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Haris Pilton: Think Dubby

Es gibt Artists, deren Werk so unüberschaubar, wechselhaft und stilistisch zerfasert ist, dass man jedes neue Release zunächst vorsichtig beäugt – ohne zu wissen, ob einen ein Geheimtipp oder ein Schnellschuss erwartet. Haris Pilton gehört für mich genau in diese Kategorie. Sein Output ist enorm, sein Stil bisweilen flatterhaft, seine Veröffentlichungen reichen von charmant bis unverständlich. Doch dann kommt „Think Dubby“ (Montego Bay Records) – und plötzlich ist da ein Album, das sich wie ein ruhender Pol im Pilton-Universum anfühlt. Ein Glanzstück. Vielleicht sogar sein Glanzstück.
Schon der Untertitel macht klar, wohin die Reise geht: „Haris Pilton Tribute to King Tubby“. Und tatsächlich – dieses Album verneigt sich nicht nur vor Tubby, es huldigt ihm geradezu. Hier geht es um Ehrfurcht, um Respekt und darum, ein Kapitel jamaikanischer Musikgeschichte so authentisch wie möglich weiterklingen zu lassen. Der von Pilton verfasste Begleittext zeichnet Tubby als das, was er war: Wissenschaftler am Mischpult, Schöpfer einer musikalischen Sprache, der Mann, der aus Drum & Bass spirituelle Architekturen formte. Pilton knüpft daran an. Nicht nur in der Ästhetik, sondern auch im Anspruch.
Wer auf „Think Dubby“ tatsächlich spielt – oder ob überhaupt jemand spielt – bleibt im Verborgenen. Angesichts Piltons Produktionsgeschwindigkeit liegt der Verdacht nahe, dass hier viel digital entstanden ist. Und doch klingt das Album beeindruckend analog: warm, staubig, historisch. Die Basslines rollen wie aus einer alten Channel-One-Session, die Drums klingen trocken, die Effekte – Delay, Federhall, Filter – könnten direkt aus Tubbys Labor stammen. Es ist fast irritierend, wie sehr diese Tracks nach 1975 riechen. Nicht im Sinne von Nostalgie-Kitsch, sondern wie echte, ehrliche Dub-Arbeit aus der Blütezeit des Genres. Manche der Versionen wirken so tubbysk, dass man sie beim Blindhören für unveröffentlichte King-Tubby-Cuts halten könnte – wenn Tubby damals schon einen so druckvollen Sound hätte mastern können.
Das Album ist stilistisch schlanker, konzentrierter und ernsthafter als vieles, was Pilton sonst veröffentlicht. Keine Experimente, keine Abwege – nur klas­si­scher, geradliniger Dub. Und dieser Fokus tut ihm hörbar gut. Die Rhythms sind großartig: feste Fundamente, tief geerdet, aber elegant. Die Mixe sind sauber, unaufdringlich, aber wirkungsvoll – nicht der Versuch, Effekte zu stapeln, sondern sie gezielt einzusetzen. Genau so, wie Dub im Kern gedacht war: als Kunst des Weglassens und der Betonung. Die Produktion bleibt trotz der Retro-Orientierung klar, druckvoll und gut ausbalanciert. Es ist ein Album, das Spaß macht, ohne anbiedernd zu sein. Ein Album, das man hören kann, ohne ständig darüber nachzudenken, wie es gemacht wurde – und gleichzeitig genau dafür Respekt empfindet, dass es so klingt. Für mich ist „Thing Dubby“ eines der schönsten Werke von Haris Pilton: ausgewogen, fokussiert, geschmackssicher und klanglich erstaunlich authentisch. Ein Album, das man in Ruhe durchhören kann, das aber auch sofort im Bauch landet, wenn man es laut über gute Boxen laufen lässt. Ja, „Think Dubby“ klingt wie eine Postkarte an King Tubby, geschrieben mit Respekt und voller Liebe zu den Wurzeln des Dub.

Bewertung: 4.5 von 5.

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Five Star Review

Soul Sugar Meets Dub Shepherds: Blue House Rockin‘

Was für ein herrlich geerdetes Album! „Blue House Rockin’“ von Soul Sugar meets Dub Shepherds (GEE Recordings) ist für mich weit mehr als ein weiteres schönes Herbst-Release – es ist eines dieser Werke, von dem man schon vor dem ersten Ton weiß: Das wird gut! Hier steckt Leidenschaft drin. Wärme. Hingabe. Können. Und vor allem: echtes Handwerk. Während so vieles heute glattgebügelt algorithmisch weichgespült klingt, kommt dieses Album als Gegenentwurf daher – einer, der sich nicht nur hören lässt, sondern der sich auch absolut richtig anfühlt.
Die Kombination aus Soul Sugar (Guillaume Metenier) und den Dub Shepherds (Jolly Joseph, Dr. Charty, Jahno) wirkt wie ein glücklicher Zufall der Musikgeschichte. Alle vier teilen diese tiefe Zuneigung zu analoger Klangwelt und jamaikanischem Studiogeist. Allein die Produktionsweise ist schon eine Hommage an die goldenen Zeiten: zwei Tage live eingespielt im Blue House Studio, Röhren- und Bändchenmikros aus den 50ern und 60ern, direkt aufs 24-Spur-Tape, später analog gemischt bei Bat Records. Kein künstlicher Bombast, keine digitale Luftpolsterfolie – sondern Musik, pure & direct. Jeder Ton hat Sinn, jede Pause Bedeutung, jedes Echo eine Funktion.
Dass das Album stilistisch nicht in einer Schublade steckt, sondern ganz selbstverständlich zwischen Roots Reggae, Soul, Funk und Dub wandert, macht es so reizvoll. Gleich zum Auftakt: Curtis Mayfields „Give Me Your Love“. Ein leises Statement. Soulig, warm, mit Jolly Josephs Falsett, das perfekt über dem Groove liegt. Ähnlich berührend: Aaron Frazers „My God Has a Telephone“ – hier in einem Reggae-Gewand, das die Seele des Originals bewahrt und gleichzeitig eine völlig neue Farbe hinzufügt. „Hold My Hand“ – während der Session entstanden – fügt sich so natürlich ins Gesamtbild ein, als hätte der Song immer schon existiert. Ein Hauch Lovers Rock, aber ohne Kitsch, dafür mit Gefühl und viel Wärme. Und dann: „Family Affair“. Shniece McMenamin verwandelt den Track in einen vibrierenden Reggae-Hybrid voller Haltung und Soul. Ein Highlight.
Guillaume Metenier an der Hammond-Orgel – das ist ohnehin schon fast eine Garantie für Magie. So auch hier: Die Instrumentals „Disco Jack“, „Choice of Music“ und „Drum Song“ verneigen sich tief vor Jackie Mittoo, und das nicht nur formal. Sie grooven, sie schweben, sie leben – und zeigen, wie viel Seele in Instrumentals steckt, wenn sie mit Talent und Leidenschaft gespielt werden. Und als letzter Gruß aus dem Studio: „Blue House Rock“. Eine spontane Jam, roh, funky, durchzogen vom Geiste Studio Ones. Ein kleines Wunder zum Schluss.
Warum das alles so gut funktioniert? Weil es ehrlich ist. Weil dieses Album nicht versucht, etwas zu sein – sondern einfach ein selbstbewusst Statement ist. Keine Retro-Show, sondern eine echte Verbeugung vor musikalischen Wurzeln. Analoge Produktion, aber keine verstaubte Nostalgie. Blue House Rockin’ berührt mich wirklich, weil es einfach richtig schöne Musik im klassischen Sinne ist. So klangen meine Reggae-Alben, als ich anfing diese Musik zu lieben. Ich glaube, diese Erinnerungen erfüllt mich mit viel nostalgischer Sentimentalität, die es mir unmöglich macht, hier wirklich objektiv zu urteilen. Klar ist jedenfalls: Für mich ist „Blue House Rockin’“ eines der besten Releases von 2025.

Bewertung: 5 von 5.

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Five Star Review

JEFF the Brotherhood meets Blanc du Blanc: Magick Songs In Dub

Wer ausschließlich Dub in Kombination mit Reggae Riddims mag, sollte an dieser Stelle nicht weiterlesen, da „JEFF the Brotherhood meets Blanc du Blanc: Magick Songs In Dub“ (Soul Selects Records) völlig anders ist. Möglicherweise hat es sogar im Dubblog nichts verloren, weil…

Trotzdem handelt es sich um eine äußerst fesselnde Entwicklung im Dub-Genre. Ich kann nichts dagegen tun, das Album „Magick Songs In Dub“ hat mich vor zwei Tagen wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ohne große Umschweife: Ich sehne mich nach solchen Alben, und ich kann euch auch den Grund nennen. „JEFF The Brotherhood Meets Blanc Du Blanc: Magick Songs In Dub“ spricht direkt meine musikalische Prägung an (Psychedelic, Krautrock, Jazz, Dub und mehr).

Die Brüder Jake und Jamin Orrall aus Nashville haben sich seit ihrer Gründung im Jahr 2001 kontinuierlich weiterentwickelt und sind jetzt, nach ihrem brillanten chaotischen Grunge-Sound und verschiedenen Rock’n’Roll-Subgenres, im Bereich des jazzbeeinflussten Art-Rock angekommen. Mit ihrem 2018 veröffentlichten Doppelalbum „Magick Songs“ tauchten die Brüder Jake und Jamin in psychedelische Dimensionen ein und verbanden berauschende Stoner-Grooves mit atmosphärischen Klanglandschaften. Es lag nahe, die mystischen Klangkünstler Blanc du Blanc zu kontaktieren, um gemeinsam das intergalaktische Mini-Album „Magick Songs in Dub“ zu erschaffen. Leider haben nur vier Tracks eine Dub-Transformation erhalten. Diese vier Stücke genügen mir jedoch, um nach mehr zu verlangen. Blanc du Blanc haben ihre zauberhafte Dub-Kunst wunderbar in die bereits eindringlichen Kompositionen eingewoben.

Die EP beginnt mit perkussiven Klängen und mit „Wasted Land Dub“ startet die Reise in andere Klangdimensionen. Darauf folgt „Celebration Dub“ und das alchemistische Tor wird geöffnet. Tiefe Basslinien und Tribal-Percussion verleihen dem Stück ein hypnotisch tanzbares Element. Mit dem 7-minütigen „Many Moods Dub“ – auf dem Original-Album eine ganze Seite – nähern wir uns den Ebenen des Unterbewusstseins. Der Klang wird hypnotisch, mit vielen sphärischen Geräuschen, bis das dissonante Gitarrenchaos einsetzt und mir Gänsehaut über den Rücken jagt. Jetzt versetzt mich der Klang direkt in die Zeit der „Kosmischen Kuriere“ und all der Klangexperimente des Krautrock. Zum schönen Abschluss und zur sanften Landung folgt ein träge fließender „Singing Garden Dub” mit teilweise asiatisch anmutenden Klängen und einem wohlig warmen Saxofon.

Wie bereits erwähnt: „Magick Songs in Dub“ läuft momentan in Dauerschleife, und ich kann wirklich jedem nur empfehlen, sich die Zeit zu nehmen. Das Teil ist irre gut!

Bewertung: 5 von 5.
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Five Star Review

Dub Spencer & Trance Hill: Synchronos

Dub Spencer & Trance Hill haben eine musikalische Vision: Den perfekten Hybrid aus Dub und Trance – analog eingespielt und soundtechnisch vom Feinsten. Mit „Synchronos“ (Echo Beach) ist der Band eine Punktlandung gelungen.

Die Schweizer Musiker setzen auch auf ihrem neuen Album musikalische Versatzstücke – Dub, Trance, Dance, Techno, Rock, Jazz – neu und unerwartet zusammen: Experimentierfreudig, vielschichtig und jederzeit für Überraschungen gut. Das kommt dann mal als schwere Bass-Lawine, dann wiederum tanzbar oder ziemlich trippig aus den Boxen. 

Im Gegensatz zur digitalen Ethno-, Downtempo- und Trance-Szene vertrauen die vier Luzerner ausschließlich auf analoge Instrumente: Drums, Bass, Gitarre, Keyboards – veredelt mit zahlreichen Dub-Effekten und Sound-Gimmicks. Synchronos geht damit unbeirrt den Weg weiter, den Dub Spencer & Trance Hill mit dem Vorgänger-Album „Imago Cells“ eingeschlagen haben: Klassische Songstrukturen mehr und mehr hinter sich lassend, legen sie den Fokus auf eingängige, sich hypnotisch wiederholende Grooves und betonen damit einmal mehr den Trance-Anteil in ihrer Musik. Für die passenden Endgeräte gibt’s deshalb „Synchronos“ auch als Dolby Atmos-Mix, auf dass dem Hörer die Echos und Beats dreidimensional um die Ohren fliegen.

Dub Spencer & Trance Hill werden Synchronos 2025/26 auf einer ausgedehnten Club-Tour vorstellen – mit dabei Umberto Echo, der Konzerte in ausgewählten Venues erstmals live im Surround-Sound abmischt. Hingehen, anhören, staunen – oder aber das feine Album per Kopfhörer geniessen und sich völlig den Klangwelten von Dub Spencer & Trance Hill hingeben. Wer da nicht „wow“ sagt, hat vermutlich kaputte Teile auf den Ohren sitzen.

Bewertung: 5 von 5.

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Adrian Sherwood: The Collapse of Everything

Was für ein dystopischer Titel: „The Collapse of Everything“ (On-U Sound). Adrian Sherwood hat sein neues Solowerk so benannt und legt damit nach 13 Jahren ein Album vor, das seinem Titel in beinahe brutaler Konsequenz gerecht wird. Wer Dub erwartet – und bei Sherwood ist das schließlich nicht unberechtigt – wird sich erst einmal die Ohren reiben. Der Klangkosmos, den das On-U-Sound-Mastermind hier entwirft, ist weit von allem entfernt, was gemeinhin als „Dub“ bezeichnet wird. Und doch ist es genau das: Dub im Geiste. Dub als Haltung. Dub als Methode des Zerschlagens und Neuordnens.
Schon „Survival & Resistance“ zeigte 2012 deutlich, dass Sherwood mit seinen Solowerken eigene Wege geht. The „Collapse of Everything“ aber verlässt endgültig die vertrauten Pfade. Was bleibt, ist die dekonstruktivistische Produktionsweise: Schichten aus Live-Recordings, Effekten, Fragmenten und Rhythmen, die sich nicht um Groove kümmern, sondern um Atmosphäre, Kontrast, Bruch. Der Klang ist häufig schräg, streckenweise gar atonal, manchmal fast abweisend. Sherwood scheint hier nicht gefallen zu wollen, sondern liefert vielmehr ein düsteres Poem über Verlust, Vergänglichkeit und Widerstand.
Der Tod zweier enger Freunde – Mark Stewart und Keith LeBlanc – hat das Album mitgeprägt. Es ist nicht sentimental geworden, aber durchzogen von einem leisen, schroffen Respekt für das Unvermeidliche. In Tracks wie dem titelgebenden „The Collapse of Everything“ schwebt ein Gefühl von Desillusionierung durch die weitläufigen Soundscapes, unterlegt mit Percussions, dissonanten Pads und immer wieder auftauchenden, kaum greifbaren Melodiefragmenten. Der Widescreen-Sound wirkt wie Filmmusik – aber nicht die eines Blockbusters, sondern die eines dystopischen Arthaus-Films. Tarkowski trifft Technoir.
Sherwood wäre nicht Sherwood, wenn er sich auf seine eigene Genialität verlassen würde. Er umgibt sich, wie eh und je, mit einer exquisiten Besetzung: Doug Wimbish sorgt für die tiefen Frequenzen, Ivan „Celloman“ Hussey steuert Streicher bei, Mark Bandola an der Gitarre, Chris Joyce am Schlagzeug – eine illustre Runde, mit der Sherwood seine experimentellen Ideen in organische Formen gießt. Die Holzbläser und Keys von Alex White verleihen dem Sound zusätzliche Tiefe, manchmal fast jazzartige Weite. Es sind diese subtilen Beiträge, die verhindern, dass „The Collapse of Everything“ in bloßer Düsternis versinkt. Stattdessen schimmert da etwas – kein Licht, aber ein Bewusstsein. „Ich versuche nicht, irgendjemandem außer mir selbst zu gefallen“, sagt Sherwood über das Album. Diese Haltung prägt jeden Takt. Der Dub-Gedanke ist nicht musikalisch, sondern strukturell: Dinge aufbrechen, neu zusammensetzen, Bedeutungen verschieben. Wie in einem musikalischen Palimpsest überlagern sich Sounds, Erinnerungen, Referenzen. Wer genau hinhört, entdeckt die Spuren von On-U Sound, von „Becoming A Cliché“, von Lee Perry und Bim Sherman – aber alles durch den Filter einer dissonant-dystopischen Klangästhetik gezogen.
Dass Sherwood in den letzten Jahren für Artists wie Spoon, Panda Bear oder Halsey arbeitete, merkt man: Er die Sprache des Indie, des Pop, des Avantgarde-Electronica ist ihm sehr geläufig. Doch er benutzt sie nicht, um anschlussfähig zu sein. Im Gegenteil: The „Collapse of Everything“ ist eine Absage an Zugänglichkeit. Es ist radikal, subjektiv, fast hermetisch – und darin konsequent.
The „Collapse of Everything“ ist definitiv kein Album für Dubheads auf der Suche nach einem Bass-Upgrade. Es ist ein Statement. Ein forderndes, widerspenstiges, sperriges Stück Musik, das sich jeglicher Funktion verweigert. Man könnte sagen: Adrian Sherwood hat den Dub zur freien Kunst erhoben – befreit von jeder funktionalen Bestimmung. Wer hören will, wie Dub klingen kann, wenn er sich von seinen Wurzeln löst, davon im Sound System oder auf dem Dancefloor funktionieren zu müssen, von jeglichen Publikumserwartungen und überhaupt von allem, was wir an Dub so lieben – und dabei doch irgendwie Dub bleibt, findet hier ein faszinierendes, vielschichtiges, ungemütliches Werk.

Bewertung: 4 von 5.

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King Size Dub – Hamburg

Manchmal, wenn im Hafen der Nebel hängt und ein dumpfer Bass aus dem Inneren eines Clubs durch die Speicherstadt wabert, glaubt man ihn hören zu können – den Nachhall jenes fiktiven Traumstrandes, von dem Martha & The Muffins 1980 in ihrem Song „Echo Beach“ sangen. Was einst bloß eine Metapher war, hat sich längst verortet: Der Echo Beach liegt in Hamburg. Hier nämlich, am Elbufer, gründete Nicolai Beverungen 1995 ein Label, das seither wie kein zweites den Dub-Sound hierzulande verbreitet, erweitert und erforscht hat. Zum 30-jährigen Bestehen kehrt das Label nun mit der Compilation „King Size Dub – Hamburg“ (Echo Beach) zu seinen Ursprüngen zurück – und zeigt eindrucksvoll, dass Dub in dieser Stadt mehr ist als ein Stil: Es ist Soundtrack, Haltung, Geschichte.
Als Echo Beach 1995 mit der ersten King Size Dub-Compilation auftrat, war das ein Statement. Während sich der UK-Dub in kleinen Soundsystem-Communities verfestigte, übersetzte Nicolai den Sound für ein kontinentales Publikum und ließ seine eigene Punk-Vergangenheit einfließen. Schnell folgten Compilations aus Neuseeland, Südafrika, Italien, Jamaika und den USA, dazu Reissues und Neuinterpretationen, die Dub mit Dance, Punk, Minimal und Pop in Verbindung brachten. Der Labelkatalog wurde zum offenen Archiv des globalen Dub-Geschehens – ohne dabei den Blick für die lokale Szene zu verlieren.
Denn Hamburg war von Anfang an Teil dieser Bewegung: Mit Formationen wie Dub Me Ruff, Dub Division, Di Iries und Arfmanns Projekten (Turtle Bay Country Club, Kastrierte Philosophen) gab es schon in den 90ern eine vitale Szene, die nicht jamaikanische oder britischen Dub kopierte, sondern weiterdachte. Genau hier setzt „King Size Dub – Hamburg“ an – und führt all diese Fäden in einem dichten, 33 Tracks starken Kompendium zusammen.
Diese Compilation ist dabei keine simple Rückschau. Sie dokumentiert nicht nur, sie kuratiert, aktualisiert, verknüpft.
Der Opener – ein hypnotischer Disco-Dub von Station 17, gemixt von DJ Koze – zeigt exemplarisch, wie der klassische Dub-Ansatz (Reduktion, Raum, Rhythmus) auf aktuelle Produktionsweisen trifft. Dass sich Udo Lindenberg und Jan Delay auf der Reeperbahn begegnen (aber nur auf der Vinyl-LP), ist mehr als ein Marketing-Gag: Es ist eine Reminiszenz an das popkulturelle Selbstverständnis der Stadt – aufgelöst in Echo und Hall durch Guido Craviero, den Live-Soundmagier von Seeed und Peter Fox. Matthias Arfmann, einer der Gründerväter des deutschen Dub, tritt gemeinsam mit seinem Sohn Chassy auf. Es ist eine schöne Analogie: Wie das Label Echo Beach musikalische Generationen verbindet, so tun es auch seine Protagonisten. Lee „Scratch“ Perry ist ebenso vertreten wie Elbtonal Percussion, deren Max-Romeo-Cover in Zusammenarbeit mit Prottassov avantgardistisch über den Tellerrand schaut. Auch das Politische hat Platz: TC Sunshines Agit-Dub über Nikel Pallats legendären Auftritt bei einer TV-Talkshow 1971 (bei dem ein Tisch zu Bruch ging) klingt wie ein Stück akustischer Erinnerungskultur. Knarf Rellöm Arkestra prangert in „Die Mieten sind zu hoch“ die soziale Realität vieler Großstädte an – und wird von Dub Spencer & Trance Hill aus der Schweiz kongenial in Dub übersetzt. Hier verbinden sich Musik und Milieu zu einem urbanen Klangbild, das weit über Hamburg hinausweist.
Hamburgs Szene lebt nicht nur von ihren Soundsystems, sondern von der Durchlässigkeit der Genres. Das macht sich besonders auf dieser Compilation bemerkbar: Heinz Strunk bringt mit „Black Jets Dub“ Pubertät auf den Punkt, Jacques Palminger & Kings of Dubrock gendern Chaka Khan mit hanseatischer Lässigkeit. Prince Istari und Legoluft liefern Dub in der Tradition des DIY-Geists, und mit Kein Hass Da (die Bad Brains auf Deutsch covern) schließt sich ein Kreis zwischen Punk, Dub und Subversion. Auch Größen wie Deichkind, Erobique, Sam Ragga Band, Fettes Brot oder die Goldenen Zitronen sind vertreten – nicht als Stars, sondern als Teil eines Kollektivs, das die Vielfalt dieser Szene ausmacht. Es ist der Sound einer Stadt, die sich nie festlegen ließ – schon gar nicht in musikalischer Hinsicht.
Was „King Size Dub – Hamburg“ so schön macht, ist die Symbiose aus Rückblick und Vision. Sie zeigt, wofür Echo Beach seit 1995 steht: für das ständige Re-Kontextualisieren eines Genres, das seine Stärke gerade in der Experimentierfreudigkeit findet. Das Label hat Dub nicht nur importiert, sondern geprägt, adaptiert, geformt – bis hin zu den gefeierten Tributes an The Clash, David Bowie, Kraftwerk oder Grace Jones und die Ramones. Die Stadt, in der das alles begann, bekommt mit diesem Album ihre Dub-Hommage – rau, verspielt, tief, durchzogen von Spuren, Stimmen und Geschichten. Hamburg ist nicht nur Kulisse, sondern Klangquelle. Und Echo Beach bleibt das Leuchtfeuer am Horizont.

Bewertung: 4 von 5.

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Five Star Review

Sheriff Lindo And The Hammer: 10 Dubs That Shook The World [2025 Edition]

Wieder ein Album aus Down Under, welches einst komplett und unentdeckt an mir vorübergegangen ist. Zum Glück bekommen wir jetzt die 2025er Ausgabe von „Sheriff Lindo And The Hammer: 10 Dubs That Shook the World [2025 Edition]“ (EM Records). Warum eigentlich 10 Dubs? Auf der LP sind acht Tracks zu hören und auf die CD wurden noch fünf Bonus-Tracks draufgepackt. Egal, es ist das legendäre erste Album von Anthony Maher, einem Mitglied des australischen Experimentalmusik-Ensembles „Loop Orchestra“, das unter dem Namen „Sheriff Lindo And The Hammer“ mithilfe von Bandmitgliedern der „Severed Heads“ damals gerade einmal 250 Exemplare des Albums produzierte. Der Experimentiergeist des Reggae-Maniacs Anthony Maher ging bei den Mixes weit über King Tubbys Dub-Ideen hinaus, wobei er auch in Bereiche des Post-Punk und der britischen experimentellen Avantgarde-Künstler wie David Cunningham und David Toop vordrang. Da die Aufnahmen zu „Ten Dubs That Shook The World“ aus den Jahren 1981 bis 1988 stammen, lässt sich auch vermuten, dass die damaligen experimentellen On-U Sound Alben eines Herrn Adrian Sherwood diese Zusammenstellung von Tonbandexperimenten ebenfalls stark beeinflussten. Oder ist Anthony Maher sogar die australische Antwort auf Adrian Sherwood?


Diese acht fetten Dubs (LP) sind auf jeden Fall geprägt von der Fingerfertigkeit und dem Faderflicking-Timing von Anthony Maher aka Sheriff Lindo. Seine Fähigkeiten für prägnant gesetzte Effekte und Soundspielereien setzt er mit bemerkenswerter Sicherheit ein. Als Schöpfer von „Ten Dubs…” wird Maher für seine Kombination aus jamaikanischem Dub und britischem Industrial sowie Post-Punk als antipodischer Ausreißer der Dub-Musik gepriesen. Er entfernt sich weit von ihrem Ursprung, hat aber immer ein festes Verständnis für ihre fantastische, entmaterialisierte Dynamik.
Was soll man dazu noch sagen? Für mich sind es ein paar Alben im Jahr, die einfach anders und sehr spannend sind. Dazu gehört ab sofort auch der Meilenstein mit Kultstatus „10 Dubs That Shook The World“, der nach 37 Jahren wieder aus den Tiefen des australischen Untergrunds aufgestiegen ist, um endlich an der Oberfläche zu bleiben. Diese acht bzw. 13 Dubs sind weniger eine Zeitkapsel als vielmehr ein Signal, das bis heute mit unverminderter Kraft und Dynamik nachwirkt.

Bewertung: 5 von 5.
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Tor.Ma in Dub: Full Circle

Mit „Full Circle“ (Dubmission) präsentiert Tor.Ma in Dub ein Werk, das gleichermaßen kompromisslos wie konzentriert wirkt – und das vor allem durch seinen Einstieg eine unerwartete Wucht entfaltet. Die ersten beiden Tracks, „Lights On“ und „Earth Calling“, markieren einen radikalen Moment im Schaffen des mexikanischen Produzenten: zwei gnadenlose Steppers-Monolithen, die mit dem verspielten Psydub-Image, das ihm oft zugeschrieben wird, nichts mehr zu tun haben. Hier ist kein Platz für flirrende Klangteppiche oder sphärische Spielereien – was sich stattdessen entlädt, ist reine Soundsystem-Energie. Die Bassdrum marschiert mit fast brutaler Geradlinigkeit durch die Tracks, stoisch und unnachgiebig, während ein unmodulierter, tiefschwarzer Subbass den Raum füllt und die Magengruben erschüttert. Es sind diese zwei Stücke, die das Potenzial haben, auf jeder Dub-Session für kollektives Kopfnicken und eine Reihe von Rewinds zu sorgen. Kein überflüssiger Effekt, kein ornamentales Beiwerk – nur Groove, Druck und ein fast technoider Minimalismus, der an frühe UK-Steppers erinnert, aber mit einer düster-digitalen Kante versehen ist, wie man sie aus dem Dunstkreis von Alpha & Omega kennt.
Im weiteren Verlauf der EP kehrt Tor.Ma in Dub dann zurück zu vertrauterem Terrain. Die restlichen drei Stücke öffnen sich atmosphärisch, werden sanfter, lassen Raum für esoterisch angehauchte Melodien und psychedelisch schillernde Klangtexturen. Hier klingt wieder durch, was Produzent Hernández in Interviews als seinen kreativen Ursprung beschreibt: eine Affinität zu inneren Klangräumen, zu meditativen Zuständen, zu bewusstseinserweiterndem Sounddesign. Doch auch in diesen Tracks bleibt der Rhythmus klar und geerdet – das Spiel mit Raum und Frequenz bleibt stets im Dienst des Dub.
„Full Circle“ ist mehr als nur eine weitere EP im Katalog von Tor.Ma in Dub – es ist ein markanter Einschnitt, ein bewusst gesetzter Akzent. Die unbändige Energie der ersten beiden Tracks wirkt wie ein Paukenschlag, der den Künstler in einem neuen Licht zeigt: roh, direkt, auf das Wesentliche reduziert. Ohne Schnörkel, ohne Rückversicherung, mit maximalem Nachdruck. Was danach folgt, ist kein Abflauen, sondern ein gezielter Perspektivwechsel. Die restlichen Stücke öffnen andere Türen, lassen Raum für Tiefe und Kontemplation, für die verträumte, schwebende Seite, die man mit Tor.Ma in Dub bislang vorrangig assoziierte. Doch gerade im Kontrast zu den brachialen Eröffnungsnummern gewinnen auch diese leiseren Töne an Schärfe. So gelingt es „Full Circle“, zwei Pole zu vereinen – Druck und Weite, Körper und Geist – und daraus ein geschlossenes, spannungsgeladenes Werk zu formen.

Bewertung: 4 von 5.

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Dennis Bovell: Wise Music in Dub

Dennis Bovell meldet sich mit „Wise Music in Dub“ (Wise Records) zurück und liefert ein Dub-Album, das nicht nur seine jahrzehntelange Erfahrung widerspiegelt, sondern auch seine Vorliebe für echte Songs und prägnante Melodien. Zum 72. Geburtstag schenkt er sich – und uns – eine Sammlung von elf Dub-Versionen, die von Soul-Vorlagen über Doo-Wop bis hin zu Protestsongs reichen – allesamt von einem Klang geprägt, der optimistisch, sonnendurchflutet und heiter daherkommt. Ganz untypisch für Dub: frei von Schwere und Düsternis. Bovell hat sich dabei ein beeindruckendes Ensemble ins Studio geholt – von Papa Dee über Brinsley Forde bis hin zu Carroll Thompson – und genau die Stücke bearbeitet, auf die er selbst Lust hatte. Dass er sich dabei keinen Deut um aktuelle Dub-Trends schert, ist das größte Kompliment, das man dem Album machen kann. Sein Ansatz hat einen redlichen Old School-Charme: Bovell spielt Reggae so, als hätte es die letzten 40 Jahre schlicht nicht gegeben. Kein Modular-Gefrickel, keine futuristischen Effekte, kein typisches Dub-Mixing – sondern handgemachte Rhythmen, bekannte Melodien, viel Gesang und viel Herzblut. Gerade deshalb wirkt das Album so glaubwürdig: „Wise Music In Dub“ klingt nicht nach einem nostalgischen Rückgriff, sondern nach einem Mann, der sich nicht verstellen muss. Der macht, was ihm Spaß macht, was ihn grooven lässt – und was ihn vermutlich auch an die guten alten Zeiten erinnert, als Reggae im UK noch angesagt war – und er mittendrin im Geschehen.
Nicht jeder Track zündet gleichermaßen – „You’re A Big Girl Now“ etwa driftet gefährlich nah an den Kitschrand –, aber gerade diese Unebenheiten verleihen dem Album Charakter. Am stärksten ist Bovell, wenn er auf seine ureigene Handschrift vertraut: Wenn Carroll Thompson über die Dub-Version von Les Fleurs schwebt, wenn Swizz the Panist die Steel Pans zum Glühen bringt oder wenn ein einfacher Offbeat plötzlich zur Zeitmaschine wird. „Wise Music In Dub“ ist ein musikalischer Spaziergang durch Bovells Kopf und Herz.

Bewertung: 3.5 von 5.

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J. Robinson (WhoDemSound): Dubplates Volume 1

Ich höre die Musik von J. Robinson seit Jahren. Releases auf WhoDemSound, diverse Dubplates, immer wieder taucht sein Name auf. Und trotzdem: Ich weiß nichts über ihn. Keine Bio, kein Interview, kein Gesicht, keine Anekdote. Auch das Internet – sonst zuverlässig auskunftsfreudig – bleibt stumm. Keine brauchbaren Informationen. Keine Hinweise. Keine Geschichte. Das ist unbefriedigend, aber vielleicht auch konsequent. Also bleibt nur die Musik.
Und die, muss ich zugeben, läuft bei mir gerade ziemlich oft. Genauer gesagt: „Dubplates Volume 1“ (Whodemsound). Ein Album, das keinerlei Überraschungen bereithält. Keine stilistischen Experimente, keine neuen Produktionsideen, keine markanten Sound-Details. Digitaler UK-Dub, wie man ihn kennt. Warm. Gleichförmig. Funktional. Und trotzdem höre ich es ständig. Ich klicke auf Play. Immer wieder. Ich höre es laut. Nicht aus analytischem Interesse, nicht aus Neugier. Sondern weil es einfach da ist. Weil es läuft. Und weil es gut läuft.
Was mich dabei irritiert: Ich halte mich eigentlich für einen offenen, suchenden Hörer. Ich mag Experimente. Ich schätze Ungewöhnliches. Ich finde Gefallen an Brüchen. Aber hier ist nichts davon. Und ich genieße es trotzdem. Denn dieser Dub – so glatt, so unspektakulär, so stoisch – trifft etwas in mir, das ich sonst gern ignoriere: mein Bedürfnis nach Kontinuität. Nach Wiederholung. Nach Sound, der sich nicht aufdrängt, sondern einfach bleibt. Ich höre also nicht genau hin. Ich analysiere nichts. Ich lasse laufen. Und werde ruhig. Der Bass ist da, tief und weich. Die Percussions klackern vor sich hin, polyrhythmisch, aber nie hektisch. Die Offbeat-Chops kommen, wie sie kommen müssen. Keine Überraschung. Keine Variation. Und doch: Atmosphäre. Viel Atmosphäre. Wenn ich darüber nachdenke, würde ich vielleicht genau diese Tracks auflegen, wenn mich jemand fragt, was Dub eigentlich ist. Ich würde keinen herausragenden Klassiker spielen, auch keinen experimentellen Dub am Rande des Genres. Sondern J. Robinson: Dub als Zustand. „Dubplates Volume 1“ ist also kein Album, das erklärt werden will. Es will gespielt werden. Und dann noch mal. Und dann wieder. Vielleicht ist das seine größte Qualität. Und vielleicht erklärt sich J. Robinson damit besser als jede Bio es könnte.

Bewertung: 4 von 5.