Als 2019 ein neues Album mit dem martialischen Titel „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Final Battle“ angekündigt wurde, war die Erwartung groß: Sollte doch das mehr oder weniger greise, männliche Vokalisten-Who’s Who der goldenen Reggae-Ära noch einmal auf frisch eingespielten Riddims eingefangen werden, die 50/50 von Sly & Robbie und den Roots Radics stammen. Produzent Hernan Sforzini hatte dafür so ziemlich alle versammelt, die 2019 noch vor einem Mikrophon stehen konnten; das Potential für ein monumentales Album war also durchaus gegeben. Aber wie das nun mal so mit großen Erwartungen ist: Sie werden selten erfüllt. In diesem Fall gaben mediokre Gesangsleistungen klischeehafte Texte wieder, die nur selten über Spruchweisheiten hinausgehen. Das ist allerdings nur das halbe Drama, denn da ist auch noch Sforzini’s überbordende Produktion nach dem Motto „mehr ist mehr“: hier noch ein paar Keys, da noch unbedingt Bläser-Samples und vor allem mehr Perkussion, Perkussion, Perkussion! Raum zum Atmen bleibt da im mittigen Mixdown kaum – das wohl das größte Manko des Albums, wie man am Track „This Morning“ von Michael Rose gut nachvollziehen kann:
Zwei Jahre und ein paar Lockdowns später soll uns das aber nicht mehr bekümmern, denn es gilt den eben erschienenen Dub-Counterpart zu besprechen: „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle“ (Dubshot Records) hält, was das Vokal-Album versprochen hatte. Auch hier ist ein Who’s Who vertreten, allerdings dass der goldenen Dub-Ära: King Jammy, Scientist, Bunny „Striker“ Lee, Mad Professor, Dennis Bovell und Lee Scratch Perry bearbeiten die Tracks rigoros, entrümpeln sie gehörig und sorgen für eine regelrechte Wiederbelebung der Verschütteten. Hier wird sozusagen das Wunder des Dubs zelebriert – was man sehr gut in „Dub Morning“, dem von Scientist bearbeiteten Track des obigen Michael Rose-Titels hören kann:
Der Vergleich zeigt: Der Scientist hat ganze Arbeit geleistet und alles rausgeworfen, was dem Dub-Vibe nicht dienlich ist. Es bleibt die Essenz: Eine Mörder-Bassline, die sich – begleitet von mitunter explodierenden One Drop-Beats – ihren Weg durch Echo und Hall bahnt. Herrlich… Scientist kann’s immer noch, und seine Kollegen stehen ihm nicht viel nach: Jeder Track gewinnt in der Dub-Überarbeitung enorm; der Vergleich mit den Vocal-Versionen ist maximal erhellend und man kann Produzenten Hernan Sforzini, der hier als Don Camel ebenfalls für drei Dubs verantwortlich zeichnet, zum durchwegs gelungenen Release gratulieren.
Mir ist allerdings nicht ganz verständlich, warum auf dem Release auch noch zwei zusätzliche Tracks von King Tubby aus den schätzomativ-frühen 80ern vertreten sind. Sie haben so rein gar nichts mit dem Original-Vokal-Album zu tun und sind in ihrer Schlichtheit bar jeglicher Dramaturgie völlig untypisch für Tubby. Das Motto „mehr ist mehr“ scheint für Produzenten Sforzini also doch noch nicht ganz vom Tisch zu sein.
Letztlich bleibt anzumerken, dass wir uns in einer Phase befinden, in der wir uns von vielen der ganz Großen des Genres verabschieden müssen – gerade die letzten Monate haben das schmerzlich gezeigt. Auch „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle“ ruft uns das ins Bewusstsein: Mitwirkende wie Bunny Lee, Toots Hibbert, Lee Perry sind nicht mehr. Auch Style Scott ist nicht mehr, hätte aber als Roots Radics-Urgestein unbedingt dabei sein müssen. Es ist ein Generationenwechsel im Gange, dem gefühlt die nachfolgende Generation fehlt. Aber wer käme schon einem grenzgenialen Lee „Scratch“ Perry auch nur irgendwie nahe…