Er hat wieder zugeschlagen, der Hamburger Echo-Beach-Label-Betreiber Nicolai Beverungen, und das zweite Kapitel seiner „Selected Cuts from Blood&Fire“ (Selected Cuts/Indigo) herausgebracht. Erneut hat er die Crème der europäischen Dub-Remixer auf den Blood and Fire-Back-Katalog losgelassen. Koriphäen wie Apollo 440, Nick Manasseh, Leftfield, Zion Train oder Seven Dub haben die Chance dazu genutzt den Reggae-Klassikern eine gute Portion Club-Flavour zu verpassen und sie in die Tanzrealität der Gegenwart zu katapultieren. Witzig ist, dass dabei teilweise Dubs von Scientist oder King Tubby erneut gedubbt wurden. Funktioniert aber wunderbar! Großartig auch der Max Romeo-Remix von Segs Jennings (Bassist von Rut’s Cut) und Steve Dub (Sound-Architekt der Chemical Brothers) – hier lebt die Tradition des Dub mit schwerer Bassline und Sly Dunbar-typischem militantem Drumstyle. Vielleicht das Highlight des Samplers. Ebenfalls schön: der Black-Star-Liner -Remix der alten Prince Jammy-Produktion „Step it Up“ im Bhangra-Style, oder das Werk von Dub-Spezialist Nick Manasseh und Leftfield. Beide haben sich an Glen Browns Lambsbread versucht. Interessant zu hören, wie unterschiedlich zwei Remixe des selben Stücks klingen können. Besonders cool ist auch der Dub-Track von Jah Wobble, auf dem lediglich das Intro von I-Roys „Double Warning“ gesampelt wurde. Ein knochentrockener, straighter Dub-Track. Einen schönen Abschluss bilden Dubphonic mit ihrem zäh fließenden, schweren Dub-Remix von Linval Thompsons „Jah Jah is a Guiding Star“.
Der Boom des Neo-Dub ist längst vorüber, Dub-Alben sind seltener geworden und nur noch wenige Hartgesottene halten die Stellung – was insgesamt eine erstaunliche Entwicklung ist, denn mit der auch in Jamaika immer populärer werdenden Rückbesinnung auf Roots-Rhythmen, liegt für Dub-Mixer perfekt geeignetes Remix-Material bereit. Zwar haben nun auch einige jamaikanische Produzenten den Dub als reines Exportprodukt für den europäischen und US-amerikanischen Markt entdeckt, doch scheint es, als hätten sie das Dub-Mixen in den Jahren der Untätigkeit verlernt. Bestes Beispiel: „Dubbing with the Banton“ (Penthouse/Import), produziert von Donovan Germain. Die Rhythms sind zweifellos tough und der Sound hervorragend – aber wo bleibt der Mix? Was man hier hört sind bessere Buju Banton-B-Seiten, die spannungslos vor sich hinplätschern. Noch uninteressanter ist Junior Kellys „Juvenile in Dub“ (Jet Star/Import), die in England produziert wurde – was eigentlich als Garantie für guten Dub gelten könnte. Doch weit gefehlt: „Instrumental Version“ wäre hier die treffendere Bezeichnung. Anders liegt die Sache schon bei „Guidance in Dub“ (Charm/Jet Star/Inport), dem Dub-Album zu Daweh Congos’ „Guidance“. Hier hat der alte Dub-Haudegen Gussie P Hand angelegt. Schön, dass er immer noch im Geschäft ist – schade hingegen, dass er nicht viel dazugelernt hat, denn eine Ausgeburt an Kreativität ist auch „Guidance in Dub“ nicht. Gussies Mixing-Style ist den frühen 80er Jahren verpflichtet anders als damals, sind die Tracks jetzt hingegen digital produziert. Vielleicht ist das der Grund, warum die Stücke weniger Atmo haben als die alten Roots-Radics-Dubs. Dass aber auch „handgespielte“ Tracks nicht zwangsläufig zu einem guten Dub-Album führen, zeigt Israel Vibration mit „Dub Combo“ (RAS/CRS/EFA). Hier hat man viel Atmo und gute Dub-Mixes – doch leider sind die eingespielten Backings nicht gerade spannend. Die Basslines kommen einfach nicht ins Rollen…
Genug jetzt mit der Meckerei, schließlich haben wir mit „Dub for the Modern World – featuring Static“ (Charm/Jet Star/Import) auch ein richtig gutes, modernes Dub-Album im Programm, das alles korrekt macht: gute Rhythms, tiefe Basslines, spannende und variationsreiche Mixe und interessante Arrangements. Aufgenommen in Jamaika, London und Miami, produzierte Morris „KC“ White frische (digitale) Versionen traditionsreicher Riddims und ließ sie von Koryphäen wie Scientist, Bunny Tom Tom, dem bereits erwähnten Gussie P u. a. aufwändig mixen. Keine Spur von der „Zweitverwertungsmentalität“, die oben genannte Alben hervorgebracht hat: „Dub for the Modern World“ ist ein höchst eigenständiges Album, das dem in die Sackgasse geratenen Genre Dub neue Impulse geben kann.
Weniger neue Impulse, dafür aber einen Lobgesang auf die große Tradition des Dub stellt der Sampler des New Yorker Reggae-Kollektivs „Roots Combination“ (Guidance/EFA) dar. Victor Axelrod hat hierfür die interessantesten Reggae-Musiker, Produzenten und Singer New Yorks versammelt und ein erstaunlich geschlossenes Dub-Album (ausgenommen zwei Vocal-Tracks) geschaffen, das vielleicht der letzte Höhepunkt des aussterbenden Genres Neo-Dub ist. Unglaublich, dass in New York so perfekte Produktionen entstehen – erwarten würde man ja vielmehr verkopfte Dubs im Stile des Blooklyner Dub-Labels Wordsound. Doch keine Spur davon! Die Roots Combination erlebt man vornehmlich in den Eingeweiden.
Doch wo wir gerade beim Thema Wordsound sind, „Below the Radar“ (ROIR/EFA) versammelt die besten Wordsound-Dubs der letzten Jahre. Dass dabei nicht immer Reggae-Rhythmen zu hören sind und mancher Track vor lauter Experimenten kaum mehr groovt, dürfte ja wohl keine Überraschung sein.
Abschließend noch zwei waschechte Neo-Dub-Nachzügler: Disciples „presents Backyard Movements Dubwise 2001“ (Boom Shacka Lacka/Import) und Bush Chemists „Dub Fire Blazing“ (Dubhead/EFA). Während die Disciples zwar keine sonderlich innovativen dafür aber umso mehr knallende Four-to-the-floor-Tunes spielen, lavieren sich die Bush Chemists mit ihrem Standardprogramm über die Albumlänge. Da, wo man sich bei den Disciples an die große Zeit des Neo-Dubs erinnert fühlt, wird man bei den Bush Chemists von Deja-vus eingeholt. Und so widerspiegeln diese beiden Alben noch einmal Glanz und Schatten eines großartigen Genres, das auf keinen Fall sterben darf. Bitte!