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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Mai 2003

Die Zeiten, in denen neue Dub-Sampler im Wochenrhythmus die Regale der Reggae-Dealer füllten sind längst vorbei. Die neue Schule des Dub hat ihre Arbeit getan und Dub-Sounds als allgegenwärtigen Bestandteil moderner Popmusik etabliert. Dub in seiner Reinform ist auf eine Minimalgröße zusammengeschnurrt und existiert mit einer fest umrissenen Fan-Gemeinde nunmehr im Musik-Underground (wie z.B. auch Ska oder Jungle). Nur die profiliertesten Dub-Sampler-Serien haben diese Entwicklung überlebt, unter ihnen auch King Size Dub, jene hervorragende Compilation-Reihe des Hamburger Labels Echo Beach. Bereits vor ein paar Wochen ist dort Chapter Nine herausgekommen: „King Size Dub Chapter Nine“ (Echo Beach/Indigo). Ein Album, das vor Einfallsreichtum und zukunftsweisenden Dub-Sounds nur so strotzt. Wie es bei Echo Beach Tradition ist, pflegt man hier ein modernes Dub-Verständnis, dessen Fundament fest im Reggae-Groove verankert ist, sich Sound-technisch aber weit in Richtung Dancefloor vorwagt. Namen wie Coldcut, Groove Corporation, Dreadzone oder Richard Dorfmeister machen klar, wohin die Reise geht. Es ist eine Reise, die Experimente herausfordert, wie etwa bei dem Aufeinandertreffen des algerischen Rai-Sängers Khaled mit Bomb The Bass-Mastermind Tim Simenon, oder die Dub-Konferenz zwischen den Portugiesen Cool Hipnoise, dem Briten Nick Manasseh und den Last Poets! Es ist aber zugleich auch eine Reise, die zeigt, wie universal Dub ist und wie elementar sein Einfluss auf die Pop-Musik wirkt. Verglichen mit den vorangegangenen Folgen, wagt sich Chapter Nine in dieser Hinsicht am weitesten über den traditionellen Dub-Begriff hinaus und stößt damit vielleicht Türen auf zu musikalischen Universen, die nie zuvor ein Reggae-Purist gesehen hat.

Mit Dub Selector 2 (Quango/Zomba) ist ein weiterer Dub-Sampler erschienen, der etwas konservativer orientiert ist, prinzipiell aber in die gleiche Richtung weist wie King Size Dub. Elektronik-Protagonisten wie Submission oder Noiseshaper stehen hier neben Downtempo-Aktivisten wie Thievery Corporation oder Remix-Virtuosen wie Groove Corporation oder Richard Dorfmeister. Das klingt gut – Nachteil dieses Samplers ist aber, dass er kein exklusives und teilweise sogar recht betagtes Material versammelt. So findet sich die Nick Holder Nummer bereits auf einem High-Fidelity-Dub-Sampler, Big Youths Waterhouse Rock auf einem Select Cuts-Sampler und der Track von Submission so wie der von Noiseshaper auf King Size Dub-Samplern. Compilator Bruno Guez hat es sich also einigermaßen leicht gemacht, was aber verständlich ist, wenn man weiss, dass der Bursche für eine ganze Sampler-Serie auf Quango verantwortlich zeichnet, die sich so unterschiedlichen Themen wie Afro-Beats und skandinavischem Nu Jazz widmet.

Wenden wir uns lieber etwas Solidem zu: Gregory Isaacs In Dub, „Dub A De Number One“ (Heartbeat/EFA). Das Album bietet Dub-Versionen von Gregory-Stücken, die dieser in den 70er Jahren für Produzent Alvin GG Ranglin aufgenommen hat. Es ist zu großen Teilen die B-Seite des Albums „I Found Love“, das Heartbeat vor etwa einem halben Jahr veröffentlicht hat. Alle Tracks wurden im Channel One-Studio eingespielt und von Ernest Hoo Kim und Maxie McKenzie gemischt. Was die beiden abgeliefert haben ist solides Handwerk – leider aber auch nicht mehr, denn schließlich galt es lediglich B-Seiten zu füllen. Dort, wo Gregorys Stimme war, bleibt jetzt ein Vakuum zurück. Weder der Mix noch die Bassline oder ein anderes Instrument füllen diese Leerstelle. Im Gegenteil: die kurz eingeblendeten Gesangsfetzen lassen diesen Mangel nur umso deutlicher hervortreten. Nur gelegentlich gibt es die für Gregory typischen Bläsersätze zu hören. Schade. Label-Chef Chris Wilson hätte sich dieses Album also durchaus sparen können.

Zeitgleich zu den Gregory Dubs, bringt Chris Wilson noch ein zweites Dub-Album mit Aufnahmen aus den 70er Jahren heraus: Niney The Observer Presents King Tubby In Dub, „Bring The Dub Come“ (Heartbeat/EFA). Bei den Aufnahmen handelt es sich größtenteils um bisher unveröffentlichte King Tubby-Mixe, die Niney in den 70ern schlichtweg bei King Tubby vergessen hatte und erst nach dessen Tod wieder entdeckte. Zehn Tracks von den 22 auf der CD vorhandenen waren als Dub-Album konzipiert und tauchen hier unter dem Titel „The Lost Album“ auf. Einige Tracks sind leicht zu identifizieren, wie etwa „Bring The Kutchie Come“ oder „Tenement Yard“, andere hingegen kann selbst Niney nicht mehr zuordnen. Im Gegensatz zu den Gregory-Dubs, gibt es hier interessante Arrangements und eigenwillige Mixes, satte Basslines und melodiöse Bläsersätze. Einige der verbleibenden 12 Tracks  sind alternative Mixe von bekannten Niney-Dubs, wie „Westbound Train“, die Tubby sich für den Einsatz in seinem eigenen Sound System angefertigt hat. Vielleicht sind das ja sogar die „originaleren“ Mixes, die es hier zum ersten Mal auf Platte gibt?

Easy Star-Label-Chef Lem Oppenheimer hat sich an ein äußerst riskantes Dub-Experiment gewagt: Easy Star All-Stars, „Dub Side Of The Moon“ (Easy Star/EFA) ist ein Reggae-Remake des Pink Floyd-Albums „Dark Side Of The Moon“ aus dem Jahre 1973! Ja, richtig gelesen: Pink Floyd! Dass die mit Reggae soviel zu tun haben wie Madonna mit Stockhausen, begreift Oppenheimer scheinbar eher als Herausforderung, statt als Warnung. Unbeirrt macht er sich mit seinen Musiker-Kollegen Michael G und Ticklah daran, verschiedene Reggae-Styles wie Rockers, Nyabingi oder One Drop durch die Echobox zu jagen. Die Rock-typischen Gitarren ersetzt er kurzerhand durch Reggae-typische Bläser, während er die psychedelischen Floyd-Synthies offenbar als Reggae-kompatibel einschätzt und beibehält. Doch die Easy Star-Crew hat sich nicht auf eine rein instrumentale (und in ihrem Risiko abschätzbare) Dub-Version beschränken wollen, sondern hat Reggae-Singer Frankie Paul, Dr. Israel und Gary Pine, Blues-Sänger Corey Harris und Old-School-Deejay Ranking Joe zur Übernahme der Vocal-Parts eingeladen. Sie bemühen sich redlich, die Rock-Songs irgendwie nach Reggae klingen zu lassen – woran sie aber (schlicht gesagt) scheitern. Ihr Gesang fließt übergangslos in das instrumental-dubbige Allover der nicht voneinander abgegrenzten Tracks ein, was in der Tat die psychedelische Athmosphäre des Originals erahnen lässt, aber nicht im geringsten mit den Reggae-Rhythmen harmonieren will. Einzige Ausnahme bildet das Deejaying von Ranking Joe, das in seiner hüpfenden Rhythmik perfekt zum Reggae passt – und die Inkompatibilität der anderen Songs dadurch um so deutlicher herausstreicht. Schade, muss man eigentlich sagen, dass hier eine Menge Energie und eine noch größere Menge Innovationswillen auf das falsche Projekt verschwendet wurde. Vielleicht musste es aber mal versucht werden, um das Thema abhaken zu können – denn auch im Scheitern liegt die Chance zur Erkenntnis. 

„Reggae music is the weapon of the future“ zitiert Moss Raxlen a.k.a. Mossman Peter Tosh und schmettert 12 heavy Dub Tracks der World Bank aufs Dach. Mossman vs. The World Bank (Dispensation/Import) heißt das Debut-Album des Kanadiers, das bereits 2001 erschienen ist, aber erst jetzt hierzulande über Import bezogen werden kann. Es ist eine absolute Low-Budget-Produktion (man könnte fast meinen, die CD sei selbstgebrannt!). Die Tracks wurden von einer Live-Band eingespielt und haben einen schönen, warmen, relaxten Flow. Nichts Spektakuläres, lediglich ein paar solide Dub-Tracks – und ein grandioses Cover, auf dem das Mossman-Monster inmitten eines Infernos das Gebäude der Weltbank einreißt. Mossman versteht seine Musik auch als „Soundtrack“ zur Protestbewegung der NGOs bei ihrem Kampf gegen die Globalisierung. Schön, dass er mit dieser Attitüde beim Reggae gelandet ist! Auf seinem zweiten Album mit dem Namen „Mossman vs. Tsunami“ (Dispensation/Import) (mit Godzilla-Cover), hat Mossman alle Musiker des ersten Albums durch Herrn Tsunami ersetzt und mixt jetzt digital produzierte Tracks. Auch hier ist der jamaikanische Dub der 70er Jahre direkte Inspiration. Die Produktion ist schon wie beim ersten Album ungelenk und rau – 100% low budget. Aber irgendwie liegt gerade darin ein besonderer Reiz. Vielleicht ist aber auch nur der Idealismus des einsamen Dub-Produzenten im weiten Kanada so sympathisch.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, März 2003

1969, in dem Jahr, als King Tubby den Dub erfand, betrat ein Keybord-Player namens Horace Swaby zum ersten Mal ein Studio. Als „Augustus Pablo“ gab er dort sein Debüt für Produzent Herman Chin Loy. Nur drei Jahre später war Pablo selbst Produzent und besaß sein eigenes Rockers-Label. Hier etablierte er seinen „Far East Style“, so genannt, weil Pablo seine Melodien im wesentlichen aus Moll-Akkorden aufbaute, was sie „orientalisch“ klingen ließ. Diese Melodien spielte er vorzugsweise auf der Melodika, einem Instrument, das als besseres Kinderspielzeug galt. Als Instrumentalist begeisterte sich Pablo sehr für die Arbeit King Tubbys und ließ nahezu alle seine Stücke im Studio des Meisters (von Tubby himself, Prince Jammy oder Phillip Smart) remixen. Einen Showcase der gemeinsamen Arbeit von Instrumentalist/Produzent und Dub-Mixer bietet das Album „In Fine Style 1973-1979“ (Pressure Sounds/Zomba). In bester Showcase-Tradition sind hier jeweils mehrere Mixe verschiedener Pablo-Instrumentals aus den Jahren von 1973 bis 1979 versammelt. Den Anfang machen vier Cuts von „Far East“ aus dem Jahr 1975. Der Sound ist unverkennbar: schwere, Drum & Bass getriebene Rhythms – trocken abgemischt und sparsam instrumentiert. Darüber der schneidende, melancholische Klang der Melodika. Es besteht kein Zweifel daran, dass ein Instrumental gefolgt von drei Dub-Versions des gleichen Rhythms schon eine echte Reggae-Hardcore-Packung ist. Aber genau dieser Minimalismus ermöglicht ein in der Popmusik selten gewordenes Erlebnis: Musik durch reines, konzentriertes Hören wirklich zu erfahren.  Die drei aufs Wesentliche reduzierte Versions von „Cool Shade Dub“ bieten dazu beste Gelegenheit; oder die drei Versionen von „Up Warika Hill“ von 1974. Das Album bietet aber auch verspieltere Tracks wie die drei Pablo-Versionen von „Real Rock“ mit einem toastenden Hugh Mundell als Jah Levi. Augustus Pablo in fine style – says it all!

Auch auf dem Blood And Fire-Label ist eine schöne Dub-Retrospektive erschienen: Ja-Man All Stars, „In The Dub Zone“ (Indigo).  Obwohl annähernd aus der gleichen Zeit stammend, wie die tracks von Augustus Pablo (s.o.), gibt es hier einen komplett anderen Sound zu hören. Produzent ist der wenig bekannte Dudley „Manzie“ Swaby, der 1977 und 1980 zwei Dub-Alben veröffentlichte („Ja-Man Dub“ und „King’s Dub“), die hier auf einer CD zusammengefasst sind. Beide Alben waren im Channel One Studio aufgenommen worden, was den Grund für ihren unverwechselbaren Sound liefert. Verglichen mit Pablos trockenem Minimal-Sound haben wir es hier mit rollenden Basslines, flüssigen Arrangements – und nicht zuletzt mit Sly Dunbars prägnantem Drumstyle zu tun. An diesem Ort warf Dancehall bereits 1977 seine Schatten voraus. Wie man es von Channel One gewohnt ist, so wird man auch bei diesen Dubs reichlich mit Recuts von Studio One-Rhythms versorgt, slick abgemischt von Crucial Bunny, Maxie, Soljie, Ernest Hookim oder Swaby selbst. 1980 war Dancehall schließlich voll und ganz angekommen und der unverwechselbare Channel One-Sound dominierte den Reggae. Track 14-23 der CD stammen aus dieser Zeit; sie verkörpern idealtypisch diese Ära – und die letzte Blüte des jamaikanischen Dub vor seinem Niedergang gegen Mitte der 80er. Viele dieser Tracks waren bereits auf General Echos Debütalbum „Rocking & Swing“ aus dem gleichen Jahr zu hören. Dancehall Lives!

Machen wir einen Sprung in die Gegenwart: „Roots of Dub Funk 3 – The Dub Adventure“ (Tanty/?) – und wieder hören wir einen komplett anderen Sound. Es ist der Sound des New-Dub wie ihn Jah Shaka, Alpha & Omega, The Disciples und viele andere in den 90er Jahren in England prägten. „Melody lines and harmonies combined with warm horns sounds, vocal echoes, heavyweight kick drums and dirty basslines by the truckload“, beschreibt der Album-Compiler Kelvin R. diesen Sound äußerst treffend. Der größte Unterschied zum klassischen Tubby-Mix liegt vielleicht darin, dass der Rhythmus in der Regel viel langsamer ist, die Bassdrumm hingegen mit vier Schlägen durch den 4/4-Takt „marschiert“ und der Sound wichtiger ist als der Mix. Außerdem entsteht der Dub der Gegenwart komplett digital. Wer dieses Statement überprüfen möchte, findet in „Roots of Dub Funk 3“ ideales Studienmaterial: 12 superbe Dub-Tracks von Producern aus England, Frankreich, Deutschland und den USA. Mit dabei sind u. a. Alpha & Omega, Jah Warrior und die Vibronics.

Während „Roots Of…“ eher eine klassische Form von Dub präsentiert, haben wir es bei Cool Hipnoise, „Showcase & More“ (Select Cuts/Indigo) mit einem exzellent gelungenem Crossover-Experiment zu tun. Dub bildet hier das Fundament für eine faszinierende musikalische Mischung, in der sich Klänge aus Brasilien, Cuba und Portugal unter der Regie von Nick Manasseh zu frischen, ungehörten Grooves verbinden. Cool Hipnoise sind Joao Gomes, Francisco Rebelo und Tiago Santos aus Lissabon, die in den 90ern Hip Hop mit Jazz, Soul, Reggae und brasilianischen Beats kombinierten. Dub-Produzent Nicholas Raphael aka Nick Manasseh, der die beiden letzten Alben der Band produzierte, hat ihren Sound konsequent auf Dub gepolt. Das Ergebnis ist ein großartiger Beweis für die Universalität von Dub. Es ist ihm perfekt gelungen, die Stilmittel des Dub mit denen anderer Musikgenres untrennbar zu verschmelzen. Der Dub bekommt so etwas von der Leichtigkeit und Eleganz brasilianischer Musik, während die lateinamerikanischen Sounds durch Dub Bodenhaftung und Dynamik gewinnen.

Auch mit seinem neuen „eigenen“ Album, Manasseh Meets The Equalizer, „Step Like Pepper“ (Select Cuts/Indigo) beschreitet Nick Raphael Crossover-Pfade. Hier knüpft er konsequent an das erste Manasseh Meets The Equalizer-Album von 1994 an und mischt schwere Dub-Sounds mit Cool-Jazz-Flavors. Hätte es in der Zwischenzeit St. Germain nicht gegeben, würde man „Step Like Pepper“ eine Sensation nennen. So muss man sich hingegen bemühen, das Album nicht unentwegt mit St. Germain vergleichen zu wollen. Ist dieser Schritt geschafft, hört man einige sehr schöne, spannend arrangierte Tracks mit einer Vielfalt von Samples, die von alten Lee Perry-Produktionen bis Blue Note reichen. Wie gewohnt bei Manasseh, fußt alles auf soliden Beats, die stets variantenreich und interessant sind. Bei ihm kann man wirklich von „Komposition“ sprechen (während andere Dub-Produzenten ihre Tracks nur allzu gerne mit „Speichern als…“ fabrizieren).

Bleiben wir mal beim Select Cuts-Label und richten unser Interesse auf einen ungewöhnlichen Sampler: „Babylon Is Ours – The USA In Dub“ (Select Cuts/Indigo). Der wirklich wunderbar selbstironische Titel macht das Konzept klar: die Compilation wirft ein Schlaglicht auf die aus europäischer Sicht sträflich unterbelichtete Dub-Szene Nordamerikas. Ein paar Namen aus dieser Szene sind hierzulande natürlich bekannt: Systemwide, Dr. Israel, Avatars Of Dub und vielleicht der ein oder andere Act von den Guidance-Dub-Samplern. Ansonsten wissen wir wenig. Doch beim Hören von „Babylon Is Ours“, vermittelt sich der Eindruck, als hätte das seinen guten Grund! Wirkliche Entdeckungen sind hier nämlich nicht zu machen. OK, die US-Combos können mit durchschnittlichen europäischen Produktionen mithalten – aber ist dieses Statement einen Sampler mit dem Titel „Babylon Is Ours“ wert? Hier hätte man schon ein bißchen mehr innovative Kraft erwartet.

In der Riddim #2 war an dieser Stelle zum ersten Mal die Rede von Loud & Lone, einem Dub-Duo aus Spanien. Die beiden, Borja Juanco und Roberto Sanchez, haben sich nun mit den Musikern der Basque Dub Foundation zusammengetan und ein Showcase-Album mit dem Titel „BDF Meets Loud & Lone“ (A-Lone/Import) aufgenommen. 18 Tracks finden sich hier, wobei sich Vocal-Track und Dub-Version abwechseln. Alle Instrumente sind hand gespielt, was zu dem insgesamt sehr klassischen Eindruck des Albums passt. Das Album könnte ohne weiteres aus dem Jamaika der 70er Jahren stammen (abgesehen vom besseren Sound) – gemixt wird hier nach altmeisterlicher Manier. Umso erstaunlicher ist es dann aber, dass das Album tatsächlich aus Spanien stammt. Vielleicht sollten ein paar amerikanische Dubsters dort mal Urlaub machen…

Kommen wir zum abschließenden Höhepunkt: „Richard Dorfmeister Presents A Different Drummer Selection“ (Different Drummer/EFA). Die beiden Jungs aus Birmingham, Glynn Bush und Richard Wittingham, die bis in die zweite Hälfte der 90er Jahre als „Rockers HiFi“ firmierten, gründeten 1992 das Label „Different Drummer“ sowohl als Heimstätte ihrer eigenen als auch für die gleich gesinnter Dubschaffender. Von Beginn an, stand der Name des Labels für innovative Musik, die verschiedenste musikalische Einflüsse unter dem Dach des Dub vereinte. Keiner der unzähligen Dub-Acts der 90er hat das Spektrum so nachhaltig erweitert, wie Rockers HiFi und ihr Label. Im letzten Jahr ist Different Drummer zehn Jahre alt geworden – ein Anlass für Richard Dorfmeister, die besten Tracks des different drumbeats auf einem Album zu vereinen. Mit von der Partie sind u. a. Noiseshaper mit schweren Reggae-Beats, G-Corp mit zwei grandiosen Heavyweight-Steppers, Phase 5 und International Observer mit eher trippigen Groves, Rockers HiFi mit einem schönen, House-beeinflussten Dub und natürlich das hauseigenen Overproof Soundsystem mit ihrem unglaublichen „Watch What You Put Inna“. Hoffen wir, dass der „Different Drumbeat“ weitergeht – in alle Richtungen, denn das Label ist so open minded wie das Genre, für das es steht.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Januar 2003

Up, Bustle & Out – für Reggae-Fans ein unbekannter Name – und doch steht der Name für eines der interessantesten Reggae/Dub-Alben des vergangenen Jahres. Rudi & Ein, die beiden Macher von Up, Bustle & Out widmeten sich in der Vergangenheit abwechselnd verschiedenen Ethno-Sounds, die sie in das Trip Hop-Universum importierten und dort zu faszinierenden Downtempo-Grooves verarbeiteten. Nach einem indischen und einem kubanischen Album nahmen sie sich nun mit ihrem neuen Werk „Urban Evacuation“ (Unique/Indigo) des Reggae der 70er Jahre an. Das Album, das ganz im Geiste King Tubbys entstanden ist, huldigt diesem Sound ausgiebig. Aber es wäre dieser Rezension nicht würdig, hätte es sich damit begnügt. Im Gegenteil: Rudi & Ein gehen weit über die Tubby-Vorlage hinaus. Vielleicht ist es ihr Nicht-Reggae-Background, der sie so undogmatisch Stile mischen und so experimentierlustig Sounds kreieren lässt: Ska, Flamenco, Breakbeats, Trip Hop, Latin, Arabisch, Indisch… alles spielt mit, während Reggae und Dub die solide Basis bilden. Die stilistische Vielfalt zeigt sich auch an den Namen der Gäste: Ras Jabulani, von den Black Roots, der hier zwei Tracks im unverwechselbaren Linton Kwesi Johnson-Style voiced, oder MC Nicky Blaze, Sängerin bei Roni Size, oder Nitin Sawhney und Jim Barr (Portishead), die hier Kontrabass spielen, oder Andy Hague mit einigen sehr schönen Trompeten-Soli, oder Senora Eugenia Ledesma an den Percussions, oder…. Die Liste der Mitwirkenden ist lang. Um so erstaunlicher ist deshalb, dass das Album wie aus einem Guss klingt und die Stücke in perfektem Flow aufeinander folgen. Es entsteht eine fast filmische Stimmung, die den Hörer durch verschiedene Welten zu tragen scheint und immer wieder neue Bilder vor seinem inneren Auge entstehen lässt.

Springen wir gleich mitten ins Zentrum von Dub: Jah Works, „Messages From The Seventh Sense“ (Jah Works/Import) verkörpert idealtypisch das, was heute in der Reggae-Community unter New Dub verstanden wird: kraftvolle Roots-Rhythmen, wuchtige Basslines, massig Hall und Echo und nicht zuletzt eine warme, entspannte und latent mystische Atmosphäre. Jah Rej lädt uns ein zu einem netten Label-Rundgang, bei dem uns eine Menge bisher vollkommen unbekannter Artists begegnen und wir einige großartige Dub-Tracks hören werden. Hier erwarten uns keine Experimente, und ein-, zweimal müssen wir auch den Skip-Button betätigen, doch insgesamt ist es eine Dub-Journey, die kaum ein anderes Label zur Zeit auf diesem Niveau anbieten kann. Produzent (und Esotheriker) Jah Rej hat sich wohl von der Zion-Train-Widmung seines Labels in Form des vor einigen Monaten erschienenen Samplers „The Inspirational Sounds Of…“ inspirieren lassen, und noch weitere Schätze ausgepackt. Lediglich den „Quick March“ der Roots Crusaders hat er gedoppelt – was ihm bei einem so perfekten Track gern vergeben sei.

Auch Ryan Moore holt Schätze aus seinem Archiv: Twilight Circus Dub Sound System: „The Essential Collection“ (M-Records/Import) versammelt – wie der Titel unzweifelhaft klar macht – die besten Tracks seines bisherigen Dub-Schaffens (das 9 Alben seit 1995 umfasst). Bei einem Dub-Artist von so unglaublich konsequenter Kontinuität wie Moore, versteht es sich von selbst, dass die Essential Collection nicht mit Überraschungen aufwarten kann. Es ist noch nicht einmal möglich, eine stilistische Entwicklung Moores innerhalb der vergangenen 7 Jahre herauszuhören. Experimente? Nein danke! Dub ist pur am besten, dachte sich der Meister und fabrizierte einige der deepesten Reggae-Grooves, die die Dub-Welt je zum vibrieren brachten. Live eingespielt vom Meister himself und anschließend duch sämtliche Echo-Chambers gejagt, die das Studio hergab. Essentieller  kann Dub nicht sein: The Essential Collection Of Essential Dub!

In den letzten Jahren hat es viele Wiederveröffentlichungen von King Tubby-Tracks aus den 70er und 80er Jahren gegeben – was kein Wunder ist, denn im Zeitalter des totalen Remix erinnert man sich unweigerlich an dessen Erfinder und Creator. Da Tubby gigantische Mengen an Tracks durch seine Echo-Kammer gejagt hat, konnte jede Reissue aus dem Vollen schöpfen und nach Belieben Tracks auswählen. Um so erstaunlicher ist es, dass die Reggae-Fans bis Ende 2002 warten mussten, um mit „100% of Dub“ (Select Cuts/Indigo) eine so breit zusammengestellte Sammlung an Meisterwerken des King zu erhalten. Das Spektrum reicht von uptempo Bunny Lee-Produktionen der Mid-70ies (Johnny Clarke, Horace Andy etc.) bis hin zu den düsteren Klangsphären eines Fatman aus den späten 70er und frühen 80er Jahren. Wärend Tubby die frühen Stück mit unglaublicher Virtuosität mixte und mit Hilfe seines Mischpultes komplett neu arrangierte, dominiert bei den späten Tracks der pure Sound in all seiner trägen Schwere und dunklen Tiefe. Natürlich hat der Dub-Enthusiast alle Aufnahmen bereits in seiner Sammlung verstreut – Neues gibt es auf „100% Dub“ nicht zu entdecken. Aber altes in dieser schönen Kombination wieder zu entdecken macht eine Menge Spaß.

Wie hundertprozentiger Dub heute klingt, lasst sich hingegen auf „Dub Clash“ (Dubhead/EFA) hören. Viel scheint sich seit Tubbys Fatman-Mixes nicht getan zu haben, andererseits ist es doch erstaunlich, welche Kraft in diesem minimalistischen Genre angelegt ist, denn trotz aller Beschränkung kann purer Dub immer noch spannend sein und gut klingen. So wie auch in diesem Fall: Dub Clash liefert den typischen Dub-Minimalismus: tief grummelnde Basslines, sparsame Instrumentierung, rollende Beats und massenweise Hall und Echo. Und trotzdem, irgendwie ist es gut: Warmer Bass-Sound, den man in der Magengrube spürt! Nicht mehr und nicht weniger.

Abwechlungsreicher geht die vierte Folge der „Hi-Fidelity Dub Sessions“ (Guidance/EFA) ans Werk. Den Anfang macht ein japanischer Dub der Reggae Disco Rockers mit Vocal von Horace Andy, gefolgt von dem unglaublich grandiosen Track „Why Not Tonight“ der See-I, der von Desmond Williams aufgenommen wurde. Weitere Tracks von Ticklah, Roots Combination, Richard Dorfmeister, Groove Armada und Smith & Mighty halten das Niveau auf höchstem Level. Lediglich die beiden letzten Stücke von Tosca fallen etwas ab. Dank an Guidance, dass sie ohne Scheuklappen regelmäßig so hervorragende State of the Art-Sampler herausbringen.

Auch das Dub-Syndicate hat mit „Murder Tone“ (On-U-Sound/EFA) einen Sampler zusammengestellt – allerdings ausschließlich mit eigenem Material aus der „Dub Syndicate-Classic Collection“. Gerade im Vergleich mit den anderen hier besprochenen Dub-Alben, wird es erneut überdeutlich, wie eigenständig und prägnant die von Adrian Sherwood produzierte Musik ist. Seine Sounds, seine Arrangements, seine Melodien sind einmalig. Mit „Murder Tone“ liefert er so etwas wie eine Werkschau der letzten zwanzig Jahre, und relauncht damit zugleich sein etwas vernachlässigtes On-U-Sound-Label.

Doch es gibt auch neues Material von Adrian Sherwood zu hören: „Never Trust A Hippy“ (Realworld/Virgin). Offiziell sein erstes Album unter eigenem Namen, wenn man so will, sein „Debut“. Angesichts seines gigantischen Back-Katalogs eine mehr als ironische Formulierung, die das Virgin-Marketing-Team da benutzt. Ebenfalls ironisch mutet es an, dass sein „Debut-Album“ NICHT auf seinem eigenen Label erscheint. Das rührt daher, das Peter Gabriel, Labelchef von Realworld, ihn gebeten hatte ein reines Remix-Album aus dem Back-Katalog des Labels zu machen. Doch Sherwood wollte lieber neue Stücke aufnehmen statt alte nur zu recyclen und ging daher mit Musikern wie Sly & Robby oder Lenky (Schöpfer des Diwali-Rhythms) ins Studio und nahm neue Backings auf, über die er dann verschiedene Realworld-Samples spielte. Dabei ist ein sehr untypisches Sherwood-Album herausgekommen, das die Grenzen des Reggae weit hinter sich lässt. Ob es immer gelungen ist, ist eine andere Frage. Manche Songs klingen ein wenig uninspiriert, andere nicht konsequent genug. Oft zwingt sich der Eindruck auf, Sherwood habe zuviel gewollt: Dancehall, Dub, Worldmusic und Sample-Experimente – zusammen in einem Song komprimiert grenzt es oft an Überproduktion. Manchmal verbindet es sich diese Vielefalt aber auf kongeniale Weise. Ohne Risiko kein Gewinn.

Auf dem französischen Hammerbass-Dub-Label  (das bald mal einen ordentlichen deutschen Vertrieb bekommen sollte) ist ein Album von Paris Yard, mit dem Titel „Dubvisions“ (Hammerbass/Import) erschienen, das dem Sherwood-Werk nicht unähnlich ist. Auch hier gibt es viele Worldmusic-Samples und eine deutliche Affinität zu Dancehall. Doch anders als bei Sherwood, ist die Konstruktion der Stücke hier viel simpler, aber auch kraftvoller. Hier finden sich z. B. auch  kompromisslose Elektro-Dub-Tracks, deren wuchtige Steppers-Rhythms keine Experimente erlauben. Dann wieder gibt es traditionelle afrikanische Musik, die mit Dub-Sounds verschmolzen wird, gefolgt von einem Uptempo-Dancehall-Dub. Verwirrend konzeptlos, aber gerade deshalb spannend und unterhaltsam.

Im Dance-Kontext – wenn nicht gar im Pop – ist das ebenfalls auf Hammerbass erschienene Album „Peace, Unity, Love, Having Fun And Computers“ (Hammerbass/Import) von Batam Batam verankert. Der Sound lässt sich am ehesten mit Dreadzone vergleichen, auch wenn Batam Batam noch unbekümmerter Pop-Melodien verwendet und sich nicht im geringesten um Reggae-Credibility schert. Das „Having Fun“ im Titel trifft das Album-Konzept im Kern: Alles was Spaß macht – und seien es 60ies-Pop-Anleihen oder Disco-Chöre – wird hier zu einem alkoholfreien Dub-Cocktail gemixt. Der Reggae-Beat bleibt zwar solide Basis, wird aber mit dem üppigen Pop-Arrangement darüber kaum noch als solcher wahrgenommen. Das ist keine Kritik! Was sollte an „Having Fun“ falsch sein? Dub muss keine Kopf-Musik sein, auch wenn das viele denken.

Etwas anders scheinen es die Trance Vision Steppers mit ihrem neuen Album, „tvs.2“ (Fünfundvierzig/Indigo) zu sehen. Minimalistische Elektroniksounds à la „Space Night meets Dub, schwerelos fließend, meditativ. Adressat ist hier eher der Kopf als der Bauch. Hinter diesem Sound steht kein Unbekannter: Felix Wolter, Mastermind der  Reggae-Band „Visions“ und verschiedener anderer Projekte wie „Pre Fade Listening“ – und avantgardistischer Dub-Producer aus Hannover. Inwiefern der Sound von TVS noch etwas mit Reggae zu tun hat, ist nicht eindeutig festzustellen. Ausgewiesene Reggae-Beats gibt es kaum zu hören, und trotzdem schwingt in jeder Note der Reggae-Vibe mit. Dub ist universal.

Noch minimalistischer treibt es Mapstation (featuring Ras Donovan) mit „Version Train“ (Staubgold/Indigo). Stefan Schneider remixt hier die Tracks seines Elektronik-Vorgängeralbums „A Way To Find The Day“ inna Reggae-Style. Nun sollte niemand erwarten, hier fette One-Drop-Rhythms vorzufinden. Im Gegenteil, die Tracks sind astreine Minimal-Elektro-Plucker-Click-Dub-Soundscapes, deren Klang und Instrumentierung absolut gar nichts mit Reggae zu tun hat. Doch da ist diese merkwürdige Synkopierung der Beats, die auf sehr assoziative Art und Weise dann doch etwas mit Reggae zu tun hat. Kommen dann noch die stark an Tikiman erinnernden Reggae-Vocals von Ras Donovan hinzu, dann hat sich das Album seinen Platz in dieser Kolumne fraglos verdient. Diese Herangehensweise an Reggae finde ich absolut erfrischend, spannend und auch richtig schön. Natürlich sind die Tracks oft spröde und ein wenig „verkopft“ – aber es muss nicht immer „Jump & Shout“ sein. Hier, an den Grenzen des Genres passieren oft interessantere Dinge, als in dessen Zentrum. Doch leider nimmt Stefan Schneider seinen Minimalismus-Grundsatz allzu wörtlich: nur knapp 30 Minuten Laufzeit zum Preis eines „normalen“ Albums ist schlichtweg zu kurz (und manifestiert auch keineswegs vermeindlichen „Kunstanspruch“).

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Dub Revolution, Oktober 2002

Dass Joe Gibbs und Errol Thompson einige der schönsten Reggae-Klassiker der 70er Jahre produziert haben, dürfte nach dem Erscheinen der Hommage von Steely & Clevie wieder nachdrücklich in Erinnerung gerufen worden sein. Dass Gibbs und Thompson, „The Mighty Two“ aber auch hervorragende Dub-Versions ihrer Hits produziert haben, belegt das neue Pressure-Sounds-Album “ Joe Gibbs and the Professionals: No Bones For The Dogs“ (Pressure Sounds/Zomba), das sich ihrer Dub-Werke von 1974-1978 widmet. Vier Jahre mit großartigen Hits wie „Heart and Soul“ von Leo Graham, „See Them A Come“ von Culture über den Heavy-Rock-Rhythm, „Burn Babylon“ von Sylford Walker, oder auch, ganz groß, „Two Seven Clash“, ebenfalls von Culture, die hier einem Dub-Treatment der Extraklasse unterzogen werden. Höchst spannende Instrumental-Arrangements, witzige Samples (Autorennen, Hundegebell, Schüsse etc.), Sound-FX galore, Hall und Echo und vor allem eine virtuose Beherrschung des Sounds sind die wichtigsten Ingredienzien der Dub-Versions von Gibbs & Co. Doch diese Zutaten allein wären nichts wert gewesen, wenn Gibbs und Thompson nicht so hervorragendes Rohmaterial gehabt hätten. Denn ein starker Rhythm, gut arrangiert, mit swingender Bassline und ggf. schönen Gesangsmelodien ist eine Conditio sine qua non für einen guten Dub Track. Und so erstaunt es nicht, dass die Dubs auf „No Bones For The Dogs“ die 24 bis 28 Jahre seit ihrer Entstehung gut überstanden haben und heute noch so interessant und abwechslungsreich klingen, wie zu ihrer Entstehungszeit.

Bleiben wir bei den Klassikern: Nach dem kleinen Wackies-Special in der letzten Kolumne, seien hier zwei weitere Rereleases von Dub-Alben des legendären amerikanischen Reggae-Labels vorgestellt: „Jamaica Super Dub Session“ und „Natures Dub“ (beide: Wackies/EFA). Beide Alben bestechen durch ihre melodiösen Tracks und den unvergleichlichen und immer wieder faszinierenden Wackies-Sound. Mix-technisch sind die beiden Werke aus den frühen 1980er Jahren eher durchschnittlich, Groove-technisch hingegen stehen sie ganz weit vorne – was im übrigen nicht verwundern sollte, wenn man weiß, dass u. a.  Koryphäen wir Leroy Sibbles und Jackie Mittoo dafür mitverantwortlich zeichnen. „Natures Dub“ startet mit einem wahren Four To The Floor-Stomper, den man eher in den 1990ern als Anfang der 1980er vermuten würde. Gerne griff Produzent Lloyd „Bullwackie“ Barnes auf das Studio One-Erbe zurück (wie alle in dieser Zeit), was seinen Rhythms diese wunderbar rollenden Basslines bescherte (und vielleicht sogar dabei half, auch seine Aufnahmen zu Klassikern werden zu lassen). Auf „Natures Dub“ bietet er uns jedenfalls eine unübertroffen minimalistische Interpretation von Rockfort Rock, nahezu komplett gestrippt auf puren Drum & Bass mit fistelnden HiHat-Anschlägen und sparsam eingesetztem Echo. Solche Tracks dürften die Minimal-Techno Produzenten Mark Ernestus und Moritz von Oswald bewogen haben, das komplette Oeuvre das Wackies-Label neu herauszubringen. Vielen Dank dafür! Der Sound auf der „Super Dub Session“ ist weicher und typisch für die Lovers-Produktionen des Labels. Sanfte Melodien und viel Hall und Echo bestimmen hier den Sound. Vor allem der aus dem Black-Ark-Studio abgehörte Drumsound drückt den Tracks seinen Stempel auf. Die Arrangements sind üppiger und musikalischer, gelegentlich gibt es sogar zaghafte Bläsersätze.

Von der Bronx geht’s nun rüber nach Brooklin, wo das Clocktower-Label seinen Sitz hat. Hausherr Brad Osbourne musste sich nie mit solchen Kleinigkeiten wie Aufnahmesessions oder mit Reggae-Artists abgeben. Er kaufte einfach in Jamaika bei Bunny Lee und Lee Perry komplette Session-Tapes ein und mixte daraus dann seine eigenen Dubs – denen er selbstverständlich auch sein Copyright verpasste. Nun sind wieder ein paar dieser Dub-Obskuritäten erhältlich: „Clocktower Records Presents Clocktower Dub“ (Abraham/Import). Hier sind u. a. schrammelige Dub-Versionen von Hits von Junior Byles, Johnny Osbourne, Dennis Brown, Augustus Pablo und den Heptones zu hören, immer wieder bunt gemischt mit Aufnahmen aus Perrys Black Ark-Studio. Obskur, schräg und eigenwillig sind die passenden Adjektive, die diese Dub-Sammlung aus den 70ern am besten charakterisieren. 

Da wir gerade bei schrägen Dubs sind: „Hallucinogen In Dub“ (Twisted/EFA) legt noch eins drauf: Ein Dub-Ambient-Soundgeflecht, das zweifellos unter dem Einfluss von kleinen Pilzen entstanden ist. Sphärische Synthie-Flächen und buntes Elektronik-Gedudel sind hier die vorherrschenden Stilmittel. Sie stehen durchaus in spannungsvollem Kontrast zu soliden Reggae-Grooves und satten Basslines und machen dieses Werk für Reggae-Freunde konsumierbar. Manche Stücke klingen wie Dreadzone auf Drogen, andere wie Stockhausen auf Reggae. Eine gewisse Toleranz gegenüber musikalischen Experimenten sollte der Hörer deshalb schon mitbringen. Allerdings beruhigen sich die Tracks nach einem fulminanten Start dann doch meist etwas und entfalten schließlich eine eher meditative Stimmung. Wer open minded genug ist, der wird an diesem Album Spaß haben – wer nicht, den wird bereits das Cover abschrecken.

Da ich – ohne jeden Zweifel – open minded genug bin, habe ich mir auch das Album von Brain Damage, „Always Greener (On The Other Side)“ (Hammerbass/Import) aus Frankreich angehört. Hier erwarten den Hörer ungemein langsame, monotone Rhythmen mit fetter Sound-FX-Garnitur. Rhythm & Sound meets Wordsound meets Alpha & Omega – könnte man das Konzept kurz zusammenfassen. Allerdings ist Brain Damage weniger minimalistisch als Rhythm & Sound, nicht so experimentell wie Wordsound und nicht so düster wie Alpha & Omega. Trotzdem übt das Album eine eigenartige Faszination aus. Die meditativen Grundstimmung, der Schwebezustand zwischen Disharmonie und Groove, die Trägheit der Bassline… Es ist nicht leicht diese Faszination auszuleuchten – und es ist auch nicht leicht, sich ganz auf das Album einzulassen. Tut man es aber, dann hört man ein ganze Menge: Leise Anklänge orientalischer Melodien und indischer Harmonien z. B. oder mysteriöse Wortfetzen, die sich aus dem Sound-komplex herausschälen. Zwei schöne Akzente setzen zudem die beiden Vocal-Tracks mit Tena Stelin.

Bleiben wir in Frankreich, einer Musiknation, deren Reggae- und Dub-Schaffen erst langsam und ganz allmählich für uns sichtbar wird. Der Dub-Produzent und -Mixer Miniman befindet sich mit seinem selbstbewusst französisch betiteltem Album „En Marche Pour Sion“ (Age Of Venus/Import) auf dem Weg zum Königreich der Rastas (wie Gentleman). Daran, dass er diesen Weg festen Schrittes bewältigt, lassen seine stampfenden Steppers-Rhythms keinen Zweifel. Das ganze Album erscheint wie ein Dejà-vu aus den 90er Jahren, Disciples, Rootsman und Zion Train lassen grüßen. Doch das scheint Miniman nicht zu stören: Er kümmert sich nicht um den aktuellen Trend im Business, er legt keinen Wert darauf,Käuferschichten außerhalb der französischen Reggae-Gemeinde zu gewinnen und er braucht keine zugkräftigen Gäste, die seine Tracks voicen. Er macht einfach seine Musik – kompromisslos und konsequent. Was soll daran schlecht sein? Da passt es nur zu gut, dass er sich in seinem Ikea-Schlafzimmerstudio fotografieren lässt. So viel Selbstbewusstsein muss man haben!

Die Groove-Corporation aus Birmingham steht hingegen für den modernen Club-Sound des Dub, der vielfältige Einflüsse der elektronischen Musik einbezieht und ganz im Hier und Jetzt verortet ist. Mit „Dub Plates From The Elephant House Volume Two“ (Different Drummer/EFA), packen sie zum zweiten Mal ihre Dub-Plate-Kiste aus und zeigen, wo sich der Status Quo des Genres zurzeit befindet. Ihr Spektrum reicht von spannenden Crossover-Sounds (wie „Clever Kid“, das wie ein Dub-Remix des Gotan Projects klingt) über Trip-Hop-Experimente bis hin zu knallharten Dancefloor-Steppers-Rhythmen. Vielfalt scheint das grundlegende Prinzip bei G-Corp zu sein, denn jeder Track hält neue Arrangements, neue Sounds und neue Überraschungen bereit. Eine Eigenschaft, die gerade im Dub viel zu selten ist. Sie lassen keinen Zweifel daran, welch großartige Potential in diesem Genre steckt und wie sein Weg in die Zukunft auszusehen hat. Musikern wie G-Corp ist es zu verdanken, dass Dub seinen Platz im Reigen zeitgenössischer elektronischer Musik gefunden hat und dort seine unüberhörbaren Einflüsse geltend macht. Insofern sind die Dub-Plates der Groove Corporation die exakte Antithese zu den Tracks von Miniman: Moderne Club-Sounds mit starken Wurzeln im Reggae.

Wie stark Dub die gegenwärtigen Club-Sounds zu beeinflussen vermag, zeigt im Übrigen das neue Album der Thievery Corporation, „The Richest Man In Babylon“, dessen Titel schon deutlich macht, dass es dem Reggae nicht fern steht. Hier finden sich einige astreine Dub-Tracks, auf die selbst die vorgenannte Corporation aus Birmingham neidisch sein dürfte. Rob Garza und Eric Hilton, die beiden Eklektizisten in Person, haben gut aufgepasst und ihre eigenen Dub produziert, die sie zwischen wunderschönen Lounge-Tracks mit kräftigem Worldmusic-Einschlag eingebettet haben. Doch das nur am Rande. Wenden wir uns lieber einem anderen Dub-Außenseiter zu: den Bad Brains. Die dreadgelockten Punkmusiker aus Washington haben mit „I’n’I Survive Dub“ (Reggae Lounge/Groove Attack) doch tatsächlich ein lupenreines Dub-Album vorgelegt. Lupenrein…? Nicht ganz, denn es kann schon mal vorkommen, dass brachiale Gitarren-Punk-Einsprengsel den moderaten Groove der Basslines unterbrecheb und ohne Rücksicht auf Verluste die Ohren freifegen. Erstaunlicherweise harmoniert das sogar ganz gut. Die „normalen“ Dub-Tracks sind in der Tat recht normal – abgesehen davon, dass sie handgespielt sind, was man deutlich hört, zumal auch der Sound nach Live-Atmosphäre klingt. Arrangements, Instrumentierung und Dub-Mixes bleiben ziemlich auf dem Teppich und mancher Track dürfte gerne auch etwas druckvoller gespielt sein. Schön hingegen ist die Bläser-Sektion, die heute im Reggae leider viel zu selten ist. Unweigerlich stellt sich bei diesem Album die Frage, für wen es wohl gemacht ist. Für Reggae-Fans wohl kaum, denn dann müsste es mehr bieten. Und ob sich Freunde des Punk ein Dub-Album zu Gemüte führen, muss an dieser Stelle leider eine offene Frage bleiben. Hört man sich aber manche Hardcore-Dancehall-Produktionen an, dann scheinen sich die Grenzen zwischen Punk und Reggae ohnehin aufzulösen …

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Juli 2002

Bekanntlich soll man aufhören, wenn’s am besten ist – und so verabschiedet sich die Blood & Fire-Remix-Serie mit einem Höhepunkt: „Select Cuts from Blood & Fire – Chapter 3“ (Select Cuts/Indigo). Nicolai Beverungen, der Dub-Masterchief aus Hamburg, hat zum großen Abschiedsfest das nahezu komplette Who is Who der britischen Dub-Szene eingeladen, Reggae-Klassiker aus dem Blood & Fire-Katalog zu remixen. Als Antwort ist er mit grandiosen Dub-Tracks beschenkt worden, die klar machen, wo der Dub heute steht: im Zeichen der Club-Culture. Groove Corporation, Dreadzone, Smith & Mighty, Different Drummer und die anderen lassen keinen Zweifel daran, dass moderner Dub längst aufs Vortrefflichste verschmolzen ist mit dem Sound von Techno, House, Drum&Bass, Garage, Electro etc. und sich damit seinen Weg in die Zukunft gebahnt hat. Entscheidend ist aber, dass diesem Dub die Reggae-Wurzeln nicht abhanden gekommen sind, dass seine Beats und Dub-FX auf dem warmen, weichen Bett rollender Basslines ruhen: z.B. „Rockfort Rock“ bei Groove Corporation, „Stalag“ bei Smith & Mighty, oder „Greedy Girl“ bei Pressure Drop. Schön zu sehen, wie die Konstanten der Reggae-Evolution nun im 21. Jahrhundert angekommen sind – und immer noch überraschend neu klingen können. So zählt Smith & Mightys Version von Stalag mit Abstand zum Besten, was an Dub in der letzten Zeit produziert wurde. Gleiches gilt für den Dreadzone-Remix zweier Prince Allah-Klassiker, der von einem hüpfend synkopierten uptempo-Beat in Garage-Pop-Gefilde hinübergetragen wird, oder, ebenfalls überragend: Don Letts Remix der Prince Allah/Pablo Moses-Tracks „Great Stone/One People“. Ein Heavyweight Stomper ohne Gleichen, der noch in so manchen Clubs und Dancehalls für Furore sorgen wird. Letts ist interessanterweise der Regisseur des Films „Dancehall Queen“ (und von über 300 Musikvideos) – ein wahres Multitalent. Fazit: eine superbe Remix-Platte, an dem nur eines stört: dass sie die Letzte ist.

Mark Ernestus und Moritz von Oswald (Rhythm & Sound, Basic Channel), den beiden Berliner Minimal-Techno-Produzenten, hat die Reggae-Community mehr zu verdanken, als so manchem reinblütigen Reggae-Labelchef, denn diese beiden haben jüngst die verstaubten Archive des ältesten amerikanischen Reggae-Labels Wackies geöffnet. Wahre Perlen der Reggae-Historie haben sie dort aus dem Zustand obskurer, längst verschollener Knister-Vinyl-Pressungen befreit, liebevoll in Reproduktionen der alten Cover-Artwork gekleidet und in einer schönen Edition neu herausgebracht. Nach einigen großartigen Vocal-Alben (unbedingt hören: The Love Joys) gibt es nun mit „African Roots Act 2“ und „Act 3“ (EFA) die ersten Dub-Alben von Wackies zu hören. Beide wurden Anfang der 1980er von Lloyd „Bullwackie“ Barnes in dem kleinen Studio hinter dem Wackies-Plattenladen, im Herzen der Bronx produziert. Neben wunderschönen Versionen alter Studio One-Riddims wie „Fight it to the Top“, „Love Won’t Come Easy“, „Real Rock“, „Love Me Always“ u.a. und hauseigenen Kompositionen, bestechen die Aufnahmen vor allem durch ihren eigentümlichen Sound, der Bullwackie-Produktionen so berühmt (und berüchtigt) gemacht hat. Er ist irgendwo zwischen Black Ark, Studio One und Channel One anzusiedeln. Kein Wunder, dass er die audiophilen Minimal- Enthusiasten aus Berlin in seinen Bann gezogen hat. „Act 3“ ist übrigens die Dub-Version von Sugar Minotts  „Wicked Ago Feel It“-Album.

Nach soviel Lobhudelei nähern wir uns nun wieder dem Normalmaß gegenwärtiger Dub-Alben. Aus Frankreich kommt Dub-Produzent Manutension, dessen 2001 produziertes Album „Stricktly for Sound System Dub (Dub Attacks the Tech Vol. 1)“ (Import) nun in Deutschland veröffentlicht werden soll. Obwohl Manutension im Wesentlichen auf ziemlich heftige Steppers-Rhythms setzt, ist sein minimalistisch arrangiertes Album außerordentlich experimentell geworden. Er stellt einmal mehr unter Beweis, dass Dub eine Musik für Bauch und Kopf zugleich ist: aufmerksames, bewusstes Zuhören ist hier genau so spannend, wie das Wummern des Basses in der Magengrube angenehm ist. Hoffentlich findet das Album einen guten Vertrieb hierzulande.

Einen ähnlichen Sound pflegt Multiinstrumentalist und Dub-Mixer Ryan Moore, der in seinem Amsterdamer Studio mithilfe analoger Röhrenverstärker schwergewichtige Floorshakers produziert, deren Sound fetter nicht sein könnte. Unter dem Namen Twilight Circus Dub Sound System bringt er nun die dritte Folge seiner „Dub Plates“-Serie (Cargo) heraus. Alle elf Tracks sind manuell von ihm eingespielt und gemixt worden. Konsequenter kann man Musik kaum produzieren und kompromissloser kann Dub eigentlich auch nicht klingen. In seiner formalen Reinheit bewundernswert, zugleich aber vielleicht auch ein wenig zu gleichförmig, zu ereignislos. Eine Gefahr, der viele am New Dub der 1990er-Jahre orientierte Dub-Produktionen erliegen. Selbst der Steppers-Meister himself, Jah Shaka, konnte sich ihr mit seinem neuen Album „Authentic Dubwise – Jah Shaka Meets Fire House Crew“ (Blow) nicht entziehen. Ein Album ohne Höhen und Tiefen ist ihm da „passiert“, dessen Sound sich nicht zwischen London und Jamaika entscheiden kann. Schade. Geschickter gehen da schon die Love Grocers auf ihrem neuen Album „Fresh Produce“ (Dubhead/Indigo) zu Werke. Die Stücke der „Liebes-Lebensmittelhändler“ Chris Petter und David Fulwood leben von den charmanten, weichen Bläsermelodien, die die beiden eigenmündig eingespielten. Außerdem haben sie sich Gast Vokalisten wie Earl 16 oder Cheshire Cat eingeladen, die helfen, das Album abwechslungsreich und interessant zu machen. Getoppt werden die Love Gocers allerdings von Tom Tattersall aka Mungo’s HiFi aus Glasgow, dessen Debut-Album „Mungo’s HiFi Meets Brother Culture“ (Dubhead/Indigo) ein uneingeschränkt schönes Dub-Album mit prägnanten Melodien, warmen Beats und interessanten Arrangements ist. Unterstützung bekommt Tattersall hier von Jah Shaka Sound-Mike-Man Brother Culture, Old-School Microphon-Chanter, der etwa der Hälfte der Tracks Dancehall-Flair verpasst und damit ein eindeutiges Signal setzt: Dub zum Skanken. 

Statt Purismus sein nun wieder ein wenig Crossover gewagt: Aus Wien kommen Dubblestandart und ihr neues Album „Streets of Dub“ (Indigo), das Remixes älterer Aufnahmen mit neuen Tracks vereint und sich soundtechnisch zwischen Trip Hop, Dub und manchmal sogar (man wagt es kaum auszusprechen) ROCK bewegt. Schön ist der Mad Professor Steppers-Remix und Rootsmans Dillinger-Remix, die anderen Tracks variieren mehr oder weniger stark zwischen uninspirierten Beats und richtig spannenden Stil-Experimenten, wie z.B. dem Fatsquad D’n’B-Remix.

Noch mehr Crossover gibt es allerdings auf Lightning Heads Debut „Studio Don“ (Sonar Kollektiv). „Debut“ ist ein wenig unpassend, wenn man weiß, dass sich hinter dem Pseudonym „Lightning Head“ (der Name stammt aus einem Lee Perry-Interview!) Glyn „Bigga“ Bush verbirgt, die ehemalige Hälfte von Rockers HiFi. Spätestens dann hat man auch eine Vorstellung davon, in welche Richtung der Sound des Albums weist: Intelligent Dub Grooves (schönes Label, oder?), angereichert mit Batucada-Rhythmen (Samba), Latin Piano-Riffs und Funk-Beats – alles klar? Nun, man könnte auch sagen, das Album sei eine musikalische Reise von Kingston über Havanna, die Bronx, Brixton und den Stax-Sound von Memphis bis nach Dorset (dem englischen Nest in dem Bush sein Studio hat). Auf dieser Reise hat Bigga Bush vier hervorragende Vokalisten getroffen: Farda P (kennt man von Rockers HiFi), Colliston White (aus Wien), Monterria (eine Soul-Sängerin aus Atlanta) und Patrice. Kaum nötig zu erwähnen, dass wir es hier mit einem außerordentlich vielseitigen Album zu tun haben, zu dessen Genuss schon offene Ohren und ein offener Geist gehören. Aber das zeichnet uns Dub-Freunde natürlich aus!

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, April 2002

Was ist mit dem Professor los? Diese Frage stellte sich jeder Freund guten Dubs angesichts der ziemlich uninspirierten jüngeren Veröffentlichungen aus dem Hause Ariwa. Was ist aus den superben Mixing- und Production-Skills des Neil Fraser geworden? Angesichts des neuen Albums „Mad Professor & Mafia & Fluxy: From Mars With Dub“ (Ariwa/Zomba) scheint sich eine Antwort geradezu aufzudrängen: Der Professor hatte seine Skills nicht verlernt – alles was ihm fehlte, waren gute Musiker, die ihm das „Rohmaterial“ für seine Kreationen lieferten. Doch das Problem ist nun gelöst: Mit Mafia und Fluxy, den Rhythm-Twins des britischen Reggae, hat er zwei wahre Rhythmus-Künstler gefunden, die mit ihm zum Mars geflogen sind und dort ein fantastisches Dub-Album aufgenommen haben; das beste seit vielen Jahren. Als wären die alten Tage zurückgekehrt, krachen die Rhythms mit gewaltigem Druck aus den Speakers und der Mad Professor dreht wie ein verrückter Professor an Reglern, Köpfen, Sounds und Effekten. Er scheint seinen Dub-Style im Zustand vollkommener Extase zu zelebrieren: viel ist ihm nicht genug, mehr ist besser! Kein Tackt bleibt ohne Effekt, in allen Ecken und Enden seines dreidimensionalen Klanggebildes zischt, tschirrpt und brummt es, die Bassdrum detoniert im four-to-the-floor-Stakkato, die Bassline windet sich durch die Oktaven und Echos pendeln unaufhörlich zwischen den Kanälen bis man das Gleichgewicht verliert. Es gibt keinen Zweifel – an keinem Dub-Album der letzten Monate habe ich mehr Spaß gehabt als an diesem Juwel, das viel weniger Science Fiction als Ariwa-Old-School-at-it’s-best ist. Noch besser aber: es ist der erste Teil einer hoffentlich lang laufenden Serie.

Auch das britische Dub-Kollektiv Zion Train hat wieder Boden unter den Füßen. Bekanntlich waren sie in der zweiten Hälfte der 90er nach Ihrem großen Crossover-Erfolg „Homegrown Fantasy“ 1995 bitterlich abgestürzt. Ihr selbstbewusster Mix aus (Acid-)House Elementen und Roots-Dub geriet immer mehr ins Fahrwasser des Pop und verlor schließlich jegliche Eigenständigkeit. Doch mit ihrem neuen Album „Original Sounds Of The Zion“ (Universal Egg/EFA) haben sie – der Titel legt es nahe – zu ihrem „originalen“ Sound zurückgefunden, der sich am ehesten mit dem von Dreadzone vergleichen läßt: High-Speed-Stepper-Rhythms, schöne, melodiöse (Bläser-)Synthie-Sätze und eine Menge elektronisches Gezirpe. Gelegentlich mischt sich ein astreiner House-Track dazwischen, oder ein wunderschönes Gesangsstück von Vokalistin Molara – Vielfalt, aber keineswegs Beliebigkeit. Alles vereint sich zu einem berauschenden, trancehaften Flow, der Dub ohne wenn und aber als Dance-Music definiert.

Dass es auch ganz anders geht, beweist uns Dubital mit der Compilation „Suitable #2“ (Suiteque), die sich auf langsamere und oftmals vertracktere Rhythmen konzentriert. Von „straight forward“ kann hier nicht die Reede sein, jeder Track steht singulär und fordert Aufmerksamkeit. Dubital hat die Chance ergriffen, die herausragendsten und eigenwilligsten Tracks seiner Kollegen (u.a. Mad Professor, Twighlight Circus und Zion Train) auf einem Longplayer zu versammeln. Im Gegensatz zu Zion Train, bedarf dieser Dub eher einer analytischen Rezeption, um seine Wirkung entfalten zu können.

Noch einen Schritt weiter geht der Bassist Jah Wobbel (früher Bassist von PIL) auf seinem Album „Shout At The Devil“ (30 Herz). Ähnlich wie Bill Laswell, experimentiert er intensiv mit Worldmusic und hat nun, nachdem er sich ausgiebig der keltischen Musik gewidmet hatte, orientalischen Sounds und dem Reggae zugewandt. Es ist kaum zu glauben, aber die Musik Nordafrikas und Arabiens passen geradezu kongenial zu den Beats aus Jamaika (Big Man – Rai meets Reggae und Bhangra-Dancehall hatten es ja schon nahe gelegt). Jah Wobbel und Dubulah (Transglobal Underground), der für die Beats verantwortlich zeichnet, haben aus diesen beiden Welten ein faszinierendes Sound-Universum erschaffen, in das man eintaucht um auf den Wogen der tiefen, fließenden Bassline die Dimensionen des Sounds zu erkunden. Tablas verhallen im Echo, Streicher durchschneiden den Raum, Stimmfetzen erklingen aus dem Nichts und versinken in dunklen Tiefen. Eine magische Stimmung durchzieht das Album, faszinierend und unheimlich zugleich. Orientierung und Halt bieten nur die Stimmen der Gast-Vokalisten Natasha Atlas, Shahin Badar und Nina Miranda. Schwerelos schweben ihre Stimmen über den Beats und besingen die Berge des Mondes oder die Winde Afrikas.

O.k., kommen wir auf den Boden zurück. Die passende Platte dafür ist „Dub Inna De Cave Vol.1“ (Jet Star/Import) der Cave Crew. Alle Tracks sind in Jet Stars Cave studios aufgenommen worden und dienten als Backings für verschiedene Jet-Star-Artists (z.B. Rasites, Daweh Congo, Glen Washington). Produziert von Danny Ray und gemixt von Fitz Blake repräsentieren sie solides Dub-Handwerk. Hier geht es geradeaus, da weiß man was man hat. Was nicht heißen soll, dass es keine schönen Dub-Mixes wären, oder dass die Rhythms langweilig wären. Im Gegenteil: beides ist vorbildlich. Es wird lediglich aufs experimentieren verzichtet – und das ist auch gut so (um mit des Kanzlers Worten zu sprechen), denn Dub will gelegentlich auch mit dem Bauch statt mit dem Kopf gehört werden.

Es ist immer wieder erstaunlich, alte Produktionen der Dub-Foundation im Vergleich zu den aktuellen Aufnahmen zu hören. King Tubby, Errol T., Lee Perry… kaum zu glauben, welche Qualität die alten Meister mit ihrem simplen Equipment vor mehr als 20 Jahren zustande brachten. Manchmal frage ich mich (ein wenig ketzerisch), ob Dub-Music überhaupt je Fortschritte gemacht hat. Ein Anlass für solchen Zweifel ist von King Tubby und Prince Jammy gemixte Yabby You-Album „Dub It To The Top“, das soeben auf dem Blood and Fire-Label (Indigo) wieder veröffentlicht wurde. Die dort versammelten Tracks stammen aus den Jahren 1976-79 und sind damals auf dem Album „Yabby You Meets Michael Prophet: Vocal & Dub“ und mehren Single-B-Seiten erschienen. Aufgenommen im Channel One Studio, weisen sie schon deutlich in Richtung Dancehall. Kraftvolle, energiegeladene Rhythms, großartige Bläsersätze und die unvergleichlichen Mixing-Skills des Königs und seines Prinzen haben ein Album hervorgebracht, das zweifellos zu den großen Klassikern des Genres gehört. Schon der Anfang setzt Maßstäbe: drei Versionen des Shank Kai Shek-Riddims bringen das Album ins rollen. Es folgen noch andere Klassiker: Michael Prophets Dub-Version von „Heptones Gonna Fight“, oder „Rock With Me Baby“, ebenfalls in einer Michael-Prophet Dub-Version. Man kann das Album nicht genug preisen: kauft es!

Nur wenig später wurden die Aufnahmen auf dem Album „Sly & Robbie Meet Bunny Lee At Dub Station“ (Jamaican Recordings/Import) im Channel One-Studio aufgenommen. Bunny Lee produzierte und von Sly und Robbie spielten die Rhtyhms ein. Die meisten dienten zuvor als Backings für Johnny Clarke und präsentieren Sly Dunbars „Rockers-Style“ in Perfektion. Für den Dub-Mix gibt es keinen Credit auf der Platte, mich würde es aber nicht wundern, wenn hier Prince Jammy am Werk gewesen wäre.

Ebenfalls ein großes Album der Dub-Foundation: „Dennis Brown In Dub“ (Heartbeat/EFA), produziert von Niney The Observer. Militante Observer-Rhythms, von King Tubby durch die Echo-Chamber gejagt und mit Dennis’ Vocals garniert… Was soll man dazu viel sagen?

Abschließend möchte ich noch kurz auf vier schöne Compilations mit Tracks des Nu-Dub hinweisen: „Roots Of Dub Funk 2“ (Tanty Records), „A News Breed Of Dub – Issue Three“ (Dubhead/EFA), „Nu Shoots Inna Roots – Dub Version Style“ (Free Radical Sound/EFA)und „King Size Dub – Chapter Eight“ (Echo Beach/Indigo). Mit Ausnahme des letzten stammen alle Alben aus England und bieten genau das, was man vom Nu Dub erwartet. Besonders gut hat mir „Roots Of Dub Funk 2“ gefallen, das interessantere Tracks als „A New Breed…“ bietet und unverbrauchter klingt als die „Nu Shoots…“, die sich als Vocal-Version schon erschöpfend oft auf meinem Plattenteller gedreht hat. King Size Dub  vom Hamburger Echo-Beach-Label setzt – wie gewohnt – seine eigenen Maßstäbe: „File Under Logical Dubgression“ steht auf dem Cover und macht damit deutlich, dass hier Innovation und Offenheit den Weg weisen. Dieser führt dabei oft in angrenzende Genres wie Triphop, Worldmusic oder Pop. Mit von der Partie sind u.a. Groove Armada, Rhythm & Sound, Noiseshaper, Tackhead – nicht immer ganz frisch, aber fröhlich. Happy End.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, 27. Januar 2002

Deutschlands Reggae-Impressario No. 1 kennt sich aus in seinem Genre. Zielsicher bedient sich Dr. Ring-Ding stets aufs Neue im großen Pool der jamaikanischen Musikgeschichte, mischt das Gefundene mit seinem brillanten Songwriter-Talent und produziert sich damit an die Spitze des deutschen Ska und Reggae. Auch mit „Dr. Ring-Ding & The Senior Allstars Meet Victor Rice (Pick Up The Pieces)“ (Grover) greift Dr. Ring-Ding eine schöne, alte Reggae-Tradition auf, indem er eine Dub-Version seines letzten Albums „Big Up“ vorlegt. Gedubbt wurden die Tracks von Victor Rice, Produzent, Mixer und umtriebiger Musiker hinter unzähligen US-Ska-, Reggae- und Jazzgrößen wie dem New-York-Ska-Jazz-Ensemble, den Stubborn Allstars oder der aktuellen Formation der Skatalites. Vier Tage und vier Nächte hat der Meister alles kräftig durchgemixt, bis ein Album mit kräftig wummernden Bässen und endlos wiederhallenden Echos entstanden ist. Ein mutiges Experiment, denn Dub-Versionen von Ska-Stücken sind nicht gerade an der Tagesordnung. Doch das Experiment ist geglückt: Selbst postmodern-schrammelige Ska-Stücke sind hier erfolgreich durch den Dub-Wolf gedreht worden und klingen nun wie ein Skatalites-Konzert auf dem Mond. Absolut Old-School-Stylee – ein Werk echter Handarbeit.

Ein anderes kleines Dub-Meisterwerk jenseits der üblichen Pfade ist das 2. Album von einem Dub-Duo aus Spanien: Loud & Lone. Ihr Album „Better Collie and Loud & Lone 1998-2001“ (Oidos Sordos/Import) könnte fast als ein Frühwerk von Lee Perry durchgehen. Produziert auf einem 4-Spurgerät in einem winzigen Studio in Santander, klingt es beinahe so atmosphärisch wie eine Black Ark-Aufnahme. Die beiden spanischen Dub-Frickler Roberto Sanchez und Borja Juanco verstehen es wie Meister Lee mit einfachsten Mitteln ein faszinierendes Soundgebilde zu kreieren. Sie nutzen hierfür sowohl klassische Riddims, als auch eigene Kompositionen, aus denen sie pulsierende, stark synkopierte Rhythmus-Tracks entwickeln. Gelegentlich wird das Ganze mit etwas Gesang garniert – was allerdings nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Je älter die Tracks desto mehr klingen sie nach „klassischen“ Perry-Produktionen, bis schließlich tatsächlich Perry-Stücke als Cover-Versions erklingen. Sollte man das als Eklektizismus rügen? Nein, man sollte lieber die Botschaft verstehen: In Spanien gibt es großartigen Reggae.

Doch auch in anderen europäischen Ländern gibt es Neues an der Dub-Front: So ist z. B. die dritte Ausgabe der Hi-Fidelity Dub Sessions (Guidance/EFA) in gewohnter Qualität erschienen: deep, slow and warm. Interessant ist vor allem der sechste Track des Samplers, der auf dem Cover mit „Moments in Dub“ von Nick Holder betitelt ist – tatsächlich aber eine Linval Thompson Channel One Produktion aus den frühen 80ern ist. Hat Holder den Track aus Originalsamples akribisch nachgebaut, oder was hat sein Name da zu suchen? Kann mir das mal jemand erklären?

Dass man eine Dub-Vorlage (selbst ursprünglich nichts anderes als ein „Remix“ der Originalversion) mittlerweile wieder remixen kann, ist nicht neu. Dass Alpha & Omega jedoch ihren Dub-Track „Show Me A Purpose“ gleich mehrfach von verschiedenen Dub-Producern remixen lassen und diese Remixes dann auf einem (!) Album mit dem Titel „Show Me A Purpose“ (Hammerbass/Import) veröffentlichen, ist – obschon gelungen – wirklich heftig. Die beiden haben aber auch ein ganz „normales“ Dub-Album draußen: „Serious Joke“ (Import). Der Sound ist unverändert, der Rhythmus hingegen ist schneller geworden, was irgendwie nicht so richtig zu passen scheint.

Sehr experimentell präsentiert sich hingegen die französische Dub-Szene. Das neue Album „Combat Dub“ (Hammerbass/Import) von Bangarang ist dafür ein gutes Beispiel: vertrackte Soundspielereien und Elektronik-Einflüsse kreuzen sich hier mit wuchtigen Reggae-Basslines. Hier haben sich NuRoots-Veteranen wie The Disciples, Zion Train oder Alpha & Omega über die Bangarang-Tracks hergemacht. Aber auch die Crooklin-Fraktion von Wordsound hat einige Noise-Tracks abgeliefert. Langsam scheint es, als würde man als Dub-Enthusiast um das französische Hammerbass-Label nicht mehr länger herumkommen. Wird Zeit, dass sie einen ordentlichen deutschen Vertrieb bekommen!

Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, sei hier noch ein Hammerbass-Album besprochen: Dub Wiser, „A New Millenium of Dub“ (Hammerbass/Import). Leider erreicht es nicht die Qualität der beiden oben besprochenen Hammerbass-Veröffentlichungen. Dub Wiser ist zu sehr dem Mid-90er New-Dub-Sound verhaftet, was – mit Verlaub – heute keinen rechten Spaß mehr macht. Spaßig ist hingegen das türkische Intro des ersten Tracks…
Auch vom Mad Professor gibt es etwas Neues: ein Duett mit Lee Perry auf „Techno Dub“ (Ariwa/Zomba) und eines mit Scientist  auf „At The Sound Table With LSP“ (Ariwa/Zomba). Wenn sich Dub-Legenden treffen klingt das nach höchst spannenden Alben, was aber in diesem Fall leider überhaupt nicht zutrifft. Langweilig und uninspiriert ist noch das mildeste Urteil, was ich hier verkünden möchte. Was ist mit dem verrückten Professor los? Hat er vergessen, wie guter Dub funktioniert? Oder fehlen ihm schlicht die Ideen? In diesem Fall ist es natürlich nicht hilfreich, Kollegen einzuladen, die ebenfalls unter chronischem Ideenmangel leiden. Interessanter waren da schon seine Remixes fur Rut’s DC, die nun auf dem Hamburger Label Selected Cuts als Doppel-CD inklusive der Remixes von Zion Train unter dem Titel: Rhythm Collision Vol. 1 & Remix Versions“ neu herausgekommen sind.
Dass auch in Hamburg in Sachen Dub viel los ist, beweist auch der Hamburger Produzent Matthias Halfmann mit seinem Turtle Bay Country Club: „Dub Decade“ (Island/Mercury). Hier versammelt der ehemalige Chef der Kastrierten Philosophen die Dub-Versionen seiner Produktionen für Patrice, Absolute Beginners, Jan Delay, Di Iries und andere. Wunderschön und absolut open minded führt er vor, wie sich das Prinzip „Dub“ auf verschiedene Genres anwenden lässt und dass es auch die Nähe zum Pop souverän aushält. Was allerdings nicht heißt, dass es hier keinen Reggae-Dub zu hören gäbe. Im Gegenteil: mit „Castrated Dub“ oder „Di Iries – Dub“ hat er knochentrockene, minimalistische Neo-Dub-Tracks im Gepäck, die jeden Mainstream-Plattenkäufer das Weite suchen lässt. Experimentierfreude, das Aufbrechen von Genre-Schranken und perfekte Production-Skills ergeben hier ein großartiges Dub-Album aus deutschen Landen. Schön, dass es so etwas gibt.

Ebenfalls ziemlich open minded ist das neue Remix-Album der Groove Corporation aus Birmingham: „G-Corp Presents Remixes From the Elephant House“ (Guidance/EFA) Die „Chemical Brothers des Dub“ präsentieren hier ihre Remixes der Tracks von Dillinger, Bob Marley, Rockers HiFi, The Congos, UB40, Luciano, Bobby Womack, Ennio Morricone und anderer. Der typische Birmingham-Sound, wie man ihn von Rockers HiFi oder Smith&Mighty kennt, klingt hier aus jedem Byte, und nicht selten sind die Stücke dem Post-House-Dancefloor näher als dem Reggae – was hilft, die Ohren freizuspülen. Auch hier ist es wieder faszinierend zu sehen, wie sehr der Dub sein Home-Genre verlässt und seinen Einfluss auf assoziierte Musikstile ausübt. 

Und da wir gerade beim Crossover sind: Die Berliner Minimal-Technologen Mark Ernestus und Moritz von Oswald legten vor einigen Wochen ihr zweites Album auf dem Rhythm & Sound-Label vor, das Tracks der vergangen vier Jahre versammelt: „Rhythm&Sound“ (Rhythm&Sound/EFA). Wie gewohnt verschmilzt hier abstrakte Elektronik mit Reggae-Dub unter dem großen Prinzip des Minimalismus. Eigentlich führen die beiden Berliner nur das konsequent weiter, was im Dub per se angelegt ist: geradezu autistische Monotonie. Das ist aber keineswegs langweilig. Im Gegenteil, der Minimalismus erschafft einen eigentümlich-faszinierenden Eindruck von musikalischer Gegenwart. Das absichtlich unter die Tracks gelegte Rauschen verstärkt dies noch, da man sich unwillkürlich als „Hörenden“ wahrnimmt. Extreme Sounds für extreme Hörer.

Ähnlich experimentell, wenn auch bei weitem nicht so extrem, präsentiert sich das Produkt der Zusammenarbeit derbeiden Bassisten JahWobble und Bill Laswell: „Radioaxiom“ (Palm/Mercury) Im weitesten Sinne dem Reggae-Kontext verhaftet ist das Album ein großes Sound-Experiment auf tieffrequenter Ebene. Gewaltig und dröhnend schwillt hier der Bass, taucht alles in einen See von warmen Frequenzen und dunklen Klängen, aus dem sich ab und an der helle Klang einer Jazz-Trompete erhebt oder der feine Gesang afrikanischer Sängerinnen. Sehr meditativ, sehr gelassen und doch hochspannend. Hier ist der Dub bei sich selbst: reiner Klang ohne materielle Referenz.

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Dub (R)evolution Review

Dub Revolution, Juli 2001

Er hat wieder zugeschlagen, der Hamburger Echo-Beach-Label-Betreiber Nicolai Beverungen, und das zweite Kapitel seiner „Selected Cuts from Blood&Fire“ (Selected Cuts/Indigo) herausgebracht. Erneut hat er die Crème der europäischen Dub-Remixer auf den Blood and Fire-Back-Katalog losgelassen. Koriphäen wie Apollo 440, Nick Manasseh, Leftfield, Zion Train oder Seven Dub haben die Chance dazu genutzt den Reggae-Klassikern eine gute Portion Club-Flavour zu verpassen und sie in die Tanzrealität der Gegenwart zu katapultieren. Witzig ist, dass dabei teilweise Dubs von Scientist oder King Tubby erneut gedubbt wurden. Funktioniert aber wunderbar! Großartig auch der Max Romeo-Remix von Segs Jennings (Bassist von Rut’s Cut) und Steve Dub (Sound-Architekt der Chemical Brothers) – hier lebt die Tradition des Dub mit schwerer Bassline und Sly Dunbar-typischem militantem Drumstyle. Vielleicht das Highlight des Samplers. Ebenfalls schön: der Black-Star-Liner -Remix der alten Prince Jammy-Produktion „Step it Up“ im Bhangra-Style, oder das Werk von Dub-Spezialist Nick Manasseh und Leftfield. Beide haben sich an Glen Browns Lambsbread versucht. Interessant zu hören, wie unterschiedlich zwei Remixe des selben Stücks klingen können. Besonders cool ist auch der Dub-Track von Jah Wobble, auf dem lediglich das Intro von I-Roys „Double Warning“ gesampelt wurde. Ein knochentrockener, straighter Dub-Track. Einen schönen Abschluss bilden Dubphonic mit ihrem zäh fließenden, schweren Dub-Remix von Linval Thompsons „Jah Jah is a Guiding Star“.

Der Boom des Neo-Dub ist längst vorüber, Dub-Alben sind seltener geworden und nur noch wenige Hartgesottene halten die Stellung – was insgesamt eine erstaunliche Entwicklung ist, denn mit der auch in Jamaika immer populärer werdenden Rückbesinnung auf Roots-Rhythmen, liegt für Dub-Mixer perfekt geeignetes Remix-Material bereit. Zwar haben nun auch einige jamaikanische Produzenten den Dub als reines Exportprodukt für den europäischen und US-amerikanischen Markt entdeckt, doch scheint es, als hätten sie das Dub-Mixen in den Jahren der Untätigkeit verlernt. Bestes Beispiel: „Dubbing with the Banton“ (Penthouse/Import), produziert von Donovan Germain. Die Rhythms sind zweifellos tough und der Sound hervorragend – aber wo bleibt der Mix? Was man hier hört sind bessere Buju Banton-B-Seiten, die spannungslos vor sich hinplätschern. Noch uninteressanter ist Junior Kellys „Juvenile in Dub“ (Jet Star/Import), die in England produziert wurde – was eigentlich als Garantie für guten Dub gelten könnte. Doch weit gefehlt: „Instrumental Version“ wäre hier die treffendere Bezeichnung. Anders liegt die Sache schon bei „Guidance in Dub“ (Charm/Jet Star/Inport), dem Dub-Album zu Daweh Congos’ „Guidance“. Hier hat der alte Dub-Haudegen Gussie P Hand angelegt. Schön, dass er immer noch im Geschäft ist – schade hingegen, dass er nicht viel dazugelernt hat, denn eine Ausgeburt an Kreativität ist auch „Guidance in Dub“ nicht. Gussies Mixing-Style ist den frühen 80er Jahren verpflichtet anders als damals, sind die Tracks jetzt hingegen digital produziert. Vielleicht ist das der Grund, warum die Stücke weniger Atmo haben als die alten Roots-Radics-Dubs. Dass aber auch „handgespielte“ Tracks nicht zwangsläufig zu einem guten Dub-Album führen, zeigt Israel Vibration mit „Dub Combo“ (RAS/CRS/EFA). Hier hat man viel Atmo und gute Dub-Mixes – doch leider sind die eingespielten Backings nicht gerade spannend. Die Basslines kommen einfach nicht ins Rollen…

Genug jetzt mit der Meckerei, schließlich haben wir mit „Dub for the Modern World – featuring Static“ (Charm/Jet Star/Import) auch ein richtig gutes, modernes Dub-Album im Programm, das alles korrekt macht: gute Rhythms, tiefe Basslines, spannende und variationsreiche Mixe und interessante Arrangements. Aufgenommen in Jamaika, London und Miami, produzierte Morris „KC“ White frische (digitale) Versionen traditionsreicher Riddims und ließ sie von Koryphäen wie Scientist, Bunny Tom Tom, dem bereits erwähnten Gussie P u. a. aufwändig mixen. Keine Spur von der „Zweitverwertungsmentalität“, die oben genannte Alben hervorgebracht hat: „Dub for the Modern World“ ist ein höchst eigenständiges Album, das dem in die Sackgasse geratenen Genre Dub neue Impulse geben kann. 

Weniger neue Impulse, dafür aber einen Lobgesang auf die große Tradition des Dub stellt der Sampler des New Yorker Reggae-Kollektivs „Roots Combination“ (Guidance/EFA) dar. Victor Axelrod hat hierfür die interessantesten Reggae-Musiker, Produzenten und Singer New Yorks versammelt und ein erstaunlich geschlossenes Dub-Album (ausgenommen zwei Vocal-Tracks) geschaffen, das vielleicht der letzte Höhepunkt des aussterbenden Genres Neo-Dub ist. Unglaublich, dass in New York so perfekte Produktionen entstehen – erwarten würde man ja vielmehr verkopfte Dubs im Stile des Blooklyner Dub-Labels Wordsound. Doch keine Spur davon! Die Roots Combination erlebt man vornehmlich in den Eingeweiden.

Doch wo wir gerade beim Thema Wordsound sind, „Below the Radar“ (ROIR/EFA) versammelt die besten Wordsound-Dubs der letzten Jahre.  Dass dabei nicht immer Reggae-Rhythmen zu hören sind und mancher Track vor lauter Experimenten kaum mehr groovt, dürfte ja wohl keine Überraschung sein.

Abschließend noch zwei waschechte Neo-Dub-Nachzügler: Disciples „presents Backyard Movements Dubwise 2001“ (Boom Shacka Lacka/Import) und Bush Chemists „Dub Fire Blazing“ (Dubhead/EFA). Während die Disciples zwar keine sonderlich innovativen dafür aber umso mehr knallende Four-to-the-floor-Tunes spielen, lavieren sich die Bush Chemists mit ihrem Standardprogramm über die Albumlänge. Da, wo man sich bei den Disciples an die große Zeit des Neo-Dubs erinnert fühlt, wird man bei den Bush Chemists von Deja-vus eingeholt. Und so widerspiegeln diese beiden Alben noch einmal Glanz und Schatten eines großartigen Genres, das auf keinen Fall sterben darf. Bitte!