration, Meditations, Mighty Diamands etc. hat das Erscheinen der „Gladiators: The Time Is Now Discomixes“ (Tabou1) noch erlebt und ich kann mir vorstellen, dass er sich sehr über das Endresultat gefreut hat. Dartanyan „GreenLion“ Winston, ein junger amerikanischer Soundtüftler Anfang 30 aus Ohio, hat sich ein paar Titel aus dem beinahe unerschöpflichen Repertoire der Gladiators ausgesucht und wunderbar klassisch anmutende Discomixes geschaffen. Acht Originalsongs werden gekonnt dekonstruiert und mit einer Tonne Energie, Studio- und Mischpult-Zauberei wieder rekonstruiert. Dartanyan „GreenLion“ Winston zieht alle Register und liefert ein wunderbar sprudelndes Klangbad aus Vocals, Echo, Hall und Delay. Meine Highlights, der auf acht Minuten ausgedehnten Titel, sind: „Fussing and Fighting“ – ein Marley Song, bei dem am deutlichsten wird, wie sehr Albert Griffiths‘ Stimme der von Bob Marley ähnelte – und „Dreadlocks your Time is now“ natürlich. Das Album-Cover erweckt den Eindruck, als wäre es unter Einfluss psychoaktiver oder eher noch halluzinogener Stubstanzen in der Hippie-Ära entstanden. Auch wenn ich eine etwas andere Songauswahl getroffen hätte, ist „The Time Is Now Discomixes“ im Nachhinein eine wunderschöne Hommage an die wundervollen Gladiators, die unverdientermaßen immer etwas im Abseits der ganz großen Vocal-Trios standen.

Bewertung: 5 von 5.
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Jallanzo: Dubbin’ It & Luvin’ It

Da heißt es immer, in Jamaika stünde Dub kurz vor dem ableben. Aber dann zuckt der Intensivpatient doch noch immer mal wieder und versetzt alle anwesenden in helle Aufregung. Zuletzt geschehen bei Teflon Zincfences Album „Dub Policy“. Nun geht wieder eine Schockwelle durch die Intensivstation: Jallanzo veröffentlicht mit „Dubbin’ It & Luvin’ It“ ein großartiges Dub-Album made in Jamaica. Jallanzo?? Ich kannte seinen Namen bisher noch nicht, wohl aber seine Musik, denn der Multiinstrumentalist, Songwriter, Sänger und Dub-Produzent spielte noch vor wenigen Jahren bei der Dubtonic Kru, deren Musik ich sehr zu schätzen wusste. Nun also ein Solo-Projekt – und das in Form eines Dub-Albums! Keine Ahnung, wer hier die Tracks eingespielt hat, ob sie Zweitverwertung sind oder von vornherein als Dubs geplant waren. Ich weiß nur: Sie klingen atemberaubend. So crisp, druckvoll und dynamisch, dass sie schon ein Genuss wären, selbst wenn wenn es nicht dieses perfekte Timing, die schönen Melodien, die ausgeklügelten Arrangements und den inspirierten Mix gäbe. Hier stimmt einfach alles – außer das häßliche Cover. Ein Grund, auf das Vinyl zu verzichten. Der Titel des Albums stammt übrigens von einem Zitat Jallanzos: „Music is my life, my life is my music and I am dubbing it and loving it”. Seit er 13 Jahre alt war, verschreibt sich Jallanzo der Musik. Er arbeitet vor allem als Studiomusiker und ist auf den Produktionen vieler namhafter Artists zu hören. Hoffen wir mal, dass wir seine Musik in Zukunft auch ohne Vocals im Vordergrund werden genießen dürfen.

Bewertung: 5 von 5.
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Dub Spencer & Trance Hill: Black Album

Die Zürcher Dub-Combo Dub Spencer & Trance Hill ist im dubblog ein regelmässiger Gast. Ihre Alben heimsen in der Regel 5 von 5 Sternen ein, also die Höchstbewertung. Wenn einen nun ein Bekannter via Twitter auf ein „bislang offiziell unveröffentlichtes, nur einem kleinen Kreis bekannten“ Werk hinweist, das auf Youtube aufgetaucht sei, wird man natürlich hellhörig. Seit September 2020 ist das „Black Album“ dort offenbar online und hat bis dato gut 800 Hörerinnen und Hörer erreicht. Ist also ein Insider-Tipp geblieben und hat dafür umso mehr Fragen aufgeworfen. In der Tat: Was hat es mit diesem „Black Album“ auf sich?

Band-Bassist und -Manager Marcel „Masi“ Stalder bringt auf Anfrage Licht in die Sache. Um den Zeitpunkt von „Riding Strange Horses“ (2010) habe Nicolai Beverungen für sein Plattenlabel Echo Beach – wo auch Dub Spencer & Trance Hill ihre Sachen veröffentlichen – die Idee eines Echo-Beach-Jubiläumsalbums gehabt mit verdubbten Versionen bekannter Songs, zu dem auch die Zürcher einen Beitrag leisten sollten. Weil Stalder und Kollegen damals so viel Spass daran hatten, fremden Songs ein dubbiges Kleid anzuziehen, hatten sie plötzlich rund ein Dutzend Titel eingespielt mit der Idee, diese als eigenes Album zu veröffentlichen. Das Problem: Nicht für alle Lieder lagen die Rechte vor. Deshalb verschwand das Album in der Schublade – mit Ausnahme eines Songs, der es auf das erwähnte, ausschliesslich mit Coverversionen bestückte „Riding Strange Horses“ schaffte: „Enter Sandman“ von Metallica.

Der Rest des „Black Album“ fand auf anderem Weg das Licht der Öffentlichkeit. Zum einen boten es Dub Spencer & Trance Hill ihren Fans nach Konzerten auf selbergebrannten CDs an; es war allerdings eine Kleinstauflage von nur rund 100 Stück. Zum anderen brachte Echo Beach 2017 mit „Return Of The Supervinyl“ eine Best-of der Zürcher Band heraus. Wie es der Name besagt, nur auf Vinyl, dafür mit einem Zückerchen – einem Link auf das offiziell nie erschienene „Black Album“. Weil die Aktivierung des Links nur auf Umwegen möglich war und einiges an Nerven brauchte, die Vinyl-Auflage dazu schnell ausverkauft war, blieb das ominöse Werk weiterhin einem kleinen Kreis Interessierter vorbehalten. Bis es nun, vor mittlerweile fast einem Jahr, auf Youtube geladen wurde. Mutmasslich von einem Fan.

Nachdem die verschlungenen Wege des „Black Album“ damit geklärt wären, steht noch die wichtigste Frage im Raum: Lohnt es sich, den darauf enthaltenen zehn Songs ein Ohr zu leihen? Unbedingt – wenn man auf verdubbte Coverversionen steht! Marcel Stalder erklärt mit einem Lachen, jedes Bandmitglied habe seine „Jugendsünden“, seine „musikalischen Hasslieben“ eingebracht. Was Dub Spencer & Trance Hill daraus gemacht haben, ist – einmal mehr – schlicht grossartig. Selbst „The Final Countdown“ von Europe (das Original bereitet mir persönlich schier körperliche Schmerzen) ist ein Erlebnis. Im Gegensatz zu „Riding Strange Horses“ fehlen auf dem „Black Album“ allerdings die ursprünglichen Stimmen. Macht aber gar nichts. Wohl nur so konnte „I Feel Good“ von James Brown derart spooky und düster geraten. Mehr sei nicht verraten, ausser dass man sich solche Jugendsünden sehr gerne gefallen lässt. Das Album reiht sich nahtlos ins Frühwerk von Dub Spencer & Trance Hill ein. Dass sich der Schreibende eine nachträgliche offizielle Veröffentlichung wünscht, lässt sich aus den vorangegangenen Zeilen wohl unschwer herauslesen.

https://www.youtube.com/watch?v=tb6x1D8baRg

Tracklist:

1. „Enter Dubman“ („Enter Sandman“ von Metallica)

2. „The Final Dub Down“ („The Final Countdown“ von Europe)

3. „Eye Of The Lion“ („Eye Of The Tiger“ von Survivor vom „Rocky IV“-Soundtrack)

4. „Bomb Back“ feat. Nya („Bomb Track“ von Rage Against The Machine)

5. „Chilly Jean“ („Billie Jean“ von Michael Jackson)

6. „Tire“ („Fire“ von Jimi Hendrix)

7. „I Feel Stoned“ („I Feel Good“ von James Brown)

8. „Owner Of A Dub Heart“ feat. The Homestories („Owner Of A Lonely Heart“ von Yes)

9. „The Sea“ („The Ocean“ von Led Zeppelin)

10. „Until The End Of The Disc“ („Until The End Of The World“ von U2)

Bewertung: 5 von 5.
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International Observer: Bat

Langsam gehen mir die lobenden Worte aus. Über die Werke von International Observer – hinter dem sich der Lead-Singer der historischen Thompson Twins, Tom Bailey, verbirgt – habe ich mir schon die Finger wund geschrieben. Ich liebe seine relaxten Dubs über alle Maßen. Am meisten fasziniert mich, dass sie einerseits unfassbar entspannt, andererseits aber hochspannend sind. Ein verrücktes Paradox. Wer Reggae und Dub aus Neuseeland kennt, ahnt aber, was ich damit meine: Perfekt getimte Rhythms voller Groove und innerer Spannung, dargeboten in Zeitlupe. Faszinierend. Außerdem kennt Tom Bailey sein Handwerk. Seine Tracks sind superb produziert: knackig, dynamisch, volltönend. Und dann wären da noch das ausgeklügelte Arrangement, die fantastischen Basslines und die wunderbaren, bunt schillernden Melodien. Alles vom Mix zu einem großen, umfassenden, vielschichtigen Wohlklang verwoben.

Für die Dubs von Tom Bailey gibt es eigentlich keine Schublade. Es handelt sich zweifellos um hundert Prozent Reggae-Dub handwerklicher Perfektion, der sich aber zugleich völlig vom Reggae emanzipiert hat. Verrückt, oder? Tom hat eine ganz und gar eigenständigen Dub-Stil erschaffen, der sich zwar formal der Ästhetik des Reggae bedient, die Genre-Konventionen aber ansonsten hinter sich lässt. Keine „Jah“-Ausrufe, keine Sirenen, kein Steppers, keine historischen Basslines oder Bläsersätze – Observer Dubs sind ganz und gar sie selbst, ohne Zitate und oberflächliche Referenzen. Deshalb kann ich mir seine Musik auch beim besten Willen nicht auf einem Sound System-Event vorstellen. Undenkbar! Aber zu einem neuseeländischen Pop-Open Air-Festival würde sie perfekt passen.

Die Akribie der Produktionen erklären auch, warum der Observer nur sporadisch neue EPs (geschweige denn komplette Alben) veröffentlicht. Hier geht Qualität vor Quantität. „Bat“ (Dubmission) ist sein neustes Werk. Es ist nach „Mink“ und „Pangolin“ die dritte EP in der „Tier-Reihe“ – und diese ist selbstredend so hervorragend wie auch alle anderen Arbeiten dieses außergewöhnlichen Dub-Protagonisten.

Bewertung: 5 von 5.
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Lee Scratch Perry meets Daniel Boyle: To drive the Dub Starship through the Horror Zone

Häufig ertappe ich mich bei der Frage: „Wie würden Jim Morrison, Jimi Hendrix, Bob Marley u. v. a. heute klingen, wenn sie nicht viel zu früh gestorben wären?“ Diese Frage drängt sich mir auch bei Lee „Scratch“ Perry auf. Nein, nein, Scratch ist gottlob noch am Leben. Aber was wäre gewesen, wenn Lee „Scratch“ Perry in den späten 1970er Jahren nicht in eine zunehmend unberechenbare, depressive und destruktive Phase gerutscht wäre, die als Endresultat im Abfackeln seines Black Ark Studios in Washington Gardens, Kingston mündete? Wie würden heute Alben aus dem Black Ark Studio klingen? Zum Glück gibt es einen Adrian Maxwell Sherwood und einen Daniel Boyle, die noch die Fähigkeit besitzen, diesen weit über 80-jährigen alten Herrn zu Höchstleistungen anzuspornen.

Maxwell Livingston Smith alias Max Romeo fertigte im Black Ark bereits 1976 zusammen mit Lee Perry und den Upsetters sein Meisterstück – ein bis heute gewaltiges, weit sichtbares Bergmassiv in der weiten Reggaelandschaft. Beinahe 40 Jahre nach „War ina Babylon“ veröffentlichten 2015 Max Romeo, Daniel Boyle, Lee „Scratch“ Perry und drei Ur-Upsetters eine weitere Zusammenarbeit: „Horror Zone„. Auf keinen Fall ist „Horror Zone“ ein billiger Abklatsch von „War ina Babylon“, sondern eher ein gelungenes Anknüpfen an alte Zeiten, also eher eine Art Weiterentwicklung. Dem Vokal-Album „Horror Zone“ lag das Dub-Album in guter alter Manier bereits bei. Und was folgt nun? Nachdem „Lee Scratch Perry meets Daniel Boyle to drive the Dub Starship through the Horror Zone“ schon 2020 in limitierter Vinyl-Auflage zum Record Store Day erschienen war, folgt jetzt das Dub Album des Dub Albums in digitaler Form. Boyle und Perry haben die original „Horror Zone“-Dubs erneut einer Bearbeitung am Mischpult unterzogen und einen Kosmos mit Unmengen von höhlenartigem Hall und analogen Spezial-Effekten veredelt, die laut Credits Lee „Scratch“ Perry zugeschrieben werden. Wieder einmal bekommen wir überzeugend zu Gehör gebracht, dass es für Perry & Boyle keine Herausforderung darstellt, ein bereits gutes Dub-Album ein weiteres Mal abzumischen, denn diese zwei Dubmaster sind immer in der Lage noch einen draufzusetzen. Das Ergebnis kann sich mehr als hören lassen, denn die Zwei haben eine intergalaktische, dubwise Supernova erschaffen, welche die gesamte Galaxie noch heller erstrahlt als das Original.
Produziert, aufgenommen und gemischt wurde in Daniel Boyles Rolling Lion Studio ausschließlich mit analogen Geräten aus den 50ern bis in die 80er Jahre und charakteristischem Black Ark-Sound, der jedoch verständlicherweise nicht zu 100 % erreicht wird. Nichtsdestotrotz bin ich mir ziemlich sicher, dass „Lee Scratch Perry meets Daniel Boyle to drive the Dub Starship through the Horror Zone“ ein neuer Klassiker in Lee „Scratch“ Perrys Gesamt-/Lebenswerk sein wird.

Bewertung: 5 von 5.
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Bost & Bim: Warrior Brass

Und schon wieder ein unfassbar gutes Reggae-Instrumentalalbum: Bost & Bim: „Warrior Brass“ (Bombist). Ich muss ja gestehen, dass ich sehr auf gute Instrumentals abfahre, denn wie Dub erfüllen sie ein wesentliches Kriterium: keinen Text. Seien wir ehrlich: Text ist im Reggae ziemlich überbewertet. Die Zeiten der Rebel Music und ihrer sozialkritischen Texte scheint seit Jahrzehnten vorbei zu sein. Längst müssen wir uns mit verbalen Ergüssen zu Themen wie Religion, Herb oder Sex zufrieden geben oder uns gar homophoben oder gewaltverherrlichenden Philippiken aussetzen. Mich ärgert das – oder langweilt mich zumindest. Wie schön ist es da doch, sich ganz purer Musik hinzugeben. Musik, die ganz sie selbst sein kann, die nicht im Dienste einer Textbotschaft steht und zum „Backing“ degradiert wird. Deshalb liebe ich auch diese latent arrogante Tradition im Dub, eine Gesangsstimme bereits nach wenigen Worten einfach im Echo verhallen zu lassen …

Doch ich mag gute Reggae-Instrumentals nicht nur wegen dessen was fehlt, sondern auch wegen dessen, was sie mehr haben – und ich muss gestehen, dass das nicht in gleichem Maße für Dub gilt – nämlich den vollen, satten Sound einer komplett besetzten Reggae-Kapelle. Höre ich z. B. das Stück „Tommy’s Mood“, dann drückt da nicht nur der Bass aus den Subwoofern, sondern eine ganze Wall of Sound kommt auf mich zugerollt. Ein üppig reiches, harmonisches und wohlig warmes Klangbild, garniert mit ebenso sanften wie kraftvollen Blechbläser-Sätzen. Perfekt durcharrangiert, superb eingespielt und satt produziert – Reggae mit Bläser-Sektion ist stets eine Wonne.

Bost & Bim sind übrigens als Reggae-Produzenten eine durchaus beachtenswerte Nummer – was ich gar nicht so auf dem Schirm hatte. So haben die beiden Franzosen bereits erfolgreiche Tunes für Morgan Heritage, Chronixx oder Winston McAnuff produziert. Matthieu Bost ist zudem ein begnadeter Saxophonist, was er hier auf „Warrior Brass“ eindrucksvoll unter Beweis stellt. Komplettiert wird die klassische Brass-Section durch Trompete (Manuel Faivre) und Posaune (Marc Delhaye). Neben den drei Hauptperonen sind weitere hervorragende Musiker am Werk, wie z. B. Ticklah, Horseman oder Mista Savona. Es gibt übrigens nicht nur Bläsersolos zu hören, auch andere Instrumente kommen zum Zuge und übernehmen den Lead. Daher erinnert „Warrior Brass“ immer auch ein wenig an ein Jazz-Album – eine Assoziation, die nicht zuletzt auch von der Cover-Gestaltung stark getriggert wird. Tatsächlich aber ist es aber eher eine Hommage an klassische jamaikanische Instrumentalmusik, mit vielen charmanten Zitaten (z. B. Lee Perry), kleinen Exkursionen zu Nyabinghi und Calypso und zwei Tommy McCook und Cedric Brooks gewidmeten Titeln.

Bewertung: 5 von 5.
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Alborosie: Back-A-Yard Dub

Es ist Freitag, der 23. April, heute erscheint Alborosies sechstes Dub Album. Machen wir uns nichts vor, der Kandidat ist damit gekürt. Man wird „Back-A-Yard Dub“ kaum von der Pole Position der diesjährigen Dub-Charts verdrängen können. Weil es nicht nur grandios klingender, moderner Old School Dub in der Tradition echter Versions ist, sondern auch ein für sich allein funktionierendes Hörereignis, das selbst ohne Deejay, Dancehall oder Sound System mit mörderischen Wellen alles wegbläst, was sich ihm in den Weg stellt. Das Album ist das Pendant zu der vor wenigen Wochen veröffentlichten Wailing Souls LP „Back A Yard“, die Alborosie mit viel Eighties Tamtam, Simmons und Synthie Drums in seinem Studio produziert hat. Flabba Holt von den Roots Radics hat den Bass gespielt, Tyrone Downie von den Wailers die Keyboards. Nachdem das Kraft strotzende Alterswerk der Wailing Souls im Kasten war, hat Puppa Albo die „Alborosie Dub Station“ angeschmissen. Es ist sein neuestes Spielzeug, ein von ihm entwickeltes Plug-In, das in der Lage ist, die typischen Effekte aus King Tubbys Studio zu reproduzieren. Wobei der Hall und der Sound des Tubby Tape-Echos weniger spektakulär, aber doch sehr nice sind. Absolut krass jedoch der digitale Nachbau des High Pass Filters. In Kombination mit der Instrumentenvielfalt der Wailing Souls Vorlage und den Dubskills von Alborosie sorgt das neue Effektboard für ein monströses Spektakel. Montiert zu einem anarchischen Ping-Pong-Exzess voller Hall- und Filtereffekte, die man so noch nicht gehört hat. Vergleichbar mit der Soundgewalt eines Groucho Smykle. Der aber muss zusätzliche Keyboards aufnehmen, um seinen Wall Of Sound zu inszenieren. Alborosie dagegen profitiert von der Vielschichtigkeit seiner Produktion und packt für den Dub noch ein paar gefühlte dB mehr drauf. No matter what the people say, these sounds lead the way! Sein Mix ist wie eine Verkaufsempfehlung für das von ihm entwickelte Gerät, und erste Reaktionen in den Social Media lassen bereits erkennen, dass dieses Plug-In in nächster Zeit den Dub auf breiter Fläche beherrschen wird. Dass die LP „Back-A-Yard Dub“ heißt – und damit meint: zurück in Jamaika – und die Verpackung an die Ästhetik der alten Stempeldruck Cover erinnert, spielt nicht nur zufällig darauf an, dass Alborosies Dub dort entsteht, wo er herkommt. Gäbe es 10 Sterne, diese LP würde 15 kriegen.

PS: Als der Text geschrieben wurde, waren noch keine Streaming-Links freigeschaltet. Hörproben gibt’s hier. Oder man vertraut dem Rezensenten und besorgt sich gleich die LP. Das Vinyl wird’s eh nicht ewig geben.

Bewertung: 5 von 5.