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Jah Shaka Meets Aswad in Addis Ababa Studio

Unglaublich: Jah Shaka alias „The Zulu Warrior“, einer der rätselhaftesten Künstler, Produzenten und Pioniere des Reggae und Dub, die Speerspitze der Londoner Soundsystemkultur ist tot. Er starb (vermutlich) am 12.04.2023. Sein präzises Alter und die Todesursache wurden nicht bekannt gegeben.
Jah Shaka von dem noch nicht einmal sein bürgerlicher Name bekannt ist, war bereits zu Lebzeiten eine Ikone. Geboren wurde er in Chapleton, der Clarendon Parish auf Jamaika. Noch als Kind kam er 1956 mit seinen Eltern als Teil der Windrush-Generation nach London. Für ihn und seine Zeitgenossen waren Musik schon immer ein wichtiges Werkzeug, um die feindliche, rassistische Umgebung zu kompensieren, in der sie sich befanden. Mit ein paar Schulfreunden gründete er 1962 eine Reggae-Band. Ende der 1960er trat er dem lokalen Soundsystem Freddie Cloudburst bei, das ihn zur Musikindustrie führte.

Von der Rastafari- und der US-Bürgerrechts-Bewegung inspiriert, gründete Jah Shaka kurze Zeit später sein eigenes Soundsystem. Ein Schlüsselmoment war, als er 1976 bei einem Clash gegen Lloyd Coxsone antrat, eines der zu der Zeit angesagtesten Soundsystems in England. Es endete damit, dass Coxsone einsehen musste, dass er verloren hatte und den Dance abbrach. Das Jah Shaka-Soundsystem war wenige Jahre nach seiner Gründung das angesehenste Soundsystem außerhalb Jamaikas. Später zeigten sich auf Jah Shakas Dances regelmäßig bekannte Persönlichkeiten der Londoner Reggae-Szene, wie etwa Earl Sixteen oder auch Yabby You.

Ende der 1970er startete Shaka ein eigenes Label, auf dem er seit Anfang der 1980er Jahre eigene Produktionen veröffentlichte, wie die „Commandments of Dub“ Serie. Es entstanden im Laufe der Zeit auch mehrere Kollaborationen mit namhaften britischen Künstlern, wie Aswad und Mad Professor, die aber teilweise auf anderen Labels erschienen. Hinzu kamen auch Aufnahmen mit Horace Andy, Max Romeo und den Twinkle Brothers. Mehrmals reiste er nach Jamaika und produzierte dort in King Tubby’s legendärem Studio in Waterhouse oder im Music Works Studio von Gussie Clarke u. a. mit Veteranen wie Willie Williams und Max Romeo, aber auch mit jungen Musikern wie Icho Candy.

In den 1980ern war Jah Shaka eigentlich abseits des Mainstreams, denn der Trend ging zu digitalen Sounds und Slackness. Während sein Soundsystem mit einem einzelnen Plattenspieler neben dem Mischpult antrat, hielt Shaka als Rastafari an seinem „Roots and Culture“-Programm unbeirrt fest. Neben sozialkritischen Anliegen griff er schon immer vor allem spirituelle Themen der Rasta-Kultur auf, begleitet von donnerndem Bass und monoton-hypnotischen Sounds, mit denen er sein Publikum in Trance-ähnliche Zustände versetzte. Seine Dances entwickelten von Anfang an eine mystische Atmosphäre, die dem Publikum oftmals mehr religiösen oder politischen Veranstaltungen zu gleichen schienen, als gewöhnlichen Party-Veranstaltungen. Jah Shakas Verständnis der Musik war immer spiritueller Art.

Viele britische Dub-Künstler wurden durch Jah Shaka inspiriert, wie beispielsweise die Disciples, aber auch die Slits. Insgesamt entwickelte Jah Shaka einen großen musikalischen Einfluss auf den gesamten britischen Dub und ganz speziell auch auf die Entwicklung von Jungle und Drum & Bass.

Bei einem Hausbrand im Jahr 2000 wurde Shaka schwer verletzt und war lange Zeit außer Gefecht gesetzt. Danach setzte er – stark wie immer – seine Liveauftritte wieder fort und tourte regelmäßig in Großbritannien und gelegentlich andernorts in Europa, den USA oder Japan.

Jah Shaka unterstützte in Jamaika und Ghana verschiedene Sozialprojekte, wie Schulen, Krankenhäuser und Fußball-Jugendmannschaften und war bis zu seinem Tod aktiv. Gerade noch vor ein paar Tagen hat er seine Tourdaten für dieses Jahr bekannt gegeben. Er wollte in ein paar Londoner Clubs und Musikfestivals in Großbritannien auftreten. Darüber hinaus wollte er für seine vielen japanischen Fans durch Japan touren.

Eigentlich wollte ich noch kurz die „Commantments of Dub Chapter Two“ (Jah Shaka Music) besprechen. Da haben mir dann die einschlägigen Streaming-Dienste einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Dennoch bin ich mir sehr sicher, dass auch „Jah Shaka meets Aswad in Addis Ababa Studio“ (Jah Shaka Music) ein erstklassiges Album ist, welches auch euren Nerv trifft. Dieses Set wurde 1985 veröffentlicht, im selben Jahr, in dem der computergesteuerte „Sleng Teng“ Riddim eines Prince Jammy über Jamaika fegte und danach im Reggae nichts mehr so war wie zuvor. In England war „Jah Shaka meets Aswad“ ein Riesenerfolg und schaffte es in die britischen Reggae-Charts.
Dieses 7-Track-Album, mit gerade einmal knapp 30 Minuten Spiellänge, wurde von Aswad eingespielt und komponiert. Produziert, arrangiert und abgemischt wurde es von Jah Shaka. Geniale 30 Minuten Magie, die Aswad vor ihrer Pop-Reggae-Ära in Spitzenform präsentieren. Von „Addis Ababa“ bis hin zu „Shaka Special“ oder „Rockers Delight“ sind es die Kompositionen, die auf monotonen, mächtigen Bass-Lines, Drums und Keyboards basieren, welche die Stärke dieses Albums und ganz besonders Jah Shakas ureigenen Sound ausmachen. Jeder Track nimmt dich mit. Der „Drum Dub“ ist eine Version des Studio One Klassikers „Drum Song“, im Original von Jackie Mittoo, und das „Aswad Special“ ist Augustus Pablos „Cassava Piece“, welches als „King Tubby meets Rockers uptown“ noch viel bekannter ist.

Jah Shaka, du Magier am Mischpult, du soziokultureller Basisarbeiter und kreativer Echokämmerer, ruhe in Frieden.

Bewertung: 5 von 5.
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Dub Plantage: Beware of the Mega Magic Mushrooms!!

Heute werfen wir einen Blick zurück auf ein Album aus dem Jahr 2022 – quasi einem Oldie wenn man das so sehen will. Und das in einem Blog, das sich eigentlich dem Neuen und Frischen verschrieben hat! Nichtsdestotrotz zahlt sich so ein Rückblick gelegentlich aus – umso mehr, wenn es sich um ein feines Werk wie das Debüt von Dub Plantage handelt. In guter alter Dub-Tradition lautstark „Beware of the Mega Magic Mushrooms!!“ (D.P.T.) betitelt, scheint das quietschbunte Cover vorzuführen, in welche Welten man sich begibt – so man den Rat von Dub Plantage nicht befolgt.

Dub Plantage, ein Konglomerat internationaler Musiker mit Basis in Regensburg, konnte schon mit einigen EPs und Singles aufwarten – die fanden durchaus Beachtung, können aber mit dem Sound des vorliegenden Albums nicht mithalten. Und der gefällt dem Rezensenten, weckt er doch Erinnerungen an… ja doch, den RAS Records-Katalog der späten 80er und 90er Jahre. Doctor Dread wartete anno dunnemals unter anderem mit Dub-Alben von Culture, Israel Vibration und Black Uhuru auf; allen gemeinsam war eine eher karge Instrumentierung mit (mitunter etwas zu-)viel Klangraum für feine Dub-Vibes – siehe Culture’s „Stoned“, dem Dub zum „One Stone“-Album, als exemplarisches Beispiel. Hier knüpft Dub Plantage mit etwas mehr Verve an: Die Produktion ist sauber, die Arrangements sind einfach gehalten und schön instrumentiert, wenn auch der mehrfache Einsatz einer Soundsystem-Sirene etwas zu viel des Guten scheint. Sehr gut gefällt der Hall auf der knackigen Bassdrum – man möchte fast meinen etwas Paul Smykle rauszuhören… wunderbar. Ich meine auch, dass die insgesamt „nur“ acht Tracks des Albums völlig ausreichend sind – wohltuend in einer Zeit, wo in Releases 15 oder mehr Tracks, ungeachtet deren Qualität, sinnfrei reingestopft werden. Besser kleine, feine Portionen als schal schmeckender XXL-Fraß.

Alles in allem ergibt das eine Empfehlung für „Beware of the Mega Magic Mushrooms!!“ – insbesondere für jene, die Produktionen der 80’s und 90’s schätzen. War ja langsam an der Zeit, dass nach dem 70’s Revival endlich auch den darauf folgenden Jahrzehnten gehuldigt wird!

Bewertung: 4 von 5.
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Biblical: Well Read Dubs

Biblical ist ein kultureller Sänger / Sing Jay, dessen einzigartiger Gesangsstil seit der Veröffentlichung seines ersten Albums „Inborn Precepts“ (2007) bestimmt vielen bereits aufgefallen ist. Er wuchs in einem nordkalifornischen Haushalt mit einem starken Hang zu Reggae und Rastafari auf. Musik nahm für ihn schon immer eine bedeutende Rolle ein. Sie war für ihn von Anfang an Nahrung für Seele und Geist. Beginnend mit den klassischen Roots-Reggae-Interpreten Bob Marley & The Wailers und Burning Spear, um nur zwei zu nennen, wurden die Lehren Rastafaris und die Begeisterung für jamaikanische Roots Music schon in jungen Jahren tief in sein Herz gepflanzt.

Nachdem Biblical bereits über zehn Alben veröffentlicht hat, folgt jetzt sein neuestes Album „Well Read Dubs“ (Trinity Farm Music). Das Pendant zur im April 2022 veröffentlichten „Well Read“ ist sein allererstes Dub-Album. Insgesamt zehn der ursprünglich elf Tracks wurden einer superben Dub-Veredelung unterzogen. Eingespielt wurde das Album mit der in Barcelona ansässigen Reggae-Band „Go A Chant“. Hinter dem Pseudonym „Go A Chant“ verbirgt sich auch der Musiker, Produzent und Kopf der Band – Manel (katalanische Form des Vornamens Manuel) Guerra. Der Musiker und Engineer hat bereits mehrfach, auch live, mit Künstlern wie Midnite/Akae Beka, Army, Tuff Like Iron, Ancient King, Iqulah und Prezident Brown zusammengearbeitet. Interessant: Als prägende musikalische Einflüsse nennt Manel Guerra einmal nicht Bob Marley & the Wailers an erster Stelle. Allen voran haben es ihm der mystische Burning Spear und ganz besonders Augustus Pablo angetan, dessen Far East Sound ihn ganz besonders beeindruckt und geprägt hat. Aber auch Einflüsse zeitgenössischer Künstler wie Midnite/Akae Beka von den US Virgin Islands sind problemlos auszumachen.

Die meisten Tracks, die auf „Well Read Dubs“ zu finden sind, erinnern sehr stark an den Sound, die Stimmung und die Vibes, welche z. B. die Band Midnite mit ihrem charismatischen Frontmann Vaughn Benjamin von den Jungferninseln in die Reggae-Welt getragen haben. Das Album beginnt sehr verhalten, mit zum Teil sphärischen Synthie-Klängen. Gefolgt von „ Dubfullness“ mit einer locker hüpfenden Orgel und tollen Percussions. Bei fast allen Tracks fällt die starke Gitarrenarbeit von Russ „Tuff Lion“ Williams angenehm auf – ganz egal ob an der Akustischen oder Elektrischen. Seine Beiträge tragen einen großen Anteil zum Gesamtbild der „Well Read Dubs“ bei. Der „Lion my Dub“ ist angereichert mit einem feinen, dezenten Melodika-Spiel. Generell ist die Grundstimmung des Albums angenehm entspannt, ja beinahe meditativ. Manchmal kommt Biblicals Stimme wie ein zusätzliches Instrument daher. Die im Raum frei schwebenden Gesangsfragmente sind mehr Lautmalerei denn Gesang und verleihen dem ganzen Klangkosmos eine weitere Facette. Keiner der Titel ist komplett „stript to the Bone“. Eine kleine, tragende Melodie ist immer auszumachen.
Alles in allem ist „Well Read Dubs“ ein sehr unterhaltsames Album mit mystischen Anklängen, die auch gerne mal wie bei „One Dub“ in jazzige Gefilde abdriften.
Achtung: Das Album erfordert meines Erachtens aufmerksames Hören und eignet sich weniger als pure Hintergrundmusik. Wenn man sich aber auf dieses zum Teil ungewöhnliche Album einlässt, offenbart es unglaubliche Dimensionen. So ging es jedenfalls mir, der die letzten Wochen das Album täglich hörte und mit wachsender Begeisterung schätzen lernte.

Noch zum Abschluss ein kleines Schmankerl für Gitarrenfreunde: „Tuff Lion: Ten Strings“ ein wunderschönes, gitarrenlastiges, etwas dubbiges Instrumentalalbum.

Bewertung: 4 von 5.
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Studio One Space-Age Dub Special

An diesen Dubs kommt niemand vorbei: Studio One Space-Age Dub Special (Soul Jazz). Hier sind sie alle zu hören, die schönen, nie alternden Studio One-Rhythms – und zwar in Reinform, ohne Gesang. Und vor allen in brillanter Qualität! Ich denke da nur an meine alten Vinyl-Releases: Unfassbar schlechte JA-Pressungen in weißen Covern – nicht gerade Ausdruck von Wertschätzung auf Seiten des Produzenten. Aber die Leute Soul Jazz sind anders drauf. Sie sind echte Sound-Nerds, die das Coxsone-Erbe sorgfältig bewahren und pflegen. Sie haben die Dubs von den Originalbändern remastert, auf ein fettes Album gepackt und mit einem wundervollen Cover versehen, das Clement Dodd im Space-Orbit zeigt. Ein Bild übrigens, das von Lone Rangers Studio One-Album „Badda Dan Dem“ von 1982 inspiriert wurde, auf dessen Cover Sir Coxsone am Steuer eines Raumschiffs im Weltraum zu sehen ist.

Die meisten dieser Tracks stammen aus der lange vergriffener Reihe von Studio One-Dub-Alben, die zwischen 1974 und 1980 veröffentlicht wurden, darunter „Zodiac Sounds“, „Ital Sounds and System“, „Roots Dub“, „Dub Store Special“, „Juks Incorporation“ und andere. Viele dieser klassischen Alben wurden ursprünglich nur in Jamaika in kleinen Auflagen mit speziellen Siebdruck-Hüllen veröffentlicht, alle mit absoluten Minimaldesigns, die heute als Vintage-Vinyl bis zu 100 Britische Pfund kosten.

Den Credit für die Dubs gelten einem fiktiven „Dub Specialist“, hinter dem sich tatsächlich Studio One-Sound-Engineer Sylvan Morris verbergen dürfte. Er, sein Produzent und die genialen Musiker haben viele der besten Aufnahmen geschaffen, die das Genre Reggae vorzuweisen hat. Sie sind hier als zeitlos schöne Dubs zu genießen.

Bewertung: 5 von 5.
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Benjammin: Sons & Daughters Showcase

Ganz einfach ausgedrückt, ist der Baske Roberto Sanchez derzeit einer der besten Produzenten, den Reggae bzw. Dub zu bieten hat. Wer daran zweifelt, dass dem so ist, sollte sich einfach seinen Output anhören. Auch die aktuellen Showcase-Alben des Mannes von der Nordküste Spaniens zeigen, dass der Musiker, Sänger und Produzent seit über 25 Jahren auf allerhöchstem technischem Niveau arbeitet. Aber nicht nur die neuesten Werke aus dem A-Lone Ark Muzik Studio sind fantastisch, auch das vom Dubblog sträflich übergangene „Benjammin: Sons & Daughters Showcase“ (A-Lone Productions) gehört unbedingt in diese Kategorie. Das vor bereits fünf Jahren veröffentlichte Debütalbum des enigmatischen Reggae-Künstlers Benjammin aka Benedict Stobart zieht mich ganz besonders in seinen Bann. Der in England geborene Bejammin lebt seit über zwanzig Jahren im sonnigen Spanien und bewegt sich seit vielen Jahren in Roberto Sanchez’ Umfeld. Auf dem 2018 veröffentlichten „Sons & Daughters Showcase“ Vinyl-Album, finden sich sechs Gesangs-Tracks auf Seite A und sechs Dubs auf Seite B. Der Gesang erinnert an den legendären Burning Spear und/oder auch teilweise an Daweh Congo. Beim ersten Titel des Albums „Be Yourself“, der mit wunderschöner Posaune beginnt, dachte ich zuerst, ich hätte einen Hörschaden. Es kam mir immer wieder Winston Rodney aka Burning Spear in den Sinn. Bejammin hat sich Burning Spears Intonation meisterlich angeeignet. Dennoch klingt das Album keinesfalls wie ein billiges Plagiat. Die musikalische Unterstützung der Lone Ark Riddim Force ergänzt Benjammin perfekt. Was mich bei „Sons & Daughters“ vor allem mitreißt, sind die hervorragend gefertigten Riddims und die inspiriert klingenden Dubs, die das Album zu einem echten Sahnestück machen.
Die Dubs sind wunderbar mit Benjammin-Gesangsschnipseln durchsetzt. Den erstaunlichsten Track auf dem Album, mein Primus inter pares, liefert Roberto Sanchez aber mit dem perryesken „Everywhere Festival Dub“. Der Track klingt tatsächlich, als hätte ihm sein erklärtes Vorbild Lee Scratch Perry über die Schultern geschaut. Ein unglaublich inspirierter Dub. Meines Erachtens das eindrucksvollste Stück auf „Sons & Daughters Showcase“ überhaupt. Insgesamt gesehen, ist das vorliegende Album ein wahrer Leckerbissen und das nicht nur für Dub-Ohren.
Fazit: Das sind modern Roots vom Feinsten. Einfach brillant!

Bewertung: 5 von 5.
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Benjah and EK: Dust Off the Dubs

Dub ist ja bekanntlich ein Subgenre von Reggae. Doch auch Dub zerfällt wieder in diverse Subsubgenres. Verrückter Weise besteht selbst ein Subsubgenre, wie Steppers, wieder aus unterschiedlichen Spielweisen. Da wäre z. B. der Steppers alter Schule, wie wir ihn von den klassischen UK-Soundsystems kennen. Iration Steppers, Disciples oder Jah Warrior sind typische Vertreter. Dann gibt es noch eine jüngere Schule, die etwas experimenteller zu Werke geht. Hier fallen mir Alpha Steppa, Kanka oder Jah Schulz ein. Und dann gibt es noch jene Schule, die reines Futter für Sound Systems produziert. Einen ganz speziellen Sound, der sich gar nicht so leicht beschreiben lässt. Statt es in Worte zu fassen, empfehle ich, dieses Album anzuhören: Benjah and EK: „Dust Off the Dubs“ (Lions Den). Benjah und EK sind zwei junge Produzenten aus Frankreich. Sie firmieren auch unter dem Namen „Bedrin Records“ und bieten genau den Sound, der auf Sound System-Events den Selector zum Rewind zwingt. Mit etwas Phantasie ließe sich das Ganze als „technowise Dub“ bezeichnen. Der Rhytmus ist hundertprozentig Reggae, aber die Produktionen haben sich vom Mimikry handgemachter Musik vollständig verabschiedet, der Rhythmus ist maximal repetitiv und sämtliche Referenzen zu Dub und Reggae in Form von Samples, MC-Vocals und „Jah“-Rufen oder Sirenen fehlen.

Das auf Sound System-Music spezialisierte Berliner Label Lions Den, steht schon lange auf den Sound der beiden Franzosen und beschloss deshalb, ihnen ein Album zu widmen, auf dem sie die besten Dubs der letzten Jahren zu einem dicken Paket von 20 Tracks zusammen schnürten. Mir geht es wie Lions Den, auch ich stehe auf diesen kompromisslos konkreten Sound, insbesondere die durch die Drums forcierte Polyrhythmik hat es mir angetan. Allerdings befinden sich auch einige ziemliche Nieten unter den 22 Tracks (11 Instrumentals plus Dub-Versions), in denen mir bräsige Synthie-Orgien den Spaß verderben, oder mich ob der einfallslosen Beats die Langeweile überwältigt. Vielleicht hätte nicht jeder Dub es verdient, abgestaubt zu werden.

Bewertung: 3.5 von 5.
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Dubmasters Meet Shashamane

Nicht nur Reggae, auch „Dub gone international“ – das zeigt gerade wieder ein aktueller, durchwegs gelungener Release: „Dubmasters meet Shashamane“ (ZIMA). Wiewohl es die Dub-Version des selbstbetitelten (und empfehlenswerten) Album der polnischen Band Shashamane ist, werden schon im Titel die „Dubmasters“ in den Mittelpunkt gestellt. Die Riege mit u.a. Umberto Echo und Dubmatix kann sich sehen und hören lassen; sie alle liefern erstklassige Dub-Mixes ab, die die Essenz der Vocal-Versionen einfangen – ein Vergleich bestätigt das eindrucksvoll. „No filler, all killer“ wie man anderorts so treffend zu sagen pflegte.

Es empfiehlt jedenfalls, auch in das Vocal-Album reinzuhören – feiner, old-school-instrumentierter Roots-Reggae, vorgetragen in klassischer BMW-Besetzung inklusive in den Fokus gerückter, I-Threes-inspirierter Vocals. Der Shashamane-Band gelingt es nicht nur die musikalischen Vibes der Vergangenheit heraufzubeschwören, sie optimieren sie zudem mit Arrangements, die den Vocals und Instrumenten genug Raum und bestmögliche Wirkung verschaffen. Die Dubmasters übernehmen dieses Konzept fast schon selbstlos: Die Dubs sind bar jeglicher Selbstdarstellung und können – zumindest vom Rezensenten – nicht den jeweiligen Mixmeistern zugeordnet werden. Eine runde Sache, sozusagen.

Und so wundert es nicht mehr, dass dermaßen (BMW-) inspirierte, fast schon historisch anmutende Musik mit einer spielerischen Selbstverständlichkeit gerade auch aus Polen kommt. Es zeigt lediglich einmal mehr, wo überall die Roots-Reggae-Fahne hochgehalten wird. Und letztlich: Wo das Ausgangsmaterial gut ist, kann auch beim Dub-Mix nichts mehr schief gehen. Beide Daumen hoch für die Dubmasters und die Shashamane-Band!

Bewertung: 4.5 von 5.

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Kaptan: Dubs from the Vault

Dub wird ja inzwischen überall auf der Welt produziert, natürlich auch in Deutschland (aber ironischer Weise kaum noch in Jamaika). Nicht nur haben wir in Hamburg eines der profiliertesten Dub-Labels weltweit, sonder auch eine gut abgehangene Generation etablierter Dub-Producer. Mit Leuten, wie Jah Schulz und Kaptan stehen aber auch junge Talente in den Startlöchern. Beide, Schulz und Kaptan, verschreiben sich puren, kompromisslosen Sound System-Dubs, die ihre immersive Kraft aus reiner Bass-Präsenz und stoisch-repetitiven Beats beziehen. Hier steht nicht mehr der virtuose Mix im Zentrum, oder gar eine blasse Erinnerung an ein sowieso nicht vorhandene Vocal-Version, sondern der reine, abstrakt-konkrete, vom Bass getrieben Sound. Kaptan hat soeben sein Debut-Album vorgelegt: Dubs From the Vault (Basscomesaveme), das ich zur Zeit mit großer Faszination höre. Mit dem traditionellen Dub-Schema hat auch dieses Album nicht viel gemein. Dafür umso mehr mit Jah Schulz – und beim letzten Track auch sehr viel mit Rhythm & Sound. Es geht also ausdrücklich nicht um Heavy Steppers, sondern um langsamere Produktionen, in denen sich der Bass ausbreitet, wie ein quellender Hefeteig. Alle Poren und Hohlräume der Dubs werden vom Bass-Teig durchdrungen. Schlagzeug und Offbeat wabern darin herum, wie Rosinen. Einfach nur lecker! Obwohl der Titel anderes vermuten lässt, sind die „Dubs From the Vault“ aktuelle Produktionen und keineswegs einst im Archiv verschollen gegangenes Material. Das Album umfasst nur sieben Tracks – was dem Release-Format geschuldet ist, denn wer das Album physisch besitzen möchte, muss tatsächlich eine Audiokassette kaufen. Zum Glück gibt es aber auch eine digitale Ausgabe mit perfektem Sound.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Kino Doscun & Youthie: Sahar

Ich liebe es, wenn sich Dub mit untypischen Musikkulturen mischt. Dub und klassische Musik hat mich schon immer fasziniert, die Kombination von Dub und Jazz liebe ich sehr und auch die Mischung von Dub mit nordischen Melodien sind mir von einigen Produktionen in guter Erinnerung. Da fällt mir ein: Eine der ersten Begegnungen dieser Art hatte ich auf einem Album der Twinkle Brothers, das sie zusammen mit einigen polnischen Violinisten aufgenommen hatten. Wie hieß es gleich? Egal. Was auch schon immer super funktioniert hat ist die Kombination von Dub mit orientalischen Harmonien. Ich denke da an den Spy from Cairo und andere. Wie schön, dass wir diesen spannenden Sound nun endlich mal wieder in Form eines gelungenen Albums vorliegen haben: „Sahar“ (Merkaba Music) von Kino Doscun & Youthie. Die Posaunistin, Flötistin und Akkordeonspielerin Youthie dürfte Dub-Fans gut bekannt sein. Man denke nur an ihre fantastischen Macca Dread-Produktionen. Youthie ist inzwischen ein Garant für gute Musik. Aber wer ist Kino Doscun? Meine Recherchen führen mich zu einem gewissen Dino Coskun, der Soundtechniker an der Opéra National de Paris ist. Seine Spezialität ist das Remixen und Dubben orientalischer Musik, indem er Oud, Saz, Gitarre und Percussions spielt, loopt und dann in dubbige Sound-Texturen überführt. Auf „Sahar“ zeichnet er für fast alle Instrumente verantwortlich. Youthie beschränkt sich auf Posaune, Flöte und Akkordeon. Heraus gekommen ist eine faszinierende Dub-Melange aus komplexen orientalischen Melodien, sensiblen Instrumental-Soli, natürlich viel Bass sowie verhaltenen Reggae-Beats. Alles in komplexen Arrangements miteinander verwoben und virtuos gemixt. Wären da nicht die Echos und der Hall, ließe sich „Sahar“ für ein kunstvoll arrangiertes Instrumentalalbum halten. Die Musik basiert unverkennbar auf Reggae-Basslines und regelmäßig erklingenden Offbeats, doch der starke orientalische Charakter der Instrumente und der Melodien führen uns an die Grenze des Genres – und beweisen uns zugleich, wie universell Reggae und Dub sein können.

Bewertung: 4.5 von 5.
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Pama I’ntl Meets Wrongtom in Dub

2001 gründete sich die achtköpfige Band Pama International, die ihre Musik als „Dub Fuelled Ska Rocksteady & Reggae“ beschreibt. In dieser Beschreibung steckt bereits ein gewisser Widerspruch, denn Dub und Ska und Rocksteady passen eigentlich nicht gut zusammen (wenn man das Werk von Victor Rice mal außen vor lässt). 2006 unterschrieb die Band bei Trojan Records einen Plattenvertrag – als erste Band nach 30 Jahren. Doch bereits zwei Jahre später war der Spaß schon wieder vorbei. Die Pamas gründetem darauf hin ihr eigenes Label „Rockers Revolt“ und nahmen das Album „Love Filled Dub Band“, das als eines ihrer besten gilt. Obwohl das Album (gemäß seines Titels) bereits von starken Dub-Elementen geprägt war, wurde der Londoner Sound-Tüftler Wrongtom damit beauftragt, eine Dub-Version herzustellen. Doch seine Aufnahmen verschwanden im Nirvana und blieben (angeblich) bis ins Jahr 2022 verschollen. Nun sind sie auf wundersame Weise wieder aufgetaucht und nun auf dem Album „Pama I’ntl Meets Wrongtom in Dub“ (Happy People) zu hören. Eine große Geschichte um ein einigermaßen schlichtes Album. Ja, Wrongtom hat ordentlich gedubbt, aber das Ergebnis bleibt irgendwie farblos. Vielleicht liegt das aber auch an dem ausgesprochenen Retro-Stil der Aufnahmen. Magie, Tiefe, Intensität und Spiritualität guter aktueller Produktionen sucht man hier vergeblich. Der Sound bleibt vergleichsweise unverbindlich und belanglos. Ja, das Ganze wirkt durchaus etwas uninspiriert – ebenso wie das Cover. Wer allerdings jamaikanischen Dub der 1970er Jahre mag, könnten hier jedoch anderer Meinung sein.

Bewertung: 3 von 5.