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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2005

Nikolai Beverungen, Inhaber des Hamburger Echo Beach-Labels, ist stets auf der Suche nach interessanten Dub-Manifestationen. Dabei wird er zunehmend in den entlegendsten Winkeln der Erde fündig. Präsentierte er pünktlich zur letzten Ausgabe von Riddim seinen „South Africa in Dub“-Sampler, so serviert er uns nun mit „The Sound Of Dub – New Zealand in Dub“ (Echo Beach/Indigo) frische Dub-Tunes aus Neuseeland. Das verrückte dabei ist, dass egal woher die Dubs herkommen, sei es aus Frankreich, Brasilien, England, den USA, Deutschland oder eben aus Kiwi-Land, immer sind es hochinteressante Musik-Experimente, die aber erstaunlicher Weise kaum regionaltypische Merkmale aufweisen. Fast scheint es, als würden die Dub-Pflänzchen, egal wo sie aus dem Boden sprießen, stets vom selben, den gesamten Erdball durchdringenden, Dub-Rhizom genährt. Dub ist keine Volks-, sondern Studiomusik, und so wundert es nicht, dass die 15 Tracks auf „New Zealand in Dub“ nicht nach Auenland oder Mordor, sondern nach London, Paris oder Hamburg klingen. Es ist „The Sound Of Dub“, wie es folgerichtig fett auf den Echo Beach-Samplern prangt. In Neuseeland steht dieser Sound jedenfalls in voller Blüte und wird vom heimischen Label „Loop“ gehegt und gepflegt. Drei Jahre lang hat Herr Beverungen Material gesichtet und nun die 15 besten Tracks nach Europa importiert. Obwohl die Stücke von 12 unterschiedlichen Dub-Producern stammen, präsentiert sich der Sampler als sehr geschlossen und stringent. Alle Tracks fußen auf soliden, warmen Reggae-Beats und erforschen von dort aus die Welt urbaner Sounds wie Drum ‚n’ Bass, Elektronik, Downbeat bis hin zu melodiösem Pop. Die Namen der Artists lauten u. a. Confucius, The Black Seeds, 50Hz, Pitch Black oder Rhombus – komplette Nobodys auf internationalem Dub-Parkett, sehr zu unrecht, denn ihre Dub-Tunes gehören zweifellos in die erste Liga. Vor allem die Black Seeds dürften mit ihren Pop-Melodien echtes Hitpotential in Europa haben. Lee Tui ist da von komplett anderem Kaliber. In einem erzürnten Rap – über einen stoischen bassgetriebenen Beat – fordert er soziale und ökologische Verantwortung. Herausragend ist auch der perfekt arrangierte Dub „Winds“ von Rhombus, gekrönt von der betörenden Stimme von Raashi Malik. Sehr, sehr schön, das Ganze. Hoffen wir, dass der Dub-Importeur aus Hamburg noch viele interessante Blüten des Dub-Rhizoms wird aufspüren können. Hier schon mal ein erster Vorschlag: Wie wäre es mit Japan?

Auch Polen ist so ein unentdecktes Dub-Land. Zurzeit wieder erhältlich sind die zwei Sampler „Dub Out Of Poland Part 1“ und „Part 2“ (beide Import) aus den Jahren 2001 und 2002, auf denen sich die polnische Dub-Szene präsentiert. Auch wenn manche Tracks sich noch nicht richtig vom Vorbild des UK-Dub der 90er Jahre emanzipiert haben, so ist die Qualität der hier vorgestellten Dubs ausgesprochen gut. Vor allem auf „Part 2“ finden sich ein paar Produktionen erster Güte, wie z. B. Dj Ridm feat. Roots Temper mit „Zion“, einem schönen Uptempo-Rockers-Stück. Oder noch besser: „Violin-Dub“ vom Crazy Sound System, auf dem eine Violine melancholische polnische Volksweisen anstimmt. Da werden Erinnerungen an die Trebunja-Family wach!

Auch Alpha & Omega melden sich wieder zu Wort, und zwar im wahrsten Sinne, denn ihr neues Album „Trample the Eagle and the Dragon and the Bear“ (Greensleeves/Rough Trade) ist ein Showcase-Album mit Gast-Vokalisten. Wohl inspiriert von Rootsman und Twilight Circus, die letztes Jahr ähnliche Projekte lancierten, haben auch Mrs. Woodbridge und Mr. Spronsen Lust auf ein wenig Gesellschaft im Studio gehabt. Dazu haben sie u. a. einen speziellen Stargast geladen, mit dem wohl niemand gerechnet hat: Gregory Isaacs! Ein wenig verzweifelt singt er gegen den A&O-Rhythm an. Die Idee ist gut, aber Gregorys Stimme braucht Raum, den ihm dieser typisch übervolle Rhythm nicht gibt. Und so klingt der Meister ziemlich verloren in dem Sound-Dschungel aus London. Noch eklatanter ist das Missverhältnis von Stimme und Sound-Allover bei dem Titelstück, auf dem Reuben Master verzweifelt versucht, gehört zu werden. Vielleicht haben Woodbridge und Spronsen ihrem Konzept beim finalen Mix dann doch nicht mehr getraut und die Stimmen auf das Niveau der Instrumente heruntergepegelt. Nur auf dem ersten Track des Albums stimmt das Verhältnis, und dieser ist bezeichnenderweise von Mad Professor gemischt worden. Dabei wäre es gerade bei diesem Vokalisten fast egal gewesen, ob man ihn versteht oder nicht, denn niemand sonst produziert so viel verbalen Nonsens wie er: Lee Perry. Dem Professor ist es gelungen, den A&O-Rhythm so hinzumixen, dass er wie ein original Black-Ark-Ryhthm klingt, auf den Perry mit seiner Minimal-Melodie absolut kongenial passt. Zweifellos der beste Tune des Albums. Neben Perry und Gregory befindet sich noch Bunny Lie Lie, Horace Martin, Addis Youth und eben Reuben Master auf dem Album, wobei gerade letzterer absolut nicht überzeugen kann. Dummerweise hat gerade er drei Tracks gevoiced …

Ein sehr schönes, experimentelles Album ist „Conversations“ (Suite Inc./Import) von Dubital. Hinter diesem Namen verbergen sich zwei Italiener namens Raffaele Ferro und Matteo Magni, die es offensichtlich lieben, zu soliden, bass-geerdeten Rhythms verzerrte Stimmen und verrückte Sounds abzuspielen. Das passt wunderbar zusammen, denn während der Rhythmus Sicherheit und Struktur vermittelt, konterkarieren die Effekte diesen Halt stets aufs Neue und erzeugen so eine sehr merkwürdige Spannung aus Konzentration und Verwirrung. Völlig faszinierend ist das Stück „Mama Don’t Cry“, das über einen stoisch-dreisten Computerbass läuft und von zuckersüß-befremdlichen Orgelsounds und Hall-überladenem Gesang begleitet wird.

„Als Kind habe ich mal kodeinhaltigen Hustensaft bekommen und daraufhin die Welt um mich herum in Zeitlupe wahrgenommen. Dieses Gefühl habe ich versucht im Sound der Codeine Tracks und Songs rüberzubringen.“, sagt Digital Jockey, was ihm mit seinem Album „Codeine Dub“ (Poets Club/Soul Seduction) aufs vortrefflichste gelungen ist. Vor allem „Opium Dub“, der 9-minütige, vorletzte Track des Albums ist eine Studie in Langsamkeit. Hier dürften selbst Ernestus und von Oswald ihren Hut ziehen. Dass Digital Jockey, der die Hälfte der Computerjockeys aus Köln ist, seine Wurzeln in der elektronischen Musik hat, ist kaum zu überhören. Seine Tracks sind äußerst minimalistisch und geradezu rational konstruiert. Oft ist es nur ein jazziges Piano-Solo, das eine gewisse Unvorhersehbarkeit und organische Bewegung in den Tune bringt, manchmal ist es die Stimme von Terry Armstrong. Dann wieder lösen sich die Strukturen in einem kompletten Noise-Allover auf, um schließlich von einem altmodischen Song mit Klavierbegleitung abgelöst zu werden. Sehr faszinierend.

Kommen wir nun zur Revival-Selection. Die beiden wichtigsten Reissue-Labels, Pressure Sounds und Blood and Fire melden sich mit neuen Alben zu Wort. So feiert letzteres sein zehnjähriges Bestehen mit „Run It Red“ (Blood And Fire/Indigo), einer Selection aus dem eigenen Fundus, zusammengestellt von Simply Red-Frontmann Mick Hucknall – was auch einigermaßen nahe liegend ist, da Hucknall neben Steve Barrow und Bob Harding einer der Gründer von Blood And Fire ist. Erstaunlicherweise hat Hucknall für sein Geburtstagsständchen vorwiegend Dub-Stücke von King Tubby und dessen Protegé Prince Jammy ausgewählt. Alle Stücke stammen aus den 70er Jahren, die meisten aus der ersten Hälfte. Eine solide Auswahl, die wahre Dub-Freunde aber auch nicht gerade vom Hocker hauen wird, denn die Dubs von den klassischen Bunny Lee-Produktionen sind sattsam bekannt. Eigentlich macht erst die Mischung mit den Vocal-Stücken das Jubiläumsalbum interessant. In schöner Regelmäßigkeit werden hier Tunes von Gregory Isaacs, Big Youth, Prince Alla, den Congos u. a. eingestreut – immer dann, wenn es gerade beginnt, ein bisschen langweilig zu werden.

Davon stilistisch nicht allzu weit entfernt liegt das Pressure Sounds-Album „Down Santic Way“ (Pressure Sounds/Rough Trade) mit Produktionen von Leonard Chin aus den Jahren 1973 bis 1975. Auch hier finden sich einige Vocal-Tracks, z. B. von Freddie McKay, I Roy oder von einem gewissen William Shakespeare, der sich allerdings als Gregory Isaacs entpuppt. Der Sound der Produktionen ist – dem Stil der Zeit entsprechend – knochentrocken, spröde und zugleich rough. Selbst wenn Tubby gelegentlich ein wenig Hall reindreht oder Augustus Pablo seine Melodika drüberlegt, will der Groove nicht fließen. Rau und ungeschliffen stolpern die minimalistischen Rhythms voran, getrieben von der trocken angeschlagenen Snarre und knappen Gitarrenriffs. Auch wenn die Pressure-Sounds-Leute keinen Zweifel daran lassen, dass sie hier einen wahren Schatz gehoben haben, so sei doch die keterrische Bemerkung erlaubt, dass dieser Schatz beim Hörer eine gewisse Leidensfähigkeit voraussetzt.

Wie sehr sich der Sound mit Auftritt der Revolutionaries (mit Sly & Robbie) verändert hat, lässt sich auf „Earthquake Dub“ (Hot Pot/Indigo) von Ossie Hibbert hören. Hier rollen die Beats wie geschmiert, angetrieben von Slys unverwechselbarem Rockers-Drumming. Four to the floor geht es hier mit einer Dynamik durch die Rhythms, dass man nur staunen kann. Hibbert, der das Album im Rekordtempo abgemischt hat, mag dies zugute gekommen sein, denn sonderlich aufregend klingt sein Dub-Mix nicht. Doch was den Tracks an interessantem Mix fehlt, gleichen die superb eingespielten Rhythms, wie „Pick Up The Pieces“, „Declaration Of Right“ oder „So Jah Say“ mehr als aus.

Daran schließt nahtlos das Album „Leroy Smart In Dub“ (Jamaican Recordings) an. Hier klingen die Beats noch runder und der Bass wärmer. Tubby hat sich bei den Mixes nicht gerade verausgabt (wie sollte er auch, bei den durchschnittlich 200 Bunny Lee-Rhythms pro Woche) und einen routinierten Minimal-Mix abgeliefert. Auch Sly Dunbar scheint hier etwas mehr zur Ruhe gekommen sein. Sparsamer, aber nicht weniger treibend setzen er und Santa Davis die Snarre-Anschläge, während Robbie sanft groovende Basslines dazu spielt. Gelegentlich klingt eine bekannte Bassline wie „My Conversation“ oder „Zion Gate“ an. Alles sehr entspannt und gespickt mit versprengten Leroy Smart-Schnipseln. Nicht sensationell, aber sehr angenehm – ideal nach einem langen Tag voller nervenaufreibender Experimental-Dubs …

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Januar 2005

Dub definiert sich durch den Sound und nicht durch ein spezielles Rhythmus-Muster wie nahezu alle anderen Musikstile. Dub ist wie ein freies Radikal – jederzeit bereit, mit anderen Elementen zu reagieren und neue Synthesen hervorzubringen. Das spannende ist, dass das Reaktionsergebnis niemals komplett vorhersagbar ist. Immer entsteht etwas neues, dass sich nicht errechnen oder beschreiben, sondern ausschließlich hörend erfahren lässt. Es ist gewissermaßen „musique pure“, die abstrakte Essenz eines Musikstückes – existent nur im Moment des Anhörens. Sich auf Dub-Musik einzulassen setzt daher immer Neugierde, Aufgeschlossenheit und Aufmerksamkeit voraus. In Deutschland vereint wohl kein Label diese drei Tugenden besser auf sich, als Echo Beach (auch das Heim von Select Cuts) aus Hamburg. „Open Mindness“ ist hier Leitidee und so hat uns Echo Beach über die Jahre Dub-Sounds der unterschiedlichsten Styles und Locations auf den Plattenteller gezaubert. Vor allem letzteres dürfte auch international einmalig sein, denn Echo Beach hat bereits ein paar ziemlich interessante Dub-Showcases aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt zusammengetragen, z. B. aus Frankreich, den USA, Brasilien, Deutschland, Indien und nun: Südafrika!

In Kooperation mit dem südafrikanischen Label „African Dope“ wurden 16 Dub-Perlen vom Kap der Guten Hoffnung nach Deutschland geschafft, um hier zu dem äußerst interessantem Dub-Album „The Sound Of Dub (South Africa In Dub)“ (Echo Beach/Indigo) aufgefädelt zu werden. Wer hier Township-Music erwartet, liegt völlig falsch. Der Dub aus Südafrika ist ein absolut urbaner Sound – bassgetrieben, elektronisch und von großer stilistischer Offenheit. Wichtige Protagonisten der südafrikanischen Elektronik-Szene sind die Kalahari-Surfers, von denen sich gleich mehrere Songs im Tracklisting finden, unter eigenem Namen oder als Produzenten von Ghettomuffin. Sie haben schon zu Apartheid-Zeiten elektronische Musik aufgenommen, die regelmäßig vom Regime verboten wurde. Ihr Sound erinnert ein wenig an Leftfield und läuft meist nicht über einen Reggae-Beat. Ganz anders der Sound von DJ Dope und Juan Thyme, der fast schon mit aktuellem UK-Dub zu verwechseln ist, schön deep und groovy. Richtig gut ist auch Felix Laband mit einem fetten, melodiösen Dub, dessen Herz eine wunderbar verzerrte Bassline ist. Ein wenig Dancehall-Flair bringen Prankster, Ghettomuffin und der Chronic Clan, der genau das tut, was sein Name nahe legt – und dabei ein wenig amerikanisch klingt. Alles zusammen ergibt einen überaus interessanten Ausflug in den Dub-Untergrund des südlichen Afrikas, der – und das ist eine echte Überraschung – gar nicht sonderlich afrikanisch kling. Aber so ist das in einer globalisierten Welt. Mal sehen, wonach die Sounds aus Neuseeland klingen, denen sich die nächste Echo Beach-Veröffentlichung widmen wird.

Vom gleichen Label, Echo Beach, kommt das Album „Africa Unite In Dub“ (Echo Beach/Indigo) von der gleichnamigen Italienischen Dub-Combo. Benannt nach einem Song Bob Marleys, besteht ihr Repertoire zum Teil aus Marley-Covern, wovon „This Is Love“ das Album eröffnet. Danach folgen dreizehn Heavy-Duty-Dubs, neun davon gemischt von niemand anderem als dem beliebten Mad Professor aus dem Ariwa-Dub-Asyl. Nur zum Schluss gibt es dann noch mal einen Marley-Song, gewissermaßen als ehrerbietendes Ritual an den heiligen Bob, gefolgt von einem Live-Dub. Der Professor liefert hier gutes, inspiriertes Handwerk und mischt Dubs von sehr unterschiedlicher Stimmung. Mal mit treibendem Drum & Bass-Schlagzeug, mal in launchig, warmen Tönen und mal mit trockenen Sounds, als kämen sie gut abgehangen aus dem Tuff Gong-Studio. Am erstaunlichsten ist allerdings, dass die Dubs nicht im Geringsten nach Mad Professor klingen. Entweder war bereits das Ausgangsmaterial extrem prägnant, oder der Professor hat seinen Praktikanten mischen lassen. In letzterem Fall, sollte das Praktikum unbedingt in eine Festanstellung übergehen!

Bleiben wir noch ein Wenig bei Mad Professor. Auf „Mishka In Dub“ (Sony/Import) hat er sich nämlich auch als Dub-Söldner verdingt. Keine Ahnung wer Mishka ist, sonderlich aufregend klingt seine Musik jedenfalls nicht. Die winzigen, im Dub-Mix übrig gebliebenen Vocal-Schnipsel lassen jedenfalls auf ein furchterregendes Gesangsalbum schließen.

Interessanter klingt da schon das in Eigenregie vom Mad Professor entstandene neue Werk mit dem Titel „Crazy Caribs – Dancehall Dub“ (Ariwa/Sanctuary/Rough Trade). Hier hat der Dub-Meister sich mal an Dancehall-Rhythms gewagt, eingespielt u. a. von Mafia & Fluxy und Sly & Robbie. Damit kommt er den aktuellen Dancehall-Sounds zwar einigermaßen nahe, aber Spielraum für einen irgendwie gearteten Dub-Mix bleibt kaum. Auch will sich bei den typischen Interruptus-Ryhthmen auch kein richtiger Groove einstellen – was ja bei den meisten Dancehall-B-Seiten auch der Fall ist. Offensichtlich funktionieren die Dancehall-Backings nur mit Deejay richtig. In so fern hat der Professor hier gutes Material für ein paar Hardcore-Dancehall-Alben aus dem Hause Ariwa geschaffen, für ein Dub-Album hingegen ist es, sagen wir mal: suboptimal.

Jetzt mal wieder ein Highlight: „Dub It“ (Nature Sounds/Import) von Earl „Chinna“ Smith. Dabei handelt es sich um die Dub-Version von Mutabarukas Debut-Album „Check It“ aus dem Jahre 1982. Produziert von Chinna Smith, avancierte es zum Klassiker der Dub-Poetry. Mutas überaus präsente Stimme und seine Texte dominierten das Album dermaßen, dass der Musik nie die Aufmerksamkeit zu Teil wurde, die sie verdient hat. Deshalb hat Chinna Smith sich jetzt, 22 Jahre später, dazu entschlossen, die damals von Errol Brown und Stephen Steward abgemischten und zuvor nur auf wenigen B-Seiten veröffentlichten Dubs in Album-Form neu zu veröffentlichen, „because I don’t hear anything else better“ sagt Chinna in den Linernotes – und ganz unrecht hat er nicht. Die handwerkliche Qualität dieses Albums ist wirklich außerordentlich – was sich der Mix zu nutze macht, indem er sich stets auf nur sehr wenige gleichzeitig hörbare Instrumente konzentriert und damit die Präzision ihres Spiels offenbart. Aufgenommen im Tuff Gong-Studio klingt es unglaublich crisp und dynamisch. Bei den meisten Songs saß Augustus Pablo an den Keyboards, Chinna spielte die Lead-Gitarre und Sydney Wolfe steuerte fantastische Percussions bei. Drum und Bass waren unterschiedlich besetzt, u. a. mit Carlton Barret und Leroy Wallace. Leider blieb „Check It“ die einzige Zusammenarbeit zwischen Mutabaruka und Chinna Smith. Hört man heute nochmals die Aufnahmen, fragt man sich nach dem Grund dafür.

In Frankreich ist Reggae Mainstream. Glückliches Land! Und kaum jemand ahnt, dass es Serge Gainsbourg war, der dazu erheblichen beigetragen hatte, als er sich 1979 nach Jamaika begab, um dort mit den I-Threes, Sly & Robbie und den Revolutionaries unter dem Titel „Aux armes et caetera“ (Mercury) ein authentisches Roots-Reggae-Album in französischer Sprache aufzunehmen. Zurück in Frankreich wurde das in nur einer Woche produzierte Album ein gigantischer Erfolg für Gainsbourg – nicht zuletzt weil seine Version der französischen Nationalhymne für einen deftigen Skandal gesorgt hatte (allein der Titel ist ja schon genial). Bruno Blum hat sich nun gedacht, dass die alten Aufnahmen doch eine klasse Basis für ein paar spektakuläre Dub-Mixes wäre. Daher hat er die alten Bänder nach Jamaika gebracht und Dub-Veteran Soljie Hamilton ins Studio geholt, um ihn zehn Dub-Versions mixen zu lassen. Das war eine gute Idee, denn die Revolutionaries spielen sich hier die Seele aus dem Leib. So kraftvolle Rockers-Rhythms hat man selten gehört. Soljies Dub-Versions hört man an, dass er hier ganz in seinem Element war. Mit Bravour mischte er schöne Old-School-Dubs, so als seien sie bereits 1979 aufgenommen worden. Ein echtes Déjà Vu! Diesen Dubs, die das Herzstück der Neuausgabe von „Aus armes et caetera“ bilden, wurden neben dem Original-Album, zusätzlich, gewissermaßen als „Bonustracks“, Neuinterpretationen der Backings von jamaikanischen Artists – von denen Big Youth, King Stitt und Lone Ranger die Bekanntesten sind – beigegeben. Doch sind diese Stücke weit gehend enttäuschend Lediglich King Stitts „The Original Ugly Man“ ist witzig. Wahrscheinlich sein erster Tune seit 40 Jahren!

Zu guter letzt sei noch das Rerelease von „Ranking Dread In Dub“ (Silver Kamel/Import) erwähnt, das ürsprünglich 1982 als Dub-Version von „Fattie Boom Boom“ herauskam. Die erste Hälfte der Tracks wurden von Sly & Robbie eingespielt und von King Tubby gemixt, die zweite Hälfte stammt von den Roots Radics, gemischt von Scientist. Entsprechend qualitätsvoll sind dann auch die Tracks. Interessant ist es vor allem, den Sound der Rhythm Twins mit dem der Radics zu vergleichen und Scientists Stil im Vergleich zu Tubbys zu analysieren. Insgesamt ein schönes Werk aus dem goldenen Zeitalter des Dub, das seine Wiederveröffentlichung verdient hat.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, November 2004

Der Name „Dub Funk Association“ ist clever gewählt, lässt er doch einen mit vielen einflussreichen Mitgliedern besetzen Interessenverband zur Förderung von Dub- und Funkmusik vermuten. Die Speerspitze einer Bewegung, die Dub als universelles Prinzip moderner Dance-Music proklamiert und die Verschmelzung der beiden Stile vorantreibt. Nichts davon ist war. Die „Dub Funk Association“ besteht tatsächlich aus nur einem einzigen Mann, Kelvin Richards, der zwar in der Tat seine Vorstellung von zeitgemäßer Dub-Music hat, die allerdings nicht sonderlich viel mit Funk zu tun hat. Seit den 90er Jahren stellt er (neben eigenen Produktionen) Dub-Kompilationen zusammen, die seine Sicht auf das Genre präsentieren. Nun ist seine Sicht bei weitem nicht so progressiv, wie von ihm selbst angenommen, was aber der Qualität seiner „Roots Of Dub Funk“-Alben keinen Abbruch tut. Versammelt sind hier nicht mehr und nicht weniger als einfach richtig gute Dub-Tunes, die Richards aus aller Welt zusammenträgt. Für „Roots Of Dub Funk 4“ (Tanty/Rough Trade), das soeben erschienen ist, hat er 14 Stücke aus rund 125 Dub-Alben ausgewählt – und dabei keinen einzigen Fehlgriff getan. Denn neben fetten Basslines und inspirierten Mixes, sind es vor allem Melodien, die Richards als Qualitätskriterium anführt. Und wie sehr wir, aufgeklärte Beat-Junkies, die wir sind, dann doch auf Harmonien und schöne Melodien abfahren, ist schon erstaunlich. Und ob man es glaubt oder nicht: Dub bietet viel Platz für Melodien. Sei es die Bassline, seien es Bläsersamples oder gut gesetzte Keyboard-Akkorde – es gibt eigentlich keine Ausrede dafür, in der Polyrhythmik der Beats auf Melodien zu verzichten, wie uns Mr. Richard wieder einmal beweist.

Harry Mudie – Producer-Veteran Jamaikas, von dem z. B. die legendären Dub-Konferenzen mit King Tubby stammen, ist offensichtlich immer noch aktiv. Soeben ist eine neue Folge seiner „In Dub Conference„-Serie herausgekommen, die allerdings nicht mehr in Anwesenheit von King Tubby gehalten wurde, sondern an dessen Stelle einen gewissen I-Tek Paul (Moodisc/Import) an den Konferenztisch, respektive Mischpult, setzte. Ganz im Gegensatz zur eher fragwürdigen Qualität seines Namens, beweist I-Tek Paul am Mischpult einige Fingerfertigkeit und liefert ein durchweg interessantes, sehr aktiv und inspiriert gemischtes Dub-Album ab. Bei seinem Mix-Material handelt es sich allerdings nicht um klassische Mudie-Produktionen, sondern um neue, digital eingespielte Rhythm-Tracks – auch wenn sie gerne die eine oder andere Mudie-Bassline reanimieren. Das Album ist in Deutschland übrigens nur über Irie-Records in Münster erhältlich (www.irierecords.de).

Dubmatix nennt sich Jesse King, Sound-Frickler aus Toronto, der nun mit „Champion Sound Clash“ (MPLA/Import) sein Debut-Album vorlegt. Sein Titel ist wörtlich zu nehmen, denn auf diesem Album treffen unterschiedliche Dub-Sounds aufeinander. So werden z. B. astreine Steppers Dubs im Stil der UK-Schule, mit stark Dancehall-beeinflusste Uptempo-Stücken kontrastiert. Aber auch melodische Roots-Dubs mit gesungenen Hooklines bis hin zu zuckersüßen Lovers-Backings sind hier zu finden. Nicht in allen „Sounds“ ist Mr. King gleich dermaßen souverän unterwegs, doch es macht Spaß, ihn auf seinem Weg durch das Dub-Universum zu begleiten – lediglich über seine sporadisch dargebotenen Sangeskünste lässt sich streiten.

Ganz anders klingt das Album „Conquering Dub“ (Reggae Retro/Import) von Alien Dread (ein mir unbekannter Name über den nichts in Erfahrung zu bringen ist). Ruhig und gelassen fließen hier die Beats, stellen sich bescheiden in den Hintergrund und scheinen nicht mehr im Sinn zu haben, als den Raum mit warmen Vibes füllen zu wollen. Ich habe das Album oft beim Arbeiten gehört – gewissermaßen als Anti-Stress-Mittel. Es hat wunderbar funktioniert. Bewusstem Zuhören hält das Album jedoch nicht stand. Dafür sind die Stücke dann doch uu gleichförmig und uninspiriert.

Sound Imperium ist auch eines dieser bisher unbekannten Dub-Projekte, das nun erstmals mit einem Album an das Licht der Öffentlichkeit tritt. Hinter dem Sound Imperium stehen drei Namen aus Minneapolis: Paul Harding, Dave Park und Aaron Bellamy. Über Jahre hinweg haben sie mit unterschiedlichen Artists aus Jamaika, Cuba, Sierra Leone, Costa Rica und den USA an ihrem Album „Pre-Emptive Dub Attack“ (Revolucion Disks/Import) gearbeitet. Entsprechend viele Einflüsse sind dann auch auf dem Album zu hören, wobei vor allem das Cumbia-Stück „Mi Gente“ positiv heraussticht. Diese lateinamerikanische Orientierung macht im Zusammenspiel mit Song-Titeln wie „Dub Annihilation (State Terror Mix)“, „C.I.A.“, oder „No Dub for Babylon“ die politische Botschaft des Sound-Imperiums deutlich: Mit Drum & Bass geht es hier gegen das neokonservative Amerika unter der Bush-Regierung. Da sich diese Botschaft allerdings kaum mit ausschließlich instrumentaler Dub-Musik vermitteln lässt, werden die Dub-Exkursionen durch vier Gesangsstücke ergänzt. Stilistisch lässt sich das Album ob seiner vielfältigen Einflüsse kaum fassen. Dub scheint hier der kleinste gemeinsame Nenner gewesen zu sein. Daher stehen die einzelnen Stücke auch oft recht disparat nebeneinander. Auch Soundtechnisch passt hier wenig zusammen. So gesehen haben wir es mit einem schlechten Album, aber einer guten Kompilation zu tun, die interessante, aber sehr unterschiedliche Stücke versammelt. Aber kein Konzept ist ja auch ein Konzept.

Kommen wir nun zu einem sehr simplen, aber absolut effektiven Konzept: Live Dubs. Die Rede ist hier von drei amerikanischen Musikern, D. P. Holmes (Gitarre und Keyboards), Stu Brooks (Bass und Keyboards), und Joe Tomino (Schlagzeug und Melodica), die unter dem Namen Dub Trio auf ihrem Album „Exploring The Dangers Of“ (ROIR/Import) ihre Dubs komplett analog und live in Echtzeit einspielen. Selbst die Effekte wie Hall und Echo werden life produziert. Dieses Konzept stellt die Produktionsweise von Dub auf den Kopf. Definiert als reine Studiomusik, die zuvor aufgenommenes Material nachbearbeitet, ist Dub das genaue Gegenteil eines Live-Gigs wie ihn das Dub Trio praktiziert. Gemäß dieser Definition sind die Stücke des Dub Trios kein Dub. Rein phänomenologisch gesehen sind sie es aber sehr wohl, weil sie wie verdammt gute Dub-Tunes klingen. Das ganze Konzept um das Live-Spiel wäre nämlich keiner Erwähnung wert, wenn die so entstehende Musik nicht eine sehr einzigartige Qualität hätte. Eine sehr interessante sogar: Die Musik klingt rau und derb, kraftvoll und direkt und sie atmet echte Live-Atmosphäre, indem man den Raum, in dem gespielt wurde, mithört. Besonders deutlich wird dies bei den drei Konzertmitschnitten, wo die Response des Publikums mit eingefangen wurde. Durch den Applaus wird die außergewöhnliche Virtuosität der Musiker plötzlich sehr spürbar. Was da klingt wie eine Wall of Sound sind lediglich drei Musiker! Ein faszinierendes Album also, was aber letztlich leider nur die „Dokumentation“ der Live-Aktion ist, um die es hierbei ja eigentlich geht.

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Dub Revolution, September 2004

Von Dennis Brown produzierte Alben sind schon eine Seltenheit. Auf „Dennis Brown Presents Prince Jammy“ (Umoja/20th Century Dub/Blood And Fire/Indigo) gibt es gleich zwei davon auf einer CD. Dass Dennis Brown überhaupt als Produzent tätig war, ist wenig bekannt. Mir völlig unbekannt ist hingegen, ob er die Original-Aufnahmen der beiden Alben selbst produziert hat, oder aber nur das Dub-Rework von geliehenen Bändern finanziert hat. Das ist allerdings eine Frage, die nicht sonderlich relevant ist, angesichts der Tatsache, dass der eigentlich Star dieser Dub-Alben Prince Jammy heißt, der zur Zeit der Aufnahmen, 1978-79, zum Chef-Engineer im Studio King Tubbys aufgestiegen war. Jung und hoch motiviert hat er hier sein bestes gegeben und einen – im Vergleich zu Tubbys Handschrift – recht komplexen Mix aufgenommen. Das erste Album „Umoja Love & Unity“ kam 1978 auf Browns eigenem DEB-Label heraus und bietet neben Versions von Dennis Brown-Songs wie „The Half“, „Troubled World“ oder „Children of Israel“ auch Aufnahmen anderer Artists, wie Lennox Browns Recut des Studio One-Klassikers „Frozen Soul“ („Love Won’t Come Easy“), der das Album sehr eindruckvoll eröffnet. Doch während sich „Umoja“ eher mäßig verkaufte, war das zweite Album der vorliegenden CD „20th Century DEB-Wise“ ein ziemlicher Erfolg – was schwer zu erklären ist, sind sich beide Alben in Hinsicht auf Stil, Mix und Sound doch sehr ähnlich. Vielleicht sind die Rhythms auf DEB-Wise tendenziell etwas besser und der Mix etwas King Tubby-typischer. Wie dem auch sei: Auf beiden Alben sind die superben Drums von Sly Dunbar zu hören und der Bass von Lloyd Parks und Robbie Shakespeare. Sie haben schön tighte Rhythms eingespielt, die fürs Rerelease in London druckvoll remastert wurden. Auch wenn diese beiden Alben nicht wirklich zwingend sind, so vereinen sie doch sehr schönes (und rares) Material, das seine Qualitäten mit jedem konzentrierten Hören eindruckvoller entfaltet. 

Das andere Dub-Highlight der letzten beiden Monate kommt vom Pressure Sounds-Label: „Dubbing with the Royals“ (Pressure Sounds/Rough Trade). Es präsentiert 14 von Roy Cousins produzierte Dub-Tracks, ein Instrumental von Gladstone Anderson und vier DJ-Versions. Startpunkt für die Erforschung des Oeuvres der Royals ist ihr Song „Pick Up the Pieces“, der auf dem Album in Form dreier Versions einen zentralen Platz einnimmt. Vor allem die von Tubby und Lee Perry gemeinsam gemischte Version unter dem Titel „Llongo“ ist ein Dub-Meilenstein. Auch der Track „Monkey Fashion“ mit I-Roys Voice-Over ist eine Kollaboration der beiden – in diesem Fall aber zusätzlich remixed von Errol T.! Das gesamte Who Is Who der damaligen Dub-Mixing-Elite hat an den hier versammelten Aufnahmen mitgewirkt: Prince Jammy, Scientist, Soljie Hamilton und Ernest Hookim; und es ist schon sehr spannend die Stücke zu vergleichen und die Dubs ihren Erschaffern zuzuordnen. Für sehr unterhaltsame Ankerpunkte im Flow der Rhythms sorgen die vier DJ-Versions von I-Roy und Prince Far I, die locker unter die Dubs gemischt wurden. Hier sticht vor allem „Negusa Nagast“ mit Prince Far I hervor, der das Album eröffnet. Far Is donnernde Vocals, eingebettet in einem Meer von Echos, klingen wie Jahs Worte aus dem Jenseits, runtergepitched zu einem tiefen Gemurmel und in perfekter Synchronität zum scharfen Anschlag der Snarre.

Ein paar Jahre weiter in Richtung Dancehall führen uns zu einem Dub-Album von Don Carlos, „Inna Dub Style“ (Jamaican Recordings), mit 14 Bunny Lee-Produktionen aus den Jahren 1979-80. Aufgenommen im Channel One-Studio hören wir hier bereits die fetten Rhythms von Sly & Robbie und den Roots Radics. Wie aus dieser Zeit gewohnt, finden sich hier vor allem Reworks klassischer Rhythms wie „Real Rock“, „Queen Of The Ghetto“, „I’m Just A Guy“, My Conversation“ oder „Satta Massa Gana“, was ja zweifellos eine hervorragende Grundlage für ein Dub-Album ist. Doch leider geht der unbekannte Dub-Mixer (vielleicht Soljie, oder Ernest Hookim?) nicht bei jedem Tune gleichermaßen inspiriert ans Werk. So ist z. B. „Conscious Rasta Dub“ über einen mäßig interessanten Johnny Clarke-Rhythm richtig spannend, während „Booming Dub“ über „I’m Just A Guy“ schon fast als B-Seiten-Version durchgehen kann – was in diesem Fall aber nicht so schlimm ist, da der Rhythm einfach klasse ist (was sich der Dub-Mixer wohl auch dachte). Alle Dubs werden gekrönt von Don Carlos’ unnachahmlichen Hooklines,  die den ganzen Tune nachhaltig prägen. Selbst wenn sie im Echo verhallt sind, singt man sie im Kopf unweigerlich weiter und baut sich seine eigene Version. Andererseits wünscht man sich dann auch schon fast das komplette Vocal-Album herbei…

„Liquid Bass“ (Silver Kamel), produziert von Jah Thomas, ist ein klassisches Bläser-Instrumental-Album, das stark an Aufnahmen von Roland Alphonso oder Tommy McCook aus den 60er Jahren erinnert – wären die Rhythms nicht komplett digital eingespielt. Doch als wolle er diesen Makel vergessen machen, hat Mr. Thomas ausschließlich alte Studio One-Rhytms wie „Heavenless“, „Love Me Forever“ oder „Swing Easy“ verwendet und mit „Econium for Coxsone“ dann auch dem Meister seine Referenz erwiesen. Für die kraftvollen Neuinterpretationen zeichnen Mafia & Fluxy, Sly & Robbie und die Roots Radics verantwortlich, während die Bläser-Soli von David Madden und Matthieu Bost eingespielt wurden. Ihre melodischen Variationen ranken sich stets um die Originalmelodien der Rhythms – wofür man den beiden nicht genug danken kann, gehören die Original-Hooklines  doch mit zu dem schönsten, was Studio One hervorgebracht hat. Doch trotz allen Lobes wirkt das Album stellenweise auch etwas lieblos „herunterproduziert“ – ganz zu schweigen von dem katastrophalen Cover. Vielleicht entschließt sich Jah Thomas ja mal zu einem Dub-Reworking. Es könnte den Aufnahmen die nötige Komplexität geben.

Die Frage, was Jah Wobble, der dieser Tage seine offizielle Anthologie „I Could Have Been A Contender“ (Trojan/Roughtrade) vorgelegt hat, in einer Reggae-Kolumne zu suchen hat, ist nicht unberechtigt. Ein paar Hinweise auf die Gründe gibt es aber schon: Zunächst ist da der Name, der ganz offensichtlich auf das Reggae-Universum verweist, dann ist auch das Plattenlabel vielsagend: Trojan und drittens ist Mr. Wobble Bassist und spielt damit das für (klassischen!) Reggae wichtigste Instrument. Hört man nun seine drei CDs umfassende Anthologie ganz durch, so wird man allerdings nur selten auf echte Reggae-Offbeats treffen. Was es aber im Gegenzug in Hülle und Fülle zu hören gibt, das sind fette Basslines – die direkt dem Reggae entsprungen sein könnten – und massig dubbige Atmosphäre. John Wardle (wie seine Mutter ihren Jungen nannte) kam als Mitglied von Public Image Ltd. über den Punk zum Reggae, der sein Bassspiel stark inspiriert hat. Nach dem Ende des Punk begann Wobble sein eigenes Material zu produzieren, das stilistisch sehr disparat ist und sich wechselweise zwischen Punk, Rock, Funk, Worldmusic, Ambient und Reggae bewegt. Doch welche Einflüsse und Stilmittel Wobble auch verarbeitete, eine Konstante durchzieht sein gesamtes Werk: Die kraftvollen Basslines um die sich alle Songs herum aufbauen. Vor allem CD 1 und CD 3 bieten dafür eindruckvolle Beispiele: Während erstere Worldmusic-beeinflusste, teilweise äußerst melodische Stücke versammelt, so sind auf letzterer ausgedehnte Ambient-Exkursionen in indische und fernöstliche Gefilde zu hören. Beides sehr dubbig und nahe an dem Material, das man auch von Bill Laswell kennt (die beiden haben auch ausgiebig zusammen gearbeitet). CD 2 bietet hingegen härteres, Punk-kompatibles Material. Wirklich faszinierend an der Anthologie ist, dass die Künstlerpersönlichkeit Jah Wobbles in allen Stücken sehr präsent ist. Hier ist einer, der sein Leben lang „seine“ Musik gemacht hat, jenseits aller finanziellen Interessen und unabhängig vom aktuellen Zeitgeschmack (eine im Reggae leider eher unterrepräsentierte Haltung).

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Juli 2004

Mit Dub aus den USA ist das ja immer so eine Sache. Irgendwie kriegen die Amis (vielleicht wegen ihrer ausgeprägten Rock-Historie) keine wirklich groovende Dub-Tunes hin. Das gilt zwar auch in sehr abgeschwächter Form für das Debut-Album „Knives to the Treble“ (Mars Records/Import) von Slade Anderson aka Burning Babylon aus Boston, Massachusetts, aber er gleicht diesen Mangel mit anderen Qualitäten mehr als aus. Anderson war Punk-Guitarrist und kam über The Clash zum Reggae. Als er in den 90ern zum Bass wechselte, stieß er etwa zeitgleich auf das Glen Brown/King Tubby-Album „Termination Dub“ – was ihn auf direktem Wege zum rein instrumentalen Dub brachte. Seit nunmehr zehn Jahren frickelt Anderson in seinem kleinen Home-Studio an den Tunes für sein aktuelles Album und ließ sich von Dub-Acts wie Dry and Heavy oder Twilight Circus beeinflussen. Insbesondere letzteres Vorbild ist deutlich zu spüren, denn wie Ryan Moore bevorzugt Anderson analoges Aufnahmegerät und sehr bodenständige Produktionsmethoden. Vielleicht liegt es daran, dass sein Sound eher leicht, offen und handgespielt klingt. Ein gewisser Rock-Appeal ist dabei nicht zu überhören. Doch ganz anders als bei Moore, überzeugen Andersons Stücke durch wunderbar melodiöse Basslines und sehr abwechslungsreiche Arrangements. Vor allem seine Vorliebe für Worldmusic-Samples und eingestreute Ethno-Klänge bereichern seine Kompositionen sehr. Hinzu kommt, dass er – ganz anders als viele seiner UK-Kollegen – auf das Mixing viel Sorgfalt verwendet und wirklich interessante, komplexe Dub-Songs produziert. Für ihn ist Dub ein großes Experimentierfeld, eine freie musikalische Form, deren Möglichkeiten es auszureizen gilt. Dass seinen Stücken dabei manchmal das letzte Quäntchen Groove fehlt, verzeihen wir ihm großzügig.

Nach Dry & Heavy und Audioactive dürfte wohl klar sein, dass Dub in Japan ein angesagtes Thema ist. Einen weiteren Beleg dafür liefert Fire Blender, die von jedem ihrer bisher erschienenen fünf Alben dreißigtausend Stück verkauft haben. Damit gehört die 1992 von Kunst-Studenten gegründete Band zu den populärsten Club-Acts Tokyos – was zu glauben schwer fällt, angesichts ihres neuen Albums „Little Tempo“ (M Records/Import). Mainstream klingt zweifellos anders, als diese streckenweise ziemlich verschrobenen, experimentellen Tunes, die manchmal an frühe On-U-Sound-Aufnahmen (Playgroup oder Starship Africa) erinnern. Nicht selten wird hier die Grenze zwischen geordnetem Rhythmus und Sound-Chaos ausgelotet. Doch immer kurz bevor die Disharmonie nervig wird, rollen die warmen Beats heran und besänftigen die Gehörgänge. Wer Mucke für den Hintergrund braucht, sollte von Little Tempo die Finger lassen. Wer aber spannende Musik zum Hinhören genießen will, bekommt hier ein großartig inspiriertes Album.

Als durchaus inspiriert und experimentell darf auch der Katalog von BSI-Records gelten. Zwar haben die Amerikaner einige eher geradlinige UK-Acts, wie Jah Warrior oder Henry & Louise oder Alpha & Omega gelistet, aber auch so schräge Vögel wie Tone Scientist, Systemwide oder Muzlimgauze. Die besten Tunes dieser und anderer Label-Artists der letzten fünf Jahre werden nun auf dem Jubiläumsalbum „Dub After Time: A Look Back at BSI Records“ (BSI/Import) präsentiert. Der Sampler ist weit mehr als eine kleine Labelschau. Während er mit straighten UK-Dubs beginnt, wandelt er sich zusehends zu einer Reise an die Grenzen des Dub-Universums: Zu schrägen, experimentellen Tracks im Crossover-Bereich zur Knister-Elektronik. Vom Einfachen zum Komplexen, vom Bauch zum Kopf – womit die beiden Tugenden des Dub schön vereint wären!

Auch von Echo Beach gibt es wieder progressive Dub-Sounds zu hören. Soeben ist dort das Album „Heavy Heavy Monster Dub“ (Echo Beach/Indigo) von Dubblestandart erschienen. Der Titel macht den Anspruch des Albums klar: ein ultrafettes Ding sollte es werden. Dazu wurde ein Riesenaufwand (mit Reisen nach Kingston, New York, London, Paris und Wien) betrieben und unzählige Kollaborationen organisiert. So haben Sly & Robbie Rhythms eingespiel, Mad Professor gemixt und Dreadzone, Manasseh, Sounds From The Ground und 7Dub remixt – von den beteiligten Vocalisten ganz zu schweigen. Kaum zu glauben, dass dabei noch ein geordnetes Ganzes im typischen Dubblestandart-Sound herausgekommen ist – auch wenn dieser Sound immer ein bisschen an Dub Syndicate erinnert. Allerdings, gemessen am Monster-Anspruch, ist das Album dann doch erstaunlich unspektakulär geraten. Vielleicht hat diese Selbsterkenntnis dann auch zur einen oder anderen etwas überproduzierten Passage beigetragen.

Kommen wir abschließend zum Real Stuff: Auf Augustus Pablos eigenem Label „Rockers Production“ (wer auch immer das jetzt betreibt) ist soeben eine 3 CD-Box mit dem anspruchsvollen Titel „The Definitive Augustus Pablo“ (Rockers Production/Import) erschienen. Auch wenn man sich darüber streiten kann, ob sich Pablos Werk auf 3 CDs verdichten lässt, so ist nicht zu leugnen, dass diese Box den wohl besten Näherungswert bietet. Jeder Track ist hier ein Pablo-Klassiker, in astrein remasterter Qualität. Versammelt sind hier nicht nur die berühmten Melodika-Instrumentals und -Dubs, sondern auch einige von Pablo produzierte Vocal-Aufnahmen mit Sängern wie Jacob Miller, Hugh Mundell, Horace Andy und anderen. Die Sammlung konzentriert sich im Wesentlichen auf die 70er Jahre und macht nur auf der letzten CD einen Ausflug in die 80er. Wer Pablos große Alben wie „ King Tubby Meets Rockers Uptown“ oder „East of River Nile“ etc. in der Sammlung hat, dem wird diese Box – außer einer meisterhaften Zusammenstellung und einer schönen Covergestaltung – nichts Neues bieten. Wer aber den Meister der Melodica erst noch kennen lernen will, für den ist dies das Portal zu einem Universum großartiger Musik. 

Kaum zu glauben, dass immer noch unbekannte King Tubby-Aufnahmen entdeckt werden. Das Label Jamaican Recordings hat sich bereits mit ihrer ersten Veröffentlichung den „verlorenen Schätzen“ des Dub-Meisters gewidmet. Nun gibt es Nachschub: „Dub Mix Up“ (Jamaican Recordings/Import). Versammelt sind hier ebenfalls rare und bisher verschollen geglaubte Dubs der Jahre 1975 bis 1979, die alle auf Produktionen von Tappa Zukie basieren. Die Stücke fügen sich nahtlos ins Tubby-Oeuvre der 70er ein – spektakuläre Entdeckungen sind hier nicht zu machen. Dafür gibt es schöne, klassische Rhythms wie „Declaration of Rights“ oder „Shank I Sheck“ zu hören und einige Vocal-Fetzen der weitgehend unbekannten Band Knowledge. Richtig spannend ist der letzte Track „Dub Faith“, der von Sly & Robbie im Black Ark-Studio aufgenommen wurde. Das klingt zwar – Black Ark-typisch – so als würde die Platte in der Nachbarwohnung abgespielt – ber als Dub-Connoisseure stehen wir Sound-Experimenten ja grundsätzlich positiv gegenüber.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Mai 2004

Wenn die Plattenindustrie gerade im Begriff ist abzudanken, dann liegt das natürlich zum großen Teil am allgegenwärtigen illegalen Kopieren, es liegt aber auch daran, dass die klassische CD für ihre rund 17 Euro gegenüber einer kostenlos „besorgten“ MP3-Kollektion nahezu null Mehrwert bietet. Nur wenigen Labels ist klar, dass sie neben der Musik vor allem eine gute Verpackung bieten müssen – die Plattenindustrie als Verpackungsindustrie, warum nicht? Wenn schon kein Booklet, keine Bonus DVD und keine Special Edition-Box geboten wird, dann sollte die Aura des Produkts doch zumindest durch konsequenten Retro-Charme herbeigezaubert werden. Die Japaner – Meister der Verpackung und große Liebhaber puristischer Gestaltung – haben z. B. mit ihrer großartigen Pappschuber-Edition der legendären Blue Note-Alben gezeigt, wie die Aura eines Klassikers mit simpelsten Mitteln eingefangen werden kann. Alles, was sie dazu machen mussten war, die CD als Miniaturausgabe des Originalalbums anzubieten – natürlich im miniaturisierten Original-Pappcover. Beat Inc., Label und Vertrieb aus Tokyo, hat das Konzept jetzt auf vier frühe Hitrun- und On U Sound-Releases übertragen. Für diese edlen Wiederveröffentlichungen wurden die Originalaufnahmen remastert und mit bis zu sechs Bonus-Tracks angereichert. Natürlich sind die CDs mit dem Original-Label bedruckt und stecken in kleinen Schutzhüllen, die selbst wiederum in wunderschönen Reproduktionen der Original-Cover stecken. Gestalterisch bleiben diese natürlich Dimensionen hinter den Blue Note-Kunstwerken zurück – sie aber im Mini-Format in den Händen zu halten, ruft angenehme Erinnerungen wach. Linernotes und ein Grußwort von Adrian Sherwood gibt es auch, und zwar auf einem Beipackzettel in japanisch!

Da der langjährige Deutschland-Vertrieb von On U-Sound, EFA-Medien, vor ein paar Wochen seine Tore schließen musste, reimportiert nun der On U-Chef die japanischen CDs und bringt sie über den Vertrieb Indigo in die deutschen Läden. Für diesen Deal hat er mit Bedacht vier sehr alte Klassiker aus seinem Oeuvre ausgewählt: Drei mal Creation Rebel mit „Rebel Vibrations“, „Dub From Creation“ (beide Hitrun) und „Starship Afrika“ sowie das Debut-Album der New Age Steppers (beide On-U-Sound). Die beiden frühen Hitrun-Produktionen aus den Jahren 1978 und 1979 gehören zu den ersten Dokumenten von Sherwoods Produktionstätigkeit. Während sie auf den ersten Blick „klassischen“ Roots-Dub mit traurigen Melodica-Melodien von Dr. Pablo bieten, zeigt sich beim genaueren Hinhören schon die Virtuosität des Dub-Meisters, die nicht selten die der großen Heroen King Tubby, Lee Perry oder Errol Brown übertrifft. Hier, bei den frühen Alben, hält sich Sherwoods Experimentierdrang noch in respektable Grenzen. Der Mix ist nicht wichtiger als der Beat, obgleich er eine stete Bereicherung für ihn ist. Schon im darauf folgenden Jahr hat sich das Verhältnis bei einer anderen Creation Rebel-Produktion radikal umgekehrt: „Starship Africa“ war wohl das mit Abstand experimentellste Dub-Album seiner Zeit, das Rodigan damals zu dem Ausspruch veranlasste: „Adrian, what the hell do you think you are doing to reggae?“ Bereits 1977 sind die Rhythms für „Starship-Africa“ von Bassist Tony Henry und Charlie „Eskimo“ Fox eingespielt worden. Ein Jahr später lernte Sherwood Style Scott kennen, der die Drumms von Eskimo in einer weiteren Aufnahmesession noch einmal dubbte und ihnen so erst den nötigen Druck gab. 1979 fand sich dann schließlich genug Studiozeit, um den finalen Mix anzugehen. Dafür wurden alle Tracks rückwärts laufend erneut aufgenommen und mit Delay- und Reverb-Effekten versehen. Anschließend wurden Original und „Rückwärts-Kopie“ – teilweise nach dem Zufallsprinzip zusammengemixt. Ein verrücktes, aber sehr geglücktes Experiment, das noch heute frisch und innovativ klingt. Ähnlich experimentell, aber weitaus dissonanter, ist das New-Age-Steppers-Album, das im Übrigen zugleich das erste Album auf dem neuen On U-Sound-Label war. Eingespielt wurde es von Musikern der Pop Group, der Flying Lizards und von Aswad. Seine größten Erfolge feierte es in Japan, wohl wegen der Sängerin Ariana Foster aka Ari Up, deren glockenhelle Stimme auf zwei Cover-Versionen zu hören ist: Junior Byles „Fade Away“ und Bim Shermans „Love Forever“ – die sie beide reichlich schräg interpretiert. Wer On-U-Sound sammelt und gerade die Anfänge dieses legendären Labels ins digitale Zeitalter hinüberretten will – womöglich auch nur um die Stücke dann doch als MP3-Files auf dem iPod zu speichern – dem seien diese gut klingenden und hervorragend aussehenden Japan-Importe dringend ans Herz gelegt.

Lee Perry wird gerne als einer der Originators des Dub bezeichnet. Das mag zum einen daran liegen, dass seine exzentrische Produktionsweise gerne per se mit Dub gleichgesetzt wird, zum anderen mag es daran liegen, dass die Black-Ark-Aufnahmen voller Dub-Effekte stecken und sein Sound viel von der Tiefe und Schwere guter Dub-Tunes besitzt. Doch während Dub eher auf einer Zerlegung und Reduzierung der Rhythms und ihrer Neukonstruktion durch den Dub-Mix beruhen, ist bei Perrys „Layer“-Technik eigentlich das genaue Gegenteil der Fall: Schicht für Schicht legt er Soundeben übereinander bis sein typischer, komplexer, undurchdringlicher Black Ark-Sound erreicht ist.

So gesehen sind von Perry nur sehr wenige echte Dub-Alben erschienen. Drei davon, nämlich Blackboard Jungle Dub, Cloak & Dagger und Revolution Dub sind nun geimeinsam auf der Doppel-CD Lee Perry, „Dub-Triptych“ (Trojan/Sanctuary/Roughtrade) erhältlich. Der erste Teil der zweiten CD ist ganz dem bekanntesten Dub Werk Lee Perrys gewidmet, „Blackboard Jungle“, das genau genommen nicht sein, sondern King Tubbys Dub-Werk ist, denn er hat es gemixt. Der Ruhm dieses Albums gründet sich zum Teil auf der Tatsache, dass „Blackboard“ eines der ersten Dub-Alben überhaupt war. Noch entscheidender für den Erfolg und Ruhm des Albums aber war die Auswahl der großartigen Perry-Rhythms der frühen 70er Jahre. So finden sich hier superbe Dub-Mixe von Hits wie „Fever“ und „Place Called Africa“ von Junior Byles oder „Kaya“, „Dreamland“ und „Keep On Mooving“ von den Wailers. Auch die Dub-Version von Dillingers Tribut an King Tubby, „Dub Organiser“, ist hier enthalten. (Natürlich ist es kaum nötig zu erwähnen, dass King Tubby diese Dubs ausgezeichnet „organisiert“ hat!). Im zweiten Teil der zweiten CD sind die Stücke von Perrys erstem selbst gemischten Dub-Album, „Dub Revolution“, zu hören. Es ist an Exzentrik kaum zu überbieten, Perry, der Madman himself, hat alles gegeben. „Revolution Dub“ erschien 1975 und enthielt bereits frühe Black Ark-Aufnahmen. Neben Highlights wie einem Dub-Cut von Junior Byles „The Long Way“ und einem schönen minimalistischen Mix von Jimmy Rileys Bobby Womack-Cover „Woman’s Gotta Have It“, gibt es auch einige weniger inspirierte Stücke zu hören, die sich u. a. durch die Einspielungen einer Fernseh-Sitcom auszeichnen. CD1 des Sets widmet sich vollständig dem Album „Cloak & Dagger“, das aber eher ein Instrumental-, denn ein Dub-Album ist. Netterweise bietet diese CD drei Bonus Tracks, wovon einer die Dub-Plate-Version des Titelstückes „Cloak & Dagger“ (Rhythm des schon von „Blackboard Jungle“ bekannten „Dub Organisers“) ist.

Interessanter Weise ist fast zeitgleich zu dieser Trojan-Wiederveröffentlichung das Album „Blackboard Jungle“ ein zweites Mal auf dem Label Auralux unter dem Titel „Upsetters 14 Dub Blackboard Jungle“ (Auralux/Indigo) inklusive vier Bonustracks erschienen. Bei letzteren handelt es sich um drei sehr ungewöhnliche, komplett ungemischte Rhythmtracks und ein normales Instrumental. Wer nicht fanatischer Sammler ist, der dürfte mit der Doppel-CD von Trojan besser bedient sein.

Bleiben wir bei den Klassikern: Augustus Pablos Klassiker „King Tubbys Meets Rockers Uptown“ (Shanachie/Just Records) ist nun neu bei Shanachie Records erschienen. Paplo gehörte zu den ersten Produzenten, die King Tubby mit den Dub-Mixes ihrer Produktionen betrauten. „King Tubbys Meets Rockers Uptown“ war das erste gemeinsame Album von Pablo und Tubby und gehört heute zu den Essentials jeder anspruchsvollen Reggae-Sammlung. Hier kommt alles zusammen, was für ein gutes Dub-Stück notwendig ist: starke, melodisch rollende Basslines, clevere Arrangements, schöne Melodien und natürlich ein inspirierter Mix, der die Stücke auf ihre Basis, das Zusammenspiel von Drum und Bass reduziert und von dort aus neu zusammensetzt. Selten beherrschte Tubby diese Kunst besser als hier. Es ist schon eine Freude zu hören, wie er  die Dynamik der Rhythms steuert und jedem Beat eine eigene kleine Dramaturgie verleiht. Die Kraft der Stücke ist schlichtweg außerordentlich. Auch wenn sie heute ein wenig historisch klingen, so ist ihre musikalische Qualität ungebrochen. Ein Meisterwerk also; dessen waren sich auch die Labelmacher bei Shanachie bewusst und haben ihre „Deluxe Edition“ mit vier Bonus-Tracks angereichert, die vier alternative Mixe präsentieren. Diese sind zwar nicht zwingend, aber es spricht auch nichts dagegen.

Einen Klassiker habe ich noch: „Riddim – The Best Of Sly & Robbie In Dub 1978 To 1985“ (Trojan/Sanctuary/Roughtrade). Auf dieser Doppel-CD sind 40 Instrumental- und Dub-Versions aus dem Trojan-Archiv zusammengestellt, bei denen Sly & Robbie Drum und Bass bedienen. Insofern ist der Titel „The Best Of…“ deutlich zu hoch gegriffen, denn gemessen am Gesamt-Output der Rhythm-Twins ist das bei Trojan beheimatete Konvolut nur ein winziger Teil. Zudem sind die Stücke auf dieser CD keine Sly & Robbie-Produktionen, sondern sind im Wesentlichen unter der Regie von Bunny Lee, Linval Thompson und Jah Thomas entstanden. Was natürlich nicht heißen soll, dass hier minderwertiges Material versammelt ist. Keineswegs! Sly & Robbie können ja gar nicht schlecht sein und Slys Double-Drumming ist immer wieder ein Genuss. Ganz nebenbei bietet die CD auch noch einen Intensiv-Kurs in Channel One-Sound.

Ryan Moore ist ein echter Dub-Nerd. Seit 20 Jahren sitzt er alleine in seinem kleinen Heimstudio auf einem Perserteppich, frickelt an Reglern und Schiebern und veröffentlicht unter dem Namen Twighlight Circus gelegentlich Dub-Platten. Dabei spielt er alle für seine Stücke benötigten Instrumente selbst ein und mischt seine Dubs nach alter Manier live. Ein echter Traditionalist also, dessen Musik auch genau so klingt. Eigentlich lebt sie ausschließlich von dem warmen, analogen Sound und dem tiefen Bass-Gewummer. Kompositorisch haben sie meist weniger zu bieten, wodurch seine Alben tendenziell immer ein wenig langweilig geraten. (Nicht zuletzt deshalb hat er sich wohl neuerdings zu einem Vocal-Album durchgerungen.) Sein neustes und 11. Album ist eine Kompilation für das amerikanische Label Roir unter dem Titel „Dub From The Secret Vaults“ (Roir/Import). Hierfür hat er tief in seinen Archiven gegraben und bisher unveröffentlichtes Material aus 20 Schaffensjahren gehoben. Nun stellt sich natürlich die berechtigte Frage, ob nicht vielleicht mangelnde Qualität der Grund war, dass diese Stücke bisher nicht veröffentlicht worden sind. Denn das beste Material dürfte nicht jahrelang im Archiv versauern. Bingo! Die Secret Vaults enthielten viel, bis hin zu einer fast 20 Jahre alten Produktion auf Cassette – aber nichts wirklich Spannendes. Abgesehen vielleicht von drei okayen Stücken bleibt der Rest reichlich uninspiriert. Schade.

Ähnliches gilt auch für das Dub-Flash-Album „AB-10 Meets Uptown Selector“ (www.dubflash.com). AB-10 ist ein Dub-Duo aus Helsinki, die bereits auf dem Dubhead-Sampler „Dub Solidarity 1“ zu hören waren. Uptown Selector ist ein DJ, ebenfalls aus Helsinki. Nach der fantastischen Platte des finnischen Lightman (siehe letzte Ausgabe) gab es einige Gründe, auf dieses Dub-Album aus Helsinki gespannt zu sein. Doch um so größer ist die Ernüchterung, als sich „AB-10 Meets Uptown Selector“ als weitgehend konventioneller Neo-Dub herausstellt.

Wie zeitgemäßer Dub klingen kann, beweist hingegen ein weiteres Mal das Berliner Mini-Label Meteosound mit der neuen EP von Lars Fenin: „Sustain EP“ (Meteosound/Indigo). Bekannt für seine Fusion-Sounds zwischen Techno und Dub steht Meteosound neben Echo Beach (welche miteinander kooperieren) und Basic Channel in Deutschland für eine progressive, aufgeschlossene Idee von Dub, die weit über den Tellerrand von klassischem Reggae-Dub hinausblickt. Es ist geradezu unfassbar, wie perfekt und absolut stufenlos sich Minimal-Techno-Beats und Dub-Grooves miteinander kombinieren lassen und welche Bereicherung diese Kombination für beide Genres darstellt. Lars Fenin führt dies erneut mit Bravour vor; leider nur auf 6 Tracks und leider nur auf Vinyl. Doch gute Musik verträgt jedes Format!

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2004

Nachdem emsige Rerelease-Label wie Pressure Sounds, Blood and Fire oder Heartbeat nun schon seit über einer Dekade das musikalische Erbe Jamaikas auf CD pressen, ist es doch erstaunlich, dass immer noch unbekannte Schätze zu bergen sind. Moll-Selekta hat einen solchen gefunden: Dub-Aufnahmen von Producer Roguel „Blackbeard“ Sinclair und seiner Studioband „The Ringkraft Posse“ und diese nun unter dem Titel „St. Catherine In Dub 1972 – 1984“ (Moll-Selekta/Indigo) neu veröffentlicht. Sinclair, Bruder von Tappa Zukie, war jahrelang die rechte Hand von Bunny Lee und ist zurzeit Besitzer des alten Studios von King Tubby. In den 70ern begann er eigene Tracks zu produzieren, mit einer Studioband, die er zu diesem Zweck aus den üblichen Verdächtigen zusammenstellte: Sly Dunbar, Robbie Shakespear, Ansel Collins, Lloyd Parks, Tommy McCook, Dean Frazer, Willie Lindo – um nur die Bekanntesten aus den immer wechselnden Besetzungen zu nennen. Dass diese Musiker wussten, wie tighte Rhythms eingespielt werden, ist unüberhörbar: großartig remastert knallen die Tracks aus den Speakern, crisp und straightforward. Als Dub Mixer zeichnet Ruddy „Jah“ Thomas verantwortlich – was vermuten lässt, dass einige Tracks im Studio von Joe Gibbs aufgenommen wurden. Viele der Stücke sind so bekannt, dass man unweigerlich beginnt, das Original im Kopf mitzusingen. „West Bay“  z.B. ist die Dub Version von „King Tubby the Dub Organizer“. Horace Andys „Every Tongue Shall Tell“, Delroy Wilsons „Have Some Mercy“ oder George Faiths „To Be A Lover“ sind andere Klassiker im Dub-Format. Alle Stücke des Albums wurden übrigens auf Wunsch Blackbeards nach Stadtteilen von Portmore im Distrikt St. Catherine benannt –als Lektion in akustischer Geografie. 

Bekanntermaßen arbeitet die Basic Channel Crew aus Berlin die Wackies-Archive auf. Das neuste Rerelease des in der Bronx situierten Producers ist „Creation Dub“ (Indigo) aus dem Jahre 1977. Zu hören gibt es hier teilweise recht minimalistische Dubs und eine Vocal-Version von John Clarke. Der Sound wechselt übergangslos von supertrockenen Mixes zu typisch-soften Wackies-Lovers-Melodien – alles aber wie gewohnt eingebettet im warmen Sound des Wackie-Studios. Die Dubs stammen von den bekannten Wackies-Produktionen der Zeit, u. a. von Stücken der  Chosen Brothers, von Joe Auxumite und K. C. White. Der letzte Tune des Albums ist zudem eine schöne Bläser-Instrumentalversion von Jo Jo Bennetts „Leaving Rome“.

Mit „Dubz From De Higher Regionz“ (Dubhead/Indigo) melden sich die Iration Steppas aus dem Norden Englands zurück. Acht Jahre haben Mark Iration und Dennis Rootical seit ihrem Debutalbum verstreichen lassen. Eine lange Zeit, in der sich die Welt des Dub rapide weiterentwickelt hat. Nicht so die beiden Dub-Fundamentalisten. Sie knüpfen nahtlos dort an, wo sie 1996 stehen geblieben sind: kraftvolle Steppers-Beats, grummelnde Basslines und Synthie-Offbeats – klassischer UK-Dub also. So angestaubt wie dieser Sound, so uninspiriert sind leider auch die 15 Tracks des Albums. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Basslines schlicht langweilig, die Mixes belanglos und die Arrangements alles andere als einfallsreich. Zwischen den Tracks sind kurze Live-Mitschnitte von Auftritten eingesampelt. Wahrscheinlich ein verzweifelter Versuch etwas Abwechslung in das Album zu bringen. Echte Abwechslung hätte es hingegen gebracht, von den höheren Regionen herabzusteigen und sich anzuhören, was dubmäßig zur Zeit in Birmingham, London oder Paris angesagt ist…

Das zweifellos schönste Dub-Album der letzten Monate kommt aus Helsinki. – Richtig gelesen: aus Finnland! Es hat den passenden Titel „Spring Time“ (Semi Sounds/Import) und stammt von einem Artist namens Lightman. Was er hier präsentiert ist unglaublich: Dub-Instrumentals voller Wärme, absolut entspannt und zugleich ungemein groovy. Mit wundervollen Melodien garniert, die im Stile Augustus Pablos auf einer Melodika gespielt werden. Schlichtweg fantastisch. Jedes Instrument des Albums wird von Lightman selbst gespielt und zu sensiblen Kompositionen arrangiert, die von einer melancholischen Poesie durchwirkt sind, die perfekt nach Skandinavien passt. Sie evoziert Bilder von regennassen Wäldern, in denen die Sonne durch die Blätter funkelt, oder von warmen Tagen, die auf der Terrasse einer einsamen Hütte verbracht werden… Die beiläufigen Titelnamen wie „Meanwhile In The City“, „Empty Street“ oder einfach „Raining“ tun ihr übriges. Natürlich steht Lightman auf den Schultern von Augustus Pablo, aber er ist weit davon entfernt sein Epigone zu sein. Lightman hat eine originäre Qualität, mit der er Pablo sogar übertrifft. Absurderweise ist dieses Album nur über Import zu bekommen – aber wie so oft liegt das Gute jenseits des Mainstream.

Bereits im Oktober letzten Jahres ist in Frankreich das neue Album von Dubphonic, „Smoke Signals“ (Hammerbass/Import) erschienen. Das aus Stefane Goldman, Alexis Mauri und Sylvain Mosca bestehende Trio ist nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit Richard Dorfmeister (Tosca) und von dem „Select Cuts From Blood And Fire 2“-Sampler bekannt, für den sie während einer nächtlichen Zugfahrt von Wien nach Hamburg den Linval Thompson-Klassiker „Jah Jah Is A Guiding Star“ remixten. Nun ist ihr Debüt beim renommierten Pariser Dub-Label erschienen. Es ist ein experimentelles Album geworden, das auch perfekt in den Katalog des Echo Beach-Labels gepasst hätte. Geprägt von einem offenen Dub-Verständnis, nimmt es Einflüsse elektronischer Musik auf ohne die Wurzeln im Reggae zu kappen. Warme Beats und mittlere Tempi bestimmen die Stücke, platziert in clubkompatible Arrangements und angereichert mit elektronischen Spielereien – Dorfmeister war ein guter Lehrer. Mehr davon bitte!

Abschließend noch ein weiteres Album vom Hammerbass-Label: Manasseh, „Dub Plate Style Vol. 2“ (Hammerbass/Import). Hier sind 15 Tracks aus Manassehs Oeuvre der letzten 13 Jahre versammelt. Leider sind die spannendsten Stücke aber bereits auf „Dub Plate Style Vol. 1“ zum Einsatz gekommen, so dass diese Selection streckenweise leichte Längen aufweist. Da Nick Manasseh aber stets weit über dem Durchschnitt des UK-Dub komponiert und produziert hat, ist sogar diese, etwas unglückliche, Auswahl durchaus hörenswert. (Vielleicht haben seine superben Produktionen für das Cool Hipnoise-Album (Select Cuts) die Erwartungen einfach zu hoch geschraubt). Groovy fließende Beats mit entferntem Funk-Einfluss bestimmen den Gesamteindruck von „Dub Plate Style Vol.2“ – seit je her eine Spezialität von Manasseh. Besonders stechen die Vocal-Mixes mit Earl 16 und Ras I hervor. Überraschend ist auch ein Stück von 1991, das komplett auf King Jammys Sleng-Teng-Casio programmiert worden zu sein scheint, so synthetisch klingt der Beat. Doch bereits hier dokumentierte Manasseh, das er seiner Zeit voraus war: zwischen den primitiven Computersounds ist der schwere Steppers-Beat späterer Jahre doch schon deutlich zu erkennen.

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Dub Revolution, Januar 2004

Was für ein Dreamteam! Davon träumte jeder die-hard Dub-Enthusiast – jetzt ist es Wirklichkeit geworden: Sly & Robbie und der verrückte Professor dubbing out crazy! Drei Tage im April letzten Jahres saßen sie gemeinsam im Ariwa-Studio in Süd-London und drehten die Zeiger der Uhr zurück in die 70er Jahre, in die goldene Zeit des Rockers-Sound und der Dub-Music und nahmen das Album „Sly & Robbie meet the Mad Professor: Dub Revolutionaries“ (RAS/Sanctuary/Zomba). Mad Professor, begeisterter Fan dieses Sounds, nutzte die Chance, dessen Erfinder, Sly Dunbar, im Studio zu haben: „Ich wollte diesen Sound von Joe Gibbs und Channel One wiedererwecken, mit handgespielten Drum & Bass. Die Platte sollte genau so klingen, als wäre sie 1978 aufgenommen worden.“, erklärt Neal Fraser. Dazu wählte er einige Dub-Tracks aus seiner legendären „Dub Me Crazy“-Serie aus und ließ sie von Sly, Robbie, Sky Juice, Bubbler und anderen Mitgliedern der Taxi-Gang im Rockers-Style neu einspielen. „Er wollte „four to the floor“ und den typischen Rockers-Rim-Shot“, erinnert sich Sly, „Mir machte es viel Spaß diesen Style wieder zu spielen. Es gab keine Einschränkungen –  We just go for it!“. Etwa eine Woche nach dieser Session kam Dean Fraser ins Studio und hat die Aufnahmen zusätzlich mit seinem schönen, einfühlsamen Saxophon-Spiel veredelt. Ursprünglich sollte eine ganze Horn-Section antreten, doch Dean Fraser behielt sich vor, alle Blasinstrumente selbst zu spielen und sie später übereinander zu kopieren. Herausgekommen ist ein großartiges, toughes Dub-Album ohne allzu aufdringliche Dub-Effekte, in dem Slys Rockers-Drumming wieder zum Leben erweckt wird und kongenial mit dem typischen Ariwa-Sound verschmilzt. Ein Album, das seinen Platz in der Dub-History einnehmen wird.

Nach zweieinhalb Jahren meldet sich Style Scott zurück, der das Dub Syndicate inzwischen komplett von Adrian Sherwood übernommen hat. „No Bed Of Roses“ (EFA) heißt das neue Werk des Syndikates, das komplett im jamaikanischen Tuff Gong Studio aufgenommen – der soundtechnischen Konsistenz wegen aber in London von Adrian Sherwood overdubbt wurde. Dieser hat seine Arbeit allerdings so gründlich verrichtet, dass ein fantastisch inspirierter, durch und durch britisch klingender Dub-Sound entstanden ist. Doch Mr. Scott wollte es gar nicht bei einem noch so spannenden instrumentalen Dub-Album belassen und bat daher verschiedene Vokalisten wie Cederic Myton (Congos), Cornell Campbell oder gar Gregory Isaacs ein paar Lyrics beizusteuern. Diese konnten bei den grandiosen Rhythm-Tracks wohl nicht anders, als ihre Bestleistung abzuliefern. So ist nun auf einem Album vereint, woraus clevere Producer gemeinhin zwei Alben machen: Solide, hochinspirierte Dub-Tracks mit wundervollen Songs als Zugabe. Ein Meilenstein!

In der hoch gelobten „Hi-Fidelity Dub Sessions“-Serie des amerikanischen Labels Guidance ist soeben das „5. Chapter“ (Import?) erschienen. Anders als bei den vorangegangenen Alben, die sich stärker auf den britischen Dub-Sound konzentrierten, vollzieht „Chapter 5“ eine Kehrtwendung  in Richtung klassisch anmutender Uptempo-Beats mit deutlichem Vocal-Anteil. Abgesehen vom G Corp-Remix des Thievery Corporation-Tracks „Richest Man In Babylon“ weist das Tracklisting keine dem Reggae-Geek bekannte Namen auf. Vielleicht hat das House-Label Guidance diesmal verstärkt in den vertrauten Gewässern von House und Club nach interessanten Dub-Remixen gesucht. Was sie dort gefunden haben, ist nicht uninteressant, kann aber mit dem bisher von der Hi-Fidelity-Serie gewohnten Niveau nicht mithalten. 

Inspiriert von der dem historischen Punk-Reggae gewidmeten „Wild-Dub“-Compilation, stellt das Hamburger Echo Beach-Label nun „Modern Wild Dub“ (Echo Beach/Indigo) vor. Untertitelt mit „Dread meets Disco Punk Rocker Downtown“ bietet die neue Compilation diverse Remixes gegenwärtiger Dancefloor-Formationen wie Playgroup, Chicken Lips, Radio 4, LCD Soundsystem, Kid Loco oder Colder. Das Ganze lässt sich vielleicht am ehesten als Punk-disco-trip-dub bezeichnen, wobei „Punk“ weniger für Rock als vielmehr für Sound-Anarchie steht. Es versteht sich von selbst, dass sich dieser Sampler nicht an Dub-Puristen richtet. Die Dancefloor-Avantgarde jedoch und very open minded Dubheads dürften viel Spaß dabei haben, sich die Tracks um die Ohren prügeln zu lassen.

Zurück zum puren Dub-Sound. Mit „Dub Em Zukie“ (Indigo?) stellt das Jamaican Recordings-Label ein klassisches 70er-Jahre Dub-Album von Tappa Zukie vor. Versammelt sind hier Zukie-produced Dubs der Jahre 1976 bis 1979 wie z. B. Johnny Clarkes Version von „Ballistic Affair“ oder Horace Andy „Natty Dead Ah Wey She Want“. Und so sind es weniger die Dub-Mixes, die an diesem Album Spaß machen, als die wundervollen klassischen Rhythms, die hier mit schön melodischen Interpretationen dargeboten werden (schon lange nicht mehr gehört: „My Conversation“ oder „Hypocite“). Sly Dunbars Rockers-Style gibt es dabei gewissermaßen als Bonus.

Decoder Muzique ist ein Projekt des DJs Javier Verdes und des Grafikdesigners und VJs Giovanni Jubert. Inspiriert von der Stadt Barcelona haben sie eine Dub-Compilation, namens „Barcelona In Dub“ (Indigo?) mit aufwendigem Cover-Artwork, einem Videofilm auf DVD und ein Live-Projekt zusammengestellt. Interessant ist vor allem die Compilation, auf der wider Erwarten keineswegs die lokalen Dub-Acts vorgestellt werden, sondern worauf internationale Artists wie Up, Bustle & Out, Sugar Minott (Wackies), Playgroup, International Observer oder Don Air vertreten sind. Kunstvoll ineinander gemischt vermitteln die ausgesuchten Stücke eine dunkle, schwermütige Stimmung, wie sie zu den frühen Morgenstunden in einem Club passt. Unglaublich sensibel zusammengestellt mit einer Menge überraschender Tracks, ist „Barcelona In Dub“ die zur Zeit wohl interessanteste Dub-Compilation. 

Mit „Combat Dub II“ (Hammerbass/Import) präsentiert das französische Dub Projekt Brain Damage eine zweite Folge von Dub-Remixen ihres Albums „Always Greener“. Vertreten sind hier u. a. Alpha & Omega, Manutension, Mossman Vs Mr. Tsunami und Vibronics. Trotz der unterschiedlichen Herkunft der Protagonisten, ist „Combat Dub II“ ein durch und durch typisches UK-Dub-Album mit wuchtig rollenden Steppas-Rhythms und massig Hall in allen Ecken und geilem Cover-Artwork. Sehr schön, dass es so etwas noch gibt! Schade hingegen, dass noch immer keinen Vertrieb dafür in Deutschland existiert!

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, September 2003

1992 hörte ich zum ersten Mal die Alpha & Omega-Debut-Alben „Daniel In The Lions Den“ und „King And Queen“. Sie waren eine Offenbarung, in einer Zeit, in der Reggae von „Computerized Rhythms“ bestimmt war und Dub in Jamaika zu existieren aufgehört hatte. Einen so tiefen, brummeligen, ungemein warmen Bass hatte ich in noch keiner Reggae-Aufnahme gehört. Die von mir wegen ihres deepen Sounds bis dahin geliebten Early-80ies-Dub-Tracks der Roots Radics klangen im Kontrast dazu federleicht. Wenn es einen Vergleich zu A&O gab, dann war es Lee Perry in seiner besten Black Ark-Zeit. Die mystisch-spirituelle Atmosphäre seiner Aufnahmen wiesen den Weg, den A&O fast zwei Jahrzehnte später fortsetzten  (und der sein vorläufiges Ende zur Zeit in den Produktionen von Rhythm & Sound findet). So machen die Süd-Londoner Bassistin Christine Woodbridge und ihr Partner John Spronsen auch keinen Hehl daraus, wer ihre Vorbilder sind: „Lee Perry, Augustus Pablo und Yabby You“. Was die Musik dieser drei Dub-Artists ausmacht, ist weniger der raffinierte Dub-Mix (wie z.B. bei King Tubby) als viel mehr ihr dichter, atmosphärischer Sound. Woodbridge und Spronsen haben diesen Sound nochmals verdichtet, reduziert und radikalisiert. Er ist einzigartig und unter allen UK-Dub-Aufnahmen eindeutig identifizierbar. Neben Christine Woodbridges tiefem, tiefem Bass-Gewummer, dessen Melodien kaum identifizierbar sind, und dem stoischen Steppers-Drumbeat, sind es vor allem sphärische an- und abschwellende Hintergrundgeräusche mit massig Hall, die den akustischen Eindruck eines Urwaldes heraufbeschwören und A&O-Stücke unverwechselbar machen. Typisch sind auch akustische Sounds wie der Nachhall riesiger Gongs, kurz angespielte Cembalo-Akkorde, Melodika-Sprengsel oder auch Percussions. Verblüffend ist, dass die Tracks, die als unendlich träge rollende Rhythms in Erinnerung bleiben, sich beim bewussten Hinhören oftmals als Uptempo-Stücke erweisen, die mit unaufhaltsamem Drang voranzuschreiten scheinen. Schön, dass A&O nicht das Schicksal vieler UK-Dub-Bands der 90er teilen und in der Versenkung verschwunden sind. Nachdem es viele Jahre vor allem Remixes ihres alten Repertoires zu hören gab, kommen nun wieder vollkommen neue Stücke aus dem Londoner Heimstudio. Das neue Album „Spirit Of The Ancients“ (Greensleeves/Zomba) teilen sich die beiden mit Jonah Dan und brillieren hier mit großartigen neuen Tracks und wunderschönen Vocal/Dub-Kombinationen. Jonah Dan, der die andere Hälfte des Albums produziert und eingespielt hat, passt hervorragend in das A&O-Konzept. Obwohl sein Style cleaner ist und die Tracks deutlicher strukturiert, ergänzen sich die beiden Sounds zu einem runden UK-Dub-Album, wie es in den letzten Jahren viel zu selten zu hören war. Wollen wir hoffen, dass davon einige Impulse für die UK-Dub-Szene ausgehen und sie zu neuem Elan motivieren.

Wahren Dub-Heads wird es nicht verborgen geblieben sein, dass die Sommer-Monate es an Nachschub fehlen ließen. Das einzige interessante Material, das ich auftreiben konnte ist ein Album der Dubwise Prayers mit dem Titel: „The Dubplate Series“. (Realeyes/Import). Dabei handelt es sich um eine Kleinstauflage mit handgebrannter CD und laserkopiertem Cover (von ausgesuchter Häßlichkeit). Sehr, sehr skeptisch legte ich die (für 16 Euro gekaufte) CD in den Player – und wurde angenehm überrascht. Klassischer UK-Dub war zu vernehmen, nicht sonderlich innovativ, dafür aber solide und erstaunlich abwechslungsreich. Von sehr schönen, geradlinigen  Steppers-Beats reicht das Spektrum bis hin zu eher experimentellen Mixes und knurrenden Synthie-Sounds. Vielen Tracks ist anzuhören, dass hier Alpha & Omega Pate gestanden haben. Sehr eigenständig sind hingegen die Stücke, auf denen das Violinenspiel eines gewissen J. Bloom zu hören ist – unendlich melancholisch und sehr mystisch. Es fällt schwer, die Stücke zeitlich einzuordnen, denn zu hören sind sowohl Sounds der 80er wie der 90er Jahre – und wer weiß, ob hier eklektizistische Genossen der Postmoderne am Werk waren und sich wahllos in der Reggae- und Dub-Historie bedient haben, oder ob wir es schlicht mit alten Aufnahmen zu tun haben? Geheimnisvoll das Ganze!

Da wir dieses Mal so schön viel Platz haben (um den Materialmangel positiv zu deuten), will ich die Gelegenheit nutzen, ein wenig über den Tellerrand des typischen Reggae-Dubs hinauszuschauen, und euch, lieben Raggae-Fans, ein Album nahe legen, dass ihr bei eurem House- und Techno-Dealer bekommt (z.B. www.kompakt.net): „Rocket In Dub: If Music Could Talk“ (Italic/Kompakt). Unbeachtet von der Reggae-Szene hat sich Dub in der Welt minimaler elektronischer Musik in den letzten Jahren einen festen Platz gesichert. Treibende Kraft war anfangs zweifellos das Berliner Basic Channel-Label, aus dem z. B. auch Rhythm & Sound hervorgegangen ist und deren Macher zur Zeit für die Wiederveröffentlichung des Wackies-Backkatalogs sorgen. Die Artists des Kölner Kompakt-Labels haben ihren eigenen Stil minimaler Dub-Music entwickelt, für den das vorliegende „Rocket In Dub“-Album ein gutes Beispiel ist. Hypnotisch vor sich hinpluckernde, kräftig synkopierte Shuffel-Beats mit vielen kleinen Click & Cut-Effekten und sattem Hall und Echo. Minimaler kann man die ohnehin schon recht abgespeckte Dub-Musik nicht auffassen. Alles Überflüssige ist eliminiert worden – der Kern des Dub-Sounds liegt bloß. Wie in einem Labor-Experiment, fein säuberlich herausseziert, analysiert und neu kombiniert. If music could talk, würde sie uns erzählen, wie es in der subatomaren Welt des Dub aussieht, würde uns sagen, ob der Mikrokosmos des Sounds der Computersimulation gleicht, die uns Rocket In Dub präsentiert. Ich bin gewillt, daran zu glauben.

Abschließend noch zwei Kurzmeldungen für Dub-Geeks: Soeben ist das von Sonja Pottinger produzierte und von Errol Brown gemischte  „Culture in Dub“-Album von 1978 unter dem Titel „Rare And Unreleased Dub“ (Revolver/Import) als südafrikanischer Import wieder veröffentlicht worden. Leider von recht knacksigem Vinyl gemastert. Ebenfalls wieder veröffentlicht wurde Burning Spears „Living Dub Vol.1“ – allerdings in Abgrenzung zu dem Heartbeat Rerelease von 1992 jetzt unter dem Titel: „Original Living Dub Vol. 1“ (Burning Spear/Import). Während die Heartbeat-Fassung das Album in einem neuen Mix von Barry O’Hare und Nelson Miller präsentierte, bietet „Original Living…“ den ursprünglichen, besseren Mix von Karl Pitterson und Benji Armbrister.

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Dub Revolution, Juli 2003

Pressure Sounds, neben Blood & Fire das nobelste britische Reggae-Retro-Label, hat, statt im fernen Jamaika nach Schätzen der Reggae-Historie zu suchen, einfach mal vor der eigenen Haustüre nachgeschaut. Wen Labelmacher Pete Holdsworth & Co dort fanden, gehörte in den 70er und 80er Jahren zu den wichtigsten Protagonisten des britischen Reggae: Dennis Bovell. 1971 gründete er die Band Matumbi, die fünf Jahre später ihre ersten Hits in den UK-Reggae-Charts hatte. Parallel dazu etablierte sich Bovell als erfolgreicher Produzent und Talentscout. Nahezu im Alleingang erfand er den Lovers-Rock – eine kommerzielle Erfolgsgeschichte ohne gleichen. Mitte der 70er Jahre schließlich begann er als erster britischer Reggae-Musiker mit Dub zu experimentieren, dem er sich bald ganz verschrieb. Neben eigenen Dub-Alben nahm er auch alle Alben von Linton Kwesi Johnson auf und entwickelten einen eigenen, oft sehr melodiösen und manchmal hemmungslos experimentellen Dub-Stil, der locker mit manchen Perry- oder Tubby-Tracks mithalten kann. In den letzten Jahren ist Bovell weit gehend in Vergessenheit geraten, was es um so erfreulicher macht, dass Pressure Sounds sich seiner erinnert hat und uns nun einen Ausschnitt aus der fruchtbarsten Phase seines Schaffens präsentiert. 16 Stücke sind auf „Decibel – More Cuts And Dubs 1976-1983“ (Pressure Sounds/Zomba) versammelt, fast ausschließlich Dubs. Kraftvolle Roots-Tracks stehen hier Rücken an Rücken mit lieblichen Lovers-Rock-Arrangements und verrückten, Perryesken Dub-Experimenten. Alle Tracks sind präzise und einfallsreich gemixt, voller überraschender Details und schöner Melodien. Manchmal fett arrangiert mit kompletter Bläser Sektion (inkl. Rico Rodriguez), manchmal reduziert auf den puren, minimalen Beat, manchmal voller Hall und Echos, dann wieder knochentrocken – jeder Track ist eine neue Überraschung. Vielleicht wird Bovell uns bald mit neuen Produktionen überraschen – das wäre doch was…

Dass Dub den Reggae-Beat längst transzendiert hat, weiß jeder Reggae-Geek. Warum also in dieser Kolumne nicht auch mal über den Tellerrand hinausschauen? Mit „Tino’s Dub Select“ (Tino Corp/EFA) fällt das ganz leicht, denn nur allmählich – und unterstützt durch viele Reggae-Vocal-Samples, führt uns Tino aus dem Land des synkopierten 4/4-Beats ins Reich der krachenden Breakbeats. Big Beat meets Reggae in the House of Dub könnte man die Mixtur nennen, die Jack Danergs (Meat Beat Manifesto), Ben Strokes (D. H. S.) und Mike Powell servieren. Dominiert von vertrackten Drumbeats und rollenden Basslines und gespickt mit 1001 Samples aus allen Zeiten und Stilen des Reggae, ergründen die Aufnahmen das Dub-Konzept bis in seine letzten Winkel. Funky, dubby, weired und vor allem hoch spannend verläuft die Breakbeat-Reise durch unterschiedliche Tempi und Styles. Ein großartiges Album, das die Universalität des Dub eindrucksvoll und radikal unter Beweis stellt. Es darf in der Welt des Reggaes nicht unbeachtet bleiben!

Ein Album, das auf den ersten Blick sogar noch weiter über den Tellerrand hinausweist, und zudem einen komplett anderen Weg beschreitet als Tino, ist „Rocket In Dub: If Music Could Talk“ (Italic/Kompakt). Das  Stichwort „Kompakt“ macht Eingeweihten unmissverständlich klar, womit wir es hier zu tun haben: mit Minimal-Techno. Unbeachtet von der Reggae-Szene hat sich Dub in der Welt minimaler elektronischer Musik in den letzten Jahren einen festen Platz gesichert. Treibende Kraft war anfangs zweifellos das Berliner Basic Channel-Label, aus dem z. B. auch Rhythm & Sound hervorgegangen ist und deren Macher zur Zeit für die Wiederveröffentlichung des Wackies-Backkatalogs sorgen. Die Artists des Kölner Kompakt-Labels haben ihren eigenen Stil minimaler Dub-Music entwickelt, für den das vorliegende „Rocket In Dub“-Album ein gutes Beispiel ist. Hypnotisch vor sich hinpluckernde, kräftig synkopierte Shuffel-Beats mit vielen kleinen Click & Cut-Effekten und sattem Hall und Echo. Minimaler kann man die ohnehin schon recht abgespeckte Dub-Musik nicht auffassen. Alles Überflüssige ist eliminiert worden – der Kern des Dub-Sounds liegt bloß. Wie in einem Labor-Experiment, fein säuberlich herausseziert, analysiert und neu kombiniert. If music could talk, würde sie uns erzählen, wie es in der subatomaren Welt des Dub aussieht, würde uns sagen, ob der Mikrokosmos des Sounds der Computersimulation gleicht, die uns Rocket In Dub präsentiert. Ich bin gewillt, daran zu glauben.

Woher Typen wie die Italic-Protagonisten oder Basic-Channel-Macher wie Moritz von Oswald und Mark Ernestus ihre Inspiration beziehen, wird klar, wenn wir das von ihnen soeben wiederveröffentlichte Wackies-Album „African Roots Act 1“ (Wackies/Indigo) hören. Produziert von Wackies Studiomusiker Clive Hunt, bietet es einen düsteren, multidimensionalen Sound, der gelegentlich an Lee Perrys Black Ark erinnert. Vor allem das erste Stück „Addis Ababa Dub“, in dem eine Drum-Machine zum Einsatz kommt, dürfte das Aha-Erlebnis der Minimal-Techniker gewesen sein. Auch heute noch klingen Aufnahmen wie diese unverbraucht und erstrahlen voller Magie. Seit dem Jahr seiner Entstehung galt „African Roots Act 1“ als Masterpiece des Dub – und beim Wiederhören lässt sich nur allzu leicht verstehen warum. Es ist kaum zu glauben, welche Innovationskraft sich Ende der 70er Jahre in dem kleinen Studio, tief  in der New Yorker Bronx. entfaltete. Es war wohl pure Magie.

Weniger magisch, ein bisschen konventioneller und auch nicht so innovativ klingt ein weiteres, soeben erschienenes Werk aus Wackies Archiv: „Roots Underground: Tribesman Assault“ (Wackies/Indigo). Erschienen Anfang der 80er Jahre, bietet es die typischen Wackies-Qualitäten wie die dunkle Atmosphäre, den warmen Sound und die tighten Rhythmen. Ein schönes, spannendes Album, das lediglich im Vergleich zu „African Roots Act 1“ nicht mithalten kann, für sich genommen aber deutlich über dem jamaikanischen Durchschnitt der 70er steht.

Bevor wir die Revival-Selection verlassen, sei noch ein schöner Doppel-CD-Sampler mit insgesamt 35 Dub Tracks erwähnt: „Dub Sessions“ (Union Square). Er ist Teil der bekannten Sessions-Sampler, die sich schon Musikstilen wie Soul, Funk, Blues, Hip Hop, Drum ’n‘ Bass oder Latin gewidmet haben. Schaut man aufs Tracklisting, hat man den Eindruck, ein Best Of Blood & Fire vor der Nase zu haben, denn fast 2/3 der Stücke wurden dort lizensiert. Damit ist auch klar, dass der stilistische Schwerpunkt des Albums beim Dub der 70er Jahre liegt. Ein wenig konzeptlos erscheinen lediglich die drei untergemischten UK- Dub-Tracks. Sinnvoller wäre es vielleicht gewesen, die Geschichte das Dub chronologisch nachzuzeichnen und dem New-Dub der 90er Jahre und der Gegenwart mehr Platz einzuräumen. Trotzdem ist der Sampler ein schöner Rundumschlag in der Old-School und ein lobenswerter Versuch, dem Mainstream-Publikum die Wurzeln dieser faszinierenden Musik nahe zu bringen.

Sub Oslo sind eine 8-köpfige Dub-Band aus Texas (ja, darüber wurde schon viel gelacht) und präsentieren (nach einer EP) mit „The Rites Of Dub“ (Glitterhouse/Indigo) ihr erstes vollwertiges Album. Darauf gibt es trippige, handgespielte Dub-Tracks in Überlänge zu hören – sehr hypnotisch, sehr meditativ. Erinnert gelegentlich an frühe Sherwood-Produktionen oder entfernt an die Suns Of Arqa. Allerdings scheinen der Dub-Mix sowie die verhaltenen Effekte anstatt, wie üblich, im am Studio-Mischpult erzeugt, hier tatsächlich live eingespielt worden zu sein. Ein schönes Konzept, das gewiss auch auf der Bühne zu fesseln weiß. Verblüffend ist allerdings die Vorstellung, dass hinter diesen verhaltenen, minimalen Klängen acht Musiker stehen – was machen die bloß? 

Das Dub-Album von Nucleus Roots, „In Dub“ (Westbury/Import), ebenfalls handgespielt, ist da von ganz anderem Kaliber. Hier steckt in den Songs die volle Dynamik, und der Dub-Mix ist Produkt der klassischen Post-Production. Großartig der verzerrte Bass auf „Long Road Dub“ oder die subsonischen Tieffrequenzen auf „Tuned In Dub“. Das Album stammt zwar bereits aus dem Jahr 2001 wird aber jetzt erstmals als Import angeboten. 

Das Highlight des Contemporary Dub kommt allerdings von Urban Dub, „Featuring Fairshare Unity Sound“ (Dubhead/Indigo). Urban Dub aka. Roop (Rhythms und Produktion), Marjorie Paris (Saxophon) und Hieronymous (Gesang und Mixing) haben sich hier mit Unruly Julian vom Fairshare Unity Soundsystem zusammen getan und gemeinsam ein ungemein schönes und äußerst abwechslungsreiches Dub-Album produziert. Insgesamt 26 Tracks gibt es auf der Doppel-CD zu hören, die vor Energie und Ideenreichtum nur so strotzen. Solide, uptempo-Beats bilden die Basis für abgefahrene Instrumentierungen (oft mit Marjories Saxophon), für verdrehte Dub-Mixes, geniale Ohrwurm-Melodien und vor allem für ungewöhnliche, fette Sounds. „Dub-Playground“ wäre ein kongenialer Titel, denn als nichts anderes verstehen die vier Musiker dieses Album. Sie scheren sich nicht um Regeln, Kommerzialität oder Image. Erlaubt ist alles, was Spaß macht. Während das Album mit einigen schönen, melodischen Dubs beginnt, entwickelt es sich im weiteren Verlauf immer schräger bis es schließlich bei einigen total verqueren Avantgarde-Dubs endet. Eine Achterbahnfahrt durch das Land der subsonischen Beats! Mehr davon!