Es gibt Artists, deren Werk so unüberschaubar, wechselhaft und stilistisch zerfasert ist, dass man jedes neue Release zunächst vorsichtig beäugt – ohne zu wissen, ob einen ein Geheimtipp oder ein Schnellschuss erwartet. Haris Pilton gehört für mich genau in diese Kategorie. Sein Output ist enorm, sein Stil bisweilen flatterhaft, seine Veröffentlichungen reichen von charmant bis unverständlich. Doch dann kommt „Think Dubby“ (Montego Bay Records) – und plötzlich ist da ein Album, das sich wie ein ruhender Pol im Pilton-Universum anfühlt. Ein Glanzstück. Vielleicht sogar sein Glanzstück.
Schon der Untertitel macht klar, wohin die Reise geht: „Haris Pilton Tribute to King Tubby“. Und tatsächlich – dieses Album verneigt sich nicht nur vor Tubby, es huldigt ihm geradezu. Hier geht es um Ehrfurcht, um Respekt und darum, ein Kapitel jamaikanischer Musikgeschichte so authentisch wie möglich weiterklingen zu lassen. Der von Pilton verfasste Begleittext zeichnet Tubby als das, was er war: Wissenschaftler am Mischpult, Schöpfer einer musikalischen Sprache, der Mann, der aus Drum & Bass spirituelle Architekturen formte. Pilton knüpft daran an. Nicht nur in der Ästhetik, sondern auch im Anspruch.
Wer auf „Think Dubby“ tatsächlich spielt – oder ob überhaupt jemand spielt – bleibt im Verborgenen. Angesichts Piltons Produktionsgeschwindigkeit liegt der Verdacht nahe, dass hier viel digital entstanden ist. Und doch klingt das Album beeindruckend analog: warm, staubig, historisch. Die Basslines rollen wie aus einer alten Channel-One-Session, die Drums klingen trocken, die Effekte – Delay, Federhall, Filter – könnten direkt aus Tubbys Labor stammen. Es ist fast irritierend, wie sehr diese Tracks nach 1975 riechen. Nicht im Sinne von Nostalgie-Kitsch, sondern wie echte, ehrliche Dub-Arbeit aus der Blütezeit des Genres. Manche der Versionen wirken so tubbysk, dass man sie beim Blindhören für unveröffentlichte King-Tubby-Cuts halten könnte – wenn Tubby damals schon einen so druckvollen Sound hätte mastern können.
Das Album ist stilistisch schlanker, konzentrierter und ernsthafter als vieles, was Pilton sonst veröffentlicht. Keine Experimente, keine Abwege – nur klassischer, geradliniger Dub. Und dieser Fokus tut ihm hörbar gut. Die Rhythms sind großartig: feste Fundamente, tief geerdet, aber elegant. Die Mixe sind sauber, unaufdringlich, aber wirkungsvoll – nicht der Versuch, Effekte zu stapeln, sondern sie gezielt einzusetzen. Genau so, wie Dub im Kern gedacht war: als Kunst des Weglassens und der Betonung. Die Produktion bleibt trotz der Retro-Orientierung klar, druckvoll und gut ausbalanciert. Es ist ein Album, das Spaß macht, ohne anbiedernd zu sein. Ein Album, das man hören kann, ohne ständig darüber nachzudenken, wie es gemacht wurde – und gleichzeitig genau dafür Respekt empfindet, dass es so klingt. Für mich ist „Thing Dubby“ eines der schönsten Werke von Haris Pilton: ausgewogen, fokussiert, geschmackssicher und klanglich erstaunlich authentisch. Ein Album, das man in Ruhe durchhören kann, das aber auch sofort im Bauch landet, wenn man es laut über gute Boxen laufen lässt. Ja, „Think Dubby“ klingt wie eine Postkarte an King Tubby, geschrieben mit Respekt und voller Liebe zu den Wurzeln des Dub.
Haris Pilton: Think Dubby
