Das ist sie nun – wenn auch nicht mehr taufrisch –, die Dub-Version des neuen Zion Train-Albums aus dem letzten Jahr: „Illuminate in Dub“ (Universal Egg). Kann ein gutes Zion Train-Album durch ein Dub-Reworking noch besser werden? Im Fall von „Illuminate in Dub“ fällt meine Antwort eindeutig aus: Ja, kann es. Okay, wir verlieren hier einen Großteil der durchweg guten und engagierten Lyrics des Originals, aber dafür gewinnen wir deutlich mehr musikalische Prägnanz. Das mag an dem Dub-Mixdown und besserem Mastering liegen, vor allem aber natürlich daran, dass hier – anders als bei der Vocal-Version – die Musik vom „Backing“ zum „Fronting“ wird. Neil Perch hat hier keine Dekonstruktion und minimalistischen Dub-Neuaufbau betrieben, sondern hat die Komplexität der Tunes weitgehend bewahrt. Der Präsenz-Effekt entsteht lediglich aus der Verschiebung des Fokus auf die Musik und den dynamischeren Klang. „Illuminate in Dub“ ist also keine Neuerfindung, sondern ziemlich nah am Original gebaut – und trotzdem besser. Zumal die meist grandiosen Hooklines der Vocal-Versions auch im Dub zu hören sind.
Autor: René Wynands
Selten habe ich so viel Zeit zuhause verbracht, wie in den letzten Wochen. Corona sperrt uns in unseren Wohnungen und Häuser ein. Diese Klausur ist quälend, kann aber auch Quell großer Kreativität sein. Auf Tom Dorne aka Sumac Dub scheint das zuzutreffen, denn er hat gerade eine herausragende, wunderschön melancholische EP mit dem vielsagenden Titel „Ex Home-Session“ (ODGProd) veröffentlicht. Nicht nur verweist der Titel auf die heimische Isolation (im schönen Grenoble), sondern er knüpft auch an Toms „Jam Session Vol. 1“ von 2019 an. Nahtlos, denn hier wie dort überwiegt ein ruhiger, meditativer Sound, durchzogen von Ambient-Geräuschen wie z. B. Vogelgezwitscher und manchmal begleitet vom Violinen- oder Klavierspiel des Meisters himself. Auch die aus Reden oder Lesungen gesampleten Vocals sind typisch für die beiden Werke. Es ist aber vor allem die „Ex-Home Session“, die mich ih ihren Bann zieht. Die magische Stimmung der ersten Tracks ist überwältigend. Tieftraurig, düster, schwer und doch kraftvoll. Sanfte Beats mit dosierten Klavier-Akkorden und melancholischem Geigenspiel garniert. Unfassbar schön. Dann folgt der Track „Imminent Departure“ und mit ihm eine Sound-Metamorphose zu Dub-Techno – was schockierend, aber absolut schlüssig ist. Die warm pluckernden Minimal-Techno-Beats führen nur logisch fort, was die beiden vorangegangenen Tracks „Petit Prince“ und „The Hadal Tone“ begonnen haben.
Verblüfft haben mich allerdings die beiden letzten beiden Tracks, denn sie stammen von den Bass Trooperz. Keine Ahnung, ob Tom bei denen mitmischt oder ob er deren Tracks hier nur als Dubs abmischt. Jedenfalls passen auch sie perfekt ins Gesamtwerk, featuren schönes Sitar-Spiel und atmosphärisches Wellenrauschen – drehen dann bei den Beats aber deutlich auf. Das setzt einen positiven und energetischen Schlusspunkt hinter eine der schönsten Dub-EPs der Corona-Zeit.
Ich gewinne zusehends mehr den Eindruck, dass sich Reggae-Instrumentals neben Dub einen festen Platz im Reggae (zurück) erobern. Auch hierzulande ist ein waschechter Multi-Instrumentalist am Werk: Marcel-Philipp. Vor nunmehr fünf Jahren schwärmte ich von seinem Debut „Morning Sessions Vol. 1“ – einem unfassbar optimistisch-unbeschwerten, sonnendurchfluteten Instrumentalalbum, geprägt von betörenden Melodien. Nun, vier Instrumentalalben später, legt er mit „Dub You Crazy“ und „Can’t Get Enough of Dub“ seine ersten beiden Dub-Alben vor. „Ich hatte schon früh eine konkrete Vorstellung im Kopf, wie mein erstes Dub-Album klingen soll.“, erklärt er, „Aber um diese Vorstellung zu verwirklichen, musste ich lange nach dem passenden Equipment, Setup und Workflow suchen und damit herum experimentieren.“ Was ja umso mehr einleuchtet, da Marcel-Philipps handgespielter, offener und luftiger Sound – trotz des Verzichts auf Gesang – meilenweit vom gewohnten Dub-Klang entfernt ist. Daher verwundert es nicht, dass „Dub You Crazy“ und „Can’t Get Enough Dub“ akustisch ziemlich aus dem Dub-Rahmen fallen, klingen die Dubs doch eher nach einem Live-Konzert am Sonntagvormittag, statt nach verrauchtem Keller-Club kurz vor Sonnenaufgang. Aber es gibt ja keine Regel, wie Dub „richtig“ zu klingen hat. Erlaubt ist erst einmal alles. Wer sich auf Marcel-Philipps Sound einlässt, entdeckt sehr schöne Arrangements, cleveres Mixing und jede Menge positiver Vibes – dunkele Dub-Magie aber weniger. Womit wir dann zwangsläufig bei der interessanten Frage sind, wo Marcel-Philipp die Grenze zwischen Instrumental und Dub zieht. „In meinen Instrumentalversionen sorge ich für eine Balance zwischen Melodie- und Rhythmusinstrumenten. Die Melodien der Solo-Instrumente erzählen eine Geschichte. Die restlichen Instrumente bilden das Fundament.“, erläutert er. „Ich will einen ehrlichen und authentischen Sound ohne Hall- und Delay-Effekte. Die Instrumente sollen so klingen, als stünden sie direkt vor mir. Bei meinen Dubs sind hingegen Bass und Schlagzeug im Vordergrund. Von den Melodien der Solo-Instrumente verwende ich dann meist nur einen kleinen Auszug, während ich hinsichtlich der Effektauswahl im Gegensatz zum Minimalismus meiner Instrumentals keine Grenzen kenne.“ Genau hier liegt aber auch eine kleine Schwäche der beiden Alben. Marcel-Philipps Musik lebt genau von der Balance, die er hier beschreibt. Die Melodien sind essenziell. Werden sie dem Mix geopfert, geht verloren, was die besondere Qualität seiner Musik eigentlich ausmacht. Drum & Bass können diese Lücke nicht immer füllen. Deshalb bleiben für mich die Instrumentals das Maß der Dinge.
Lee Groves: Dance a Dub
Wie sehr liebte ich den Sound von Rockers Hi Fi, Dreadzone, Groove Corp., More Rockers und anderen progressiven Dub-Bands, die in den 1990er Jahren Dance-Music und Dub zu einem aufregenden, neuen Sound verschmolzen. Einem Sound, der nicht einfach nur Dance-Beats mit Dub-Ingredienzien versah. Nein, es war eine völlige Neuerfindung, die wunderbar komplexe Beats mit Reggae-Basslines und Offbeats synthetisierte. Break Beat, Industrial, Drum and Bass, Indietronic, Ambient und ja, auch House und Techno beeinflussten diesen Sound. Das waren Zeiten! Ich schrieb damals großspurig von der „Zukunft des Dub“. Tja, weit gefehlt. Der Sound evaporierte über die Jahre ins Nichts und von den alten Recken ist eigentlich nur noch Dreadzone mit mittelmäßigen Releases übrig geblieben. Aber zum Glück gibt es den brillanten Back-Katalog von Echo Beach und zum Glück gibt es Lee Groves. Ersterer enthält die passenden Tunes und letzterer hat den Dance/Dub-Groove der 90er mit der Muttermilch aufgesogen. Führt man nun beides zusammen entsteht: „Dance a Dub“ (Echo Beach) – eine glorreiche Renaissance des einst so progressiven Dub-Sounds. Lee Groves hat es einfach drauf, Tunes von den Dub Pistols, Dubblestandart, dem Dub Syndicate, und vielen anderen mehr, original so klingen zu lassen, als wären sie in Birmingham des Jahres 1995 aufgenommen worden. Dazu hat Mr. Groves die Vorlagen kräftig umgemodelt, overdubbed, mit einem ordentlichen Schuss Bewegungsenergie versehen und druckvoll abgemischt. Perfekt, wie ich finde. Was im Übrigen nicht verwundert, denn Lee Groves ist beinharter Musikprofi. Angefangen hat er mit der Programmierung von Sound-Karten für die angesagtesten Synthesizer der frühen 90er Jahre, Sounds die sich prominent in Stücken von Vangelis oder den Pet Shop Boys finden. Danach gründete er PuSH-Records, – unter anderem mit Spencer Graham von Dreadzone (!). In seiner Produzentenkarriere reihten sich anschließend Big Names aneinander: Depeche Mode, Marilyn Manson, Janet Jackson, Craig David, Goldfrapp, Beck, Britney Spears, Black Eyed Peas und sogar Janet Jackson. Und nun, zur Krönung seiner Laufbahn: Dance a Dub!
New Age Steppers: Avant Gardening
Was? Hä? Ein neues Album der New Age Steppers? Wir haben das New Age doch längst hinter uns gelassen. Was machen die dann noch hier? Ein wenig Recherche bringt es an den Tag: Bei dem heute erschienenen Album „Avant Gardening“ handelt es sich natürlich nicht um neues Material. Hier sind vielmehr seltene Dubs, Versions und unveröffentlichte Tracks aus dem On .U-Tresor versammelt. Entstehungszeit: 1980 – 1983. Achtung: Wir haben es hier mit teils äußerst experimentellem musikalischem Gut zu tun, bei dem es spontan einleuchtet, warum es bisher unveröffentlicht geblieben ist. Andererseits ist es aus heutiger Sicht auch absolut verblüffend zu sehen, wie avantgardistisch Mr. Sherwood früher gegärtnert hat und welch verrückten Gewächse er heranzog. Ich erinnere mich auch noch dunkel an das leicht verstörende Album „Spaceship Africa“ – auch von seiner Hand –, das zweifellos die vorderste Spitze der damaligen Dub-Vorhut markierte. „Avant Gardening“ ist ihm dicht auf den Fersen. Ganz schön verkopft, aber echte, hartgesottene On-U-Fans (wie Lemmi) werden daran natürlich trotzdem ihren Spaß haben.
Wer es ganz genau wissen will: „Aggro Dub-Version“ ist eine Version von „Some Love“ aus dem dritten New Age Steppers-Album „Foundation Steppers“ von 1983. Der Track wurde 2004 bereits auf der japanischen CD-Reissue veröffentlicht. „Send For Me“ wurde am 12. Juni 1983 in den Southern Studios für eine zuvor unveröffentlichte BBC Radio 1 John Peel Session aufgenommen. „Izalize“ wurde 1980 aufgenommen und auf der japanischen CD-Neuauflage des selbstbetitelten Debütalbums der Steppers im Jahr 2003 veröffentlicht. Dieser Rhythm bildete übrigens auch die Grundlage für den Track „Snakeskin Tracksuit“ auf dem African Head Charge-Album „Environmental Studies“. „Unclear“ ist eine Dub-Version des Tracks „Guiding Star“, der sich auf dem zweiten Steppers-Album „Action Battlefield“ befindet. Eine Version dieses Rhythmus erschien auch auf dem Album „Threat To Creation“ als „Eugenic Device“. „Singing Love“ ist ein Jah Woosh-DJ-Cut von „Love Forever“, der ursprünglich Teil des 12″-Discomixes war, der 1981 auf der Rückseite der „My Love“-Maxi erschien und erstmals in dieser bearbeiteten Form auf der japanischen CD-Neuauflage des Debütalbum im Jahr 2003 wiederveröffentlicht wurde. „I Scream (Rimshot)“ war 1981 die B-Seite der Single „My Love“ (war dann aber in keiner der späteren New Age Steppers-Veröffentlichungen mehr enthalten). Die Vocals stammen übrigens von Ari-Up. „Avant Gardening“ wurde 1980 aufgenommen und ursprünglich veröffentlicht auf der japanischen CD-Neuauflage des Steppers-Debütalbums aus dem Jahr 2003. „World Wide Version“ ist ein Dub von „My Whole World“ vom Album „Action Battlefield“, aufgenommen 1981 und ursprünglich auf der japanischen CD-Neuauflage im Jahr 2004 veröffentlicht. Das Clavinet darauf wurde von Kishi Yamamoto gespielt. „Some Dub“ schließt das Album und ist eine ziemlich andere Interpretation des „Some Love“-Rhythms, der 1983 während der Sessions für „Foundation Steppers“ aufgenommen wurde. Geballte Information – Dank an Discogs.
Sly & Robbie: Red Hills Road
Fast habe ich den Eindruck, dass die Welt inzwischen bereit ist für instrumentalen Reggae. Mag sein, dass die stets wachsende Popularität von Dub der kleinen Schwester „Instrumentals“ den Weg bereitet hat. Es kann aber auch sein, dass es manchen Dancehall-Afficionados – ausgehungert vom Minimalismus der Beats zwischen Hip Hop und Trap – inzwischen nach sattem Sound, rollenden Grooves und echten Arrangements verlangt (wir alle werden älter). Clive Hunts phantastisches Album „Blue Lizzard“ sowie das superbe „Jamaica By Bus“ von Addis Records – beide erst vor wenigen Wochen erschienen – wecken da Hoffnung. Ganz zu schweigen von „Manasseh Meets Praise“ oder den schönen Alben von Marcel-Philipp – alles beeindruckende Instrumentalwerke jüngeren Datums. Für die Kollegen aus der Ska-Fraktion wahrscheinlich Standard, versetzt es uns Reggae-Hörer*innen in Aufregung. Und nun kommen auch noch Sly & Robbie mit ihrem neuen Instrumentalalbum „Red Hills Road“ (Taxi) um die Ecke – kein Dub, wohlgemerkt. „Ich hege eine große Liebe für instrumentalen Reggae.“, erklärt Sly Dunbar, „In Zeiten von Ska und Rocksteady gab es viele Instrumentals, doch danach nicht mehr. Insbesondere nicht bei Dancehall“. Ganz ähnlich entwickelte sich ja auch die Dub-Musik. In Zeiten volltönender Roots-Rhythms blühte das Genre, um dann – zumindest in Jamaika – mit dem Aufkommen digitaler Dancehall Beats schließlich das Zeitliche zu segnen. Nur außerhalb der Insel lebt das Genre weiter und bildet heute eine Reggae-Parallelwelt, die selbst den Globetrotter Sly überrascht und vom gewaltigen „Rumbeling Sound“ europäischer Dub-Soundsytems schwärmen lässt: „Europa ist ein Riesenmarkt für Dub – Dub ist dort einfach nice“. Aber Sly & Robbie wären nicht die Riddim Twins, wenn sie einfach nur Trends nachlaufen würden. Mit ihrem Lebenswerk in der Tasche und den Schäfchen wahrscheinlich halbwegs im Trockenen, müssen sich die beiden nichts mehr beweisen und machen einfach ihr Ding, jenseits von Trends, Mainstream-Erwartungen und Chart-Platzierungen (ganz so wie sie es schon immer gern gemacht haben). Mit dieser entspannten Haltung entstanden im Pop-Studio der beiden körperlich so unterschiedlichen wie seelisch eng verwandten Zwillinge verrückte Instrumental-Tunes, die jeglichem Konzept sowie stilistischer Einheitlichkeit spotten. Der kleinste gemeinsame Nenner besteht darin, dass ein Großteil der Tunes versucht, Dancehall instrumental zu denken. Es gibt aber auch Kumina- und Mento-Anleihen, schmalzige Soul-Schnulzen sowie uralte Aufnahmen aus den 1990er Jahren. Die Sammlung „Album“ zu nennen, ist jedenfalls Hochstapelei. Aber, was soll ich sagen: hier passt nichts zusammen, Dancehall in Form von Instrumentals funktioniert definitiv nicht und Schnulzen mit Dean Fraser-Saxofonspiel braucht auch niemand – und dennoch ist „Red Hills Rd.“ ein irgendwie charmantes Werk. Die schrullig skurrilen Produktionen, das radikale Wechselbad der Sounds (alles muss raus) sowie die Unverfrorenheit, mit dem guten Reggae-Geschmack so böse zu brechen, verleiht „Red Hills Rd.“ den Status „hörenswert“.
Übrigens war die Red Hills Road in den 1970er Jahren die Straße der Nightclubs in Kingston. Hier haben sich Sly & Robbie kennen und schätzen gelernt, als sie in konkurrierenden Clubs spielten (Sly in „Tit for Tat“ und Robbie in „Evil People“) und die Pausen nutzten, um sich gegenseitig zu besuchen und zuzuhören. Das Album ist also so etwas wie eine Hommage an diese legendäre Straße – in deren Hausnummer 30 sich außerdem bis heute das Studio der beiden befindet.
Auf dieses Album habe ich mich so richtig gefreut: Blundetto, „Good Good Dub“ (Heavenly Sweetness). Gefährlich, denn eine solche Vorfreude mündet aufgrund der hohen Erwartungen ja nicht selten in einer Enttäuschung. Doch nicht bei „Good Good Dub“! Das Album des Franzosen ist schlicht very good good! Natürlich handelt es sich um die Dub-Version des im letzten Jahr erschienenen Albums „Good Good Things“ – das wiederum ein verspäteter Nachfolger von „Bad Bad Things“ ist. Wer Blundetto nicht kennt: Es handelt sich um den Franzosen Max Guiget, der seine Musik in einer kleinen Zweizimmerwohnung in der Nähe des Gare du Nord zwischen einer gigantischen Vinyl-Plattensammlung, alten Aufnahmegeräten, exotischen Instrumenten und übervollen Aschenbechern aufzunehmen pflegt. Verschrieben hat er sich globalen Sounds – insbesondere Latin – und maximal entspannten Rhythmen voller rauchiger Atmosphäre. Reggae hört man auf seinen „normalen“ Alben eher selten. Ganz anders jedoch auf deren Dub-Counterparts! Blundetto weiß nämlich, was Dub wirklich benötigt: Ein Reggae-Fundament. Okay, so richtig solide ist es manchmal nicht, aber das wäre für den Sound-Nerd auch zu einfach. Seine Kunst besteht vielmehr darin, exotische Zutaten zu einem faszinierenden Sound-Amalgam zu verschmelzen, das von intensiver, dichter – manchmal durchaus melancholischer – Atmosphäre geprägt ist. Wer sich darauf einlässt, die fette Atmosphäre in vollen Zügen einatmet, Ohren und Geist öffnet, kann nicht anders, als dieser Musik zu erliegen; sich in sie fallen zu lassen wie in ein Bett aus Zuckerwatte und schließlich voller Genuss zu versinken. Wunderschön! Nur sieben Tracks – dafür aber mit so viel emotionalem Gehalt wie anderswo sieben Alben.
„Ich mag einfach Alben.“, konstatiert Aldubb. »Die Entwicklung, dass die meisten Artists nur noch Singles zu produzieren, gefällt mir nicht. Für mich ist einAlbum mehr als die Summe seiner Singles. Die logische Fortführung des Gedankes, mehrere Einzelstücke zu einem Gesamtwerk zusammenzufassen ist das Konzeptalbum. Eigentlich ist „Der Mensch“ aber kein klassisches Konzeptalbum, das Konzept besteht eher in der ungewöhnlichen Kombination aus Dub und Deutschunterricht.« Da untertreibt der seit „A Timescale of Creation – Symphony No. 1 in Dub minor“ ungeschlagene Konzeptalben-Großmeister Aldubb aber gewaltig. Sein neues Werk „Der Mensch“ macht doch schon im philosophisch anmutenden Titel klar, dass es hier keineswegs nur um ein Duzend ordinärer Dubs gehen kann. Ein Konzept besteht in einer übergeordneten Idee, an der sich das Werk ausrichtet, eine Idee, die ihm Form und Sinn verleiht. Diese Idee ist bei Aldubbs neuem Album „Der Mensch“: deutsche Lyrik. What?? „Die Idee entstand so:“, erklärt er, „Mr. Glue gefiehl es, wenn während unserer Dubherz-Radio Shows gerade Instrumentals liefen, immer mal wieder 1-2 Sätze Literatur zu zitieren. Anfangs waren das nur Vierzeiler, bis ich mir dann einen Dub schnappte und ihn mit einem längeren Text zu einem Song arrangierte. Das war der Song „Die Liebe“. Inhaltlich haben wir uns dann relativ schnell die beiden Schlagworte „Der Mensch und die Liebe“ als Leitfaden gegeben. Innerhalb weniger Wochen hatten wir dann 9 Texte aufgenommen.“ Was Aldubb hier schildert, hört sich so selbstverständlich und naheliegend an, ich frage mich allerdings, warum niemand zuvor auf diese grandiose Idee gekommen ist. Tagein, tagaus setzen wir uns geduldig der Beschallung mit Langweil-Texte über Religion, Gras und Sex aus – ein Grund übrigens, warum ich kaum noch „normalen“ Reggae hören mag. Dabei gibt es so wunderschöne Lyrik, die es nur mit so wunderschöner Musik zu kombinieren gilt, um ein so wunderschönes Hörerlebnis zu erschaffen wie „Der Mensch“. Aldubb und Mr. Glue haben Dub Poetry soeben neu erfunden. Gott sei Dank, sind die beiden nicht der Versuchung erlegen, deutschsprachige Lyrik mit atonaler oder sonst wie verkopfter „Kunstmusik“ zu unterlegen. Nein, wir hören hier superb produzierte, handgemachte Dubs, kraftvoll und zugleich sensibel, akribisch arrangiert und gemixt, perfekt gemastert und vor allem ungemein musikalisch: „Ein glücklicher Zufall führte dazu dass Toni Farris, der übers Wochenende mit der Evolution-Band im Studio zu tun hatte, Zeit fand, die damals fast fertigen Songs mit ein paar seiner genialen Piano-Melodien zu würzen und damit gewaltig auf zu werten.“, verrät Aldubb.
Ich habe in letzter Zeit selten ein Album mit so viel Genuss gehört. Von wegen „Deutschunterricht“! Dub und Lyrik gehen hier eine Verbindung ein, die viel, viel mehr ist als die Summe aus den beiden beiden Komponenten. Die Worte bekommen zusätzliche Kraft durch die Musik und die Musik wird durch sie noch mehr zum bewussten „Hörerlebnis“. Lasst uns doch ein neues Dub-Genre daraus machen! Ich wäre dabei.
Wer allerdings unter – vom real existierenden Deutschunterricht seiner/ihrer Kindheit zugefügten – Konditionierungsschäden gegen Lyrik leidet, findet auf „Der Mensch“ übrigens auch alle Dubs ganz nüchtern ohne Poesie. Auch schön.
Wer Spaß an Dub Spencer & Trance Hill hat, wird auch Dubylon mögen. Das Live-Dub-Duo aus Stuttgart hat nach einjähriger, kreativer Improvisationsarbeit sein Debut-Album vorgelegt: „Dubylon“ (Dubylon) – und was soll ich sagen? Klingt wie Dub Spencer meets Free Jazz und ist definitiv eine Exkursion wert. „Dubylon bedeutet für uns, unserer Kreativität völlig freien Lauf zu lassen, mit live gesteuerten Effekten auch mal wild herum zu experimentieren und nicht an Grenzen oder Vorgaben gebunden zu sein.“, geben João Braun und Julian Humburg Auskunft. Damit treffen sie den Nagel auf den Kopf – wobei wir auch schon bei dem Körperteil sind, mit dem „Dubylon“ genossen werden sollte: dem Kopf. Wer sich auf die interessant-widersprüchliche Mixtur aus straighten Beats und soliden Basslines auf der einen Seite und schrägen, beinahe schon atonalen Experimenten auf der anderen Seite intellektuell einlässt, dürfte mit den fünf Tracks der EP eine spannende Erfahrung machen. Ich bin jedenfalls ziemlich gespannt darauf, in welche der beiden Richtung die Reise von Dubylon weiter gehen wird.
Mato: Scary Dub
Mato ist ein echter Konzeptkünstler. Er käme nie auf den Gedanken, einfach mal ein paar nice Dubs aufzunehmen und sie dann auf ein Album mit einem Titel wie „Corona-Dubs“ zu packen. Never! Bei ihm braucht es ein gehaltvolles Thema, sei es Hollywood-Filmmusik, große Klassik – oder zumindest ein Daft Punk-Meisterwerk. Mato ist immer für eine Überraschung gut. So auch dieses Mal: Erneut hat er sich der Filmmusik zugewandt, jedoch mit Genre-Ausrichtung: „Scary Dub“ (Stix Records). Wer den blutigen Schriftzug auf dem Cover sieht, muss nicht lange überlegen: Es geht um Horrorfilme, quer durch die Jahrzehnte: von Dracula und Frankenstein über Exorzist und Halloween bis Akte X und die Mumie. Ein witziges Konzept, das wunderbare Samples erlaubt. Das Problem ist nur, dass das Horror-Genre, anders als z. B. der Western, keine großen und allseits bekannten Soundtracks hervor gebracht hat. Wer daher auf Wiedererkennungseffekte und schaurig-wohlige Filmerinnerungen hofft, wird unweigerlich enttäuscht. Bleibt also die nackte Musik. Und da wären wir dann bei einem Dutzend leichtfüßiger Tracks in typischer Mato-Manier, ohne rechte Bodenhaftung, dafür voller spaßiger Sample-Anekdoten. Schade, schade, denn der konzeptbesessene Franzose baut an sich einfallsreich arrangierte Dubs und liefert einen präzisen Sound – Qualitäten mit denen sich mehr erreichen ließe. Meine Theorie: Als Backings hinter schönen Vocals wäre seine Musik klasse. Als Dub taugt sie trotz Hall und Echo weniger.