Letztlich kann ich Releases nur anhand der zeitlichen Entwicklung der Künstler halbwegs (!) objektiv einschätzen. So festigt sich meine Meinung zu einem Album tatsächlich erst dann, wenn ich auch dessen Vorgänger und dessen Nachfolger gehört habe. Ohne diesen Vorher-nachher-Vergleich erschließt sich mir lediglich ein spontaner Eindruck; nicht mehr als eine Momentaufnahme ohne Bezugspunkt – und ich stehe nicht an zu sagen, dass das mitunter die bescheidene Grundlage für meine Rezensionen im dubblog ist. Bei Debuts funktioniert diese vergleichende Kritik per se nicht; bei allen anderen stelle ich die Frage, was sich im Laufe von drei aufeinander folgenden Album-Releases geändert hat. Gab es einen Richtungswechsel, personelle Veränderungen, verschiedene Produzenten oder Mixing-Engineers? Bewegen sich die Alben in unterschiedlichen Klangwelten, gibt es divergierende Konzepte oder vielleicht gar Qualitätsschwankungen; in welchem Verhältnis steht das jeweilige Werk zur musikalischen Realität seiner Zeit? Kurzum: Ich lote aus, wie und in welchem Ausmaß eine durch verschiedene Umstände bedingte (Weiter-)Entwicklung stattgefunden hat. Schlussendlich beschäftigen wir uns mit einem kreativen Bereich, mit Kunst – und die ist per se nicht statisch.
Bei Paul Zasky und seinem Dubblestandart-Konglomerat konnte man unlängst durchaus eine künstlerische Entwicklung festzustellen, wenn auch leider eine rückläufige – gab es doch zuletzt mit dem Album „Dubblestandart & Firehouse Crew present Reggae Classics“ einen unerwarteten, veritablen Qualitätseinbruch. Wir erinnern uns: Weder Zasky noch die Firehouse Crew waren der Aufgabe gewachsen, Monumente der Reggae-Geschichte neu zu interpretieren. Auch Mixmeister Robbie Ost ist mit seinem nicht sonderlich beeindruckenden Mix mehr oder weniger gescheitert – vermutlich war aus den Aufnahmen, die im krassen Gegensatz zum feinen Vorgänger-Album „Dub Realistic“ stehen, nicht mehr rauszuholen. Ein Paolo Baldini hingegen, der wie Zasky Bassist ist und auf eine ähnlich lange Geschichte im Reggae-Business zurückblicken kann, entzieht sich meines Erachtens einem zeitlichen Vergleich: Seine Produktionen und Dub Mixes, von „Paolo Baldini Dubfiles at Song Embassy Papine Kingston 6“ über Mellow Moods „Large Dub“ bis hin zum „Dolomite Rockers“-Release zeichnen sich durch eine durchwegs gleichbleibend hohe Qualität aus – was sowohl die kreativen als auch soundtechnischen Aspekte betrifft.
Just die beiden hat das Echo Beach-Label jetzt für ein Albumlänge zusammengespannt: „Paolo Baldini Dubfiles meets Dubblestandart“ featured ältere und neuere Dubblestandart-Tracks, die Baldini mit Dub-Mixes überarbeitet hat. Nicht wirklich überraschend funktioniert diese Kombi ausnehmend gut und ich bin versucht, dem italienische Dub-Mixer den „Midas Touch“ anzudichten: Es scheint sich alles, was er in seinem Studio anfasst, zu musikalischem Edelmetall zu verwandeln.
Wie macht der Kerl das? Ich kann nur vage Vermutungen anstellen; aber vor meinem geistigen Auge verteilt Baldini erst mal eine Handvoll Dreck auf die Tracks und nimmt damit der Musik die Dubblestandart-eigene Perfektion, die mitunter in Sterilität mündet. „Squeaky clean“ ist wohl der passende Anglizismus dafür. Als nächstes dürfte Baldini die Tracks auseinanderklamüsern um das Gute vom weniger Guten zu trennen – nur um dann den einen oder anderen neuen Sound wieder behutsam hinzuzufügen, ohne dass aus dem Musikstück ein nicht wiederzuerkennender Mutant wird. Das Resultat ist ein hörbar gut durchlüftetes Basismaterial, in das er seine Dub-Effekte bestens platzieren kann.
Dieser Prozess – wie auch immer er in der Realität tatsächlich aussehen mag – wirkt wie eine Verjüngungskur, zumal Paolo Baldini beim Dub-Mixing mit einer gefühlten Portion Respektlosigkeit an die Sache herangeht: Das ist nichts vorsichtig oder mit Bedacht platziert; Echo und Hall drängen sich oft frech in den Vordergrund und erinnern ein wenig – wag‘ ich es zu sagen? – an die Dub-Techniken eines King Tubby, dessen größtes Asset ebenfalls eine gewisse Respektlosigkeit gegenüber der Musik und der Studiotechnik war. Guter Dub muss auch heute noch vom Dub-Mixer mit Verve umgesetzt und mit Leben erfüllt werden; andernfalls es zu Studio-Totgeburten kommt, die an Langweile, Lustlosigkeit und kalter Sterilität nicht zu überbieten sind. Es würde mich daher nicht wundern, wenn Baldini diese Dubs live erarbeitet hat: ganz old-school, sprich spontan und kreativ am analogen Board.
Dass Dubblestandart ihre Tracks gern für Remixe aus der Hand geben, ist bekannt und wirkt sich oft wohltuend erfrischend auf ihre Musik aus. Man erinnere sich an die Remix-Schlacht rund um den Marcia Griffiths-Feature „Holding You Close“, der mit sage und schreibe 22 Versionen zu Buche schlägt, darunter der großartige Alpendub-Remix. In den großen Kreis der Dubblestandart-Kollaborateure reiht sich jetzt also auch Paolo Baldini ein und lässt es sich nicht nehmen, „Holding You Close“ einen weiteren Dub-Anstrich zu verpassen. Bei der restlichen Titel-Auswahl für „Paolo Baldini Dubfiles meets Dubblestandart“ beschränkt er sich auf Tracks der letzten vier regulären Dubblestandart-Releases – inklusive zwei der unglückseligen Aufnahmen mit der Firehouse Crew, die auch hier trotz offensichtlicher Bemühungen nur wie Wiedergänger wirken. Der Rest aber lebt auf, atmet sich frei und vibriert durch „Acres of Space“. Ein kleines, rettendes Dub-Wunder, dass die Messlatte für seinen Nachfolger hoch gelegt hat.