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The Loving Paupers & Victor Rice: The Ghost of Ladders

Ein Jahr nach ihrem gefeierten Album „Ladders“ legen die aus Washington DC stammenden Loving Paupers eine äußerst schöne Dub-Version desselben vor: „The Ghost of Ladders“ (Easy Star Records) – ein Titel, der sich allzu offensichtlich auf das legendäre Burning Spear-Album „Garvey’s Ghost“ bezieht und damit das Erwartungslevel unweigerlich maximal hochschraubt. Doch da niemand Geringeres als Victor Rice hier die Remix-Aufgabe übernahm (er war auch Toningenieur von „Ladders“), gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Erwartungen erfüllt werden. Klar, seine Musik ist nicht das, was man im Soundsystem spielen würde. Irgendwie klingt sein Sound – insbesondere im Kontrast zu Burning Spear – immer ein wenig zu leicht, zu poppig, zu sehr nach Ska. Aber fürs heimische Sofa, oder als Kopfhörerbegleitung bei den täglichen Wegen durch die Stadt, sind seine Dubs eine wundervolle Musik. Der legendäre britische DJ Don Letts beschrieb den ursprünglichen Sound der Loving Paupers als beeinflusst von Sechzigerjahre Pop und Siebzigerjahre Reggae – eine Mischung, die ihre Musik einzigartig resonanzfähig mache. Womit er absolut recht hat. Ich musste beim Hören durchaus an UB40 oder Hollie Cook denken. Wobei der Sound selbstredend meilenweit vom repetitiv-schnulzigen Lovers Rock entfernt ist. Es ist poppiger Reggae im besten Sinne. Die Frage ist nun: Was wird im Dub-Mix daraus? Bekanntermaßen einem Treatment, das Stücken generell mehr Schwere und Erdung verleiht. Was wird da vom leichten Pop-Appeal übrig bleiben? Die Antwort lautet: Genau die richtige Dosis! „The Ghost of Ladders“ ist ein schlichtweg super angenehmes Dub-Album, das die vielschichtigen Arrangements der Aufnahmen offenlegt und die wahre Qualität der Musik offenbart, die sich im Original allzu gut hinter dem hellen Gesang Kelly Di Filippos verstecken konnte. Und mit dem Gesang verschwindet reduziert sich auch das Pop-Flair deutlich. Die Anspielung auf „Garvey’s Ghost“ ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen, doch eine Analogie wird deutlich: Während „Ladders“ ein nettes Pop-Reggae-Album ist, entfaltet „The Ghost of Ladders“ regelrechte Dub-Magie – also genau jene unbeschreibbare Qualität, die auch Burning Spears Dub-Album in den Status eines Kult-Werkes hievte. Rices meisterhafter Dub-Mix nutzt die bekannten Ingredienzen Hall und Delay, um das Vertraute in etwas völlig Neues und Überirdisches zu verwandeln. „The Ghost of Ladders“ beweist wieder einmal eindrücklich, wie es Dub mühelos gelingen kann, zum Kern der Musik vorzudringen und sie in eine magisch-abstrakte Erfahrung von reinem Klang zu transzendieren. Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, als würde Rice irgendwie verkopfte Kunstmusik fabrizieren. Im Gegenteil: Durch die poppige Grundanlage der Musik bleibt sie auch in der Dub-Version zugänglich und sorgt beim Hören unweigerlich für gute Stimmung. Für mich eines der schönsten Dub-Alben der letzten Monate.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Five Star Review

Message: Showcase 1

Das A-Lone Ark Muzik Studio in Santander hat sich zu einer der aktuell interessantesten Produktionsstätten für modernen Roots Reggae entwickelt. Superbe Produktionen, handwerklich perfekt eingespielte Riddims, brillante Soundqualität und schlicht großartige Kompositionen gehören zum Markenzeichen des Studios. Hinter diesem Studio in Santander, Spanien, steckt Roberto Sánchez, ein Multiinstrumentalist, Sound Engineer und Produzent, der hier eine Gruppe höchst begnadeter spanischer Reggae-Musiker um sich geschart hat. Er und seine Crew sind verantwortlich für einige der spannendsten Alben der letzten Zeit. Z. B. Inés Pardos „My Time“, Ras Teos „Ion Man“ und I Man Cruz’ „In A Mission“, um nur einige der jüngsten zu nennen. Doch nun haben sich Sánchez und seine Mitstreiter selbst übertroffen und ein geradezu überragendes Instrumental- und Dub-Album vorgelegt: „Showcase 1“ von Message (A-Lone-Reggae). Es wurde innerhalb nur eines Wochenendes im Ark-Studio eingespielt, live, pur und direkt – und natürlich auf Magnetband, ganz so, wie es früher die Musiker in Jamaika auch gemacht haben. Genau ihnen, und dem Reggae-Sound der 1970er Jahre, zollen Sánchez & Co. mit ihrem Showcase-Album Tribut. „The soundtrack of our lives“, wie Sánchez sagt. Ihre Hommage enthält 7 Instrumentals und 7 Dub-Versionen. Lead-Instrumente sind Melodica, Posaune und manchmal auch ein Keyboard. Alle Stücke sind eigene Kompositionen der Band. Was mich am meisten begeistert, ist die tighte Produktion der Stücke. Was für ein fulminantes, energiegeladenes Spiel, welche Präzision und was für ein perfektes Timing! Ich bin überzeugt, dass sich handgemachter Reggae heute nicht besser einspielen lässt. Auch die „Song-Qualität“ der Stücke überzeugt gleichermaßen, ebenso die Arrangements. Bleibt also nur noch die Frage nach den Dub-Versionen. Da bei dem Ausgangsmaterial eigentlich nicht viel schiefgehen kann, beantwortet sie sich fast von selbst. Roberto Sánchez hat die Beats fest im Griff: Die Dubs sind spannend und abwechslungsreich – und natürlich stricktly Old School. Die Lead-Instrumente wurden hier erwartungsgemäß ihrer Dominanz beraubt, wodurch die Qualität der restlichen Musik aber nur noch deutlicher hervortritt. Wer das Album in physischer Form kauft, wird zudem mit ausführlichen Liner Notes zum Produktionsprozess beschenkt und bekommt ein paar Schwarzweißfotos der Musiker zu sehen – auch das ganz im Stil von Seventies-Vinyl.

Bewertung: 5 von 5.
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Roman Stewart: Give Thanks ‚Showcase‘

Obwohl er es mehr als verdient gehabt hätte, stand er nie in der ersten Reihe der erfolgreichen jamaikanischen Sänger. Aus diesem Grund sind die Informationen über ihn sehr spärlich. Dennoch wage ich eine These: Ohne Roman Stewart hätte es keinen Dennis Brown gegeben. Wie man in der einschlägigen Literatur nachlesen kann, hat Roman Dennis das Singen beigebracht. Die stimmlichen Ähnlichkeiten sind in der Tat frappierend, man schließe die Augen und lausche. Wen hört man? Nein, nicht den jungen Dennis Brown, sondern Roman Stewart mit einem „verschollenen“ Album. Ganz abgesehen davon, dass „Roman Stewart: Give Thanks ‚Showcase‘ “ (Thompson Sound) nie als Album konzipiert war. Einige Titel wurden bereits 1979 von Linval Thompson auf seinem Label Thompson Sound als Singles oder Maxi-Singles veröffentlicht und waren seitdem nie wieder erhältlich. Außerdem sind drei unveröffentlichte und völlig neue Tracks und ihre Dub-Versionen zu hören: Give Thanks, Give Thanks Dub, I’m In A Bad Mood, I’m In A Bad Mood Dub, Hello Baby und Hello Baby Dub.

Seine Karriere startete der 1957 geborene Roman Stewart, als kleiner Junge auf der Straße und am Pier, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegten. Dort sang er für die Touristen, und sein Freund Freddie McGregor sammelte das Geld ein, das die Leute zu geben bereit waren. Roman war 1968 gerade 11 Jahre alt, als er seine erste Aufnahme „While I Was Walking“ als Romeo Stewart And The Tennors With Tommy McCook And The Supersonics aufnahm. Im Jahr 1974 hatte Roman seinen ersten Hit „Hooray Festival“. Ein Song aus der Feder seines älteren Bruders Neville alias Tinga Stewart und Willie Lindo. Nach seinem ersten Durchbruch gelang ihm 1976 mit dem von Tommy Cowan produzierten „Hit Song“ ein weiterer Erfolg.
Im Großen und Ganzen waren die frühen 1970er Jahre eine erfolgreiche Zeit für Roman. Er begann, neue Songs für bekannte Produzenten wie Glen Brown (Never Too Young), Derrick Harriott (Changing Times), Everton Da Silva (Rice & Peas), Phil Pratt (Fire At Your Heel) und Linval Thompson aufzunehmen. Obwohl er 1976 in die USA emigrierte, hielt er stets engen Kontakt zu seinem Heimatland und machte dort weiterhin zahlreiche Aufnahmen. Man sagt, „Rice and Peas“ sei sein bekanntester Song, den er 1979 auch für Linval Thompson aufnahm. Insgesamt nahm er mehr als 70 Singles und eine gute Handvoll Alben auf und konnte auf eine mehr als 30 Jahre währende Karriere zurückblicken. Am 25. Januar 2004 starb Roman alias Romeo oder Romie Stewart im Alter von nur 46 Jahren an einem Herzinfarkt. Am Abend zuvor hatte er ein Konzert seines guten alten Freundes Freddie McGregor besucht. Danach ging Roman zu einer Geburtstagsfeier, wo er noch zwei Lieder sang. Als Roman sein drittes Lied singen wollte, soll er das Mikrofon ausgeschaltet und über Schmerzen in der Brust geklagt haben. Später brach er zusammen und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er im Koma lag und am nächsten Tag starb.

Über zwanzig Jahre nach diesem tragischen Ereignis kommt nun Linval Thompson mit den verschollenen geglaubten Bändern um die Ecke. Der Gesang von Roman Stewart und die kraftvollen Riddims der Roots Radics Band wurden im Channel One Recording Studio der Hookim Brüder in der Maxfield Avenue in West Kingston, Jamaika, aufgenommen. Wie gesagt, Linval Thompson fand die Originalbänder und beauftragte Roberto Sánchez, sie in seinem A-Lone Ark Muzik Studio im spanischen Santander neu abzumischen. Dank der sachkundigen Konservierung des analogen Vintage-Sounds fühlt sich der Hörer in die frühe Dancehall-Ära zurückversetzt. Der kraftvolle Titeltrack „Give Thanks“ ist ein klassischer Roots-Song, der noch nie zuvor veröffentlicht wurde. Der Track und sein Dub-Pendant bieten einen fantastischen, basslastigen Riddim. Mit „Baby Come Back“ wendet sich Roman Stewart einem Liebeslied zu. Der Song wurde ursprünglich in England als 12? Vinyl von Cool Rockers veröffentlicht, einem kurzlebigen Ableger von Greensleeves Records, der sich auf Lovers Rock konzentrierte. Als Begleitband wurden The Revolutionaires genannt. Dass Roman sowohl in der Roots- als auch in der Lovers-Sparte des Reggae zu Hause ist, zeigt er überdeutlich. „Mr. Officer“ ist ein Stück, in dem es um die Probleme geht, die der Besitz des grünen Krauts (Herb, Lambsbread, Ganja, Kaya, Collie) mit sich bringt. Die restlichen Tracks auf dieser LP beschäftigen sich eher mit Herzensangelegenheiten, insbesondere mit Problemen, die zu Komplikationen in Beziehungen führen. Jeder Track hat seine eigenen Vorzüge und ist es wert, mehr als nur einmal gehört zu werden. Gesanglich glänzt Roman Stewart bei jedem Stück, und auch die schwergewichtigen Dubs von Roberto Sánchez sind ein echter Hörgenuss. Ein weiteres Mal hat der Dubmaster aus Nordspanien demonstriert, dass er erfahren genug ist, aus historischen Aufnahmen ein zeitgemäßes Album mit dem klassischen Sound des goldenen Zeitalters des Reggae zu schaffen.

Bewertung: 4 von 5.
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O.B.F & Iration Steppers: Revelation Time

Die Iration Steppers dürften aktuell das bekannteste Soundsystem des Globus sein. Die Sessions von Mark Iration und Dennis Rootical zählen zu den Höhepunkten der großen Soundsystem-Festivals. Ihr geradezu brutalistischer Sound in ohrenbetäubender Lautstärke ist in der Tat ein intensives Erlebnis. Ein Erlebnis, das sich allerdings zuhause auf dem Sofa, bei gemäßigter Lautstärke, kaum reproduzieren lässt. Dafür sind die Produktionen dann doch etwas zu unterkomplex. Seit einiger Zeit touren die Steppers mit dem Franzosen Rico und dessen Soundsystem O.B.F durch die Welt und mischen gemeinsam diverse Dub-Events auf. Rico und Mark liefen sich 2004 erstmals über den Weg, freundeten sich an und beschlossen, eine langfristige Zusammenarbeit zu starten. Nun liegt das albumgewordene Ergebnis dieser Zusammenarbeit vor: „Revelation Time“ (Dubquake). „We locked ourselves in the studio, writing lyrics, cooking up riddims, perfecting our production recipes, secret techniques and octopus mixes.“, beschreibt Rico die Entstehung des Albums. Herausgekommen sind 16 beeindruckende Tracks, heftig, monströs und brutal. Interessanterweise verzichtet keiner der Tracks auf Vocals – was für ein Dub-Soundsystem äußerst ungewöhnlich ist. Vielleicht haben sie ja selbst gemerkt, dass die Riddims kaum für ein instrumentales Dub-Album taugen. Allerdings muss man einwenden, dass die Vocals diesen Mangel nicht immer auszugleichen vermögen. Abgesehen von der Hymne „Love Sound System“, die einen schönen Text mit einer wirklich catchy Melodie vereint, bleibt der Rest der „Songs“ ziemlich blass. Auch wenn sich Mark, Dennis und Rico laut eigener Aussage bereits im Dub-Jahr 4000 wähnen, klingt das Album ein wenig gestrig. Statt bei jedem Track auf Massivität und Bass-Impact zu setzen, wäre ein sorgfältiges Songwriting und/oder eine differenzierte Produktion und inspiriertes Mixing angeraten gewesen. So bleibt eigentlich nur die Option, die Tracks in einem Soundsystem zu spielen, um ihre eigentliche Qualität zu „spüren“. Aber wer hat das schon zuhause?

Bewertung: 3.5 von 5.
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Linval Thompson Meets Roberto Sanchez At The Ark: Marijuana Sessions In Dub

Das 1978 erschienene Album „I Love Marijuana“ war Linval Thompsons erstes selbst produziertes Album. Stimmlich war Linval Thompson 1978 auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten. Seine Stimmlage und sein selbstbewusstes Auftreten – nicht unähnlich dem von Ken Boothe – machten ihn so einnehmend wie die amerikanischen Soulsänger, die in den 60er und 70er Jahren nicht wenige junge jamaikanische Sänger inspirierten. Dem Erfolg seiner Hitsingle „I Love Marijuana“ folgte die gleichnamige LP und mit ihr einige der besten Songs seiner Karriere. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen brachte Thompson einige ausgesprochen starke Stücke mit ins Channel One Studio der Hookim Brüder, zum anderen hatte er mit The Revolutionaries eine der besten Bands Jamaikas an seiner Seite. Am Bass hören wir Aston Barrett oder Robbie Shakespeare, am Schlagzeug Horsemouth Wallace oder Sly Dunbar, an der Orgel Ossie Hibbert, gefolgt von Ansel Collins am Piano. Die Gitarre zupfte Earl Stanley Smith, besser bekannt als „Chinna“ Smith. Das Endergebnis war eine äußerst raffinierte LP mit Reggae aus den späten Siebzigern. Auf dem Album trifft die Wärme und Romantik des Rock Steady auf den knallharten Sound der damals aufkeimenden Natty Roots-Szene. Auf der Original-LP war als Leckerli nur der letzte Track ein Dub, „Jamaican Colley (Version)“, eine Dub-Version des Titelstücks. Obwohl der Engineer nicht namentlich genannt wurde, deutet vieles darauf hin, dass entweder Tubby selbst, Philip Smart oder Prince Jammy an den Reglern saßen. Zu den Höhepunkten des Albums gehören neben dem Titeltrack das funkige „Dread are the Controller“ und Ken Boothes rätselhaft widersprüchlicher 1969er Klassiker „Just Another Girl“ aus dem Studio 1. Das von Tony Robinson produzierte 1975er-Album von U-Roy „Dread in a Babylon“ enthält ebenfalls einen fantastischen Toast von „Just Another Girl“ namens „Runaway Girl“.
Seitdem hat sich Linval Thompson auch als Produzent einen Namen gemacht und Arbeiten mit und von Dennis Brown, Barrington Levy, The Viceroys, Revolutionaries, Scientist und unzähligen anderen Künstlern veröffentlicht.

Kommen wir nun zu „Linval Thompson meets Roberto Sanchez At The Ark: Marijuana Sessions In Dub“ (A-LONE PRODUCTIONS). Linval Thompson, der in den letzten Jahren immer wieder mit dem spanischen Musiker, Soundengineer und Produzenten Roberto Sanchez zusammengearbeitet hat, hat Roberto Sanchez die Originalbänder zur Verfügung gestellt, um daraus ein ebenso geniales Dub-Album zu basteln. Und was die beiden im A-Lone Ark Studio im nordspanischen Santander zusammengeschraubt haben, kann sich hören lassen. Wir kennen viele Beispiele, bei denen ein solches Unterfangen – gelinde gesagt – brutal in die Hose ging. Doch weit gefehlt, Roberto Sanchez und Linval Thompson haben es mühelos geschafft, einen Klassiker in die Jetztzeit zu transferieren. Herausgekommen ist ein zeitloses Dub-Album mit wunderbaren Basslines à la Aston ‚Familyman‘ Barrett, fetten Riddims und frei im Raum schwebenden Songfragmenten von Linval Thompson, das tatsächlich so klingt, als wäre es in der Blütezeit des Reggae entstanden. Was soll man da noch meckern? Angesichts der Tatsache, dass die Nachfrage nach Reggae-Klassikern nach wie vor stetig steigt, kann man Sanchez und Thompson zu diesem Ergebnis nur gratulieren und ausrufen: „Well done men, I like it very much!

Bewertung: 4 von 5.

Das Album wird am 24.05.2024 auch als Schallplatte veröffentlicht.

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Five Star Review

Roots Architects: From Then ‚Til Now

Was für ein wunderbares musikalisches Vermächtnis wird uns hier präsentiert? Ein Album, das im Grunde bereits 1978 seinen Anfang nahm, sich als geistiges Kind weiterentwickelte und 2017 in die Tat umgesetzt wurde, um schließlich 2024 mit der Veröffentlichung seine Vollendung zu finden. Aber zuerst alles der Reihe nach.

Das Coverbild von „Roots Architects: From Then ‚Til Now“ (Fruits Records) zeigt eine typische Straßenszene in Kingston. Hunde fressen weggeworfene Essensreste vom Bürgersteig. Eine junge Frau im Hintergrund starrt den Betrachter misstrauisch an. Ältere Männer sitzen auf einer Bank und blicken mit unendlicher Geduld auf die staubige Straße, während sich ein ergrauter, bärtiger Herr mit einem Gehstock uns nähert. Ein ganz normaler Tag auf Jamaika.

Wenn wir uns mit der Geschichte des Reggae beschäftigen, wird diese meist über Sänger, Produzenten und Soundsysteme erzählt. Ein Sänger oder Toaster wurde engagiert, um über einen bereits existierenden Rhythmus zu singen oder zu skandieren. Der Produzent bezahlte die Aufnahmekosten und testete den Song bei einem Dance, um zu sehen, ob er ein Hit werden könnte. In den 1970er Jahren, als der Reggae dekonstruiert und in seinen avantgardistischen Ableger Dub verwandelt wurde, rückten die Toningenieure, die ihre Studios als Instrumente benutzten, immer mehr in den Mittelpunkt. Die engagierten Studiomusiker, die die eigentlichen Rhythmen produzierten, werden dabei oft übersehen. Außer vielleicht von ein paar Liebhabern, die immer auch ein Augenmerk auf die beteiligten Instrumentalisten hatten.

Der jamaikanisch-chinesische Roots Reggae Sänger I Kong – alias Errol Kong, Neffe des legendären Leslie Kong – veröffentlichte 1978 die LP „The Way It Is“ mit einer einzigartigen Besetzung, die fast alle führenden Session-Musiker der Insel umfasste. Obwohl das Album von den Kritikern hochgelobt wurde, floppte es finanziell, und I Kong ging in ein selbst auferlegtes musikalisches Exil aufs Land. Anfang der 2010er Jahre wurde er vom Schweizer Produzenten und Vintage Reggae Liebhaber Mathias Liengme kontaktiert. Liengme hatte sich 2011 mit Leroy „Horsemouth“ Wallace angefreundet. „Horsemouth“ dürfte vielen aus dem Rockers Film und als Schlagzeuger der frühen Burning Spear Aufnahmen bekannt sein. Einige Zeit später fand sich Liengme in Jamaika wieder, wo er die lebenden Legenden der goldenen Reggae Ära aufnahm, die das Land und den Reggae weltberühmt gemacht hatten. Durch I Kong lernte Liengme Robbie Lyn kennen. Robbie Lyn hatte auf „The Way It Is“ und Hunderten anderer berühmter jamaikanischer Aufnahmen Keyboards gespielt. Nach der gemeinsamen Arbeit an I Kongs lang erwartetem Album „A Little Walk“ wandte sich Liengme für sein ehrgeiziges Vorhaben an Lyn. Robbie Lyn öffnete sein Adressbuch, ließ seine Beziehungen spielen und das ambitionierte Projekt nahm Gestalt an. Das Werk des Schweizer Pianisten und Produzenten Mathias Liengme ist ein wahres Veteranentreffen. Im Februar und März 2017 reiste Mathias Liengme zum fünften Mal nach Kingston, um die Musiker zu ehren, die seit seiner Jugend seine Ohren erfreuten und ihn dazu brachten, eine Doktorarbeit über die jamaikanische Musik zu schreiben. Er wollte mit möglichst vielen der noch lebenden Veteranen unter den Session Musikern aufnehmen. Mit Hilfe einiger von ihnen wie Robbie Lyn, Fil Callender oder Dalton Browne gelang es ihm, mehr als 50 Musiker im Alter von 54 bis 85 Jahren für neun Instrumentalsongs zusammenzubringen. Fünfzig der größten Studiomusiker in der Geschichte Jamaikas, deren Arbeit von den Anfängen des Reggae Ende der 1960er Jahre bis heute reicht und die zum internationalen Erfolg des Reggae beigetragen haben. Dieses großartige Instrumentalalbum ist eine Hommage an die unbekannten Helden, die all diese fantastischen Riddims erschaffen haben. Allein die Namen sprechen für sich: Ernest Ranglin, Sly & Robbie, Karl Bryan, Vin Gordon, Glen DaCosta, Robbie Lyn, Ansel Collins, Dougie Bryan, Mao Chung, Boris Gardiner, Jackie Jackson, Lloyd Parks, Bo Pee, Dalton Browne, Flabba Holt, Fil Callender, Mikey Boo, Barnabas, Horsemouth, Dean Fraser, Ibo Cooper, Cat Coore, Derrick Stewart, Dwight Pinkney, Bubbler, Lew Chan, etc… Sie alle sind verantwortlich für Tausende von Aufnahmestunden und Millionen von Minuten, die von Musikliebhabern auf der ganzen Welt gehört wurden.

So sind die Roots Architects, die Legenden des Reggae, in die Studios von Kingston zurückgekehrt, um das zu tun, was sie schon immer am besten konnten: gemeinsam Instrumentalmusik machen. Herausgekommen ist ein großartiges Album, das für alle Liebhaber jamaikanischer Musik, instrumentalen Reggaes oder einfach schöner Musik unverzichtbar ist. Für Musiker ist „From Then ‚Til Now“ das, was „Inna de Yard“ für Sänger ist. Schlicht und einfach, eine Hommage an die ganz Großen. Doch leider ist „From Then ‚Til Now“ inzwischen auch zu einer Art Epitaph für die Musiker geworden, die seit den Aufnahmen im Jahr 2017 verstorben sind. Winston „Bo Pee“ Bowen, der Namensgeber des Albums, starb am 26. März 2019 im Alter von 62 Jahren an einem tödlichen Herzinfarkt. Arnold Brackenridge verstarb am 7. Oktober 2020 im Alter von 70 Jahren an Prostatakrebs. David Trail starb zu einem unbekannten Zeitpunkt in diesem Jahr. Dalton Browne war 64 Jahre alt, als er am 1. November 2021 an den Folgen einer schweren Herz-OP starb. Bongo Joe starb im Alter von 86 Jahren am 5. September 2021. Mikey Boo, dessen Schlagzeugspiel durch einen Schlaganfall und anschließende Demenz beeinträchtigt war, starb am 28. November 2021 im Alter von 74 Jahren. Nur zehn Tage später erlag Robbie Lyns guter Freund Robbie Shakespeare im Alter von 68 Jahren einer Nierenoperation. Ihm folgte noch im selben Monat der 71-jährige Mikey Chung. Der jüngste Musiker des Projekts, Bassist Christoper Meredith, starb am 27. Juli 2022 im Alter von nur 54 Jahren. Nach einer Reihe gesundheitlicher Komplikationen verstarb Lyns geliebter „großer Bruder“ und ehemaliger Bandleader Fil Callender am 27. Mai 2022 im Alter von 75 Jahren. Robbies Keyboard-Kollege und enger Freund Tyrone Downie starb am 5. November 2022 im Alter von 66 Jahren in einem Krankenhaus in Jamaika. Ihr Keyboard-Kollege Ibo Cooper verstarb am 12. Oktober 2023 im Alter von 71 Jahren.

Mögen sie alle in Frieden ruhen, während ihre unsterbliche Musik Lautsprecher, Körper und Seelen für viele zukünftige Tänze zum Schwingen bringt.

Bewertung: 5 von 5.

Diese Rezension widme ich meinem lieben Freund Endi (pfälzisch für Andi), der sich nach langer Krankheit ins Reich der Ahnen aufgemacht hat. Er ist, so wie die oben genannten Helden, nicht von uns gegangen, sondern lediglich vor uns.

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The Aggrovators & The Revolutionaries: Guerilla Dub (Re-Release)

Ok, so wie ich den Kommentaren im Release-Radar entnehme, sind zu dem vorliegenden Album noch einige Fragen offen, die ich gerne zum Anlass nehme, um ein wenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Mal ganz abgesehen davon, dass Burning Sounds seine 1978 eingeschlagene Fehlinformation beibehält, wie zum Beispiel der Name The Aggravators weiterhin falsch geschrieben bleibt, sind auch falsche Angaben über das Studio zu lesen, in dem die Bands die Riddims aufgenommen haben sollen. Entgegen der Angabe auf dem Cover wurden die Tracks niemals in King Tubbys Studio aufgenommen. Die Aufnahmen der Tracks fanden vielmehr im Channel One der Hookim Brüder und im Harry J Studio statt. Später wurden die Tracks von Oswald ‚Ossie‘ Hibbert in King Tubbys viel kleinerem Studio abgemischt, das, wie wir bereits aus Helmut Philipps genialer Dub Konferenz wissen, nur für die Vertonung und den Mix genutzt wurde.

Also, Burning Sounds hat das Album „The Aggravators (The Aggrovators) & The Revolutionaries: Guerilla Dub“ anlässlich des diesjährigen Record Store Day (RSD) erneut aufgelegt. Ursprünglich wurde Guerilla Dub 1978 von der britischen Plattenfirma auf transparentem Vinyl veröffentlicht, im Jahr 2016 wurde das 10-Track-Album auf CD und 180-Gramm-Vinyl-LP neu aufgelegt. Jetzt wurde anlässlich des RSD die LP noch einmal veröffentlicht, diesmal als rot gefärbte Vinyl-LP.

Die Aggrovators, sind benannt nach Bunny ‚Striker‘ Lees Plattenladen Agro Sounds. In den 1970er und 1980er Jahren war die Band mit ständig wechselnder Besetzung die wichtigste Session-Band für ‚Striker‘. Im gleichen Zeitraum waren The Revolutionaries die Hausband des Channel One Studios. Wie bereits erwähnt, wechselte die Besetzung beider Bands häufig, wobei Bunny Lee und die Hookims den Bandnamen für die Musiker, mit denen sie gerade zusammenarbeiteten, beibehielten. Musiker wie Aston & Carlton Barrett, Sly & Robbie, Bertram McLean, Tommy McCook, Bobby Ellis, Vin Gordon, Ossie Hibbert, Earl „Chinna“ Smith etc. spielten zeitweise in beiden Bands.

Kommen wir nun zum „Guerilla Dub“, auf dem sich ebenfalls fast die gesamte Crème de la Crème der damaligen jamaikanischen Musikszene tummelt. Als Beispiel bleibe ich jetzt nur mal bei den Riddim Sections: Am Bass hören wir Aston Barrett, Robbie Shakespeare, George ‚Fully‘ Fullwood, Bertram ‚Ranchie‘ McLean, Lloyd ‚Sparks‘ Parks und Earl ‚Bagga‘ Walker und an den Drums: Carlton ‚Carly‘ Barrett, Lowell ‚Sly‘ Dunbar, Lloyd ‚Tin Leg‘ Adams, Basil ‚Benbow‘ Creary und Carlton ‚Santa‘ Davis. Der „Guerilla Dub“ enthält Dub-Pendants von Jimmy Rileys LPs „Majority Rule“, „Showcase“ und „Tell The Youths The Truth“ aus den späten 70ern, von denen einige zuvor als 7 Inch-Singles in Jamaika veröffentlicht wurden. Dank einiger Gesangsschnipsel, die in den meisten Tracks enthalten sind, ist es für den Hörer relativ einfach, sie mit den ursprünglichen Gesangsaufnahmen in Verbindung zu bringen. Die Reise in den Dub beginnt mit „Cuddoe Dub“, einem schönen Riddim im Rockers-Stil mit subtilen Orgelparts. Es folgt der fesselnde „Garvey Dub“, das Dub-Gegenstück zu Jimmy Rileys Titeltrack auf der „Majority Rule“ LP. Der „Garvey Dub“ ist, wenn auch anders abgemischt, auch als „The Conqueror“ von The Revolutionaries bekannt. „Paul Bogle Dub“ ist eine Version von Jimmy Rileys Hit „Nyah-Bingi“, der auf seiner „Showcase“ LP zu hören ist und der „Malcolm X Dub“ ist der Dub zum Vocal-Cut „A You“, der ebenfalls auf der „Showcase“ LP zu finden ist. Abgerundet wird die A-Seite mit dem „Martin Luther Dub“, einem Remix von Alton Ellis‘ „Can I Change My Mind“ Riddim. Die B-Seite der Platte bietet die gleiche Art von klassisch schönen Ossie Hibbert Dubs. Zu den bemerkenswertesten Beiträgen gehören der Titeltrack „Guerilla Dub“ und „Maroon Dub“, eine Version von „Cleaning Up The Streets“, das in den 1970er Jahren ein großer Hit für Jimmy Riley war.

Auch wenn die Ossie Hibbert Dubs auf „Guerilla Dub“ heute nicht mehr die absoluten Sahnehäubchen sind, gehört der 2012 an einem Herzinfarkt verstorbene Musiker, Sound Engineer und Produzent für mich zu den vielen unbesungenen Helden der jamaikanischen Musikszene. Einige kennen von ihm sicher auch „Crueshal Dub“, „Leggo Dub“ und „Earthquake Dub“ – alles sehr schöne, energiegeladene Dub-Werke aus der Blütezeit des Reggae/Dub. Trotzdem hat mir das Wiederhören dieses Klassikers wieder enorm viel Spaß gemacht.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Dub Obsession W/ Aston „Familyman“ Barrett

Lieber spät als nie, aber ich muss doch noch ein paar Worte zum Tod dieser wegweisenden Musiklegende verlieren.
Am 3. Februar 2024 verstarb nach einem „langen Kampf“ gegen die Krankheit Aston Francis Barrett, einigen besser bekannt als Familyman oder kurz Fams. Der legendäre Bassist der Wailers starb im Alter von 77 Jahren im Krankenhaus der Universität von Miami in Florida, der Stadt, in der 1981 auch Bob Marley verstarb.

Aston Barrett wurde am 22. November 1946 in Kingston, Jamaika, geboren. Als viertes von fünf Kindern von Wilford Barrett, einem Schmied, und Viola (geborene Marshall) wuchs Aston in einem großen Mietshaus in der Beeston Street im Zentrum von Kingston auf, in dem auch der Saxophonist Val Bennett wohnte. Zu arm, um sich einen richtigen Bass leisten zu können, baute sich Familyman seinen ersten Bass aus einer Gardinenstange. Mitte der 1960er Jahre schloss er sich der Clubband The Hippy Boys an und begleitete den Sänger Max Romeo bei verschiedenen Auftritten in Kingston. Der Produzent Bunny „Stricker“ Lee war von seinen Basslines so beeindruckt, dass er Barrett 1968 ins Studio holte, um Slim Smiths „Watch This Sound“ – eine Adaption des Buffalo Springfield-Hits „For What It’s Worth“ – aufzunehmen. In der Zeit, in der Aston Barrett zu Lees Hausband, den Aggrovators, gehörte, veröffentlichte er auch selbstproduzierte Werke auf den Labels Fam’s und Cobra. Die Singles „Distant Drums“, „Eastern Memphis“ und „Cobra Style“ zeugen von einer unverwechselbaren Herangehensweise an Instrumentalmusik und Dub-B-Seiten.

Seinen Spitznamen „Familyman“ verdankt er der Tatsache, dass Aston seine Musikerkollegen als Familie betrachtete und stets eine führende Rolle beim Arrangieren ihrer gemeinsamen Arbeit einnahm. Der Name Familyman rührt nicht daher, dass er viele Kinder hatte – 23 Töchter und 18 Söhne nannte er 2013 der BBC.

Ende 1969 schafften es die Barrett Brüder Aston und Carly mit Max Romeos schlüpfrigem „Wet Dream“ und dem Orgel-Instrumental „The Liquidator“ in die britischen Top Ten. Nach dem Erfolg des Instrumentals „Return of Django“ gingen sie im November mit den Upsetters auf Tournee durch das Vereinigte Königreich, obwohl sie selbst auf der Platte nicht mitgespielt hatten. Als Mitglied der Studioband The Upsetters lieferte Barrett kräftige und melodiöse Basslines, die auf den Aufnahmen zu hören sind, die die Wailers 1970-71 für den Produzenten Lee „Scratch“ Perry machten. Sein jüngerer Bruder Carlton „Carly“ Barrett spielte Schlagzeug. Der Autodidakt mit einem angeborenen Gespür für musikalische Arrangements und einem außergewöhnlichen Sinn für Timing spielte als Bassist und Bandleader von Bob Marley and the Wailers eine wesentliche Rolle bei der Beliebtheit und internationalen Verbreitung des Reggae. Als sich die Wailers von Lee „Scratch“ Perry trennten, um ihr eigenes Label Tuff Gong zu gründen, überredete Bob Marley die Barrett Brüder, die Upsetters zu verlassen. Von nun an bildeten Aston und Carly die Rhythmusgruppe, das Rückgrat der Wailers. Die Gruppe unterschrieb 1972 bei Island Records und die Erfolgsgeschichte begann. Als Fams 1973 bei den Aufnahmen zu „Natty Dread“ zum Bandleader und musikalischen Arrangeur avancierte, war er mit seinem Bass die treibende Kraft für Marleys berühmte Hymnen. Songs wie „No Woman, No Cry“ verlieh er die nötige Schwere.

Obwohl die Gruppe während der Island-Jahre viele Veränderungen erlebte, blieben die Barrett Brüder die Konstante, die stabilisierende Kraft in der Band. Familymans souveräne Beherrschung seines Instruments und sein gekonntes Zusammenspiel auf der Bühne bildeten das Rückgrat der elektrisierenden Auftritte der Band, während Marley seine Texte in tranceartigem Zustand vortrug.

Aston Barrett war auch ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil des Mitte der 1970er Jahre aufkommenden Dub-Subgenres, außerdem war er auch Mentor für jüngere Musiker wie den Keyboarder Tyrone Downie und den Bassisten Robbie Shakespeare.

Neben seinen Aufgaben bei Bob Marley and the Wailers wirkte Barrett an Keith Hudsons „Pick A Dub“, Yabby Yous Debütalbum „Conquering Lion“, Peter Toshs „Legalize It“, Bunny Wailers „Blackheart Man“, Burning Spears bahnbrechenden Veröffentlichungen „Marcus Garvey“, „Dry And Heavy“, Social Living und Augustus Pablos „East Of The River Nile“ mit. Durch die Tourneen der Wailers wurde seine Sessionarbeit etwas weniger. Es würde den Rahmen sprengen, alle Alben aufzuzählen, auf denen Astons legendärer Fender Bass überall zu hören ist.
Nach dem Tod von Bob Marley nahm Familyman weiterhin mit Burning Spear auf (z. B. Hail H.I.M.) und arbeitete eine Zeit lang eng mit Rita Marley zusammen. Auf dem von ihm selbst produzierten Album „Juvenile Delinquent“ (1981) spielte er die meisten Instrumente selbst ein.
Aston und Carlton spielten auch auf dem fantastischen 1986er-Album „Jerusalem“ des ivorischen Reggae-Stars Alpha Blondy. Im darauf folgenden Jahr wurde Carlton jedoch ermordet.

Familyman tourte bis in die 90er Jahre hinein regelmäßig mit der Wailers Band – danach wurden seine Auftritte seltener. Zuletzt lebte er in Miami und wurde 2021 von der jamaikanischen Regierung mit dem Order of Distinction ausgezeichnet.

Zum Abschluss habe ich etwas weniger Bekanntes ausgewählt – eine Live Reggae Dub Session mit dem Meisterbassisten, Innovator und Schöpfer des typischen Bob Marley Sounds. „Dub Obsession w/ Aston „Familyman“ Barrett“ (Island King Records) ist eine improvisierte, ungeprobte, seltene und klassische Dub Session, live aufgenommen auf St. John, U.S. Virgin Islands. Während einer kurzen Auszeit von seinem endlosen Tourneeplan traf Familyman 2004 den ehemaligen Hausmixer der Wailers, Liston Bernie, der auf St. John lebt. Sie beschlossen, die Insel mit einer echten Dub Session zu verwöhnen. Die Reggae-Musiker der Insel konnten es kaum erwarten, mit diesem legendären Musiker aufzutreten, und das Publikum war mehr als begeistert. Der Auftritt wurde nicht angekündigt, und als sich die Nachricht in der Stadt verbreitete, strömten Fans aus allen Gesellschaftsschichten herbei, um bei diesem einmaligen Ereignis dabei zu sein.
Die 9 Tracks mit einer Spieldauer von knapp 75 Minuten sind definitiv ein Sammlerstück. Allein schon deshalb, weil Fams berühmter Fender Bass, mit dem er so unglaublich viele unsterbliche Basslines kreierte, für immer verstummt ist!

Bewertung: 4 von 5.
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aDUBta / Roots Organisation: A Tale Of Dubbing Horns

Die Roots Organisation aus der steirischen Landeshauptstadt Graz begeisterte mich bereits mit ihrer ersten EP “Strictly Recreational“. Ein Jahr später, im Oktober 2022, folgte das Album „A Tale Of Skanking Horns“ (Ginkgo Tree Music), ein Longplayer mit instrumentalem Reggae, feinsten jazzigen Bläsersätzen und Soli, auf dem die Roots Organisation wieder genial zu überzeugen wusste und einen vom ersten Ton an mitriss. Erinnerungen an die Urväter des Genres – die Skatalites – wurden wach. Die Riddims sind kraftvoll und strotzen vor Energie. Dazu kommen unzählige fein ausgearbeitete Bläsersätze mit viel Wucht. Am besten kommt dieser Sound zur Geltung, wenn die Bläser gleichzeitig eingesetzt werden. Hier sind wirklich Musiker am Werk, die es meisterhaft verstehen, im Grazer Stress Studio wunderbare Stimmungen und Spannungsbögen zu erzeugen. Neben der 8-köpfigen Band samt Bläsern waren als Gäste Fabian Supancic an der Orgel (Track 2 & 8), Michael Leitner an der Violine (Track 7) und Andreas „aDUBta“ Bauer an den Percussions mit von der Partie.

Mit aDUBta schließt sich nun der Kreis, denn die oben genannten Alben wurden bereits von ihm produziert, gemixt und gemastert. Eineinhalb Jahre später hat sich aDUBta erneut „A Tale Of Skanking Horns“ vorgenommen. Von den ursprünglich zehn Tracks wurden für „A Tale Of Dubbing Horns“ sechs von aDUBta einer Dub-Behandlung unterzogen, ordentlich entschleunigt und eine ganze Ecke tiefer gelegt. Das Mastering übernahm ein »gewisser« Umberto Echo, der hier im Dubblog kein Unbekannter ist.
Der Roots Organisation ist meines Erachtens ein nächster großer Wurf gelungen. Rundum hervorragend durchdachter Dub mit extrem viel Entspannungspotential. Ein wirklich exzellentes Album, das leider viel zu kurz geraten ist, da vier Tracks des Originalalbums bedauerlicherweise nicht gedubbt wurden!

Bewertung: 4 von 5.
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Christos DC: Kung Fu Action Theatre

Christos DC ist das Pseudonym von Christopher Vrenios, einem Sohn zweier professioneller Opernsänger aus Washington D.C. – was den letzten Teil seines Künstlernamens sofort erklärt. Den Spitznamen Christos verdankt Christopher seiner griechischen Großmutter. Nach seinem Mini-Album „Matchbox In Dub“ von 2023 meldet sich der griechisch-amerikanische Reggae-Musiker und Produzent mit einem bahnbrechenden Projekt „Christos DC: Kung Fu Action Theatre“ (Honest Music) zurück. Ein reines Instrumentalprojekt, das traditionelle chinesische Instrumente mit Roots-Reggae-Arrangements verschmilzt. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber ich bin der Meinung, dass die Verwendung chinesischer Instrumente ein Novum in diesem Genre ist.
In einem Interview nennt Christos DC zwei Gründe, weshalb er ausgerechnet ein Instrumentalalbum mit traditionellen chinesischen Instrumenten veröffentlichen wollte. Christos DC ist mit Kung-Fu-Filmen aufgewachsen, und die Musik, die er dabei hörte, hat ihn schon immer fasziniert, was ihn wiederum dazu brachte, mehr über klassische chinesische Musik im Allgemeinen zu erfahren. Die Idee, diese beiden Stile miteinander zu verschmelzen, trug er seit vielen Jahren mit sich herum, und das Ergebnis ist nun „Kung Fu Action Theatre“. In „Kung Fu Action Theatre“ kommen drei klassische chinesische Instrumente zum Einsatz: die Guzheng (eine Halbröhrenzither, die mit den Fingern gespielt wird), die Yangqin (ein chinesisches Hackbrett, das einem Saiteninstrument ähnelt und mit Klöppeln gespielt wird) und die Erhu (eine zweisaitige Röhrenlaute, die mit dem Bogen gestrichen wird, ähnlich einer zweisaitigen Geige). Kaum zu glauben, der Hintergrund ist zu 100 Prozent traditioneller Reggae, aber eines kann ich ohne Umschweife sagen: Die chinesischen Instrumente fügen sich traumwandlerisch in eine Fülle kreativer Arrangements ein und schaffen einen neuen Sound, der von Natur aus geheimnisvoll ist.
Zwei Tracks aus dem Projekt wurden bereits vorab von Christos DC veröffentlicht: das eklektische »Mountain King«, das auf Edvard Griegs klassischem Bühnenstück „In the Hall Of The Mountain King“ basiert, und das hypnotische »Distance«, bei dem die chinesische Instrumentierung im Vordergrund steht.
Insgesamt sind die Kompositionen, Darbietungen und die Produktion von „Kung Fu Action Theatre“ von höchster Qualität. An einfallsreichen Arrangements mangelt es nicht. Von der mäandernden, leicht melancholischen Grundidee von »Dread And Alive« bis zu »Far East«, bei dem das Tempo und der Fluss des rhythmischen Arrangements zunehmen. »Long Road« greift mit einer melancholischen, beunruhigenden Komposition den Titel des Albums auf, während »Mystic« mit seinem schnellen Schlagzeugarrangement etwas von Steppers hat. »Rising Sun« ist pures Vergnügen, »Survival« stimmt nachdenklich, während »Swan Lake« (ähnlich wie »Mountain King«) das Lied der Schwäne aus Pjotr Iljitsch Tschaikowskis klassischem Ballett aufgreift und neu belebt.

Es fällt sofort auf, dass sich Christos DC diesmal für einen warmen Roots-Sound mit Bläsern (Brian Falkowski – Saxophon und Paul Hamilton – Posaune) entschieden hat. Ein Sound, der mich sofort an US-amerikanische Virigin Islands-Produktionen erinnert, und das ist kein Zufall, denn das gesamte Projekt wurde von Laurent ‚Tippy I‘ Alfred von I Grade Records professionell abgemischt. Wir hören kein überbordendes Dub-Feuerwerk, sondern einen exzellenten meditativen Klangteppich mit ruhig mäandernden Riddims ohne viel Schnickschnack. Mit Musikern wie Style Scott, Flabba Holt, Kenyatta Hill, chinesischen Künstlern und vielen anderen hat Christos DC letztlich alles richtig gemacht und ein höchst anspruchsvolles Werk geschaffen.

Bewertung: 4.5 von 5.