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El Natty Combo: Flores y Burbujas

Zur Zeit scheinen Instrumentals dem Dub die Schau zu stellen – in den letzten Monaten sind da einige erstaunliche Werke auf dem Markt gekommen, die so manchen Dub-Release locker in den Schatten stellen. Siehe Clive Hunt, Bost & Bim, Roots Organisation, Winds of Matterhorn, The Dub Chronicles – um nur die im dubblog.de Rezensierten zu erwähnen.

Neues Jahr, neues Glück, möchte man meinen: Die El Natty Combo schneit mit ihrem Album „Flores y Burbujas“ herein. Also fast: Das Album ist bereits Ende 2020 erschienen und mir schlichtweg durch die Finger gerutscht. Und weil’s so schön ist und Feiertags-bedingte Flaute im Dubland herrscht, pack‘ ich das alte Teil hier aus.

Von der El Natty Combo kann man durchaus schon mal gehört haben; ihre Diskographie kann sich sehen, besser noch: streamen lassen. Gelesen wird man von ihnen eher weniger haben – die Herrschaften parlieren selten, aber doch in gepflegtem Spanisch. Deshalb in aller gebotenen Kürze:

Die El Natty Combo ist eine 2003 gegründete, argentinische Roots-Reggae Band, Markenzeichen: Gepflegte Bläsersätze, verspielte Saxophon/Posaune/Trompeten-Solis auf gehaltvollem Reggae, der schon mal – no na – ins Lateinamerikanische abdriften kann. Das kann von der Melodieführung oder der Rhythmik herrühren und gibt dem Ganzen einen gewissen Kick. Wobei durchaus auch Erinnerungen an Rico und an Chris Hinze (erinnert sich noch jemand an das „Bamboo Reggae“ aka „Kings of Reggae“- Album“?) wach werden.

Daumen hoch also für „Flores y Burbujas“, das mir Google mal mit „Blumen und Bläschen“, mal mit „Blumen und Blasen“ übersetzt. Nun ja… das wird im Spanischen vermutlich besser rüberkommen. Letztlich ist es ein Album für Freunde der gepflegten Roots-Blasmusik, und mit etwas Glück wird’s davon auch ein Dub-Album geben. Es wär‘ nicht das erste der El Natty Combo.

Bewertung: 4 von 5.
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Lee „Scratch“ Perry meets Dubblestandart: Dub Cuts from Planet Dub

Dieser Release bedarf nur weniger Worte: „Lee Scratch Perry meets Dubblestandart: Dub Cuts from Planet Dub“ (Echo Beach) ist eine weitere Wiederverwertung der LSP-Tracks vom großartigen Dubblestandart-Album „Return from Planet Dub“ – erschienen samt Dubs 2009. Eine Bearbeitung der Tracks gab’s 2014 durch Robo Bass HiFi, 2020 hat Paolo Baldini ein wenig Hand angelegt und jetzt gibt’s also ein Album mit alternativen Dub-Versionen. Die sind mal weniger, mal noch weniger alternativ und dürften bereits vor 12 Jahren beim Abmischen der Originalbänder entstanden sein. Dieser Eindruck entsteht zumindest – denn die Zeit war nicht gerade gnädig mit den Aufnahmen: Die Sounds wirken veraltet; die dumpfe Abmischung erinnert an die Hiphop- und Jeep Beats von anno dunnemal. Eine Frischzellenkur sieht demnach anders aus; dessen ungeachtet sind die eben erschienenen Dub Cuts aber wie ihre Originale Meilensteine im Oeuvre von Dubblestandart

Und wiederum stellt sich die Frage, ob wir diesen Release, dessen klangtechnischer Zusatznutzen sich in engen Grenzen hält, wirklich brauchen. Der Newswert an und für sich ist eher spärlich und Überraschungsmomente bleiben aus – aber hier haben wir erstmals die Tracks von LSP auf einem Album konzentriert, sprich von der ausufernden Üppigkeit des Original-Releases befreit. Das ergibt dann lediglich acht etwas rauere Dubs (wobei „Blackboard Jungle – Dub Ruff Cut“ als Ausnahme mit extra-heftiger Fäkalsprache aufwartet), die von einer berührend-schönen, in schwarz-weißen gehaltenen Artwork begleitet werden. Zweifellos ein Erinnerungsstück, dass es hoffentlich auch als physischen Tonträger geben wird.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Lone Ark Riddim Force: Balance Dub

Jamaika, die goldene Ära des Reggaes, ca. 1977 bis 1982. Unzählige Klassiker sind während dieser Zeitspanne entstanden; die Welt hat vorwiegend dank der großen europäischen Labels und deren glattbügelnder studiotechnischen Übersetzungsarbeit endlich die moderne Musik der Insel im größtmöglichen Ausmaß wahrgenommen. Dafür steht ein auch heute noch einzigartiger Sound, der abseits der Marley-Klänge vorwiegend von den Revolutionaries und den Roots Radics geprägt wurde.

Dass dieser Sound oder vielmehr diese Soundtechnik keineswegs unwiederbringlich verloren gegangen ist und Enthusiasten heute gar nicht mehr so wehmütig auf diese Zeit zurückblicken müssen – dafür sorgen Acts und Produzenten wie Pachyman, Pura Vida, Prince Fatty, Rootz Lions und wie sie alle heißen mögen. Sie jagen ziemlich erfolgreich dem Ideal nach und liefern heute annähernd den Soundtrack von damals. Einer aber hat die die Kunst des mittlerweile gut und gern 40 Jahre alten original Rockers- und Steppers-Sound gemeistert: Roberto Sanchez mit seiner Lone Ark Riddim Force – nachzuhören auf dem eben erschienenen Album „Dub Balance“ (A-Lone Productions), dem Dub-Counterpart zu Ras Tweed’s „Balance“-Release.

Keine Frage, Roberto Sanchez hat hier wieder ein sehr schönes Werk abgeliefert – da passt fast alles, das ist eine nahezu perfekte Zeitreise in die 1970er und 80er, das könnte locker aus dem Katalog von Virgin Records stammen. Für vier Titel wurden originäre Drum-Tracks von Style Scott verwendet – dass das überhaupt nicht auffällt, ist Qualitätskriterium: So perfekt imitiert Sanchez Arrangements, Studiotechnik und Ambiente der Ära – und das mit größtmöglichem Respekt, wie ich meine.

Die Übung ist also mehr als gelungen und macht dem Rezensenten durchwegs Freude. Zugleich drängt sich jedoch eine Frage auf: Quo vadis, Roberto? Dass der gute Mann verblüffend ähnliche Nachbauten (Kopien?) von Reggae-Meilensteinen abliefern kann, wissen wir seit geraumer Zeit, sprich etlichen seiner Produktionen. Ich feiere, dass ich quasi neue „historische“ Musik ohne die klangtechnischen Limitierungen von damals hören kann – erwarte mir mittlerweile dennoch etwas mehr. Soll heißen: Ein paar Runden in der Zeitschleife sind fein – insbesondere, wenn die Reproduktionen den Originalen gefühlt in nichts nachstehen. Irgendwann darf es dann aber schon ein wenig kreativer werden.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Indy Boca: Many Roads

Einmal quer durch den Reggae-Gemischtwarenhandel, hier und da und dort zugegriffen, alles einmal grob durchgeschüttelt und fertig ist das Debut „Many Roads“ (Sweet Waters Music) von Indy Boca. Also eigentlich vom französischen Indy Boca Soundsystem, das hier in Zusammenarbeit mit dem SawaSound Studio das Album gestemmt hat. Ich hab’s ja nicht so mit Überraschungstüten, die jeden glücklich machen sollen – und tatsächlich, da gibt’s feine Roots-Riddims, rhythmisch dröge 4-on-the-floor Soundsystem-Tracks, mal instrumental und dann wieder mit Vocals, und zu guter Letzt doch noch zwei Dubs. Eine Mischung, die mir üblicherweise aufstößt, wenn nicht gar für eine gröbere musikalische Verstimmung sorgt. Dem ist hier erfreulicherweise nicht ganz so – denn es gibt etwas, dass die Tracks verbindet und quasi zu einer Familie werden lässt: Ein unglaublich schöner, satter, tiefer, druckvoller und doch ausgefeilter Sound. Wer auch immer das Album abgemischt hat – Chapeau, großartig, danke für den Ohr-Orgasmus.

Vor den Vorhang bitte auch der Verantwortliche für die vielen schönen Samples, die als solche für mich anfangs nicht zu erkennen waren – so scheinen etwa die Streicher live für die Tracks eingespielt worden zu sein, so perfekt fügen sie sich ins Arrangement und wiederum den Mix ein. Die Realität wird natürlich eine andere sein, denn die allerwenigsten Acts aus dem Reggaeland könnten sich ein Streichorchester im Studio leisten – und wenn doch, dann sicher nicht für‘s Debut-Album. Wie auch immer, das Ergebnis allein zählt – und da hilft es natürlich, dass die Samples den Stücken niemals als Gimmick aufgepfropft, sondern als integraler Bestandteil zu verstehen sind.

Wie bewertet man also dieses musikalisches Sammelsurium, insbesondere wenn der Rezensent es bekannterweise nicht so mit digitalem 120 bpm Soundsystem/UK Dub hat? Er drückt beide Augen zu, lässt sich in den warmen Bass der Roots-Tracks fallen und vergibt satte 4 Sterne – wobei ich gut nachvollziehen kann, dass der eine oder andere Hörer sich einen mehr gewünscht hätte.

Bewertung: 4 von 5.
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Dubinator: Police in Helicopter

Regelmäßigen Leser*innen des dubblogs.de und Hörer*innen der „deep in dub“-Playlist auf Spotify gelte ich (hoffentlich) als Verfechter der klassischen Machart von Dubs, basierend auf möglichst in Moll gehaltenem Roots-Reggae. Damit sind weniger die wegweisenden Aufnahmen aus den 1970ern und 1980er gemeint; vielmehr liegen mir entsprechende Neuproduktionen am Herz – vor allem des besseren/weiterentwickelten Sounds und der neuen technischen und daraus resultierenden künstlerischen Möglichkeiten wegen. Und doch gibt es immer wieder mal Ausnahmen von meinem Lieblingsschema: Sound, Bassline und Dub-Technik stimmen, es gibt immer wieder musikalische „aha“-Erlebnisse und wunderbare Sample- und Sound-Überraschungen – aber es ist halt kein Roots-Reggae.

Um genau so ein Ausnahme-Album dreht sich diese Rezension: „Police in Helicopter“ (Echo Beach) vom bislang bis auf eine nicht ganz so gut gelungene EP kaum in Erscheinung getretenen Dubinator. Wer sich hinter diesem Moniker verbirgt und wie er musikalisch sozialisiert wurde wäre zwar interessant, entzieht sich aber jeglicher Recherche – auch das Label selbst hält sich bedeckt, darum soll’s auch uns nicht weiter interessieren. Im Mittelpunkt steht sowieso Dubinator‘s Musik, und die – wage ich es zu sagen? – erinnert mich durchaus an Arbeiten von Lee Scratch Perry und lässt Spekulationen zu, wie er wohl heute klingen könnte, hätte er seine Karriere als Produzent weitergeführt. 

So manchem Leser wird dieser Vergleich einem Sakrileg (wenn nicht gar einer Blasphemie!) gleichkommen – aber hört unvoreingenommen in das Album rein und Parallelen zu Perry’s obskureren Tracks – etwa von der feinen Kompilation „Arkology“ – offenbaren sich. Da wie dort ist der Einsatz von Audiosnippets als Effekt essentiell; was bei LSP etwa Motorengeräusch oder das Muhen eines Rinds ist, kommt beim Dubinator in einer unglaublichen Vielzahl an Samples daher. Für Unterhaltung ist also gesorgt; es gibt bei „Police in Helicopter“, auch nach oftmaligen Hören, viel zu entdecken: Da fliegt der Hubschrauber einmal quer durch den Gehörgang, Sirenen heulen, ein verfremdeter Orchester-Tusch blitzt immer wieder auf, ein Rainmaker rieselt sanft vor sich hin; stellenweise hält scheinbar ein Sopran-Chor einen einzelnen Ton, eine Frau doziert (vermutlich) über die Globalisierung, usw. usf. Wohlgemerkt: Das alles und mehr passiert allein schon im ersten, titelgebenden Track. 

Ein Album wie eine Wundertüte: Man fast gar nicht was da alles zum Vorschein kommt; musikalisch bewegt es sich durch eine Vielzahl an Stilen, die durch Reggae-Elemente und Dub-Techniken zusammengehalten werden. Darüber hinaus kann der Dubinator eine gewisse Neigung zum Dancefloor nicht abstreiten, obwohl er auch mit geistiger Nahrung – sprich literarischen Aufnahmen von Alan Moore, William S. Burroughs oder Yello’s Dieter Meier – aufwarten kann. Weitere Mitwirkende: Dub Pistols‘ Seanie T, Bass-Legende Doug Wimbish, Max Romeo, Dubmatix, Rob Smith, Sly & Robbie als auch die B-52’s in Form feiner Samples. 

Und so ist „Police in Helicopter“ ein erstaunlich vielfältiges Album geworden, für das sich der Dubinator einmal quer durch den Back-Katalog des Echo Beach-Labels gesampelt haben dürfte, inklusive Reminiszenzen an Dubblestandart, On-U Sound und Lee Scratch Perry. Wer also Interesse und Muße hat, dem schickt dieser Release auf eine wunderbar-erstaunliche Entdeckungsreise, die sich insbesondere für Reggae-Enthusiasten lohnt.

Bleibt schlussendlich noch die sehr gelungene Album-Illustration zu erwähnen – eine zeitgemäße Adaption des „They Harder They Come“-Covers, bei dem man schon genauer hinsehen darf um die vermeintlich subtilen Unterschiede wahrnehmen und geniessen zu können. Mir macht sowas Freude und ist sicher mit ein Grund, warum „Police in Helicopter“ als Gesamtpaket eine sehr gute Bewertung verdient hat.

Bewertung: 4.5 von 5.
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DJ Drez: Good Crush Dub Sessions

Dub, gefühlt langsamer als langsam, karg instrumentiert und dazwischen das Gefühl von viel leerem Raum. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Ich habe mich für’s erstere entschieden und DJ Drez‘ neues Album „Good Crush Dub Sessions“ (Nectar Drop) in Dauerschleife gehört – wobei ein einzelner Durchgang schon ziemlich lange dauert, zumal der letzte Track ein Continuous Live-Mix ist, der mit einer Länge von gut 48 Minuten aufwartet:

Ich habe seit dem Album „Jahta Beat: The Lotus Memoirs“ den Werdegang von DJ Drez verfolgt, ihn aber in eine mehr oder weniger obskure HipHop/Kirtan/Soundscape/Dub-Ecke gestellt. Und in der Tat, der Mann kommt ursprünglich aus dem HipHop, wie man den rumpelten Drums in vielen seiner Werken anhört. Irgendwann muss er sich in Richtung Yoga und Meditation begeben haben, wie Kirtan-Alben – auf denen seine Frau Marti Nikko die Mantras gibt – nachvollziehen lassen. Aber auch auf diesen kann er seine HipHop-Roots und bisweilen auch eine geheime Vorliebe für Reggae und Dub nicht verbergen.

Diese Vorliebe präsentiert er jetzt auf „Good Crush Dub Sessions“ sozusagen nahezu in Reinform. Klassische Instrumentierung, etwas spartanisch und holprig mit Anklängen von bekannteren Riddims eingespielt, trifft auf gemäßigte Dub-Effekte, alles ziemlich laid-back dargeboten. Mich lässt diese ruhige Gelassenheit mitunter ein wenig nervös werden, in Sinne von „dauert ganz schön lange bis die Snare den nächsten Beat setzt“. Das könnte aber gut zum Praktizieren von Yoga-Asanas passen.

Ich rate allen, sich unvoreingenommen mit diesem Release auseinanderzusetzen. Ich meine, dass er trotz aller traditioneller Machart etwas Spezielles zu bieten hat, wie seht ihr das?

Bewertung: 3.5 von 5.
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Roots of Creation: Dub Free or Die, Vol. 1

Manche Alben entziehen sich vehement der Schubladisierung, entziehen sich der eindeutigen Verortung im musikalischen Universum: Etwa wenn ein Konglomerat aus verschiedenen Musikrichtungen und Spielarten die eindeutige Zuordnung verweigert. Als aktuelles Beispiel dafür könnte „Dub Free or Die, Vol. 1“ (Bombshelter Records) von Roots of Creation dienen. Die Band aus New Hampshire war prä-Corona wohl ein gut gebuchter Live-Act, der sich ob seiner Reggae-Rock-Jam-Hybriden für Festivals mit der vorrangigen Zielgruppe Campus-Jungvolk bestens eignet. Insofern unterscheidet sie herzlich wenig von ihren erfolgreichen Reggae-Rock-Kollegen von der Westküste – Slightly Stupid, Iya Terra, Rebelution & Konsorten. Ob die allerdings auch so nah an ihrem Publikum sind, dass sie die mitgröhl-Basslinie schlechthin im Programm haben, wage ich zu bezweifeln:

So eine Reggae-Dampfhammer-Version von „Seven Nation Army“ funktioniert natürlich live am besten; für uns im direkten Vergleich aber interessanter die auf „Dub Free or Die, Vol. 1“ enthaltene Dub-Version mit markantem Melodica-Einsatz:

Der White Stripes-Titel ist sicher der augenfälligste Track des Albums – steht aber keineswegs stellvertretend für die restlichen Titel, deren Arrangements doch einen Ticken elaborierter sind. Wer also Fan von bombastischen, halsbrecherischen Bläsersätzen, ausufernden Gitarrensoli und mitunter rockigen Drum-Pattern ist, wird seine Freude am von Roots of Creation selbst produzierten Album haben – wird es aber möglicherweise eher als Instrumental-Werk denn als Dub-Release schätzen.

Ja, das hat schon was von Artrock, von Big Bands, von theatralischen Rock-Overtüren á la Jim Steinman – bleibt aber rhythmisch und produktionstechnisch meist im Reggae bzw. Dub verwurzelt. Diese Mischung macht’s wohl aus; sie läßt „Dub Free or Die, Vol. 1“ erfrischend anders klingen. Die Schublade „Außergewöhnliches“ würde sich dafür durchaus anbieten… der geneigte Hörer möge entscheiden.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Bob Marley in Dub conducted by Cpt. Yossarian

Bob Marley’s Musik ist wie ein guter Freund. Kennt, vertraut und schätzt man seit langem; begleitet durch Hochs und Tiefs, macht gute Laune oder spendet Trost. Es sind Worte und Töne wie in Stein gemeißelt – so perfekt, dass ihnen nichts mehr hinzuzufügen ist.

Oder so perfekt, dass ihnen niemand etwas anhaben kann: Wir alle kennen Marley-Covers zuhauf, und nur die allerwenigsten werden den Originalen halbwegs gerecht oder können der Komposition einen neuen Aspekt abgewinnen. Zu den wenigen, geglückten Unterfangen muss man das letztjährige Album „BOB“ der Österreichisch/Deutschen Kapelle So&So feat. Captain Yossarian (= Manuel Da Coll, Schlagzeuger von LaBrassBanda) zählen. Es ist der gelungene Versuch, Marley’s Klassiker von einer Blaskapelle interpretieren zu lassen – und zwar, von Drums, Gitarre und Harmonika abgesehen, nahezu ausschließlich von Blasinstrumenten. Da wird die Tuba glatt zum Bass, und das bleibt nicht die einzige Überraschung: Jeder Track featured einen Soloinstrumentalisten – und das sind dann auch schon mal bekannte Musiker*innen von den Biermösl Blosn, der folkshilfe, der Mnozil Brass oder von LaBrassBanda. Was „BOB“ letztlich aber ausmacht ist das Festhalten an den Originalarrangements bei gleichzeitiger maximaler Interpretationsfreiheit. Ein gelungener Spagat, der das Album zurecht aus dem Groß an Marley Covers herausragen lässt:


… und weil das Ganze so schön und facettenreich ist, könnte man doch einen Schritt weiter gehen: Warum also nicht mit dem Material ein Dub Album produzieren? Es braucht dazu nur einen Captain Yossarian, sprich Manuel da Coll, der die Tracks dubbt und das Echo Beach-Label, das für Experimente dieser Art gerne zu haben ist. Das Ergebnis ist jetzt als „Bob Marley in Dub conducted by Cpt. Yossarian“ (Echo Beach) erschienen und führt „BOB“ überraschenderweise wieder in konservativere Gefilde zurück. Der Dub Mix, eher klassisch-zurückhaltend angelegt, zeichnet sich durch das aus, was nicht mehr zu hören ist. Die Spielfreude diverser Blasinstrumente weicht so einer behäbigen Reise durch einen mit Echo und Hall erweiterten Klangraum, der den Wiedererkennungswert der Marley-Klassiker beträchtlich schmälert und damit neuen Klangnuancen eine Chance gibt – etwa wenn die Bass-Tuba die „Exodus“-Bassline zum stampfenden Furiosum geraten lässt. Spätestens dann ist erkennbar, dass die Kombi Marley, Blaskapelle und Dub kein Spaßexperiment ist, sondern „serious business“.

Wer aufgeschlossen ist, ist hier klar im Vorteil. Professionelle Kapellen sorgen mit ihrem künstlerischen Anspruch dafür,  dass Blasmusik jenseits des Dorfjugendorchester-Niveaus ihren Schrecken  verloren hat, und „Bob Marley in Dub conducted by Cpt. Yossarian“ und das wunderbare „BOB“-Album sind dafür ausgezeichnete Beispiele und Belege. Mehr vom Gleichen, bitte!

Bewertung: 4 von 5.

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Lone Ark Meets The 18th Parallel: Showcase Vol. 1

Seit geraumer Zeit scheint es internationaler Trend zu sein, aktuellen Produktionen einen eindeutigen Zeitstempel zu verpassen – im Sinne von „back to the past“: Das Teil klingt zwar wie aus den 1970ern oder 1980ern, ist aber brandneu. Mitunter entsteht der Eindruck, dass man mit Musik zu tun hat, die originaler als das Original tönt. Sämtliche Ingredienzien, die anno dunnemal Reggae auf seinen Weg zum Zenit begleiteten, werden aufgeboten, um den Hörer*innen eine Déjà-vu-Erlebnis der besonderen Art zu bieten: Vintage-Instrumente und -Studioequipment, klassische Arrangements und ein Songwriting, wie man es heute im Genre nicht mehr kennt. Voilá: Alles wie in der guten alten Zeit, nur viel besser.

Wer sich so eine Produktion antut, muss seine Hausaufgaben gemacht haben und sich intensiv mit den historischen Aufnahmen auseinandergesetzt haben; muss wissen, wie man diesen speziellen Sound aus Instrumenten und Mischpult raus kitzelt; muss sich in die klassisch-genrespezifische Stimmführung bzw. deren Arrangements vertieft haben – Reggae-Pflichtfächer, sozusagen. Das kommt in etwa einem Uni-Abschluss im Fach „Vintage Reggae 101“ gleich, und ich ziehe meinen Hut vor jedem, der sich so gründlich mit der Materie auseinandersetzt.

Chapeau also vor Roberto Sanchez aka Lone Ark, der diese Aufgabe perfekt gemeistert und als Produzent verinnerlicht hat – wie man unter anderem auf Earl Sixteen’s „Natty Farming“ oder Ras Teo’s „Ten Thousand Lions“ nachhören kann, inklusive wunderbar-erdiger Dub Versionen. Nun ist Sanchez aber nicht nur Instrumentalist und Toningenieur mit eigenem Studio, er steht auch als Sänger vor’m Mikro – man erinnere sich nur an seine etwas steifen Vocals, die er als Frontmann seiner Basque Dub Foundation eingesungen hat. Dieses Manko hat er inzwischen behoben, wie man auf seinem neuen Release „Lone Ark Meets The 18th Parallel: Showcase Vol. 1“ nachhören kann:

Wunderbar, der Rezensent könnte nicht zufriedener sein: Superbe Produktion; klares, bodenständiges und druckvolles Mixing; Echo & Hall fliegen herrlich tief und nicht zuletzt: Schöne, weiche Vocals transportieren Harmonien im typischen Vokal-Trio-Stil. Und doch kommt gerade bei obigen „Build an Ark (Extended Mix)“ ein seltsames Gefühl auf. Hab‘ ich das nicht schon mal gehört? Der Chorus scheint von den Wailing Souls, die Strophen von Black Uhuru… ist das nicht die Gesangslinie von „Shine Eye Gal„? Der Text beginnt sogar ähnlich: „I rise early looking some tea…“ (Michael Rose) vs. „Early in the morning while I make i-self a cup of tea…“ (Roberto Sanchez). Hmmm… Stirnrunzeln ist angesagt – geht’s noch jemanden so?

Ob beabsichtigt oder nicht, Wiederholungen oder Ähnlichkeiten sind wohl unvermeidbar beim historisch akkuraten Heraufbeschwören der glorreichen alten Zeiten. Letztlich kann es aber nie zu viel des Guten sein, und wir haben mit dem Lone Ark/ The 18th Parallel-Showcase Vol. 1 einen sehr gelungenen Release vor uns, der vorbehaltlos weiterempfohlen werden kann – insbesondere auch was die Dubs betrifft: Sanchez läßt hier die Snare durch die Soundszenerie rollen, der Gesang spuckt stakkatoartig Echos aus – KingTubby hätte es vermutlich nicht anders gemacht. Mir dämmert: Man muß die Welt nicht beständig neu erfinden; manchmal ist es auch wohltuend, die alten Qualitäten aufzubereiten und damit ein Stück Geschichte im hier & jetzt zu zelebrieren. Soll heissen: Nach Vol. 1 kommt bekanntlich Vol. 2, und ich freu mich jetzt schon d’rauf.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle

Als 2019 ein neues Album mit dem martialischen Titel „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Final Battle“ angekündigt wurde, war die Erwartung groß: Sollte doch das mehr oder weniger greise, männliche Vokalisten-Who’s Who der goldenen Reggae-Ära noch einmal auf frisch eingespielten Riddims eingefangen werden, die 50/50 von Sly & Robbie und den Roots Radics stammen. Produzent Hernan Sforzini hatte dafür so ziemlich alle versammelt, die 2019 noch vor einem Mikrophon stehen konnten; das Potential für ein monumentales Album war also durchaus gegeben. Aber wie das nun mal so mit großen Erwartungen ist: Sie werden selten erfüllt. In diesem Fall gaben mediokre Gesangsleistungen klischeehafte Texte wieder, die nur selten über Spruchweisheiten hinausgehen. Das ist allerdings nur das halbe Drama, denn da ist auch noch Sforzini’s überbordende Produktion nach dem Motto „mehr ist mehr“: hier noch ein paar Keys, da noch unbedingt Bläser-Samples und vor allem mehr Perkussion, Perkussion, Perkussion! Raum zum Atmen bleibt da im mittigen Mixdown kaum – das wohl das größte Manko des Albums, wie man am Track „This Morning“ von Michael Rose gut nachvollziehen kann:

Zwei Jahre und ein paar Lockdowns später soll uns das aber nicht mehr bekümmern, denn es gilt den eben erschienenen Dub-Counterpart zu besprechen: „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle“ (Dubshot Records) hält, was das Vokal-Album versprochen hatte. Auch hier ist ein Who’s Who vertreten, allerdings dass der goldenen Dub-Ära: King Jammy, Scientist, Bunny „Striker“ Lee, Mad Professor, Dennis Bovell und Lee Scratch Perry bearbeiten die Tracks rigoros, entrümpeln sie gehörig und sorgen für eine regelrechte Wiederbelebung der Verschütteten. Hier wird sozusagen das Wunder des Dubs zelebriert – was man sehr gut in „Dub Morning“, dem von Scientist bearbeiteten Track des obigen Michael Rose-Titels hören kann:

https://youtu.be/hZoRlU5dRqY

Der Vergleich zeigt: Der Scientist hat ganze Arbeit geleistet und alles rausgeworfen, was dem Dub-Vibe nicht dienlich ist. Es bleibt die Essenz: Eine Mörder-Bassline, die sich – begleitet von mitunter explodierenden One Drop-Beats – ihren Weg durch Echo und Hall bahnt. Herrlich… Scientist kann’s immer noch, und seine Kollegen stehen ihm nicht viel nach: Jeder Track gewinnt in der Dub-Überarbeitung enorm; der Vergleich mit den Vocal-Versionen ist maximal erhellend und man kann Produzenten Hernan Sforzini, der hier als Don Camel ebenfalls für drei Dubs verantwortlich zeichnet, zum durchwegs gelungenen Release gratulieren.

Mir ist allerdings nicht ganz verständlich, warum auf dem Release auch noch zwei zusätzliche Tracks von King Tubby aus den schätzomativ-frühen 80ern vertreten sind. Sie haben so rein gar nichts mit dem Original-Vokal-Album zu tun und sind in ihrer Schlichtheit bar jeglicher Dramaturgie völlig untypisch für Tubby. Das Motto „mehr ist mehr“ scheint für Produzenten Sforzini also doch noch nicht ganz vom Tisch zu sein.

Letztlich bleibt anzumerken, dass wir uns in einer Phase befinden, in der wir uns von vielen der ganz Großen des Genres verabschieden müssen – gerade die letzten Monate haben das schmerzlich gezeigt. Auch „Sly & Robbie vs. Roots Radics: The Dub Battle“ ruft uns das ins Bewusstsein: Mitwirkende wie Bunny Lee, Toots Hibbert, Lee Perry sind nicht mehr. Auch Style Scott ist nicht mehr, hätte aber als Roots Radics-Urgestein unbedingt dabei sein müssen. Es ist ein Generationenwechsel im Gange, dem gefühlt die nachfolgende Generation fehlt. Aber wer käme schon einem grenzgenialen Lee „Scratch“ Perry auch nur irgendwie nahe…

Bewertung: 4 von 5.