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Dubinator: Police in Helicopter

Regelmäßigen Leser*innen des dubblogs.de und Hörer*innen der „deep in dub“-Playlist auf Spotify gelte ich (hoffentlich) als Verfechter der klassischen Machart von Dubs, basierend auf möglichst in Moll gehaltenem Roots-Reggae. Damit sind weniger die wegweisenden Aufnahmen aus den 1970ern und 1980er gemeint; vielmehr liegen mir entsprechende Neuproduktionen am Herz – vor allem des besseren/weiterentwickelten Sounds und der neuen technischen und daraus resultierenden künstlerischen Möglichkeiten wegen. Und doch gibt es immer wieder mal Ausnahmen von meinem Lieblingsschema: Sound, Bassline und Dub-Technik stimmen, es gibt immer wieder musikalische „aha“-Erlebnisse und wunderbare Sample- und Sound-Überraschungen – aber es ist halt kein Roots-Reggae.

Um genau so ein Ausnahme-Album dreht sich diese Rezension: „Police in Helicopter“ (Echo Beach) vom bislang bis auf eine nicht ganz so gut gelungene EP kaum in Erscheinung getretenen Dubinator. Wer sich hinter diesem Moniker verbirgt und wie er musikalisch sozialisiert wurde wäre zwar interessant, entzieht sich aber jeglicher Recherche – auch das Label selbst hält sich bedeckt, darum soll’s auch uns nicht weiter interessieren. Im Mittelpunkt steht sowieso Dubinator‘s Musik, und die – wage ich es zu sagen? – erinnert mich durchaus an Arbeiten von Lee Scratch Perry und lässt Spekulationen zu, wie er wohl heute klingen könnte, hätte er seine Karriere als Produzent weitergeführt. 

So manchem Leser wird dieser Vergleich einem Sakrileg (wenn nicht gar einer Blasphemie!) gleichkommen – aber hört unvoreingenommen in das Album rein und Parallelen zu Perry’s obskureren Tracks – etwa von der feinen Kompilation „Arkology“ – offenbaren sich. Da wie dort ist der Einsatz von Audiosnippets als Effekt essentiell; was bei LSP etwa Motorengeräusch oder das Muhen eines Rinds ist, kommt beim Dubinator in einer unglaublichen Vielzahl an Samples daher. Für Unterhaltung ist also gesorgt; es gibt bei „Police in Helicopter“, auch nach oftmaligen Hören, viel zu entdecken: Da fliegt der Hubschrauber einmal quer durch den Gehörgang, Sirenen heulen, ein verfremdeter Orchester-Tusch blitzt immer wieder auf, ein Rainmaker rieselt sanft vor sich hin; stellenweise hält scheinbar ein Sopran-Chor einen einzelnen Ton, eine Frau doziert (vermutlich) über die Globalisierung, usw. usf. Wohlgemerkt: Das alles und mehr passiert allein schon im ersten, titelgebenden Track. 

Ein Album wie eine Wundertüte: Man fast gar nicht was da alles zum Vorschein kommt; musikalisch bewegt es sich durch eine Vielzahl an Stilen, die durch Reggae-Elemente und Dub-Techniken zusammengehalten werden. Darüber hinaus kann der Dubinator eine gewisse Neigung zum Dancefloor nicht abstreiten, obwohl er auch mit geistiger Nahrung – sprich literarischen Aufnahmen von Alan Moore, William S. Burroughs oder Yello’s Dieter Meier – aufwarten kann. Weitere Mitwirkende: Dub Pistols‘ Seanie T, Bass-Legende Doug Wimbish, Max Romeo, Dubmatix, Rob Smith, Sly & Robbie als auch die B-52’s in Form feiner Samples. 

Und so ist „Police in Helicopter“ ein erstaunlich vielfältiges Album geworden, für das sich der Dubinator einmal quer durch den Back-Katalog des Echo Beach-Labels gesampelt haben dürfte, inklusive Reminiszenzen an Dubblestandart, On-U Sound und Lee Scratch Perry. Wer also Interesse und Muße hat, dem schickt dieser Release auf eine wunderbar-erstaunliche Entdeckungsreise, die sich insbesondere für Reggae-Enthusiasten lohnt.

Bleibt schlussendlich noch die sehr gelungene Album-Illustration zu erwähnen – eine zeitgemäße Adaption des „They Harder They Come“-Covers, bei dem man schon genauer hinsehen darf um die vermeintlich subtilen Unterschiede wahrnehmen und geniessen zu können. Mir macht sowas Freude und ist sicher mit ein Grund, warum „Police in Helicopter“ als Gesamtpaket eine sehr gute Bewertung verdient hat.

Bewertung: 4.5 von 5.
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DJ Drez: Good Crush Dub Sessions

Dub, gefühlt langsamer als langsam, karg instrumentiert und dazwischen das Gefühl von viel leerem Raum. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Ich habe mich für’s erstere entschieden und DJ Drez‘ neues Album „Good Crush Dub Sessions“ (Nectar Drop) in Dauerschleife gehört – wobei ein einzelner Durchgang schon ziemlich lange dauert, zumal der letzte Track ein Continuous Live-Mix ist, der mit einer Länge von gut 48 Minuten aufwartet:

Ich habe seit dem Album „Jahta Beat: The Lotus Memoirs“ den Werdegang von DJ Drez verfolgt, ihn aber in eine mehr oder weniger obskure HipHop/Kirtan/Soundscape/Dub-Ecke gestellt. Und in der Tat, der Mann kommt ursprünglich aus dem HipHop, wie man den rumpelten Drums in vielen seiner Werken anhört. Irgendwann muss er sich in Richtung Yoga und Meditation begeben haben, wie Kirtan-Alben – auf denen seine Frau Marti Nikko die Mantras gibt – nachvollziehen lassen. Aber auch auf diesen kann er seine HipHop-Roots und bisweilen auch eine geheime Vorliebe für Reggae und Dub nicht verbergen.

Diese Vorliebe präsentiert er jetzt auf „Good Crush Dub Sessions“ sozusagen nahezu in Reinform. Klassische Instrumentierung, etwas spartanisch und holprig mit Anklängen von bekannteren Riddims eingespielt, trifft auf gemäßigte Dub-Effekte, alles ziemlich laid-back dargeboten. Mich lässt diese ruhige Gelassenheit mitunter ein wenig nervös werden, in Sinne von „dauert ganz schön lange bis die Snare den nächsten Beat setzt“. Das könnte aber gut zum Praktizieren von Yoga-Asanas passen.

Ich rate allen, sich unvoreingenommen mit diesem Release auseinanderzusetzen. Ich meine, dass er trotz aller traditioneller Machart etwas Spezielles zu bieten hat, wie seht ihr das?

Bewertung: 3.5 von 5.
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Roots of Creation: Dub Free or Die, Vol. 1

Manche Alben entziehen sich vehement der Schubladisierung, entziehen sich der eindeutigen Verortung im musikalischen Universum: Etwa wenn ein Konglomerat aus verschiedenen Musikrichtungen und Spielarten die eindeutige Zuordnung verweigert. Als aktuelles Beispiel dafür könnte „Dub Free or Die, Vol. 1“ (Bombshelter Records) von Roots of Creation dienen. Die Band aus New Hampshire war prä-Corona wohl ein gut gebuchter Live-Act, der sich ob seiner Reggae-Rock-Jam-Hybriden für Festivals mit der vorrangigen Zielgruppe Campus-Jungvolk bestens eignet. Insofern unterscheidet sie herzlich wenig von ihren erfolgreichen Reggae-Rock-Kollegen von der Westküste – Slightly Stupid, Iya Terra, Rebelution & Konsorten. Ob die allerdings auch so nah an ihrem Publikum sind, dass sie die mitgröhl-Basslinie schlechthin im Programm haben, wage ich zu bezweifeln:

So eine Reggae-Dampfhammer-Version von „Seven Nation Army“ funktioniert natürlich live am besten; für uns im direkten Vergleich aber interessanter die auf „Dub Free or Die, Vol. 1“ enthaltene Dub-Version mit markantem Melodica-Einsatz:

Der White Stripes-Titel ist sicher der augenfälligste Track des Albums – steht aber keineswegs stellvertretend für die restlichen Titel, deren Arrangements doch einen Ticken elaborierter sind. Wer also Fan von bombastischen, halsbrecherischen Bläsersätzen, ausufernden Gitarrensoli und mitunter rockigen Drum-Pattern ist, wird seine Freude am von Roots of Creation selbst produzierten Album haben – wird es aber möglicherweise eher als Instrumental-Werk denn als Dub-Release schätzen.

Ja, das hat schon was von Artrock, von Big Bands, von theatralischen Rock-Overtüren á la Jim Steinman – bleibt aber rhythmisch und produktionstechnisch meist im Reggae bzw. Dub verwurzelt. Diese Mischung macht’s wohl aus; sie läßt „Dub Free or Die, Vol. 1“ erfrischend anders klingen. Die Schublade „Außergewöhnliches“ würde sich dafür durchaus anbieten… der geneigte Hörer möge entscheiden.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Bob Marley in Dub conducted by Cpt. Yossarian

Bob Marley’s Musik ist wie ein guter Freund. Kennt, vertraut und schätzt man seit langem; begleitet durch Hochs und Tiefs, macht gute Laune oder spendet Trost. Es sind Worte und Töne wie in Stein gemeißelt – so perfekt, dass ihnen nichts mehr hinzuzufügen ist.

Oder so perfekt, dass ihnen niemand etwas anhaben kann: Wir alle kennen Marley-Covers zuhauf, und nur die allerwenigsten werden den Originalen halbwegs gerecht oder können der Komposition einen neuen Aspekt abgewinnen. Zu den wenigen, geglückten Unterfangen muss man das letztjährige Album „BOB“ der Österreichisch/Deutschen Kapelle So&So feat. Captain Yossarian (= Manuel Da Coll, Schlagzeuger von LaBrassBanda) zählen. Es ist der gelungene Versuch, Marley’s Klassiker von einer Blaskapelle interpretieren zu lassen – und zwar, von Drums, Gitarre und Harmonika abgesehen, nahezu ausschließlich von Blasinstrumenten. Da wird die Tuba glatt zum Bass, und das bleibt nicht die einzige Überraschung: Jeder Track featured einen Soloinstrumentalisten – und das sind dann auch schon mal bekannte Musiker*innen von den Biermösl Blosn, der folkshilfe, der Mnozil Brass oder von LaBrassBanda. Was „BOB“ letztlich aber ausmacht ist das Festhalten an den Originalarrangements bei gleichzeitiger maximaler Interpretationsfreiheit. Ein gelungener Spagat, der das Album zurecht aus dem Groß an Marley Covers herausragen lässt:


… und weil das Ganze so schön und facettenreich ist, könnte man doch einen Schritt weiter gehen: Warum also nicht mit dem Material ein Dub Album produzieren? Es braucht dazu nur einen Captain Yossarian, sprich Manuel da Coll, der die Tracks dubbt und das Echo Beach-Label, das für Experimente dieser Art gerne zu haben ist. Das Ergebnis ist jetzt als „Bob Marley in Dub conducted by Cpt. Yossarian“ (Echo Beach) erschienen und führt „BOB“ überraschenderweise wieder in konservativere Gefilde zurück. Der Dub Mix, eher klassisch-zurückhaltend angelegt, zeichnet sich durch das aus, was nicht mehr zu hören ist. Die Spielfreude diverser Blasinstrumente weicht so einer behäbigen Reise durch einen mit Echo und Hall erweiterten Klangraum, der den Wiedererkennungswert der Marley-Klassiker beträchtlich schmälert und damit neuen Klangnuancen eine Chance gibt – etwa wenn die Bass-Tuba die „Exodus“-Bassline zum stampfenden Furiosum geraten lässt. Spätestens dann ist erkennbar, dass die Kombi Marley, Blaskapelle und Dub kein Spaßexperiment ist, sondern „serious business“.

Wer aufgeschlossen ist, ist hier klar im Vorteil. Professionelle Kapellen sorgen mit ihrem künstlerischen Anspruch dafür,  dass Blasmusik jenseits des Dorfjugendorchester-Niveaus ihren Schrecken  verloren hat, und „Bob Marley in Dub conducted by Cpt. Yossarian“ und das wunderbare „BOB“-Album sind dafür ausgezeichnete Beispiele und Belege. Mehr vom Gleichen, bitte!

Bewertung: 4 von 5.

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Lone Ark Meets The 18th Parallel: Showcase Vol. 1

Seit geraumer Zeit scheint es internationaler Trend zu sein, aktuellen Produktionen einen eindeutigen Zeitstempel zu verpassen – im Sinne von „back to the past“: Das Teil klingt zwar wie aus den 1970ern oder 1980ern, ist aber brandneu. Mitunter entsteht der Eindruck, dass man mit Musik zu tun hat, die originaler als das Original tönt. Sämtliche Ingredienzien, die anno dunnemal Reggae auf seinen Weg zum Zenit begleiteten, werden aufgeboten, um den Hörer*innen eine Déjà-vu-Erlebnis der besonderen Art zu bieten: Vintage-Instrumente und -Studioequipment, klassische Arrangements und ein Songwriting, wie man es heute im Genre nicht mehr kennt. Voilá: Alles wie in der guten alten Zeit, nur viel besser.

Wer sich so eine Produktion antut, muss seine Hausaufgaben gemacht haben und sich intensiv mit den historischen Aufnahmen auseinandergesetzt haben; muss wissen, wie man diesen speziellen Sound aus Instrumenten und Mischpult raus kitzelt; muss sich in die klassisch-genrespezifische Stimmführung bzw. deren Arrangements vertieft haben – Reggae-Pflichtfächer, sozusagen. Das kommt in etwa einem Uni-Abschluss im Fach „Vintage Reggae 101“ gleich, und ich ziehe meinen Hut vor jedem, der sich so gründlich mit der Materie auseinandersetzt.

Chapeau also vor Roberto Sanchez aka Lone Ark, der diese Aufgabe perfekt gemeistert und als Produzent verinnerlicht hat – wie man unter anderem auf Earl Sixteen’s „Natty Farming“ oder Ras Teo’s „Ten Thousand Lions“ nachhören kann, inklusive wunderbar-erdiger Dub Versionen. Nun ist Sanchez aber nicht nur Instrumentalist und Toningenieur mit eigenem Studio, er steht auch als Sänger vor’m Mikro – man erinnere sich nur an seine etwas steifen Vocals, die er als Frontmann seiner Basque Dub Foundation eingesungen hat. Dieses Manko hat er inzwischen behoben, wie man auf seinem neuen Release „Lone Ark Meets The 18th Parallel: Showcase Vol. 1“ nachhören kann:

Wunderbar, der Rezensent könnte nicht zufriedener sein: Superbe Produktion; klares, bodenständiges und druckvolles Mixing; Echo & Hall fliegen herrlich tief und nicht zuletzt: Schöne, weiche Vocals transportieren Harmonien im typischen Vokal-Trio-Stil. Und doch kommt gerade bei obigen „Build an Ark (Extended Mix)“ ein seltsames Gefühl auf. Hab‘ ich das nicht schon mal gehört? Der Chorus scheint von den Wailing Souls, die Strophen von Black Uhuru… ist das nicht die Gesangslinie von „Shine Eye Gal„? Der Text beginnt sogar ähnlich: „I rise early looking some tea…“ (Michael Rose) vs. „Early in the morning while I make i-self a cup of tea…“ (Roberto Sanchez). Hmmm… Stirnrunzeln ist angesagt – geht’s noch jemanden so?

Ob beabsichtigt oder nicht, Wiederholungen oder Ähnlichkeiten sind wohl unvermeidbar beim historisch akkuraten Heraufbeschwören der glorreichen alten Zeiten. Letztlich kann es aber nie zu viel des Guten sein, und wir haben mit dem Lone Ark/ The 18th Parallel-Showcase Vol. 1 einen sehr gelungenen Release vor uns, der vorbehaltlos weiterempfohlen werden kann – insbesondere auch was die Dubs betrifft: Sanchez läßt hier die Snare durch die Soundszenerie rollen, der Gesang spuckt stakkatoartig Echos aus – KingTubby hätte es vermutlich nicht anders gemacht. Mir dämmert: Man muß die Welt nicht beständig neu erfinden; manchmal ist es auch wohltuend, die alten Qualitäten aufzubereiten und damit ein Stück Geschichte im hier & jetzt zu zelebrieren. Soll heissen: Nach Vol. 1 kommt bekanntlich Vol. 2, und ich freu mich jetzt schon d’rauf.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle

Als 2019 ein neues Album mit dem martialischen Titel „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Final Battle“ angekündigt wurde, war die Erwartung groß: Sollte doch das mehr oder weniger greise, männliche Vokalisten-Who’s Who der goldenen Reggae-Ära noch einmal auf frisch eingespielten Riddims eingefangen werden, die 50/50 von Sly & Robbie und den Roots Radics stammen. Produzent Hernan Sforzini hatte dafür so ziemlich alle versammelt, die 2019 noch vor einem Mikrophon stehen konnten; das Potential für ein monumentales Album war also durchaus gegeben. Aber wie das nun mal so mit großen Erwartungen ist: Sie werden selten erfüllt. In diesem Fall gaben mediokre Gesangsleistungen klischeehafte Texte wieder, die nur selten über Spruchweisheiten hinausgehen. Das ist allerdings nur das halbe Drama, denn da ist auch noch Sforzini’s überbordende Produktion nach dem Motto „mehr ist mehr“: hier noch ein paar Keys, da noch unbedingt Bläser-Samples und vor allem mehr Perkussion, Perkussion, Perkussion! Raum zum Atmen bleibt da im mittigen Mixdown kaum – das wohl das größte Manko des Albums, wie man am Track „This Morning“ von Michael Rose gut nachvollziehen kann:

Zwei Jahre und ein paar Lockdowns später soll uns das aber nicht mehr bekümmern, denn es gilt den eben erschienenen Dub-Counterpart zu besprechen: „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle“ (Dubshot Records) hält, was das Vokal-Album versprochen hatte. Auch hier ist ein Who’s Who vertreten, allerdings dass der goldenen Dub-Ära: King Jammy, Scientist, Bunny „Striker“ Lee, Mad Professor, Dennis Bovell und Lee Scratch Perry bearbeiten die Tracks rigoros, entrümpeln sie gehörig und sorgen für eine regelrechte Wiederbelebung der Verschütteten. Hier wird sozusagen das Wunder des Dubs zelebriert – was man sehr gut in „Dub Morning“, dem von Scientist bearbeiteten Track des obigen Michael Rose-Titels hören kann:

https://youtu.be/hZoRlU5dRqY

Der Vergleich zeigt: Der Scientist hat ganze Arbeit geleistet und alles rausgeworfen, was dem Dub-Vibe nicht dienlich ist. Es bleibt die Essenz: Eine Mörder-Bassline, die sich – begleitet von mitunter explodierenden One Drop-Beats – ihren Weg durch Echo und Hall bahnt. Herrlich… Scientist kann’s immer noch, und seine Kollegen stehen ihm nicht viel nach: Jeder Track gewinnt in der Dub-Überarbeitung enorm; der Vergleich mit den Vocal-Versionen ist maximal erhellend und man kann Produzenten Hernan Sforzini, der hier als Don Camel ebenfalls für drei Dubs verantwortlich zeichnet, zum durchwegs gelungenen Release gratulieren.

Mir ist allerdings nicht ganz verständlich, warum auf dem Release auch noch zwei zusätzliche Tracks von King Tubby aus den schätzomativ-frühen 80ern vertreten sind. Sie haben so rein gar nichts mit dem Original-Vokal-Album zu tun und sind in ihrer Schlichtheit bar jeglicher Dramaturgie völlig untypisch für Tubby. Das Motto „mehr ist mehr“ scheint für Produzenten Sforzini also doch noch nicht ganz vom Tisch zu sein.

Letztlich bleibt anzumerken, dass wir uns in einer Phase befinden, in der wir uns von vielen der ganz Großen des Genres verabschieden müssen – gerade die letzten Monate haben das schmerzlich gezeigt. Auch „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle“ ruft uns das ins Bewusstsein: Mitwirkende wie Bunny Lee, Toots Hibbert, Lee Perry sind nicht mehr. Auch Style Scott ist nicht mehr, hätte aber als Roots Radics-Urgestein unbedingt dabei sein müssen. Es ist ein Generationenwechsel im Gange, dem gefühlt die nachfolgende Generation fehlt. Aber wer käme schon einem grenzgenialen Lee „Scratch“ Perry auch nur irgendwie nahe…

Bewertung: 4 von 5.
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Dennis Bovell meets Dubblestandart: @ Repulse „Reggae Classics“

Über Paul Zasky’s unter dem Dubblestandart-Etikett herausgebrachtes „Reggae Classics“-Album habe ich mir an dieser Stelle bereits lang und breit das Maul zerrissen. Zu groß war der qualitative Unterschied zum Vorgänger „Dub Realistic“; unverständlich die Entscheidung mit der zwar versierten, aber musikalisch eigenschaftslosen Firehouse Crew zusammenzuarbeiten. Glücklicherweise ist das Teil auf Echo Beach erschienen – dem wohl recyclingfreudigstem Label wo gibt. Und tatsächlich: Die ersten Tracks von „Reggae Classics“ feierten ihre Wiedergeburt auf „Dub Me Crazy“ (siehe auch René Wynands Rezension) – einer Compilation, für die Paolo Baldini die Aufnahmen zerlegt, entstaubt und aufpoliert hat. Das Ergebnis waren Dub-Remixes, die bar jeder Dubblestandart-Sterilität frisch und frech durch die Speaker dröhnen. Der nächste Streich des Labels war simpel die Bänder/Files beim Dubvisionisten abzugeben und auf’s Beste zu hoffen. Der Mann hat geliefert: Eine wunderbare, radikale Umdeutung der „Reggae-Classics“ in die melancholische Richtung. Bar jeglicher Original-Vocals, dafür mit Vocoder-Effekten und elegischen Klangteppichen aufgefüttert lässt er das Original-Album weit hinter sich.

Kann man das noch toppen? Einen Versuch ist es wert; also ab mit den Aufnahmen zu Dennis Bovell – Stichwort Matumbi, Stichwort LKJ. Er hat uns jetzt so etwas wie eine dritte Inkarnation des Albums beschert: „Dennis Bovell Meets Dubblestandart @ Repulse Reggae Classics“ (Echo Beach), so der sperrige Titel, weiß zu überraschen. Statt einer amtlichen Dub-Version singt (!) Bovell erst mal die Tracks neu ein bevor er sich an’s Dub-Mixing macht. Nun ist es wirklich nicht so, dass Bovell das erste Mal ans Mikrophon tritt, aber die Erwartungen des Rezensenten waren völlig andere. Und so kommt es, dass an die Stelle der kalten, ungelenk-eckigen, „denglish“-klingenden Vocals von Paul Zasky die mitunter nicht minder befremdliche Stimme von Bovell tritt. Sie ist roh, geradezu derb, bringt einen Schuss dreckigen Soul ein, wirkt auf ihre eigene Art ungelenk: Das ätherische „Fly Me to the Moon“ kann so die Erdanziehung nicht überwinden und crasht gnadenlos; auch die überarbeitete Version von „I‘m no Robot“ mit ihren neuen Backing-Vocals wirkt seltsam deplatziert und durch Bovell‘s dahintölpelnden Vibrato-Bariton bisweilen geradezu operettenhaft. Sozusagen ein Downgrade in die Holzklasse, die zwar nicht jedem Track gut steht, einigen jedoch eine gewisse Street-Credibility verpasst: Culture’s „Jah Jah See dem a Come“ oder Steel Pulse’s „Babylon the Bandit“ gewinnen so zweifellos.

Die Vocal-Tracks sind also mehr ein Gemischtwarenhandel oder – wenn man so will – ein 1€-Shop: Nicht alles hat die gleiche Qualität, nicht alles hält was es verspricht, manches ist selbst mit einem Euro noch überbezahlt. Das gilt freilich nicht für die Dub-Mixes, die es ja auch noch zu besprechen gilt, aber nicht vieler Worte bedürfen: Sie sind durchaus gelungen bis exzellent; hier ist Dennis Bovell über jeden Zweifel erhaben, hier kann der Dub-Master scheinen: Schön erdig, old-school und unaufgeregt, genau so etwas erwartet man sich von dem Mann. Dafür gibt’s die uneingeschränkte Kauf-Empfehlung. Was man mit der gesungenen Draufgabe macht, bleibt jedem selbst überlassen – ich habe sie unter „musikalischer Scherz“ abgelegt, den ich hin und wieder zu meinem Vergnügen hervorkrame. 

Bewertung: 3.5 von 5.
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Dubstrand Allstars: Dubbing up the Coast

Ihr wollt neue Scientist-Dubs von den Roots Radics hören? Da braucht ihr nicht mehr länger suchen, die Dubstrand Allstars (Brizion mit seinem Bruder als Drummer) kommen auf ihrem zweiten Album „Dubbing up the Coast“ (Dubstrand Music) diesem Hörerlebnis schon sehr nah. 

Schon das Debut „Dubbing on the Bay“ war dem dubblog.de eine Review wert – wenn auch der Rezensent einiges zum herummosern gefunden hat: Gleichförmigkeit, mal in Form langweilig-gleich klingender e-Drums, mal in Form eintöniger Lustlosigkeit, mal simpel mangels musikalischer Ideen. In anderen Worten: Netter Versuch, aber das ginge noch wesentlich besser.

Und wie das besser geht: Auf „Dubbing on the Coast“ sind die e-Drums einem live-Kit gewichen, was schon mal Leben in die Klang-Bude gebracht hat; das ist der Sound, den’s braucht um handgemachte Musik frei atmen zu lassen. So befreit von der klanglichen Tristesse wirken die neuen, im klassischen 80’s-Style arrangierten Stücke tiefenentspannt. Einzig eine etwas zu scharf klingende Snare stört das Klangbild – was zweifellos eine Frage des Geschmacks bzw. der persönlichen Präferenzen ist.

Neu auch die gelungene Melodieführung – einfache und einprägsame Basslinien „old-school jamaican style“ (Flabba Holt lässt grüßen) führen in diesen leichten Trance-ähnlichen Zustand, den der Rezensent am Reggae so liebt. Da kippt man gerne rein; da fängt man rasch an, sich im Rhythmus zu bewegen. Dazu noch feine Gitarrenarbeit und Keyboards, die es dem Hörer mitunter schwer machen, zwischen Instrumental, Version und Dub zu unterscheiden. Selbst die dieser Tage scheinbar unverzichtbare Melodica wird nicht überstrapaziert und fügt sich unaufdringlich ins musikalische Geschehen ein. Im Gesamtbild also eine schöne, runde Sache, die eine musikalische Weiterentwicklung gut erkennen lässt – das mag was heißen, wenn man Brizion’s enormen, aber nicht sonderlich wandlungsfähigen Solo-Output als Maß der Dinge nutzt.

Was das Dub-Mixing betrifft, war der anfängliche Vergleich mit Scientist natürlich übertrieben; wiewohl die Richtung stimmt, wenn man den Vergleich mit den entsprechenden Aufnahmen der frühen 1980er anstellt. Wir haben hier keine spektakulären Dub-Kapriolen, Sound-Gimmicks oder innovatives Mixing vor uns, sondern vielmehr solides Handwerk – obwohl ich bezweifle, dass da an einem old-school Mixing Board gearbeitet wurde. Muss ja auch nicht sein – allein das Ergebnis zählt, und genügsam eingesetztes Echo bzw. Hall machen irgendwie auch ganz schön glücklich.

Bewertung: 4 von 5.
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Reggae Angels with Sly & Robbie: Remember Our Creator – Fox Dubs

Kalifornien scheint ein Brutkasten für Talente zu sein, die Reggae mit allen möglichen Einflüssen verbinden – Rock, Pop, Soul, Hip-Hop. Da wären etwa Rebelution, Tribal Seeds, Iya Terra, Slightly Stupid, Long Beach All Stars, John Brown’s Body usw. usf. Das macht sich in der Musik selbst, in den Arrangements, im Mix, und in den Lyrics bemerkbar. Da ist mehr oder weniger Party angesagt, ein wenig Sozialkritik darf auch sein. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel – dazu zähle ich etwa Groundation, aber auch die die Reggae Angels. Letzteren Act gibt’s seit 1992; er besteht mehr oder weniger aus Sänger Peter Wardle mit wechselnden Backing-Bands – was nicht weiter interessant oder erwähnenswert wäre, wenn… ja wenn da nicht Sly & Robbie’s Taxi Gang seit einigen Jahren im Studio und bisweilen auch live den musikalischen Teppich für die Reggae Angels ausbreiteten.

Seit mittlerweile drei Alben sind die Riddim Twins an Wardle’s Seite; immer abgemischt von Jim Fox, der die Tracks dann noch einer extra Dub-Behandlung unterzieht. Ergibt zusammen das satte Vocal/Dub-Package, das dann als Doppel-Album daherkommt. Ähnlich funktioniert’s auch beim neuen Album „Remember Our Creator“, wobei die Dubs diesmal als eigenes Album angeboten werden: „Remember Our Creator – Fox Dubs“ (Kings Music International). Allein die Liste der an den Aufnahmen Mitwirkenden lässt erkennen, dass Peter Wardle extrem gut mit der jamaikanischen Reggae-Szene vernetzt ist und die entsprechenden Kapazunder in den Kingstoner Anchor- und One Pop-Studios versammeln konnte. Das Ganze dann nicht in JA abzumischen, sondern in Jim Fox‘ Hände zu legen, scheint geradezu genial.

Nun kann man von Wardle‘s Gesang halten was man möchte – mich erinnert er an Roots-Recken wie Cedric Myton oder Lascelle Bulgin; die Backing-Vox (u.a. seine Tochter) hingegen an die Melody Makers minus dem Feuer von Cedella Marley. Mit seinen durchaus positiven, Gott-zentrierten Texten prägt er jedenfalls auch das musikalische Geschehen, sprich die Arrangements. Es ist schön, dass Sly Dunbar hier mal vorwiegend One Drops spielt und so eine solide Roots-Grundlage für die ausgeklügelten Arrangements bietet, die exzellent umgesetzt sind. Auf den Track mit Drum-Machine hätte ich freilich verzichten können; er demonstriert aber sehr gut den Unterschied zwischen Mensch und Maschine – gerade wenn’s um Gefühl und eine gewisse Sanftheit geht:

Wobei wir eigentlich bei Jim Fox gelandet sind, der bei „Remember Our Creator“ bzw. „Remember Our Creator – Fox Dubs“ für den Klang verantwortlich ist. Er ist zweifellos ein Meister seines Fachs und spielt in einer Liga mit Steven Stanley und Godwin Logie; entsprechend ausgewogen und facettenreich sein typisch unaufgeregtes Klangbild. Wunderbar die tiefergelegte, satte, weiche und gleichzeitig präzise Bass-Drum, die eine tolle Dynamik liefert und das Herz des Rezensenten höher schlagen lässt. Fox schafft es sogar, Aggro-Sax-Player Dean Fraser einen Dämpfer zu verpassen bzw. soundmäßig tief ins Geschehen zu integrieren, anstatt ihn kreischend oben drauf zu setzen – ein Kunststück für sich. Nicht ganz so gut gelungen Dunbar’s Hi-Hat, die zu trocken und laut daherkommt und etwas zu viel Einblick in die aktuell nicht-ganz-so-exakte Beckenarbeit des Drummers bietet. Die – wenn man das so dramatisch sehen will – Katastrophe des Albums ist aber ein kitschig-aufdringliches Keyboard Marke Korg & Konsorten. Sowas hörte man zuletzt in den 1980ern, als sich genrefremde Musiker am Reggae vergingen. Ich laste das Peter Wardle selbst an, der Keyboards spielt und sich hier wohl mit ein paar Overdubs eingebracht hat. Schuldig auch Jim Fox; er hätte diese Keys im Mix vergraben können. 

Was soll man machen – er ist halt ein guter Kerl, der Jim. Deshalb wollen wir ihm auch den zwar klanglich brillanten, aber doch recht unspektakulären Dub-Mix nachsehen. Es ist nun mal sein Markenzeichen als Dub-Mixer: Das Original wird nicht groß verändert, sondern vorwiegend durch dezente Delays ergänzt. Wer das mag, nennt diesen Vorgang „veredeln“; ich behaupte aber: Das Edle an „Remember Our Creator – Fox Dubs“ ist der wunderbar ausgeglichene Sound, der schon beim Abmischen des Vocal-Albums entstanden ist. Minus dem Kitsch-Keyboard, wohlgemerkt.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Roots Makers: In Dub

Manchmal kommt man einfach nicht weiter, und das muss man schlussendlich auch akzeptieren. Es gibt da dieses neue Dub-Album (eigentlich sind’s zwei Alben), über dass sich zum Zeitpunkt dieser Rezension so gut wie nichts bzw. nur herzlich wenig Informatives erfahren lässt. Und das, obwohl die Band / die Musiker / das Produzenten-Konglomerat eine eigene Website, eine Facebook-Page, einen Instagram-Account und einen YouTube-Kanal betreibt; die Herrschaften mögen auch nicht auf Anfragen reagieren. Insofern ist vieles, was hier zu lesen, reine Mutmaßung.

… und so waren es einmal drei Menschen, vermutlich aus einem frankophonen Land stammend, die sich zusammengerottet haben um ein im klassischen Stil gehaltenes Dub-Album einzuspielen. Nicht sonderlich einfallsreich „Roots Makers in Dub“ benannt, ist es der Counterpart zu einem Instrumental-Release, der sich – no na – simpel „Roots Makers“ betitelt. Beide sind am selben Tag erschienen, und die Künstler nennen sich… *gähn* …Roots Makers.

Man möge sich von dieser Einfallslosigkeit nicht täuschen lassen; der Name ist Programm: Hier liegt eines der besten Roots-Dub-Alben des noch jungen Jahres vor; das dazugehörige Instrumental Album lässt ebenso große Freude aufkommen. Die Riddims sind eingängig, im klassischen Stil instrumentiert und superb abgemischt; da findet selbst der Rezensent wenig zu mosern. Nun ja, vielleicht hätte der Drummer sich mit den Fills ein wenig zurückhalten können und es besteht der Verdacht, dass da keine Bläser live im Studio waren – das war’s aber auch schon. 

Zum Dub-Mix gibt’s leider (oder Gott sei Dank?) nicht viel zu sagen: Klassische Effekte, bestens platziert; nicht zu dominant, aber auch nicht unter der Wahrnehmungsschwelle. Kurzum: Es fügt sich alles gut zusammen und ergibt in Summe ein feines Dub-Album, das man sehr gern weiter empfiehlt – vor allem in Kombination mit den Instrumentals.

Die drei Roots Makers bieten übrigens auf Ihrer Website die einzelnen Tracks als Übungstracks an – also mal ohne Schlagzeug, dann mal ohne Bass, Gitarre usw. Für (angehende) Reggae-Musiker im Lockdown geradezu ideal, möchte man meinen.

Letztlich bleibt zu hoffen, dass die Qualität der Musik die Hörer*innen überzeugt, denn Promotion ist augenscheinlich keine Stärke der Roots Makers. In diesem Sinne meine vorbehaltslose Empfehlung: Reinhören & genießen. 

Bewertung: 4.5 von 5.